Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Pfingstmontag, 31. Mai 2004
Predigt über 1. Korinther 12, 4-11, verfaßt von Detlef Reichert
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

Pfingsten dauert an. Ganz einfach erst einmal am Pfingstmontag nach den Pfingstsonntag. Fest des heiligen Geistes in der Kirche, für sie und mit ihr. Nach der auf ihre Weise plastischen erzählenden Auftaktdarstellung in der Apostelgeschichte gestern -“und sie wurden alle voll des heiligen Geistes und fingen an zu predigen in anderen Zungen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen“ - heute die Wendung ins Praktische mit Versen aus dem 1.Korintherbrief. Wie geht das, nicht nur mit dem Zungenreden, sondern mit den Gaben des Heiligen Geistes überhaupt. Geht das?

Bei uns in Westfalen liegen die Wahlen zu den Presbyterien, in die Leitungs- und Führungsaufgaben der Kirchengemeinden noch nicht lange zurück. Und die Suchzeit davor auch nicht.

Mit viel Engagement Engagierte suchen, sie einzuladen zum Mitmachen, darum ging es in vielen Vor- und Einzelgesprächen in den Gruppen und Kreisen, Darum ging es bei denen, die bisher Verantwortung übernommen und getragen hatten. Wo sind Menschen mit ihren Fähigkeiten? Das war die Frage. In vier Jahren, bei den nächsten Wahlen, wird das wieder so sein. Und nicht nur bei den Wahlen in die Presbyterien ist das ja so, sondern durchgängig bei jeder Aufgabe, die es wahrzunehmen gilt zwischen Ehrenamt und Wahlamt.

Haben wir die Menschen mit den Fähigkeiten, die wir brauchen? Nehmen wir die Fähigkeiten wahr, die Menschen haben und die sie einbringen wollen? Und man kann das durchdeklinieren bis zu den Fragen in den Gemeindeversammlungen, wen brauchen wir, damit die Dinge, die bei uns vielleicht in der letzten Zeit nicht so zum Zuge gekommen sind, aufgenommen und wahrgenommen werden, und wen können wir dafür gewinnen?

Natürlich ist das nicht nur in unseren Kirchengemeinden so. Gesucht wird überall. Gesucht wird bei Einstellungen in Firmen und Handwerksbetrieben, in denen noch eingestellt wird, bei Verwaltungen und in Vereinen. Gesucht werden in der Regel erst einmal bestimmte Fähigkeiten für bestimmte Funktionen und Aufgaben, die getan werden müssen. Wo das lösbar scheint, bleibt in manchen Bereichen dann vielleicht noch die Frage nach Proporz und Quoten, die zu beachten sind. Aber gesucht und ausgesucht wird in der Regel nach Fähigkeiten. Das ist nicht schlecht, das ist notwendig, das ist bei uns in der Kirche nicht anders, aber es kann nie so und vor allem nie allein so als Kriterium da stehen. Wir suchen nicht wegen eimzubringender Fähigkeiten Menschen, sondern wir suchen Menschen mit ihren Fähigkeiten, und hoffen, dass sie mitmachen und sie sie einbringen.

So zumindest denke ich, müsste es sein. Und damit bin ich dann auch schon mitten in der Frage nach den Gaben drin, - Pfingsten und der Geist und seine Gaben - , bin es, auch wenn der Satz so bei Paulus in den Versen im Korintherbrief nicht steht. Aber der Gedanke steckt drin, und er scheint durch.

Deswegen sage ich das auch zuerst, bevor ich die Verse aus dem 1. Korintherbrief lese, den Predigttext, Kapitel 12, 4-11 mit seiner Fülle der dort aufgezählten Fähigkeitem,. Gaben, Fertigkeiten, der Fülle der -so steht da bei Paulus nebeneinander- der Charismen, Dienstbarkeiten und Wirksamkeiten.

Und noch etwas will ich im Voraus sagen. Wenn Paulus das Wort Charisma benutzt, da meint er nicht einfach das, was wir darunter verstehen und wie wir es benutzen. Für uns ist Charisma etwas, das jemand hat, und das -egal auf welchem Gebiet- in der Öffentlichkeit ausstrahlt. Charisma wirkt auf andere Menschen, überzeugt sie und reißt sie mit. Wir benutzen dieses Wort ganz selbstverständlich so, - etwa ein charismatischer Führer, ein charismatischer Politiker, das Charisma eines Künstlers, einer Schauspielerin oder was immer. Zu tun hat das für uns immer irgendwie auch mit Geist. Charisma ist nichts, das ich aufrechnen und nachweisen kann, es ist nichts, was in irgendeinem Kursus anzutrainieren wäre. Charisma lernt man nicht, Charisma hat man , - oder eben nicht. Eine nicht zu definierende, nicht festzumachende Ausstrahlung, eine Aura, - irgendetwas irgendwie mit Geist.

So benutzt Paulus das Wort Charisma nicht, auch wenn er es auch mit Geist zusammenbringt. Er verbindet es nicht mit irgendetwas Geistigem, sondern mit dem heiligen Geist, eben Pfingsten, und er grenzt es ein

1.Korinther 12,4-11

Genannt sind ganz viele einzelne Gaben. Alle gehören in den Wirkzusammenhang, der von Gott ausgeht, Heiliger Geist, Jesus Christus, Gott Vater. Ich zähle sie jetzt nicht gleich noch einmal auf, aber auffällig ist das schon, wie sehr in den langen vier Versen vorher Paulus sich intensiv darum bemüht den Zusammenhang deutlich zu machen, in dem alle die Gaben stehen, dass und wie sie zusammengehören, dass keine dieser Gaben für sich aus sich selbst heraustritt, dass sie zusammengebunden sind ihn ihm, von dem sie ausgehen, und dass sie ein gemeinsames Ziel haben, denen zu nutzen, um die es geht, um derentwillen sie da sind, gegeben sind: Dem Menschen, uns.

Und da taucht dann auch Charisma auf, zweimal gleich, aber nicht freischwebend, sondern in ganz bestimmter Zuordnung. Das Charisma Heilen zu können und das Charisma, wieder Gesundmachen zu können. Gaben, die Menschen von Gott bekommen, nebeneinander. Kluges Überlegen gibt es da und Begreifen mit Erkennen und Glauben und die Gabe, etwas umsetzen zu können. Und das geht weiter mit Prophetie und der ans Visionäre grenzenden Zungenrede, die übersetzt und umgesetzt werden muss und kann in unsere Wirklichkeit, unser Leben hinein. Dazu die Gabe, zu sehen, was im Leben und an ihm begeistert, das in Worte zu bringen, es zu `verklaren´, - vor allem, beides zusammen zu tun, nicht nur endlose Bestandsaufnahme von Problemen, Möglichkeiten, manchen Wahrscheinlichkeiten, sondern auch, wie denn nun damit umgehen, - wenn man so will „Visionen“ und „Butter bei die Fische“.

So unterschiedlich Paulus da den Korinthern von Gaben schreibt und sie beschreibt, es ist keine Vollständigkeitsliste.
Vollständig sind nur die Anfangsgedanken: Alle Gaben kommen von Gott, und alle dienen den Menschen.
Nach Korinth schreibt Paulus, was -aus seiner Sicht- die Gemeinde dort braucht, was bei ihnen nötig ist.

Andere Gemeinden brauchen anderes im Einzelnen. Andere Zeiten, andere Gegenden ebenso. Die spezifischen Gaben ergeben sich aus der spezifischen Situation. Aber gleich an welchem Ort oder zu welcher Zeit haben alle Gaben das gemeinsam, dass ich sie nicht selbst erfinde, sondern Gott sie gibt, - dass ich sie nicht für mich habe, sondern dass sie allen, mit denen ich lebe, nützen sollen. Nicht der charismatische Einzelne ist es, von dem Paulus hier redet, sondern er redet von den Menschen und ihren verschiedenen Gaben zum Nutzen der Gemeinde und aller in ihr.

Wie das also mit den Gaben des Heiligen Geistes geht?

Erst einmal: Keine Fähigkeit ist ausgeschlossen. Was immer jemand kann hat seinen Bezug zu Gottes Gabe, ist Gottes Gabe, - herstellen müssen wir den Bezug zu den Punkten, wo Menschen und Gemeinde sie brauchen. Und damit sich hier nicht zu schnell Verwirrung einstellt, sind es vier ganz einfache und irgendwie auch sehr trockene Grundlinien, die Paulus als Kriterium deutlich macht, die für alle Gaben gelten:

Es ist der eine Geist, der zu Gott, dem Vater Jesu Christi gehört, der die Gaben bewirkt, der sie gibt und lebendig werden läßt.
Es ist dieser eine Geist, auf den die Gaben, so verschieden sie sind, alle bezogen sind, ohne Differenzierung oder Vorrang untereinander.
Er gibt die Gaben den Menschen
Er gibt sie zum Nutzen für alle, zum Guten, zum Förderlichen.

Zugegeben, das ist ein trockener Katalog der Voraussetzungen, aber keine ohne Sprengkraft. Denn diese vier Kriterien sind wirklich keine Dinge, die hoch bei uns im Kurs stehen. Und so recht von selbst haben sie es eigentlich nie getan: Etwas bekommen, es nicht selber machen - etwas haben für andere und nicht erst einmal und besonders für mich selbst - innerlich akzeptieren, dass alle etwas haben, jede und jeder das Ihre und Seine, und nicht nur ich Meines - innerlich akzeptieren, dass meine Besonderheit mich nicht über andere hinaushebt, sondern dass das gilt, so wie ich etwas habe, haben andere auch etwas, ich das Meine, sie das Ihre - und auch das innerlich akzeptieren, dass der Blickpunkt nicht auf der Abstufung liegt, sondern darauf gerichtet ist, dass alle diese Gaben zusammen das sind, was nützt und fördert, nützlich in gleicher Weise jede.

Menschen mit ihren Gaben, die so darüber denken können und umgehen mit ihnen, das sind nicht unbedingt charismatische Lichtgestalten, wie wir sie auch kennen. Aber von solchen Menschen redet Paulus, wenn er nach Korinth schreibt und sagt: Die sind es, die ihr braucht.

Und in der Konsequenz seiner Linie heißt das dann weiter: Ihr habt diese Menschen und diese Gaben, denn Gottes Geist gibt sie, - jedem und jeder, die sie erkennen müssen, um sie einzubringen, - die erkannt werden müssen, um nach ihnen zu fragen, sie einzubitten.

Noch einmal: Die Liste der möglichen und nützlichen Gaben in den Versen des Predigttextes ist nicht vollständig. Wo uns als Gemeinden heute gilt, was denen in Korinth gegolten hat, dann bleibt ganz einfach zu fragen: Welche Gaben brauchen wir heute, welche Gaben sind für uns an unserem Ort besonders nötig , jetzt, für die Gemeinde, die Kirche, die Welt?

Ist es etwa die Gabe der Sachlichkeit in einer von Aufgeregtheiten geprägten und sich in ihr mitunter auch stilisierenden Atmosphäre, die voll ist von Entrüstungen -über andere versteht sich- bis hin zu den Aufgeregtheiten der Ängste und Befürchtungen um mich selbst?

Oder wäre es die Gabe der Einfachheit, so wie sie -lange vor uns- schon Dietrich Bonhoeffer in Widerstand und Ergebung beschrieben hat: `Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker brauchen wir, sondern schlichte, gerade, einfache Menschen werden wir brauchen.´ Gabe der Einfachheit, - das könnte schon auch so aussehen wie die Umschreibung -mit Holze-Stäblein- der verschiedensten nötigen Facetten von Gemeinde vor Ort: `Einen schönen ansprechenden Gemeindebrief machen - in der Kneipe Seelsorge üben - Kindern im Spiel den Glauben lieb und wert machen - aus dem Herzen beten - sich exponieren und etwas riskieren um einzelner Menschen und Gruppen willen - Menschen zur Mitarbeit gewinnen und ihre Beiträge unzensiert stehen lassen - dem Verstand unnötige Barrieren wegräumen - unbequem sein und querdenken - organisieren ohne zu herrschen - Sitzungen so zu leiten, dass sich niemand in ihnen erschöpft - Ordnung halten und Ordnung schaffen, sodass sie hilfreich und liebenswert bleibt - mit Liebe etwas schön machen und schmücken - Menschen „zentrieren“ ohne sie zu drillen - viele um einen gastlichen Tisch versammeln - Spannungen fruchtbar machen - dem Lachen Raum geben und dem Weinen - Ordnungen stören, wenn nötig - Menschen den Gauben ins Herz bringen.´

Dahin führt alle Überlegung nach den Gaben: Letztlich zu einer Umschreibung von unserer, meiner Gemeinde im Alltag. Und vieles davon ist da, von diesen einzelnen Teilen und Stücken. Aber sehe ich sie selbst eigentlich wirklich immer genau genug? Nehme ich wahr, was ist und was so viele beitragen? Und wer ist es, die oder der Seines noch beitragen könnte, vielleicht möchte, sich vielleicht nur nicht traut?

Nicht alles muss überall sein. Aber von dem her, was alles sein kann kann, fragen nach dem, was nützlich und hilfreich ist jetzt und hier, wenn uns dazu die Korintherbriefverse bringen, dann folgt gut und gern der Pfingstdienstag auf den Pfingstmontag.

Suchen nach dem, was hilft, das führt in die Bitte um den Heiligen Geist, führt zum Gebet an Gott um ihn, den wir zu Pfingsten verheissen wissen, nicht nur damals, sondern bei uns auch. Das führt zum Gebet, das im Vertrauen auf seine Gabe unter Einschluss unserer Wirklichkeit mit ihren Grenzen beten kann.

Vielleicht so:
`Herr, wie lange noch werden wir sagen, wir seien Geschwister, wie lieben unseren Vater im Himmel - und unser Leben straft uns Lügen?
Herr, wie lange noch werden wir reden von Liebe, und dass unser Herz die Menschen suche - und unsere Liebe schläft?
Herr, wie lange noch werden wir reden vom Beten und uns freuen an schönen Gottesdiensten - und unser Gebet ist nur Traum?
Herr, wie lange noch werden wirr uns beugen vor Christus, ihn Herr nennen und sein Wort predigen - und er kennt uns nicht?
Herr, wie lange noch leuchtet das Licht der Wahrheit, kommt des Menschen Sohn - und wird auch von diesem Geschlecht verworfen?
Herr, wie lange noch? - Komm, Heiliger Geist.´

Amen.

Sup. Dr. D.Reichert
Gneisenaustr. 76
33330 Gütersloh
SuperintendentGT@aol.com


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