Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

3. Sonntag nach Trinitatis, 27. Juni 2004
Predigt über 1. Timotheus 1, 12-17, verfaßt von Ernst Arfken
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(gehalten im Albert-Schweitzer-Krankenhaus Northeim)

Liebe Gemeinde, eigentlich könnte ich auch sagen, „Liebe bunte Gemeinde“, denn tatsächlich sind wir hier sehr bunt zusammengesetzt. Da sind die einen, die hier zwar im Krankenhaus sind, aber sie sind gesund. Sie haben hier ihre Arbeit, beruflich oder ehrenamtlich, .mehr oder weniger freiwillig. Die meisten von ihnen empfinden bei ihrer Tätigkeit ein hohes Maß von Befriedigung. Sie müssen nicht fragen: „Wozu bin ich auf der Welt?“ Sie haben Gelegenheit genug, sich nützlich zu machen. Sie erleben manchen dankbaren Blick und hören manches dankbare Wort. Aber das ist nur „die eine Seite der Medaille“. Mangel an Zeit. Mangel an Arbeitskräften, Mangel an Finanzen und viel Papierkrieg sind die andere. Mit einem hässlichem Modewort, das man in meiner Kindheit noch gar nicht kannte, nennt man das „Streß“.

Und dann sind hier die Patienten. Die meisten von ihnen unfreiwillig, gewissermaßen zwangsimportiert. Sie mußten feststellen, daß sie nicht mehr so weiterarbeiten, weiterleben konnten wie bisher. Mehr oder weniger plötzlich waren sie aus der Bahn geworfen Sie mussten erfahren, was für uns alle sehr, sehr wichtig ist zu wissen: Daß wir nämlich nicht allein der Herr über unser Leben sind, sondern daß über uns noch ein anderer regiert und uns unerwartet manches Gute , aber auch manches Schwere erfahren lässt.

Damit stoßen wir auf eine Frage, mit der die meisten Kranken sich mühsam herumquälen oder die ihnen auch schlaflose Nächte bereitet.
Diese Frage lautet: Was habe ich verbrochen, womit habe ich gesündigt, daß ich so leiden muß? Auch wenn uns diese Frage persönlich nicht berührt oder wenn wir sie schon längst hinter uns haben, lohnt es sich, von Zeit zu Zeit darüber nachzudenken. Die Schmerzen anderer Menschen lassen uns ja auch nicht ungerührt, selbst wenn wir keine eigenen Schmerzen haben. So möchte es heute Morgen auch sein, wenn wir gemeinsam darüber nachdenken, ob und wie unsere Schuld und die Krankheiten miteinander zusammen hängen.

„Was ist meine Schuld? Was habe ich verbrochen?“ – Wenn wir so fragen, setzen wir voraus, daß da ein Gott ist, der mich für meine Schuld und Fehler bestraft. Dann wäre es so, daß ein deutlicher Zusammenhang besteht zwischen der Krankheit und der Strafe. Aber ist das wirklich so? Woher wissen wir das?
Haben wir uns das nicht selber ausgedacht? Dann müsste man an der Krankheit ablesen können, wie schwer ein Mensch gesündigt hat.
Auf jeden Fall führt uns dieser Gedankengang nicht weiter. Er macht uns nur noch kränker.

Ehrlich gesagt: Der Gott, der uns bei jedem Fehler ertappt und deswegen krank werden lässt, ist uns höchst unsympathisch. Haben wir keinen besseren Gott als diesen Strafrichter?
Lassen Sie uns einmal überlegen, wie Gott sein müsste, wenn er so ist, wie wir ihn uns wünschen. Ich wünsche mir einen Gott, der mich lieb hat, wie ich bin. Der mich nicht bei meinen Mängeln und Fehlern behaftet. Einen Gott, der für mich da ist, der mich nicht im Stich lässt, wenn Menschen von mir abrücken.

Sehen wir nun in unseren Predigttext hinein, was für ein Gott uns dort begegnet.
„Das ist je gewißlich wahr und ein teuer wertes Wort, daß Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.“

Das Wort „Sünder“ ist in unserer Zeit nahezu ein Fremdwort. In unserer Umgangssprache ist es fast ausgestorben. Nur die Verkehrssünder sind noch übrig geblieben. Wenn wir aber überlegen, worin wir uns am meisten von Gott unterscheiden, dann ist es dieses, daß wir Sünder sind und Gott nicht; daß wir nicht alles gut und richtig machen, auch wenn wir uns noch so viel Mühe geben. „…daß Jesus Christus gekommen ist in die Welt…“ In diesen Worten entdecke ich eine Bewegung von oben nach unten, von Gott auf die Welt zu. „Die Sünder selig zu machen.“ Das ist das genaue Gegenteil von dem Gott, der die Sünder straft und mit Krankheit plagt.

Wir wissen nicht genau, wer jene Worte niedergeschrieben hat. War es der Apostel Paulus, der zunächst die Christen entsetzlich grausam verfolgte, dann aber die Stimme Jesu hörte und an sich selbst erfuhr, daß er begnadigt wurde… oder war es, wie manche Forscher meinen, ein Christ im 2.Jahrhundert, der sich bemühte, mithilfe der Sprache des Paulus auszudrücken, was ihm in seinem Glauben besonders wichig war?

Das Gegenteil davon, daß einem Schuld erlassen, daß man freigesprochen wird, haben wir alle am eigenen Leibe erlebt, nämlich in der Schule. Da wurden die Fehler mit Rotstift angestrichen. Wer viele Fehler gemacht hatte, bekam schlechte Zensuren. Wer viele schlechte Zensuren hatte, blieb sitzen und musste das Schuljahr wiederholen. Gut, daß es in der Schule nicht nur nach Zensuren geht!

Der Gott, der Schuld vergibt und selig macht, ist kein Rachegott. Es gibt nur wenige Krankheiten, die wirklich als Bestrafung anzusehen sind, wie bei den Kindern, die nicht auf die Mutter gehört und sich, als es kalt war, nicht warm angezogen haben und dann die Grippe bekamen.
Nun mögen wir neugierig fragen: „Warum gibt es denn überhaupt Krankheiten?“ Auf die meisten Warum-Fragen gibt es in dieser Welt keine Antworten. Auch Jesus bekam keine Antwort, als er am Kreuz betete: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Seien wir bescheiden und begnügen uns damit, daß wir wissen: Wir sind nicht von Gott gestrafte, sondern von Gott geliebte. Und das genügt.

Dr. Ernst Arfken
Dragonerstr.17
37154 Northeim-Hohnstedt
Tel.: 05551-51107
E-Mail: arfkencoblenz@aol.com


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