Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Christi Himmelfahrt, 20. Mai 2004
Predigt über Lukas 24, 46-53, verfaßt von Birte Andersen (Dänemark)
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In der Zeit der Kirche befinden wir uns nach Ostern.

Und einige werden unmittelbar meinen, daß es sich bei der Himmelfahrt entweder um eine Verdoppelung des Osterwunders handelt oder um etwas, was dazu beiträgt, das ganze noch unwahrscheinlicher zu machen.

Aber die Himmelfahrt ist von größter Bedeutung.

Der Glaube der Kirche ist der, daß nach Ostern eine andere Tagesordnung vorliegt als die, die vorher herrschte. Die Auferstehung Jesu wurde ein Pfand dafür, daß das Böse und der Tod nicht das letzte Wort haben. Und sie hatten sogar mit ihm zusammen gegessen, ihn berührt. Und dadurch war gewiß, daß es Gott war, der in ihr Leben eingetreten war und seine Geschichte mit der ihren verbunden hatte.

Aber das war ihnen aufgegangen, daß die Ewigkeit Blut austauschte mit ihrer Zeit, als sie stillstand, gerade als sie weitergehen sollte.

Deshalb mußte er sie verlassen. Damit er ihnen nicht im Wege stand.

Wenn wir etwas Großes erfahren, etwas Überwältigendes oder Richtiges, dann konzentrieren wir uns auf das, während die Umwelt eigentümlich bedeutungslos wird.

Aber das, was Jesus wollte, war die Umwelt für uns unendlich wichtig zu machen. Er mußte aus ihrer physischen Geschichte heraustreten, damit die Geschichte weitergehen kann. Er kann nicht umhergehen wie eine lebendige Leiche - tatsächlich ist er überflüssig, er hat ihnen das gelehrt, was sie brauchen, so gut er kann - und hat die Tagesordnung verändert. Den Rest müssen sie selber besorgen.

Unser Leben leben - das kann kein anderer für uns, du dein Leben und ich mein Leben. Denn das, wofür er lebte und starb, war dies, daß sein Leben in uns auferstehen konnte. Er tritt beiseite, um uns Ausblick zu geben.

Als die Person, die er war, geht er fort - sonst sehen wir auf ihn und nicht auf einander und die Welt. Er zieht selbst die Konsequenz aus der Tatsache, daß es eine neue Tagesordnung gibt.

Gehen wir hinein in diese Erzählung, dann ist da etwas, was mindestens genauso merkwürdig ist wie das Ereignis selbst: Die Jünger sind fröhlich beim Abschied: Sie aber kehrten wieder nach Jerusalem mit großer Freude. Sie haben sich gerade von ihm verabschiedet, der alles für ihr Dasein bedeutet hatte - und nun reagieren sie mit Freude!

Nun ist die Geschichte von Lukas einige Zeit nachher erzählt, es handelt sich nicht um einen Augenblicksbericht, und dort, von wo er schreibt, weiß er, daß sie froh waren, nachdem er sie verlassen hatte. Nun sind die Trauer und der Schmerz und die Verwirrung, die jeden Abschied prägen, überlagert von der Freiheit, die der Abschied ermöglicht.

Wenn jemand die Gesellschaft verlassen hat, dann können wir über ihn sprechen. Und wenn es sich um die Hauptperson der Gesellschaft handelt, gibt es viel zu erzählen. Besonders wenn Menschen von außen kommen und fragen, was man feiert - oder man selbst dafür sorgt, daß das Fest durch die Medien gedeckt wird. In beiden Fällen muß man darüber Rechenschaft ablegen, worum es geht.

Aber wenn die Tagesordnung selbst geändert ist, die Rahmen, die Spielregeln, wie erzählt man dann?

Wenn man in dieser Situation versucht, von außen zu erzählen, registrierend, direkt, mit Tatsachen und Beweisen, geht man in eine Falle. Die Alten wußten, wenn man das Wichtigste erzählen sollte, mußte man sich der indirekten Sprache bedienen. Alles, was wichtig ist, läßt sich nur indirekt mitteilen. Weil nur das Indirekte und die gleichnishafte Rede die Ganzheit umschreiben kann, zu der wir uns sonst nicht verhalten können.

Deshalb ist es so schwer, Kindern etwas zu lehren. Direkt können sie das Wichtige nicht aufnehmen - es muß durch ihr ganzes Wesen hindurch, um aufgenommen werden zu können. Von einem Wesen zum anderen gegeben werden.

Erzählungen, Bilder, Mythen, Anekdoten, Gleichnisse haben es an sich, daß der Erzähler nicht neutral erzählen kann, sondern genötigt ist, sich selbst einzubringen, wenn er erzählt. Und dann wissen alle Erzählungen, die dem Ereignis entspringen, und die Bilder, die gebildet werden, von sich selbst, daß sie nicht die Wirklichkeit sind, sondern auf sie hinweisen. Ein Gleichnis darf nur teilweise entsprechen, wenn es Klarheit bringen soll. Ein kann nur etwas vorstellen verschoben von der Wirklichkeit.

Er würde sich selbst zu einem Götzenbild machen, wenn er hierbliebe. Ein Götzenbild ist ja das Bild, das die einzige Wirklichkeit sein will oder das Bild zur Wirklichkeit selber machen will.

Das tut Jesus: Er macht sich selbst zu einem Bild. Indem er die Welt verläßt und sich zu einem Bild macht, kann sein Leben in der Welt leben. Denn das Bild und die Erzählung sind eine Mitteilung von der Wirklichkeit, auf die das Bild hinweist.

Ein sehr altes Bild aus Thessaloniki (aus dem Jahre 885) zeigt, wie das zugehen kann. In der Kuppel der Sophiakirche ist die Himmelfahrt in ein Mosaik aus Gold und wunderbaren Farben gesetzt. Ein sehr schönes und harmonisches Bild, unmittelbar gesehen. Wo die Herrlichkeit Gottes durch die Anbetung der Menschen unterstrichen wird und wo sich die Bewegung im Mittelpunkt der Welt konzentriert: dem vergöttlichten Christus.

Sehen wir aber genauer hin, ändern sich die Perspektive und die Bewegung. Das Zentrum ist zwar Christus, der nun auf dem Regenbogen in einem tiefen Blau thront. Aber dieses Zentrum ist nicht Christus, der im Himmel thront, sondern ein Bild. Daß es ein Bild ist, sieht man daran, daß es von schwebenden Engeln hochgehalten und getragen wird. Und die Christusgestalt ist nicht naturalistisch gemalt - der Kopf und die Hand sind viel größer als in der Welt der Wirklichkeit - der Körper ist fast ausschließlich auf ein prächtiges leuchtendes Gewand reduziert.

Und dort, wo Bewegung ist, das ist bei den Jüngern, die in einer üppigen Landschaft stehen mit schönen Bäumen und reichen Gewächsen in den Zwischenräumen, die durch die Gestalten gebildet werden.

Und diese Jünger sind nicht harmonisch lobpreisend geschildert, auch wenn sie in einem Mosaik dargestellt sind. Im Gegenteil, sie sind untereinander sehr verschieden: Einer hört zu, ein anderer schüttelt den Kopf, ein dritter zweifelt, ein vierter ist ablehnend, ein fünfter sehr gerührt, ein sechster grübelt, ein siebenter kehrt den Rücken zu und sieht schräg über die Schulter - verwundert, erregt und ängstlich sind sie alle. Wenn wir uns vorstellen, daß eine Kirchenkuppel schön sein soll, dann ist das in einer anderen Bedeutung von schön.

Die Engel sind schön, nicht zuletzt die beiden, die auf der Erde stehen mit Maria unter sich und auf das Bild zeigen. Die Falten in ihren Gewändern haben dieselbe Richtung, in der auch ihre Finger zeigen, ja selbst ihre Flügel und das Muster in ihnen weisen in dieselbe Richtung.

Jesus ging fort - kehrte zurück zu der Liebe, von der er kam, aber Gott ist unterdessen ein anderer geworden. Er kann nicht ohne uns leben, ohne mit uns zu kommunizieren. Wenn er hierbliebe, würde er uns lähmen und binden, aber durch das Bild, das sein Leben in die Welt gesetzt hat, können wir weiter mit ihm im Gespräch bleiben. Mit einem Bild erhalten wir den Abdruck, aber der deckt nicht die Wirklichkeit, auf die er verweist. Da bleibt ein Rest, etwas Unbekanntes, eine Möglichkeit, und diese Möglichkeit ist unsere Freiheit. Diese Freiheit zeigen die Jünger auf dem alten Mosaik.

In diesem Sinne ist es schön: Es zeigt die Freiheit, die Ostern den Menschen gegeben hat. Die seit Himmelfahrt nicht nur den wenigen gilt, die ihn damals sahen, sondern der ganzen Welt. Sie beginnt bei ihnen, aber weil er fortgegangen ist, kann er durch sein Bild alles und alles erreichen.

Die Engel haben keine Geschichte, sie haben keine Freiheit, und sie können nicht falsch wählen. Maria steht lobpreisend zwischen den beiden auf sie zeigenden Engeln, und sie ist schön, wie sie in Gott und sich selbst ruht. Sie war die, die das Bild Gottes trug, so daß es sich in ihr festsetzte. Ohne eine Garantie dafür, daß es von Gott war und nicht ein Bild der Verdammnis und des Ausgestoßenseins, wie eigentlich zu erwarten war. Sie setzte ihr Leben ein und gewann es.

Auch sie kann das Bild sein, das den Sinn unseres Lebens sammelt. Aber die Art, wie wir das tun, liegt nicht fest. Wir preisen Gott, wie dies die Jünger taten, mit unserem Zweifel, unserer Verwirrung und unserer Verschiedenheit. Das ist unsere Freiheit, und diesmal ist es Gott, der sich wundern muß. Wir sind dazu geschaffen, das Bild Gottes zu tragen, erhalten aber die Freiheit, wie wir es gesagten wollen. Himmelfahrt bedeutet, daß das Bild, mit dem wir in unserer Taufe gesegnet wurden, sich nun entfaltet und uns zu Rittern in der Welt macht, in der Gott als der Herr lebt, der auf seine Macht verzichtete. Der Verzicht Gottes auf die Macht lebt als ein Bild.

Aus einem Bild kann man Kraft saugen - im Abendmahl nehmen wir ein Bild physisch in uns auf. Deshalb gab er seinen Leib auf - um sich uns zu geben in der Gestalt von Wein und Brot.

Ein Bild kann man in seinem Herzen tragen, in einem Bild kann man sein und sich orientieren, gerade weil man weiß, daß es ein Bild ist - so wie die Jünger im Himmelfahrtsmosaik von Wachstum umgeben sind, von Bäumen und anderen Gewächsen.

In einem Bild kann Gott nahe sein - und zugleich das Bild überschreiten. Das Bild ist Kommunikation, eine Mitteilung dessen, was das Urbild ist - ohne selbst das Urbild zu sein. Deshalb ist Jesus mit eindringlichen sprechenden und fragenden großen Augen und segnenden Händen abgebildet.

Das Bewegende an Himmelfahrt ist, daß das Bild, das einmal ausgestellt ist, nicht mehr aus der Welt ausgelöscht werden kann.

Das bedeutet eine ungeheure Freiheit für uns. Nun können wir ein Leben leben, bei dem jeder Tag an Gott zurückgegeben wird. So wie das Bild zeigt, daß uns jeder Tag von Gott gegeben ist. Darum war es gut, daß er uns verlassen hat, dann brauchen wir nicht einander zu verlassen.

Menschen unter Engeln weilen,
mit dem Herrn nun alles teilen:
Geist und Staub und Leib und Blut,
Glaube, Hoffnung und die Liebe,
Licht und Freude, Glanz und Friede,
Lebensbaum und Lebensfluß!

Die zum Erdgeschlecht sich zählen,
frei sie können wieder wählen
zwischen Leben nun und Tod,
lichten Tag und finstern Nächten,
Paradies und Unheilsnächten,
Himmelsfreud und Höllennot!

(Kynewulf um 800, Grundtvig 1837)

Amen.

Pfarrerin Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 - 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk


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