Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

Trinitatis, 6. Juni 2004
Predigt über Römer 11, 32-36, verfaßt von Hans Theodor Goebel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


32 Zusammen eingeschlossen hat Gott nämlich alle in den Ungehorsam, damit er an allen Erbarmen erweise.
33 O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege.
34 Denn wer erkannte des Herrn Sinn? Oder wer wurde sein Ratgeber?
35 Oder wer hat dem Herrn zuvor gegeben und es müsste ihm vom Herrn zurückerstattet werden?
36 Wirklich - aus ihm und durch ihn und zu ihm hin ist Alles. Ihm die Ehre in Ewigkeit! Amen.

I.

Das ist das Geheimnis von uns allen: Wir werden Gott nicht los. Weder am Anfang unsres Lebens noch in dessen Verlauf noch am Ausgang. Gott hat nach uns gegriffen und umgibt uns.
Das ist das Geheimnis der ganzen zerrissenen Menschheitsgeschichte.
In der Welt der Völker und Religionen von damals ist Paulus, dessen Stimme wir eben aus seinem Brief an die Römer gehört haben, rastlos unterwegs. Paulus der Jude mit der Botschaft des Evangeliums von Jesus Christus.
Bewegt vom Evangelium bewegt ihn das Geheimnis von Juden und Heiden und Christen in ihrer Zusammengehörigkeit und Unterschiedenheit. Sie alle werden Gott nicht los, der nach ihnen gegriffen hat. Mögen sie nun – wem auch immer - glauben oder nicht glauben.

II.

Das Geheimnis ist dem Paulus im Evangelium von Jesus Christus aufgegangen. Da liegt es beschlossen. In Jesus Christus bündeln und ordnen sich ihm die verschiedenen Wege Gottes in der Menschheitsgeschichte.

Da wählt sich Gott das Volk der Juden inmitten der Weltmächte. „Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker, denn du bist das kleinste unter allen Völkern. Sondern weil er euch geliebt hat“ – so die Rede an Israel im 5. Buch Mose.
Gott macht Geschichte mit diesem Volk. So sein Versprechen an Israels Stammvater Abraham: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein. Und in dir sollen sich segnen alle Völker der Erde.
An Israels Segen hängt danach der Segen der Welt.

Aus diesem von Gott geliebten Volk ist Jesus gekommen. Jesus der Jude. Er ist seinen Jüngern Ostern als der Lebendige begegnet und sie haben ihm gegen ihre eigenen Ängste und Zweifel geantwortet: „Mein Herr und mein Gott!
Paulus bringt zur Sprache, dass nicht alle aus Gottes Volk Israel an Jesus und sein Evangelium glauben. Nur manche. Warum ist das so?
Paulus hat beides in seiner eigenen Lebensgeschichte erfahren: Erst war er ein Verfolger, dann wurde er ein Apostel Jesu Christi.
Warum ist das so?
Wieder andere, die nicht Juden waren und fremden Göttern, Mächten, Kulten dienten, glauben nun an das Evangelium.
Warum ist das so?
Sind Gottes Wege erkennbar in diesem Durcheinander?
Wie wenn sich da jetzt die einen das Recht herausnehmen, sich über die anderen zu erheben oder gar behaupten, die anderen seien von Gott verstoßen. So ist es dann tatsächlich geschehen. Die Christen haben es die Juden spüren lassen. Schrecklich. Jahrhunderte lang.

III.

Paulus fragt in seinem Brief die Römer: „Hat denn Gott sein Volk verstoßen?“ Und er antwortet: „Das sei ferne … Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erwählt hat“.

Paulus versucht die Menschheitsgeschichte vom Evangelium her zu sehen. Er erklärt das Rätsel ihrer Gottlosigkeit und das Geheimnis der Versöhnung nicht weg. Wie ein Prophet versucht er die Geschichte von Jesus Christus her und auf Jesus Christus hin zu verstehen und zu deuten. Er sieht die Menschheitsgeschichte in Gottes Hand. Und gerät ins Staunen: „Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege.“

Menschen, die einstmals Heiden waren, glauben nun an Jesus Christus. Und Juden nicht. Da geht Gott mit beiden nicht den geraden Weg, vielmehr geht er einen Umweg mit beiden – meint Paulus. Israel, das Jesus nicht glaubt, macht Platz für die Welt. Aber das ist nur der Anfang. Gottes Geschichte geht weiter. Die Versöhnung der Welt mit Gott macht erst recht Platz für Israel. Das ist für Israel und ist für die Welt wie die Auferweckung der Toten.
Denn mit beiden fängt Gott da an, wo sie ihm nicht glauben: am Nullpunkt. Und beide sollen leben! Wann kommt seine Geschichte mit ihnen ans Ziel?

Wenn der Erlöser kommt, auf den Israel wartet und auf den die Christen warten. Von dem hat Israels Prophet Jesaja gesagt: „Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.

IV.

Der Erlöser wird die Gottlosigkeit wegnehmen. Und Gott die Sünden vergeben.
So kennt Paulus es von Jesus Christus her. Der ist am Kreuz eben dazu gestorben.
Die Gottlosen wollte er befreien. Damit sie leben. Und wahre Menschen sein können.
Die Frommen haben Jesus zum Vorwurf gemacht: „Er nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“
Genau nach diesem Grundgesetz hat Gott jetzt Menschen, die gar nicht zu seinem erwähltem Volk gehörten, angenommen zu seinem Volk.
Gott, der so handelt, er und kein andrer ist die Hoffnung für das Israel in seiner Fülle.
Eben nach diesem Grundgesetz hat Gott doch schon von Anfang an Israel zu seinem Volk gemacht. Immer schon hat er die erwählt, die von sich aus nicht sein Volk waren. Da hat er von Anfang an die Gottlosigkeit weggenommen. Das ist schon immer das Wunder Israels gewesen. Und bleibt bestehen. Denn Gott hat seine Erwählung nicht zurückgenommen.

Eigentümlich setzt Gottes Wirken am Nullpunkt an. Immer handelt er an denen, die dafür selbst keine Voraussetzungen mitbringen:
Er schafft die Welt aus dem Nichts. Macht den Kosmos aus dem Tohuwabohu.
Er erweckt den gekreuzigten Jesus Christus von den Toten. Erweckt Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist: Wir und unsre Toten sollen leben.
Seine Gerechtigkeit macht die Ungerechten gerecht.

Das ist das Grundgesetz von Gottes Handeln. Es ist immer dasselbe in der Menschheitsgeschichte.
Eine unendliche Hoffnung liegt darin für Israel und für die Völker der Erde. Für die ganze Menschheit.
Und für jeden von uns. Die wir uns vielleicht schwer tun mit dem eigenen Glauben. Wissen manchmal selbst nicht, ob wir nun glauben oder nicht. Tun uns vielleicht auch schwer damit, dass wir den Glauben nicht von uns aus weiter geben können an die Generation unserer Kinder. Was wird dann aus dem christlichen Glauben und was aus unseren Kindern?

Zusammen eingeschlossen hat Gott nämlich alle in den Ungehorsam, damit er an allen Erbarmen erweise“.
Das ist ja gerade die Hoffnung, die Paulus hier verkündigt: Gott erbarmt sich der Ungehorsamen. Der Menschen, die nicht glauben wollen und können. An unseren Nullpunkten – da setzt sein Wirken an.
Gott – diesen erbarmenden und versöhnenden Gott - werden wir alle nicht los.

V.

So stimmt Paulus den Lobgesang an.
O Tiefe des Reichtums Gottes!
Wer hat dem Herrn zuvor gegeben und es müsste ihm vom Herrn zurückerstattet werden?
O Tiefe
der Weisheit Gottes!
Wer wurde sein Ratgeber?
O Tiefe der Erkenntnis Gottes!
Wer erkannte des Herrn Sinn?
Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege.
Aus ihm und durch ihn und zu ihm hin ist Alles.
Auch alles, was wir sind und nicht sind.

Paulus sieht auf den gekreuzigten Jesus Christus, den Gott auferweckt hat von den Toten.
Bei ihm sind wir aufgehoben mit unserer Herkunft und für unsere Zukunft und so auch im Augenblick unsrer Gegenwart.
Unsere Herkunft aus dem gelebten Leben, aus der Schuld und dem Verhängnis von Gottlosigkeit und Unmenschlichkeit – diese Herkunft ist da aufgehoben.
Unsere Zukunft aber, das Leben mit Gott unter dem neuen Himmel und auf der neuen Erde ohne Gewalt und Tränen und Tod – diese Zukunft ist uns da eröffnet.
Und so dürfen wir jetzt leben: Als Gottlose unter seinem Kreuz und gerade so und nicht anders bei Gott.

Darum allein darum haben wir Hoffnung für alle Welt.

Dem Gott, der alle Welt nicht los lässt - ihm sei die Ehre in Ewigkeit! Amen.
Wir alle sind in Gottes Hand
Ein jeder Mensch in jedem Land
Wir kommen und wir gehen
Wir singen und wir grüßen
Wir weinen und wir lachen
Wir beten und wir büßen
Gott will uns fröhlich machen.

Wir alle haben unsre Zeit
Gott hält die Sanduhr stets bereit
Wir blühen und verwelken
Vom Kopf bis zu den Füßen
Wir packen unsre Sachen
Gott will uns leichter machen.

Wir alle haben unser Los
Und sind getrost auf Gottes Floß
Die Welt entlang gefahren
Auf Meeren und auf Flüssen
Die Starken und die Schwachen
Zu beten und zu büßen
Gott will uns schöner machen.

Wir alle bleiben Gottes Kind
Auch wenn wir schon erwachsen sind
Wir werden immer kleiner
Bis wir am Ende wissen
Vom Mund bis zu den Zehen
Wenn wir gen Himmel müssen
Gott will uns heiter sehen.

Hanns Dieter Hüsch

Literaturhinweise:
Ernst Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, 298-308 (zu Röm 11, 25-36)
Friedrich-Wilhelm Marquardt, das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden. Eine Christologie Bnd 1. , Gütersloh (1990) 21993, 278-297
Hanns Dieter Hüsch, Ein gütiges Machtwort. Alle meine Predigten, Düsseldorf 2001.

Hans Theodor Goebel, Köln
HTheo_Goebel@web.de

 


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