Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: R. Schmidt-Rost

1. Sonntag nach Trinitatis, 13. Juni 2004
Predigt über 1. Johannes 4, 16-21, verfaßt von Ekkehard Heise
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1.Joh 4,16-21
Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat.
Gott ist die Liebe;
und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Darin ist die Liebe bei uns vollkommen,
dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts;
denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
Furcht ist nicht in der Liebe,
sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus;
denn die Furcht rechnet mit Strafe.
Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Wenn jemand spricht:
Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner.
Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht,
wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?
Und dies Gebot haben wir von ihm,
dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Liebe Gemeinde,

lieben Sie eigentlich Europa?
Die Frage liegt ja auf der Hand,
an einem Tag wie heute
und bei einem solchen Predigttext.
Die Frage nach der Liebe zu meinem Bruder stellt sich heute
am Tag einer Europawahl im Kontext der 25 Staaten,
die ihr gemeinsames Schicksal
auf besondere Weise miteinander verbunden wissen.

Das klingt fast nach Eheschließung –
und da bitten wir ja auch um Gottes Segen, -
vom gemeinsamen Leben ist die Rede.
Gott gibt seine Liebe vor,
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

damit wir Menschen uns untereinander lieben können.

...denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
Furcht ist nicht in der Liebe...

Das Wort Liebe klingt hier vielleicht zu pathetisch.
Das politische und wirtschaftliche Wort für Liebe heißt „Gerechtigkeit
und wohl auch „Solidarität“.

Gerechtigkeit für den Bruder, die Schwester, den Nachbarn
und,
das legt Jesus uns ganz besonders ans Herz,
Gerechtigkeit und Solidarität für die,
die wir, oft ohne zu überlegen,
unsere Feinde nennen.

Furcht ist nicht in der Liebe.
Meinen Nächsten zu lieben, heißt also, ihn ohne Furcht zu lassen.
Da wäre zum Beispiel im Verhältnis von uns Deutschen zu unseren polnischen Nachbarn viel zu tun.
Mit dem EU-Beitritt wächst in Polen die Angst vor den Deutschen.
Eine Gesellschaft namens Preußische Treuhand,
geleitet von Funktionären der Vertriebenenverbände,
fordert „deutsches“ Eigentum zurück.(1)

Hier könnte die Bundesregierung ihre Liebe zu Europa
durch eine deutliche Verzichtserklärung
und die Übernahme möglicher Regressansprüche von privater Seite,
unter Beweis stellen.

Europa ist keine reine Liebesgeschichte,
dann schon eher eine Ehegeschichte,
mit vielen Krisen und Problemen.
Zu oft war Furcht in der Liebe.

Um so wichtiger ist es, sich der Fortschritte zu erinnern,
den Momenten, an denen Gerechtigkeit und Solidarität eine Chance bekamen.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Das „Wunder vom Rhein“(2),
wird es genannt,
die Überwindung der deutsch – französischen Feindschaft im gemeinsamen Europa.
Dann das „Wunder von der Oder“,
die gerade vollzogene Erweiterung der Gemeinschaft nach Osten –
trotz aller Probleme.

Und weil alle Liebe auch träumt,
lassen Sie uns an ein „Wunder vom Bosporus“ denken,
in dem Europa sich nicht unter dem Vorzeichen „christlich“ verschließt,
sondern in dem der Grund aller Liebe
in dem Gott gefunden wird,
der alle menschliche Grenzen übersteigt,
auch die Grenzen der Religionen.
Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht,
wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?

Gott ist groß
und Gott ist die Liebe.

Die Suche nach Gott, fängt also da an,
wo wir nach Gerechtigkeit und Solidarität,
nach Liebe suchen.
Nach einem Umgang mit Menschen,
einzelnen,
Gruppen
und Völkern,
wie Jesus ihn pflegte –
einen Umgang,
so, dass der andere und ich nichts zu fürchten brauchen.

Mit weniger dürfen wir uns nicht zu Frieden geben,
weil wir uns dann
mit einem Ersatzgott abspeisen ließen,
mit einem Gefühl,
um das wir Angst haben müssten,
es könnte einer ernsten Belastung nicht stand halten.

Liebe ist mehr als ein Wort.
In der Sehnsucht nach Liebe
verbirgt sich die Sehnsucht nach Leben,
nach Erfüllung und Glück.
Meine Sehnsucht nach Liebe kommt dort zum Ziel,
wo ich furchtlos bleiben darf,
wo ich ganz und gar ich selber sein kann
und gleichzeitig weiß, dass ich ganz uns gar so geliebt werde.

Noch ist dies ein Traum.
Manche Partnerschaft wird mit diesem Traum überlastet.
Menschen können nicht leisten,
was Gott verspricht.
Sehnsucht nach Leben,
nach Erfüllung und Glück soll und kann sich auf Gott richten.
Auch zum Schutz für Menschen
in ihren Versuchen Glück zu schaffen.
Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe,
die Gott zu uns hat.
Gott ist die Liebe;
und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Menschliche Liebe wird darin vollkommen,
dass sie ihre Fehler einsieht und die des anderen verzeiht.
Darin ist die Liebe bei uns vollkommen,
dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts...

Wer sich vor Gott nicht fürchtet,
wer sein eigenes Leben in seiner Schwäche und Fehlerhaftigkeit annehmen kann,
der wird offen für die anderen.
Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

Und das ist ganz real gemeint,
solange es Grund gibt,
dass Menschen sich fürchten müssen,
sind wir entfernt von Gott.
Und solange jemand die Furcht anderer in Kauf nimmt,
gering achtet,
damit rechnet und arbeitet,
handelt er gegen Gottes Gebot.

Liebe und Furcht liegen im Streit miteinander:
Da ist der Wunsch mit allen gut auszukommen
und die schmerzhafte Erkenntnis,
dass es immer wieder Leute gibt,
mit denen man nicht zurecht kommt,
oder
deren Einfluss auf das eigene Leben man fürchten muss.

Liebe und Furcht liegen im Streit
und der Tag des Gerichts von dem der Predigttext spricht,
ist der Moment, in dem sich entscheidet,
wer den Streit gewinnt.

Vielleicht wird man später einmal sagen,
dass in diesen Jahren wichtiges
für den Frieden in Europa geschehen ist.
Das Millionen von kleinen Brücken gebaut wurden,
von Mensch zu Mensch,
wie zum Beispiel zwischen Janina und Richard:

Janina lebt seit 1945 in dem Haus in dem Richard seine Kindheit verbrachte.
Nie wollte er das Haus zurück haben,
nie musste Janina sich fürchten,
dass Richard entschädigt werden wollte.

Janina ist inzwischen 77 Jahre alt und etwas gebrechlich.
Richard ist 81 Jahre,
kämpfte in Hitlers Armee um die Sowjetunion zu erobern.
Im Mai 1945 war er auf der Flucht in Schleswig Holstein gelandet.
Später kam er zu seinen Eltern in die DDR.
Heute verbringt er seine Tage vor dem Fernseher.
Seine Frau ist inzwischen gestorben,
ebenso wie Janinas Mann.

Die Initiative, sich kennen zu lernen ist von Janina ausgegangen.
1970 war das.
Damals trafen sie sich zum ersten Mal,
noch mit ihren Ehepartnern.
Regelmäßig haben sie sich dann besucht.
Ich glaube,
Richard hat Heimweh gehabt, sagt Janina.
„Kleine Schwester habe ich sie immer genannt“,
sagt Richard und kichert.

Als Richard kürzlich von der Existenz einer Gesellschaft
namens Preußische Treuhand erfuhr,
hat er sich gedacht:
„Ja, sind die denn verrückt?“(3)

Möge Gott das gemeinsame Projekt Europa
an den Menschen innerhalb und außerhalb seiner Grenzen segnen.
Amen.

(1) Kirbach, Roland, „Da müssen sie mit den Panzern kommen!“, in DIE ZEIT vom 27. Mai 2004, S. 15 – 18.

(2) Geis, Matthias, „Frankreichs Frankfurter“ in DIE ZEIT vom 3. Juni 2004, S.2.

(3) Kirbach, Roland, „Da müssen sie mit den Panzern kommen!“, in DIE ZEIT vom 27. Mai 2004, S. 15 – 18.

Dr. Ekkehard Heise, Stade
Ekkehard.Heise@t-online.de


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