Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Trinitatis, 6. Juni 2004
Predigt über Römer 11, 33-36, verfaßt von Alois Schifferle
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Paulus beschließt seine Ausführungen zur Erwählung und Rettung Israels (Röm 9-11) mit einem Lobpreis Gottes auf den „Reichtum, die Weisheit und Erkenntnis Gottes“. Vers 33 wird in den Versen 34 f. erläutert und erhält in Vers 36 in eine liturgisch geprägte Formel. Gerühmt werden die „unergründlichen Entscheidungen“ und „unerforschlichen Wege“ Gottes, die in der Heilsgeschichte – besonders in Gottes Treue zu Israel offenbar werden. Die drei in den Versen 34 f. im Anschluss an Schrifttexte formulierten Fragen (Jes 40,14; Jj 41,3) greifen nochmals die drei Begriffe „Reichtum, Weisheit und Erkenntnis Gottes“ auf.

Dieser berühmte Lobpreis darf nicht erkenntnisphilosophisch, sondern muss heilsgeschichtlich (im Zusammenhang des Textes) verstanden werden: Dass weder Juden noch Heiden eine Art „menschliches Recht“ auf die Gnade Gottes besitzen, sondern dass das Geheimnis der göttlichen Freiheit seine eigenen Wege beschreitet. Hier geht es darum, dass Gott „sein“ Volk Israel nicht verlassen hat. Für uns heute kann das bedeuten: Dass Gottes Erwählungswege möglicherweise anders verlaufen, als es sich die christlichen Kirchen selber ausdenken.

Es ist besonders interessant, dass unter den 14 Paulus zugeschriebenen Briefen des Neuen Testamentes der erste und umfangreichste der Brief an die Gemeinde in Rom ist, der Römerbrief. Paulus will die Gemeinde, die er noch nicht kennt, besuchen und begründet dies auch:.

„Zunächst danke ich Gott für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird. Ich sehne mich danach, euch zu sehen; ich möchte euch geistliche Gaben übermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet oder besser: Damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben. Ich schäme mich des Evangeliums nicht: Es ist eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt“ (Röm 1,11-16).

Paulus weiß, dass die Verkündigung des Glaubens keine Einbahnstraße ist. Es ist nicht nur er, der der römischen Gemeinde geistliche Gaben schenkt, sondern es wird ein gegenseitiges Geben und Nehmen werden, ein gemeinsamer, gegenseitiger Zuspruch. Auch er, der Apostel, bedarf des Zuspruchs durch ihren Glauben, nicht nur umgekehrt!

Was Paulus damals schrieb, das gilt auch heute: Gemeinde kommt zum Gottesdienst zusammen, um gegenseitig aus dem Evangelium und der Feier der Eucharistie Zuspruch und Ermutigung für den Glauben im Alltag zu empfangen. Dieses gegenseitige Geben und Nehmen sollte einmal besonders betont werden, indem der Pfarrer alle Gläubigen bittet, die Ermutigung, die sie durch den Glauben in ihrem Leben erfahren haben, anderen weiterzugeben. Dass der Glaube nicht nur etwas Selbstverständliches ist, sondern wie die Liebe auch Höhen und Tiefen kennt und in Gefahr geraten kann, davon gibt die Person, die ungenannt bleiben will Zeugnis, wenn sie schreibt: „Leider kann ich schwer anderen einen Zuspruch geben, da ich selbst in meinem Glauben nur an einem dünnen Faden hänge“. Aber – unser aller Glauben lebt nicht nur von den Höhepunkten, er lebt auch von den Dunkelheiten und Abgründen, in die wir geführt werden. Dann tut es nur gut, einem Menschen zu begegnen, der ganz unbeschwert betet: „Du lieber Gott! Ich danke dir so sehr. Gabst mir Gesundheit und vieles mehr. Gabst mir mein Leben, mein Lachen und einen frohen Sinn. Es wäre schön, könnt‘ ich so bleiben, wie ich bin.“ Oder: „Ich glaube, dass ich durch Jesus bin, was ich bin; durch ihn erfahre ich, was Gott vermag. So wie ich verdanken sich ihm alle Menschen! So wie mich rief er die ganze Welt ins Dasein. Ich bejahe meine Bestimmung, weiterzugeben, was ich von Gott empfangen habe.“

Oder die Glaubenszeugnisse anderer, aus denen besonders die Erfahrung der Geborgenheit spricht: „Herr, in Deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist.“ „Vertrau auf Gott und lass ihn walten. Ohne Gottvertrauen läuft nichts!“ „Gott, in Dir bin ich geboren.“ „Ich weiß, dass Du mein Vater bist, in dessen Arm ich wohl geboren bin.“

„Herr, Du kennst mein Herz, bei Dir bin ich geborgen!“ Mein Glaube bedeutet mir: „Geborgensein in Gottes Hand!“ Denn: „Unergründlich sind seine Entscheidungen“ und „unerforschlich seine Wege.“

Auch Jesu erfuhr in Treue zum Ursprung und im Staunen über Gottes Wege ein Reifen seiner Sendung, erfuhr ihre neuen Wege und ihre größere Fülle. Ohne diesen Jesus, den Sohn, würden wir bis heute nicht Gott als Vater kennen. Nachdem aber Jesus nicht mehr als Mensch unter uns lebt, übernimmt der „andere Anwalt“, der „Geist der Wahrheit“ (Joh 14,16 f.), die Aufgabe, uns zum „Vater“ zu führen. Dieser „andere Anwalt“ „erinnert“ uns an alles, was Jesus uns gesagt hat (Joh 14,26). Der Geist Gottes also wirkt in uns, um in uns den „Geist der Kindschaft“, den Jesus uns vorgelebt hat, zu wecken. Bleiben wir also offen für solches (oder anderes) Reifen in unseren eigenen Aufgaben bzw. unserer Sendung, gerade wenn sie an Grenzen stößt, auf unerhofften Wegen und in unerwarteter Fülle!

Prof. Dr. Alois Schifferle
Lehrstuhl für Pastoraltheologie
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Alois.Schifferle@ku-eichstaett.de


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