Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Pfingsten, 30. Mai 2004
Predigt über Apostelgeschichte 2, 1-18, verfaßt von Jochen Cornelius-Bundschuh
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Apostelgeschichte 2, 1-18

1 Und als der [a] Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.
2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, [a]
4 und [a] sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen,[A] wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren [a] gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.
6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa?
8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache?
9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien,
10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom,
11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?
13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.
14 Die Pfingstpredigt des Petrus
Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und laßt meine Worte zu euren Ohren eingehen!
15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage;
16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5):
17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben;
18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Liebe Gemeinde,

draußen ist draußen und drinnen ist drinnen.
Wir sitzen hier zusammen in einem Raum; wir können miteinander reden, essen und trinken und uns an Jesus erinnern. Hier ist gut sein.
Aber draußen?! Da sind die anderen, die Fremden. Da herrschen andere Regeln, da herrscht ein anderer Geist.

I

So werden die Menschen gedacht haben, die da in einem Privathaus in Jerusalem versammelt waren: die zwölf Apostel, einige der Frauen, die Jesus nachgefolgt waren, Maria, seine Mutter und seine Brüder. Zusammen in einem kleinen Haus, wahrscheinlich kleiner als diese Kirche. Eine kleine Gemeinschaft, in dreifacher Weise verbunden:
durch das, was sie gemeinsam erlebt hatten,
durch die Angst, nicht aufzufallen, um keinen Ärger zu bekommen und verfolgt zu werden,
durch den Glauben, Jesus ist auferstanden.

Hier im Haus fühlten sie sich sicher. Hier hatten sie das Gefühl, vielleicht kann die Sache Jesu doch weiter gehen, auch wenn er nicht mehr leibhaftig unter uns ist. Wenigstens unter uns, in unserer Gemeinschaft.

„Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.“ Da kommt ein Brausen, ein gewaltiger Wind vom Himmel. Und das gemütliche Miteinander, das Gefühl der Geborgenheit ist vorbei. Von außen kommt etwas nach innen, dringt in ihre Runde ein.

Was ist das? Ein Wind ist zu hören, ein unheimliches Brausen. Auch zu sehen ist das, was herein kommt in ihre Runde und sie verändert: es sind Feuerzungen, hell glänzend und lodernd: „Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen.“ Brausen wie von einem gewaltigen Wind, Zungen wie von Feuer, was hier von außen in die Gemeinschaft der Freundinnen und Freunde Jesu kommt, ist nichts Harmloses, Kleines, Unbedeutendes. Es ist ein mächtiger, kräftiger Geist, der Furcht einflößt, der alles verändert, was innen ist.

„Und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ Ein Geist breitet sich im Haus aus und verändert das Miteinander. So, als würde plötzlich einer anfangen in unserer Kirche, Englisch zu reden, die andere russisch, serbokroatisch, türkisch, koreanisch und vielleicht sogar chinesisch, französisch, griechisch, dänisch, Kisuaheli, portugiesisch und indisch; jede und jeder eine andere, eine neue, eine ihm vorher unbekannte Sprache.

Vorbei ist es mit dem gemütlichen Miteinanderreden, wo alle das reden und hören, was sie schon immer geredet, gehört und gewusst haben! Der Wind und das Feuer stiften innen Unruhe - und treiben die drinnen nach draußen. Denn die neue Sprache lohnt sich ja erst richtig außerhalb des Hauses. Im Flüchtlingsheim an der Stadtgrenze, in der Nordstadt, wo viele Menschen aus der Türkei leben, im Neubaugebiet jenseits der Straße, wo sich viele Aussiedlerfamilien niedergelassen haben.

Da, außerhalb unseres Hauses, außerhalb unserer Kirche können wir etwas mit dem neuen Geist anfangen. Bei der Nachbarin aus Korea, dem Kollegen aus den USA oder der Familie, die von der Wolga nach Deutschland gekommen ist. Alle hören uns in ihrer Sprache reden, allen ist Gottes Wort verständlich. Egal, woher sie sind. „Wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden.“ Unglaublich, aber so muss es gewesen sein.

II

Drußen ist draußen und drinnen ist drinnen! Seit Pfingsten funktioniert das in der Kirche nicht mehr! Seit Pfingsten weht ein neuer Geist von außen in die Kirche und setzt Christinnen und Christen in Bewegung, führt uns in die Welt! Ja, die Sach Jesu geht weiter, er sit auferstanden, aber das ist nichts, was im verborgenen, in einer verschworenen Gemeinschaft geschieht, die sich selbst genug ist. Nein, der Geist Gottes schickt uns in die Welt, zu den anderen. Schickt uns los. Gibt uns einen Anstoß. Öffnet unsere Gemeinschaft.

Der Geist kommt von außen zu denen innen und weht dann mit ihnen nach außen. Grenzen werden überwunden. Grenzen der Sprache: Menschen können miteinander reden, die sich bis dahin nicht verständigen können. Um von Gottes großen Taten zu hören, davon wie er Menschen befreit, wie er Ungerechtigkeit überwindet, müssen sie nicht erst eine neue Sprache lernen: nein, jeder Mensch kann in seiner Kultur bleiben, der Geist will zu ihm kommen. Also niemand muß erst ein gutes Hochdeutsch reden, um die gute Nachricht zu reden. Das Evangelium will auch als Dialekt laut werden. Oder im gebrochenen Deutsch von Menschen, die aus der Fremde bei uns einen neue Heimat gefunden haben.

Das Evangelium ausbreiten, Mission heißt nicht, erst müssen alle deutsch lernen, damit sie unsere Bibel lesen können, damit sie auch Christinnen und Christen werden können, Kinder Gottes. So haben die Kolonisatoren vor fünfhundert ja, noch vor hundert Jahren in vielen Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas geredet, gedacht und schrecklicherweise auch gehandelt. Die Pfingstgeschichte sagt das genaue Gegenteil: Gottes Geist kommt zu den Menschen kommen in der Sprache, die sie verstehen können, in ihrer Sprache. Und wenn ihr ihnen erzählt von Gott, dann ist die Sprache kein Hindernis; der Geist Gottes gibt euch dann schon die richtigen Worte ein.

Es geht aber nicht nur um die Sprache. All die Voraussetzungen, mit denen ein Mensch dasteht: ob ich Ärztin bin oder Verkäufer, ob ich fleißig bin oder mutlos, ich muss nicht erst so werden, wie andere das wollen, damit ich Gottes Wort hören kann: ich darf, kann so bleiben wie ich bin, mit allem, was ich mitbringe: Gottes Geist will sich mir in meiner Situation, in meinem Leben verständlich machen.

Die Kirche hat häufig anders gehandelt, hat so getan, als müßten alle erst gute Kirchgänger/innen werden, bevor Gottes Wort sie erreichen kann: Die Pfingstgeschichte sagt das Gegenteil: Gottes Geist will zu den Menschen kommen in der Sprache, die sie verstehen können, in ihre Lebenssituation.

III

Draußen ist draußen und drinnen ist drinnen. Dass der heilige Geist das verändert hat, ist schwer zu glauben. Nicht nur für die, die drinnen sind, sondern auch für die draußen. Für die, in deren Lebenssituation der Geist verständlich und wirksam werden will. Denn dieses überwältigende Brausen, dieses machtvolle Reden hat ja auch etwas Bedrohliches, so wie der Feldprediger in Brechts Mutter Courage sagt: „Gott hat mir die Gabe der Sprachgewalt verliehen. Ich predig, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.“ Und Mutter Courage darauf prompt antwortet: „Ich möchte’ gar nicht, daß mir Hören und Sehen vergeht.“

Nach der Pfingstgeschichte vergeht keinem der vielen Menschen, die in Jerusalem dieses Hörspiel mitbekommen, Hören und Sehen. Sie werden nicht überredet, über sie wird nicht hinweg geredet, sondern sie verstehen sehr genau: von den großen Taten Gottes ist da die Rede. Um Gottes Wort und Tat geht es, nicht um besondere Fähigkeiten des Predigers. Der Pfingstgeist will nicht in Grund und Boden reden, will nicht Fragen wegreden, kann und will sich nicht über Einwände, Zweifel, Hohn und Spott hinweg setzen: wer das Gefühl hat: „sie sind voll süßem Wein!“, mit dem kann der Pfingstgeist nur geduldig reden. Nein, schau nur, wir haben nichts getrunken. Was wir sagen, ist wirklich ernst gemeint, auch wenn es ganz unwahrscheinlich klingt:

Jesus hat den Armen das Evangelium verkündigt; er hat den Gefangenen gepredigt, dass sie frei sein sollen, den Blinden, dass sie sehen sollen, den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen. Er hat uns die Gnade Gottes zugesagt. Frei sind wir von Ansprüchen anderer Menschen; niemand kann uns sagen, so und so musst du sein, damit Gott und die Menschen dich lieben. Wir sind frei, weil Gott uns mit seinem Geist anspricht mit unseren Fehlern, unserem Versagen, unserer Sünde. Wir sind frei und gerade deshalb in der Lage, anderen Menschen zu helfen, selbst denen, die uns fremd sind und die wir nicht leiden können.

Mag sein, das klingt so wie damals auch heute nach süßem Wein: Unrealistisch, unglaublich, unvernünftig. Aber, der Geist macht uns Mut, über unseren Glauben zu reden, ihn nicht als Privatsache zu verstecken und nur mit denen zu teilen, die uns nah sind. Er macht uns Mut, Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die seit Jesus Auferstehung in uns ist: dass wir nicht auf Kosten anderer leben müssen, sondern das eigene Leben und das Leben der Gesellschaft auf Gerechtigkeit aufbauen können, dass Leben gelingt, wenn Liebe zum Lebensprinzip wird.

IV

Draußen ist draußen und drinnen ist drinnen. Für die paar getreuen hätte das so bleiben können. Sie hätten zurückgeschaut auf Jesus und sich gegenseitig gestärkt. Wenn da nicht der Geist gewesen wäre: der Geist, der nicht nur in einer Person begegnet, sondern auf alle ausgegossen ist, auf Alte und Junge, Frauen und Männer. Und während Jesus und die Geschichte über ihn gerade davon leben, dass es ein Mensch ist, in dem Gott sich zu erkennen gegeben hat, lebt der Geist von der Vielfalt der Menschen, in denen er wirksam ist.

Gottes Geist wirkt in unserer Gemeinde, weil Menschen sich je an ihrer Stelle für andere und für das ganze verantwortlich fühlen und Verantwortung übernehmen. Etwas gelingt, weil meine Nachbarin einen Weg kennt, auf den ich nie gekommen wäre. Leid läßt sich tragen, weil viele tragen helfen: der eine mit einem guten Wort, die andere mit einem Blumengruß, der dritte, indem er die Trauerende einmal in der Woche mit zum Friedhof nimmt. Menschen, die sich mehr im Inneren der Gemeinde fühlen, erleben, dass andere, äußere, da sind, wenn sie gebraucht werden: bei der Hausaufgabenhilfe mitmachen oder beim Hospizdienst. Menschen, die eher am Rande der Gemeinde sind, die sich nicht wohl fühlen in unseren Gottesdiensten, stellen fest: auf die Gemeinde ist Verlass, auch wenn ich nicht regelmäßig erscheine.

„Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ Innen und außen - ein neuer Geist und viele, vielfältige Gaben - doch alles zum Lobe Gottes und für den Frieden auf Erden.

Amen.

Direktor Priv.-Doz. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Evangelisches Predigerseminar
der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck
Gesundbrunnen 10
34369 Hofgeismar
05671-881271
e-mail: cornelius-bundschuh@ekkw.de


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