Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juni 2004
Predigt über Epheser 2, 17-22, verfaßt von Jörg Egbert Vogel
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


17 Christus kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen.
18 Durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.
19 Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes.
20 Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlußstein ist Christus Jesus selbst.
21 Durch ihn wird der ganze Bau zusammengehalten und wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn.
22 Durch ihn werdet auch ihr im Geist zu einer Wohnung Gottes erbaut.

Liebe Gemeinde,
in diesem Abschnitt aus dem Epheserbrief wird die Kirche beschrieben. Gewiss, zuerst eine konkrete Kirche, nämlich die Gemeinde von Ephesus. Aber dann auch die Kirche insgesamt.
Sie wird uns geschildert als ein Haus, ein Tempel, ein Kirchengebäude.
Wir sehen die hohe Gewölbedecke vor uns, die auf den Fundamenten der Apostel und Propheten ruht. Und wir sehen den Schlussstein im Gewölbescheitel, der meist besonders gestaltet und verziert ist. Der Schlussstein, der die Kirche zusammenhält, ist Jesus Christus.
Dieses Gebäude, diese Kirche ist die Wohnung Gottes, deren Mauersteine die Gläubigen sind.
In unserem Textabschnitt werden zwei Bildebenen assoziativ kombiniert. Einerseits sind die Gläubigen die Bausteine, aus denen der Geist eine Wohnung Gottes erbaut. Gleichzeitig wird davon gesprochen, dass die Glaubenden Mitbürger und Hausgenossen Gottes sind, also in dieser Wohnung mit Gott zusammen wohnen.

Im Gedankenfluss des Epheserbriefes ist das kein Widerspruch.
Das eine Bild ergibt sich aus dem anderen.
Vom Begriff der Hausgenossenschaft kommt der Verfasser auf das Haus selber. Und da das Haus Gottes ein Haus aus lebendigen Steinen ist, sichtbar und unsichtbar zugleich, stimmen beide Bilder. Beide beschreiben die Gemeinschaft mit Gott.
Die Glaubenden sind keine Fremdlinge mehr, ganz egal, woher sie kommen, sie sind vielmehr Mitbürger und Hausgenossen.
Das ist deshalb so, weil unser Glaube auf einem mächtigen Fundament ruht, auf dem Fundament der Anrede Gottes an uns, die sich in den Propheten und den Aposteln ausdrückt.
Es ist das Wort der Einladung an uns ergangen, zu dieser Gemeinschaft dazuzugehören.
Diese Gemeinschaft ist so gross und eindrucksvoll, wie ein Tempel, heute würden wir vielleicht eher sagen, wie eine Kathedrale.
Wir, die Glaubenden, sind diese Kathedrale Gottes. Wir sind zusammengefügt zu diesem eindrucksvollen Gebäude.
Doch brauchbare Bausteine sind wir nur dann, wenn wir auf dem Fundament der Apostel und Propheten stehen und zwar gleichermassen auf Beidem.
Weder nur die Apostel, noch nur die Propheten bilden eine tragfähige Basis für unseren Glauben, sondern beides zusammengenommen, die Geschichte Gottes mit dem auserwählten Volk des Alten Bundes und die Geschichte Gottes mit Jesus Christus und den Christen. Jeder Teil wird durch den anderen ausgelegt und nur so verstehbar.
Auf Gottes Geschichte mit den Menschen in alter und neuerer Zeit gründet sich unser Glaube und die Kirche.

Unsere Klosterkirche hier versinnbildlich ein wenig dieses Erbautsein der Kirche aus den lebendigen Steinen der Glaubenden. In den Glasfenstern sind die Basler Familien verewigt, die als Stifter des Kartäuserklosters in Erscheinung getreten sind. Die Wappenschilder an den Wänden weisen auf Personen hin, die in dieser Kirche wie wir heute schon vor Hunderten von Jahren Gottesdienst gefeiert und gebetet haben, wie z.B. das Wappen des berühmt gewordenen päpstlichen Gesandten beim Basler Konzil mit dem Skorpion darauf, Nikolaus von Cusa.
Doch das sind ja nur wenige besonders hervorgehobene Leute. Eigentlich müsste jeder einzelne Stein einen Namensaufdruck tragen mit den Namen der Kartäuserbrüder, die hier gelebt haben und die durch ihr stilles Gebet und ihre seelsorgerliche Tätigkeit der Stadt viel Segen gebracht haben. Aber auch die Namen aller anderen, die hier dann nach der Säkularisierung des Klosters Gottesdienst gefeiert haben. Auch unsere Namen müssten auf den Steinen stehen, aus denen die Kirche gebaut ist.
Ich stelle mir vor, dass das so ist, dass die Namen irgendwo im Stein vorborgen sind. Die Namen der Kartäusermönche und die Namen der Lutheraner.

Eine interessante Mischung in ein und derselben Kirche. Doch nicht so bizarr, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn in unserer Spiritualität haben wir vieles gemeinsam mit den Kartäusern. Das Gebet urbi et orbi für die Stadt und den Erdkreis, für die, die uns nahe sind und für alle diejenigen in der Welt, die unserer Fürbitte bedürfen, ist damals wie heute wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes in dieser Kirche und unseres Glaubenslebens, unserer Spiritualität.

Doch was bedeutet es nun, dass wir Mitbürger und Gottes Hausgenossen sind und lebendige Steine des heiligen Tempels Gottes und zur Wohnung Gottes erbaut sind, was bedeutet das für die Kirche und für unsere Gemeinde?

Um dies zu bedenken müssen wir zunächst nach oben schauen, auf den Schlussstein im Scheitelpunkt des Gewölbes. Ohne diesen Schlussstein Jesus Christus wäre das Gebäude höchst instabil und würde bei nächster Gelegenheit zusammenbrechen.

Kirche steht also auf dem Fundament der Apostel und Propheten und wird durch den auferstandenen lebendigen Christus zusammengehalten. Es liegt in der Natur des Bildes vom Gebäude, dass das etwas statisch und damit konservativ klingt.
Durch die notwendige Rückbindung an die kirchlichen Traditionen aus 2000 Jahren Geschichte ist die Kirche auch notwendigerweise immer leicht konservativ.
Doch wenn man bedenkt, dass es sich um lebendige Steine handelt, nämlich um uns, liebe Gemeinde, aus denen die Kirche erbaut ist, dann wird deutlich, dass sie eben auch einer ständigen Entwicklung und einem permanenten Wandel unterliegt.
Hier stösst das Bild an Grenzen. Kirche ist eine lebendige Gemeinschaft und nichts Statisches. Ecclesia semper reformanda est.
Und Kirche ist überall dort, wo Menschen auf dem Fundament der Apostel und Propheten und mit dem Schlussstein Jesus Christus sich erbauen lassen, zu einem lebendigen Bauwerk.
Kirche ist da, wo niemand mehr ein Fremder ist und wo Gott den Menschen nicht fremd ist, dort, wo Menschen zu Gott eine Beziehung aufbauen und ihr Leben in Verbindung mit ihm leben.

Diese Kirche kennt keine Grenzen, weder in der Zeit noch im Raum, sie ist weltweit die eine Kirche Jesu Christi und sie ist dieselbe Kirche Christi am Anfang vor 2000 Jahren, dieselbe im Mittelalter bei den Kartäusern und auch heute, auch wenn sich ihre äussere Gestalt und ihre Spiritualität und die Art der Vermittlung ihrer Botschaft in dieser Zeit teilweise stark verändert hat.

Sie ist nicht durch Sprachen oder Kulturen oder Traditionen begrenzt und schon gar nicht durch Ländergrenzen.
Insofern ist sie allerdings unsichtbar, weil wir Kirche immer nur in konfessioneller und anderer Begrenztheit erleben.
Und doch hat sie die starke Neigung sichtbar zu werden. Und sie wird überall dort sichtbar, wo Christen und Gemeinden und Kirchen ihre Grenzen überschreiten und aufeinander zugehen. Jeder ökumenische Gottesdienst ist so eine Sichtbarwerdung des heiligen Tempels im Herrn.

Am deutlichsten begegnet mir das immer wieder in der Communautè de Taizè. Dort kommen Menschen aller Generationen und vieler Sprachen und Kulturen und Konfessionen zum gemeinsamen Gebet zusammen und sie leben für begrenzte Zeit miteinander und es spielt nicht die geringste Rolle, woher sie kommen.

Und für unsere Gemeinschaft, für unsere Gemeinde hier bedeuten die Bilder von der Gestalt der Kirche im Epheserbrief, dass Traditionen wichtig sind und gleichzeitig auch immer Wandel und Erneuerung geschieht.

Nicht nur eine konfessionelle Tradition. Mit dem Fundament der Apostel sind für mich nicht nur die neutestamentlichen Quellen, sondern auch die Kirchengeschichte gemeint. Die gesamte kirchliche Tradition bildet das Fundament für einen lebendigen Gemeindeaufbau.
In einer Gemeinde, der Mitglieder aus 15 Nationen angehören, gibt es naturgemäss auch eine Vielzahl von kulturellen Prägungen, von denen wir letztlich alle als Gemeinschaft profitieren.
In einer Stadt wie Basel, in der alle Konfessionen und Glaubensgemeinschaften vertreten sind und viele ökumenische Anlässe stattfinden, ist es eigentlich ganz leicht Kirche im umfassenden Sinn sichtbar werden zu lassen.

Unsere Bereitschaft zur Offenheit gegenüber anderen Christen und Gemeinden vorrausgesetzt, entsteht so immer wieder, wenn wir bei Gott wohnen, ein grösser werdendes Gebäude aus lebendigen Steinen auf dem Fundament der Traditionen und dem Schlussstein und der Mitte Jesus Christus, der lebt und uns zu neuem Leben erweckt.

Pf. Jörg Egbert Vogel, Basel
j.e.vogel@gmx.ch

 


(zurück zum Seitenanfang)