Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 11. Juli 2004
Predigt über
1. Petrus 2, 4-10 und Matthäus 16, 13-26
verfaßt von Kirsten Jørgensen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(dänische Perikopenordnung)

Was wir heute gehört haben, vom Altar und hier auf der Kanzel, enthält vieles, was man vertiefen könnte, wie dies ja oft bei vielen inhaltsschweren Bibeltexten der Fall ist. Ich habe einen Gedanken ausgewählt: Die Erzählung vom Gespräch Jesu mit seinen Jüngern in Cäsarea Philippi handelt u.a. davon, daß jemand etwas von uns will. Daß wir ausersehen sind, eine Aufgabe wahrzunehmen, daß uns etwas Kostbares anvertraut ist, daß es uns etwas kostet, diese Verantwortung wahrzunehmen. Berufen zu sein.

Der Satz, daß jemand etwas von uns will, ist ja in sich selbst ein bemerkenswerter Satz. Man denke nur, das Gegenteil wäre der Fall: Niemand will etwas von uns. Niemand ruft nach uns.

Nun aber will jemand etwas von uns.

"Ihr aber seid das ausgewählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Wohltaten des, der euch berufen hat von der Finsternis zu einem wunderbaren Licht; die ihr vormals "nicht ein Volk" waret, nun aber "Gottes Volk" seid, und vormals nicht in Gnaden waret, nun aber in Gnaden seid".

So beschreibt es der Apostel Petrus für uns, die wir hier gerade in der Kirche sitzen, mit den Kindern, die wir getauft haben: Wir sind die Erwählten, Heiligen und Geliebten Gottes: Wir sind königlich. Wir sind ein Volk, das im Licht wohnt.

Es geht ja ansonsten das Gerücht, das erzählen will, in der Kirche werde ein Christentum gepredigt, wo wir die Leute niederdrücken in Mißmut und Selbsthaß, weil alle Sünder sind, von denen nicht viel zu erwarten ist, jedenfalls nichts Gutes, und die deshalb alles zu erwarten haben.

Weiß Gott, wie ein solches Gerücht so schnell in Umlauf kommen kann! Oder er weiß es vielleicht gerade nicht, oder versteht nicht, wie wir es überhören konnten, daß er uns nicht nur züchtigt wegen unserer fehlenden Fürsorge für den Nächsten und unseres fehlenden Willens, die zu sein, die wir sein sollen, sondern daß er uns auch erzählt, daß wir seine Kinder sind, daß wir ihm gehören. Daß wir Könige sind, erwählt sind. Das er etwas von uns will.

Stelle dir einmal vor, daß du selbst dem lieben Gott auf einem staubigen Weg irgendwo in der Welt begegnest. Er bleibt genau vor dir stehen und geht nicht seinen Weg weiter vorbei an dir. Er sieht dir ins Gesicht und hält seinen Blick fest, obwohl dein Blick ausweicht in Verlegenheit. Du bekommst Mut, ihm in die Augen zu sehen, und du siehst dort die Milde, die größer ist als die, mit der dich deine Mutter einmal betrachtet hat. Und stelle dir vor, daß er dir gerade dort erzählt, daß er dich erwählt hat, daß du in seinen Augen königlich bist, daß zu sein Geliebter bist, den er mit Licht umgeben will und bei dem er alle Tage sein will bis an das Ende der Welt.

Jeder, der eine Liebeserklärung von einem Menschen erhalten hat, von dem der gerne geliebt werden will, weiß, wie froh man wird und wie königlich und stark man sich da wirklich fühlt. Weil jemand etwas von einem will.

Christ sein heißt in einer solchen dauerhaften Liebeserklärung leben. Wir erhalten sie in der Taufe, und von diesem Augenblick an sind wir neugeboren zu Königen und Priestern, wie Grundtvig dies in einem Lied sagt, wo es heißt, daß "deine Kinder zu Königen und Priestern aufgezogen werden sollen".

Was meint Grundtvig damit, daß "deine Kinder zu Königen und Priestern aufgezogen werden sollen"?

Ja, er meint natürlich nicht, daß alle einmal das weiße Taufkleid mit dem schwarzen Talar tauschen und ein Amt in der dänischen Volkskirche erhalten werden. Aber er meint in der Tat, daß alle Getauften dieselbe Verpflichtung und Aufgabe haben, die auch ein Pfarrer hat. Die Aufgabe nämlich, weiterzusagen, was man selbst von und über Gott gehört hat. Nicht nur der Pfarrer im Talar hat diese Berufung und diese Aufgabe - das haben alle Christen. So wie jeder von uns heute gehört hat, was ich vorgelesen haben, daß wir das ausgewählte Geschlecht, das königliche Priestertuum, das heilige Volk sind, so haben wir darin auch die Berufung gehört. Eine Berufung, das ernst zu nehmen und anderen weiterzugeben, die es noch nicht auf sich selber bezogen haben.

Petrus wurde berufen. Ihm war Jesus auch an einem staubigen Tage begegnet, er hatte gehört, daß er ihm nachfolgen sollte, und nun hört er, daß er die Kirche bauen soll, die der Rahmen sein soll um den Glauben an Christus.

Berufen werden.

Es ist wohl nicht besonders zeitgemäß zu sagen, daß man berufen ist. Das verbindet man höchstens mit Nonnen und Mönchen, und man fragt etwas skeptisch und neugierig den Pfarrer, ob er auch so eine Berufung hat. Antwortet man ja, ist man wohl etwas altmodisch und anders. Antwortet man aber mit einem blanken Nein, sind die Leute in der Regel enttäuscht. Der Pfarrer sollte doch in Wirklichkeit am besten eine Berufung haben. Irgendwie meinen die Leute, daß das Bewußtsein einer Berufung eine Art Qualitätsmerkmal ist oder eine Garantie dafür, daß das, was sich da in der Kirche abspielt, auch etwas bedeutet. Daß es nicht nur Leerlauf, Unterhaltung und Traditionsromantik ist. Und darin haben die Leute Recht.

Warum aber hat die Berufung dieses Gewicht? Warum ist es z.B. so faszinierend, einer Nonne zu begegnen, die ihr Leben einer Sache gewidmet hat, weil sie sich dazu berufen fühlt? Oder wir könnten den Bereich der Berufung etwas erweitern und uns selbst fragen, warum es so faszinierend und Respekt gebietend ist, Menschen zu begegnen, die alle ihre Kräfte und alle ihre Zeit und all ihre Leidenschaft in eine Sache investiert haben. Eine Sache, die ihnen weder Geld noch Prestige bringt, die aber anderen Menschen ein besseres Leben gewährt.

Man könnte antworten, indem man es ganz einfach formuliert: Berufung setzt voraus, daß jemand beruft. Man kann sich nicht selbst berufen. Auch wenn man sagt, daß man seinem Ruf folgt, so gehört die Berufung nicht einem selbst, es beginnt nicht von innen, es kommt immer zuerst von außen und verbindet sich dann mit etwas im Menschen. Und es kann von zwei Stellen her kommen, zwei Stellen, die beide außerhalb meiner selbst liegen. Es kommt entweder von Gott oder von einem anderen Menschen. Beim Christen hängen diese beiden Stellen eng zusammen.

Berufen sein bedeutet also, daß es in der Welt mehr gibt als einen selbst. Ja etwas Größeres als einen selbst, denn sonst könnte das einen nicht rufen, einen den Weg vorzeichnen und dazu bringen, etwas ganz Bestimmtes zu tun.

Und eben dies ist das Faszinierende und Anziehende an einem Ruf - das, was eine größere Perspektive um den Menschen schafft, was stets voraussetzt, daß es etwas Größeres gibt. Daß es etwas Größeres gibt als dich selbst, das etwas von dir will. Du bist nicht für dich selbst da, du bist immer für einen anderen da. Jemand will etwas von dir.

Das ist es, was dich zum König macht. Den wirklich königlich wird nur der, der weiß, daß er im Dienste einer größeren Sache steht. Wer König für sich sein will, um sein eigenes Leben zu bereichern, der endet wie der Kaiser in seinen neuen Kleidern - der hat in Wirklichkeit nichts an. Der ist nur aufgeblasen und lächerlich.

Aber wenn Gott uns zu Königen macht, dann tut er dies, indem er uns in den Dienst seiner Sache stellt, und das gibt uns eine ganz andere Bedeutung und Würde als die, die der kleine dicke Kaiser hatte, der sich eitel in den Spiegel sah, um zu zeigen, wie klug er war.

Aus der Taufe kommen als Könige heißt, daß Gott eben diesem Menschen anvertraut hat, Träger seiner Botschaft zu sein. Du sollst wissen, daß du groß genug bist, daß Gott dir das Kostbarste von allem anvertraut und in deine Hände legt, nämlich die Botschaft, daß jeder Mensch von der Liebe Gottes umfangen ist. Du hast die wichtige Aufgabe erhalten, deinem Mitmenschen, dem du jetzt oder bald begegnest, in Wort und Tat zu erzählen, daß eben dieser Mensch auch von Gott geliebt und erwählt ist. Willst du das nicht, willst du den freien lauf der Liebe Gottes unter den Menschen behindern, weil du lieber selbst darüber richten willst, ob dein Mitmensch nun auch die Liebe Gottes verdient hat, ja, dann bist du ein Sünder. Und dann hast du es selbst nötig, daß dir jemand begegnet mit milden Augen, der dich auftauen und lehren kann, dich selbst als geliebt zu sehen, trotz deiner Hartherzigkeit.

Es ist die Berufung eines jeden Christenmenschen, die Botschaft von der Liebe Gottes am Leben zu erhalten. Das ist nicht immer leicht und hat seinen Preis, aber man verliert seine Seele, wenn man die Ohren verschließt für all die, die da sind und einen rufen und hinter deren Ruf immer die Stimme Gottes klingt.

Es sollte als ein Privileg verstanden werden, einen Ruf zu spüren, denn das ist ein Privileg. Es ist ein Privileg, aus seinen eigenen Kreisen gerissen und in einem Zusammenhang gestellt zu werden, wo andere einen brauchen. Und das Glückliche ist, daß wir alle in Wirklichkeit Kreise um uns haben, wo andere Menschen sind und nach unserer Gegenwart rufen als Echos des Rufens von Gott. Man muß nur in Gang kommen. Der Ruf ist ergangen. Amen.

Pfarrerin Kirsten Jørgensen
Præstegade 2
DK-5300 Kerteminde
Tel.: ++ 45 - 65 32 13 20
e-mail: kjoe@km.dk

 


(zurück zum Seitenanfang)