Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Exaudi, 23. Mai 2004
Predigt über Epheser 3, 14-21, verfaßt von Elisabeth Tobaben
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Ich war mit einer kleinen Gruppe von Studierenden in München zu einer ziemlich anstrengenden Tagung.
Und als wir nach getaner Arbeit abends noch einen kleinen Kneipenbummel machen wollten, sprang uns in einer relativ belebten aber dunklen Straße plötzlich ein Herr im Nadelstreifenanzug vor die Füße.
Er kam, wie wir feststellten, aus einem Neonlicht- erleuchteten, geschäftsähnlich-nüchternen Raum mit vielen Schreibtischen und Computern drauf, sehr hell, grellweiß gestrichen mit einigen Tabellen an der Wand;

Er stellte sich ganz gezielt einer unserer Studentinnen in den Weg, aber so dass wir alle stehen bleiben mußten und fragte sie:
Haben Sie sich schonmal Gedanken darüber gemacht, Wer Sie eigentlich sind?³
"Klar," sagte die spontan und. lch bin Kathrin, bin 24, studier' Jura im 8. Semster, komm' aus Göttingen, meine Hobbies sind Karate und Trompete und jetzt laß' mich bitte durch."
Und dann ging sie einfach weiter und- ließ den verblüfften Sientology-Vertreter, denn um einen solchen handelte es sich bei dem Nadelstreifen-Herrn, einfach stehen.

"Ja, aber haben Sie denn gar keine Probleme?" rief er noch hinter uns her.
Da drehte sich ein anderer Student nochmal um und rief zurück: Doch, jede Menge, aber die lösen wir woanders!
Mich hat am meisten beeindruckt, mit welcher Direktheit diese Studentin sich mit ihren ganz deutlich nach außen sichtbaren Rollen in Kurzfassung beschrieben hat und mit ihrer Klarheit den Sektenvertreter einfach außer Gefecht setzte.

Wir haben dann in der Gruppe noch die halbe Nacht darüber diskutiert in einem Münchner Biergarten, heiß und heftig, wie das denn nun eigentlich wäre mit der eigenen Identität, mit der Frage "Wer bin ich eigentlich?

Mir ist der Vorfall jetzt wieder eingefallen, als ich über den für heute vorgeschlagenen Text! aus dem Epheserbrief nachzudenken hatte, denn darin spielt die Frage nach dem "Ich", nach dem “inwendigen Menschen³ auch eine wichtige Rolle.

 Lesung: Epheser 3, 14-21
14 Daher beuge ich meine Knie vor dem  Vater, nach dessen Namen jedes Ge- schlecht im Himmel und auf der Erde benannt wird, 16 und bitte, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, dass ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt. - 17 Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. In der Liebe verwurzelt und - auf sie gegründet, 18 sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen 19 und die Liebe Christi zu verstehen,  die alle Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt. 20 Er aber, der durch die  Macht, die in uns wirkt, unendlich viel  mehr tun kann, als wir erbitten oder uns  ausdenken können, 21 er werde verherrlicht  durch die Kirche und durch Christus Jesus, in allen Generationen, für ewige Zeiten.  Amen.

So. Und jetzt kommt die Frage:  Was hat denn den Briefschreiber an diesem Thema so fasziniert? Übrigens: ob es nun Paulus selber war oder einer seiner Schüler, ist gar nicht so entscheidend.

Denn erstens war das damals einfach so, dass die Anhänger sich mit ihren Texten (auch bei Büchern und Traktaten oder in der Schule/ Werkstatt berühmter bildender Künstler) auf die Autorität ihres Lehrers berufen konnten, indem sie einfach in seinem Namen schrieben;
und zweitens geht es hier sowieso um Paulus' Thema!  Und das heißt:
Christus ist in diese Welt gekommen und Mensch geworden - eben nicht nur für die Juden, sondern für alle Menschen!  
Für diese Überzeugung hat Paulus eine Menge Krach gekriegt mit seinen Apostelkollegen, hat er dafür gekämpft, auch Nichtjuden das Evangelium predigen zu dürfen, auch im Ausland!
Er hat sich einsperren lassen und gelitten für die Überzeugung, dass man auch 'gleich so' Christin oder Christ werden kann, oha. zuvor zum Judentum übertreten zu müssen. |
Nur auf dieser Grundlage. Christus ist für alle gekommen (vgl. auch Rogate), konnte Paulus schließlich auch die Gemeinde in Ephesus gründen.
Denn das war natürlich eine griechische Gemeinde, deren Mitglieder selbstverständlich keine Juden waren, sondern so genannte “Heiden“.
Aber anscheinend empfinden die Menschen dort ihre Situation immer noch als gefährdet.
“Gehören wir denn wirklich richtig dazu³? Haben sie sich vielleicht gefragt.
Oder fehlen uns im Grunde doch die 'richtigen" Wurzeln?
Haben wir die richtige Erkenntnis von Höhe und Breite, Länge und Tiefe unseres Glaubens und Lebens und dieser Welt?
Die richtige Erkenntnis von Gott und von uns selbst?
Oder fehlt uns doch was?
Ein bisschen klingt dieser Text ja nach einer schwierigen theologischen Abhandlung!
Und ich finde, er reizt auch dazu, ein kompliziertes Gedankengebäude darauf zu errichten.
Wenn wir jetzt zusammen säßen im KU, im Seniorenkreis, im KV oder so, dann könnten wir das auch probieren, könnten vielleicht eine Grafik entwerfen, könnten unsere verschiedenen Sichtweisen
zusammentragen.
Heute morgen finde ich was anderes wichtig, nämlich den Gedanken, dass Paulus - oder sein Schüler
der Gemeinde vor den komplizierten Ideen sagt: "Das ist mein Gebet für euch!"
Das ist schon richtig so, der Glaube, zu dem ich euch eingeladen habe, den ihr zu leben versucht, der euch wichtig ist, so wie er ist.
Jetzt kommt's noch drauf an, dass ihr immer mehr begreift von der Länge und Breite, der Höhe und Tiefe, dass ihr zunehmt an Erkenntnis und Liebe und wachst im Glauben|
Und dass ihr herausfindet, wer ihr dabei denn eigentlich wirklich seid.
Das nun wiederum ist vermutlich eine Lebensaufgabe !!
Aber die hat eben mit unserem Verwurzeltsein im Glauben zu tun!
Wer bin ich?
"Ich bin" - wir könnten wahrscheinlich alle ganz schnell, so wie die Studentin in München- eine äußere Kurzfassung unserer selbst geben.
Ich bin vielleicht Familienfrau, Mutter von Kindern, Rentnerin oder Schüler, ich bin von Beruf das und das ich bin Vater oder Feuerwehrmann, Feriengast oder Kurpatientin, ich bin die Freundin von...
Was bin ich denn nun?
In meinem Arbeitszimmer! hängt sein längerer Zeit ein Bild von einem mir unbekannten Künstler.

Es zeigt –auf den ersten Blick- das Gesicht einer Frau, und wenn man genauer hinsieht, erkennt man im Schatten dasselbe Gesicht noch einmal, und unten ein drittes Mal, noch schwerer erkennbar.

Das Bild mich könnte man gut mit der Frage betiteln: Wer bin ich?"
Bin ich das klar sichtbare, hell angeleuchtete Gesicht, das sich den Menschen draußen zeigt?
Oder bin ich eher das Verschleierte, das, was ich lieber verberge, was sich vielleicht in Zeiten großer Belastung Bahn bricht oder unter großem Druck zum Vorschein kommt?
Oder wenn mir jemand den Schleier mit Gewalt herunterreißt?
Oder bin ich das noch verborgenere Gesicht ganz im Untergrund?
Die Anteile von mir, die mir selber gar nicht bewusst sind, die aber trotzdem (oder gerade deswegen) mein Handeln und Denken beeinflussen und lenken?
Und dann oft eben auch in Richtungen, die ich so gar nicht will?
Etwas Maskenhaftes haben diese beiden zusätzlichen Gesichter, so als könnte ich sie aufsetzen, wenn ich sie brauche.
Oder als würden sie sich auch manchmal auch plötzlich ungewollt über das eigene Gesicht schieben.
Oder gehören sie nicht alle zu mir?
Auch das seitliche Gesicht mit dem etwas hinterhältigen, raffinierten Blick, auch die angstvollen Augen des unteren Gesichtes?

Wer bin ich7
Es ist mir wichtig, auch in der Begegnung mir anderen an die verborgenen Gesichter zu denken,  nicht (vor)schnell jemanden zu be- oder gar ver-urteilen.
Weil wir aus dem Epheserbrief hören: Gerade in den abgründigen Tiefen meines Ich, auch da, wo ich selber gar nicht hinkomme, wo ich mich nicht zurechtfinde und mich selbst nicht verstehe, auch  liegt als fester, unumstößlicher Grund die Liebe Christi!
Gott ist der, der mich besser kennt und versteht, als ich mich selbst, mir nahe ist, meint es gut mit mir.
Er ist immer schon vor mir bei mir selbst.
Das ist die befreiende Botschaft dieser Verse heute morgen.
Gegen allen Zweifel und alles ratlose Nichtverstehen können wir immer wider darauf vertrauen, dass uns die Kraft des Geistes geschenkt wird, damit wir uns und die Wett auch immer ein bisschen besser verstehen können
Wir können darauf vertrauen, dass etwas erlebbar wird bei uns von der Gottesfülle, darauf, dass sich neue  Wege auftun werden und Zugänge zu den Tiefen und Höhen unseres eigenen Lebens und der göttlichen Wirklichkeit. |
Amen.

Elisabeth Tobaben
Ev. Luth. Inselkirchengemeinde JUIST
Elisabeth.Tobaben@evlka.de 


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