Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 4. Juli 2004
Predigt über Römer 14,10-13
, verfaßt von Michael Nitzke
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« 12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum laßt uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

Liebe Gemeinde,

wir dürfen heute dankbar sein, dass wir im Apostel Paulus einen Mann hatten, der in der Frühzeit der Ausbreitung des christlichen Glaubens eine unheimliche Geduld gehabt haben muß. Denn in seinen Briefen muß er immer wieder Konflikte schlichten. Und dabei geht es nicht nur ums Beschwichtigen sondern darum, die Einheit der Menschen unterschiedlicher Meinung zu bewahren. Und das ist wohl die wahre Kunst des Paulus, dass er das einmal als wahr erkannte, möglichst vielen Menschen auf der Welt bringen wollte. Vielleicht hatte er diesen Eifer noch aus seiner Zeit vor der Bekehrung zum christlichen Glauben, denn als Christenverfolger legte er ja auch einen ungeheuren Fleiß an den Tag. Bei seinem Erlebnis bei Damaskus wurden ihm ja erst die Augen lange verschlossen, um sie ihm dann zu auf so besondere Weise wieder zu öffnen.

Geduld hat Paulus da lernen müssen. Denn wer so plötzlich mit Blindheit geschlagen ist und diese dann auch noch mehrere Tage aushalten muß, der weiß es zu schätzen, was es heißt, wieder Licht sehen zu dürfen.

Und Paulus hat nicht nur das normale Tageslicht wieder gesehen, sondern er hat auch das Licht der Welt erkannt. Er hat Christus als seinen Herrn erkannt. Den, den er bisher verfolgt hat, dem wollte er nun dienen. Und seine ganze Organisationskraft setzte er ein für die Verbreitung dieses Glaubens.

Klar, dass er das nicht aufs Spiel setzt, durch ein paar Streitigkeiten in den Gemeinden, die er gegründet hatte.

Das heißt nun nicht, dass Paulus ein Technokrat war, der am Ende seines Lebens auf eine große Leistung zurückblicken wollte. Er sah die Gemeinden nicht wie die Niederlassungen und Filialen eines Unternehmens, auf das der Gründer stolz herab blickt.

Nein, es war sein Ziel, den Glauben an Gottes Sohn in der ganzen damals erreichbaren Welt zu verbreiten. Und dafür nahm er einiges auf sich.

Dabei war Paulus durchaus ein streitbarer Mensch, auch nach seiner Bekehrung zum Christentum. Es gab nach den ersten Missionserfolgen nämlich schon einen großen Streitpunkt.

Wie soll die junge Glaubensgemeinschaft sich den Menschen gegenüber verhalten, die nicht schon der bisherigen Glaubensgemeinschaft angehörten, nämlich der jüdischen.

Die Jünger die Jesus berief hatten eins gemeinsam, sie kamen alle aus der Glaubens und Lebensgemeinschaft der Juden. Sie waren beschnitten, hielten den Sabbat und die Reinigungs- und Speisevorschriften ein. Jesus hatte nur hier und da Begegnungen mit Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis. So traf er eine Frau aus Syrien, die ihn auch gleich nachdenklich stimmte. Nein, der Glaube an den Menschensohn, den Sohn Gottes war nicht nur für die Kinder Abrahams Isaaks und Jakobs da, auch die anderen sollten etwas davon haben. Und die späteren Interessenten begnügten sich nicht mehr nur wie die Frau aus Syrien mit den Brosamen, die von der Herren Tische fallen, sie wollten eigene Rechte haben.

So stellte sich schnell nach der ersten Reise des Apostels Paulus, wie denn nun mit den neuen Glaubensbrüdern zu verfahren sei.

Müssen sie erst beschnitten werden, um Anteil am Heil durch Christus zu haben?

Auf einem ganz frühen Konzil in Jerusalem soll die Frage zwischen Petrus und Paulus geklärt werden. Manche vertraten die alte Ansicht, ein Christ müsse erst voll und ganz Jude sein, um wirklich Christ werden zu können. Paulus wollte das nicht einsehen.

Doch nach zähem Ringen fand man eine Einigung: Auf die Beschneidung sollte verzichtet werden, doch vier alttestamentliche Reinheitsgebote sollten beachtet werden. Es soll keinerlei Berührung geben mit Fleisch, das fremden Göttern geopfert wurde, es durfte kein Blut genossen werden Blut, Tiere mußten ordnungsgemäß geschlachtet werden, durften also nicht erstickt worden sein. Hinter den letzten beiden Vorschriften steckt die Ansicht dass, das Blut der Sitz der Seele sei, und die muß ein Tier erst vollständig verlassen haben, damit es genießbar wird. Als vierter Punkt wurde vereinbart, dass auch die neuen Christen sich von der Unzucht freihalten sollten. Für einen Christen dürfte das sowieso selbstverständlich sein, aber man meinte damit wohl auch noch eine jüdische Verfeinerung der allgemeinen Eheregeln, so dass auch eine Ehe mit einem nur entfernt Verwandten auch nicht möglich war.

Paulus war eine kämpferische Natur, aber er konnte auch kompromissfähig sein.

Nun gab es einige Menschen, denen er in den Gemeinden begegnete, die diese mühsam ausgehandelten Regeln wieder auf ihre Weise interpretierten.

Im täglichen Leben, war es schwer so genau aufzupassen, ob ein Stück Fleisch nicht doch von einem Tier kam, das bei einem heidnischen Opferritual eine Rolle spielte. Händler konnten einem so was leicht unterjubeln und dann hätte man eine Sünde begangen. So halfen sich viele damit, dass sie Vegetarier wurden, wer kein Fleisch ißt, kann auch nicht in die Gefahr kommen Götzenopferfleisch zu essen.

Eigentlich kein Problem! Problem gibt es nur dann wenn einer die für sich als richtig erkannte Lebensweise anderen zur Norm macht.

Und so gab es welche, die die verabscheuten, die sich nicht an die nun gefunden, noch strengeren Gesetzte hielten.

Dazu kam, dass man über die Frage der Feiertage wohl auf dem Apostelkonzil gar nicht gesprochen hatte. Musste man denn den Sabbat halten, gegen den Jesus doch so gekämpft hatte, oder sollte man nicht lieber den ersten Tag der Woche feiern, den Tag der Auferstehung des Herrn? Bestimmt gab es auch welche, die sich diese Frage gar nicht stellten und die das taten, was ihre geschäftstüchtige römische Umwelt von ihnen erwartete, nämlich jeden Tag zu arbeiten. Die Sechstagewoche war schließlich eine fortschrittliche Erfindung der Juden, oder besser ein Geschenk ihres Gottes, was noch gar nicht überall Verbreitung gefunden hatte.

Über all die Dinge kann man in einen erbitterten Streit geraten. Und wenn man dann sich gegenseitig als ungläubig, sündig oder noch schlimmer bezeichnet, dann ist es mit der christlichen Gemeinschaft nicht mehr weit her.

In so einem Streit mußte Paulus also Stellung beziehen. Und er tut es mit den Worten: Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden.

Gegenseitig sich abqualifizieren, darauf konnte man die neue Gemeinschaft nicht aufbauen. So ging es nur mit Rücksicht und Verweis auf die Gerechtigkeit Gottes, vor der die Menschen sich verantworten müssen, und der dann der einzige Richter ist.

Wenn wir nun meinen, dass wir solchen kleinlichen Streit um Essensvorschriften nicht mehr verstehen können, dann schauen wir doch mal in unsere Zeit welche Probleme es da gibt. Ein überzeugter Vegetarier, hat seine Gründe, warum er keine Tierprodukte isst. Es sind andere Gründe als früher, aber auch ihm wäre lieber, wenn die anderen sie auch nachvollziehen könnten. Aber oft genug muss er nur den Spott seiner Mitmenschen ertragen. Solchen Druck, kann nicht jeder ertragen, da werden einige dann schon mal zu militanten Tierschützern, befreien Hühner aus den Legebatterien, oder brechen in Nerzfarmen ein. Und mit diesen publikumswirksamen Aktionen wir dann auch Unrecht begangen, so wie durch den Spott der Fleischesser.

Oder erinnern sie sich an die Auseinandersetzungen im kirchlichen Bereich vor vielen Jahren. „Esst kein Obst aus Südafrika!“, hieß die Parole, „daran klebt das Blut, der Opfer der Apartheid“. Schon die Wortwahl führt uns fast zurück in paulinische Zeiten. Und die Auseinandersetzungen hatten auch eine ähnliche Schärfe wie damals. Nützt ein Boykott überhaupt den Betroffenen, oder schadet er nicht nur? Oder soll sich nicht Kirche überhaupt aus der Politik heraushalten?

Gott sei Dank ist Südafrika nun auf den Weg gekommen, seine Probleme gemeinschaftlich zu lösen. Aber dieses Problem zog mit den gegenseitigen Verurteilungen Kreise bis in unseren Bereich.

Und so sind solche Fragen ja auch nie ohne Gefühle und Emotionen zu sehen, auch wenn sie nicht vor unsere Haustür passieren.

Und wer will richten über andere.

Die Rechtsprechung unserer Gerichte ist notwendig. Das Unrecht muss in die Schranken gewiesen werden. Aber als Menschen sind wir uns dessen bewusst, dass jeder Richterspruch auch ein Fehlurteil sein kann. Ein menschlicher Richter kann nie wirklich in das Herz eines zu beurteilenden schauen.

Aber Gott will uns mit seinem Richterspruch nicht zu Grunde richten, sondern aufrichten, daher muss es uns nicht schwer fallen, was da von uns erwartet wird:

So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.

Wenn sie nun denken, dass man mit so einem frommen Spruch sehr schnell alles zudecken kann, dann muss ich dagegen halten, denn auch dieser Spruch, bleibt heute nicht unwidersprochen.

Muss man sich überhaupt vor Gott verantworten? Unter heutigen Theologen ist da ein Streit entstanden. Wie steht es mit der Vergebung auf der Erde und dem himmlischen Gericht? Gott vergibt dir. Das bekommen schon die Kleinsten bei der Taufe zugesprochen und wir predigen es von der Kanzel und verkündigen es vom Altar.

Aber was heißt diese Vergebung? Ist das nun ein Freifahrtschein? Sicher nicht! Vergebung soll den Menschen befreien zum Guten hin, soll ihm eine Last abnehmen, damit er zu neuem Leben findet, sie soll ihn aber nicht freistellen von der Verantwortung, die er seinen Mitmenschen gegenüber hat, und die er damit auch Gott gegenüber hat.

Doch welche Bedingungen sind damit verknüpft? Erhält jeder diese Vergebung, nach dem alten Karnevalsschlager „Wir kommen alle, alle in den Himmel“? Oder gibt es auch welche die diese Gnade nicht erlangen? Früher wäre die Antwort ganz einfach gewesen, Natürlich, die anderen kommen in die Hölle. Aber heute, wo namhafte Theologen die Allversöhnungslehre verkündigen?

Was bleibt da von der Verantwortung Gott gegenüber. Nun geht es nicht darum den anderen Menschen zu verdammen und ihm die Hölle zu wünschen, das wäre das Richten, was wir nur Gott überlassen sollen.

Auf Gott vertrauen heißt auch auf seine Gnade vertrauen. Aber vertrauen, heißt nicht damit rechnen im sinne von berechnen. Ich kann mir Gottes Gnade nicht ausrechnen und sie verplanen. Aber ich kann damit rechnen, dass seine Gnade größer ist, als ich mir vorstellen kann und ich kann hoffen, dass er die Gnade denen zu kommen lässt, die sie eigentlich nicht verdienen.

Aber ich darf mich nicht als derjenige aufspielen, der diese Gnade hier und jetzt zuteilt.

Nicht richten ist dann auch eine Form von Gelassenheit und Gottvertrauen.

Und wenn wir uns dass alle zu Herzen nehmen, dann können wir mit Paulus sprechen:

Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

Amen

Michael Nitzke
www.nitzke.de

 


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