Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juli 2004
Predigt über
Römer 6, 3-11, verfaßt von Karl W. Rennstich

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"Was sollen wir nun sagen? Sollen wir in der Sünde beharren, damit die Gnade sich mehre? Das sei ferne! (Das soll auf keinen Fall geschehen).Wie sollten wir, die wir der Sünde gestorben sind, noch in ihr leben? Oder wisst ihr nicht, dass wir alle, die wir in Christus Jesus getauft sind, in seinen Tod getauft sind? Wir sind also mit ihm durch die Taufe in den Tod begraben, damit, wie Christus von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, ebenso auch wir in einem neuen Leben wandeln sollen. Denn wenn wir mit dem Ebenbild seines Todes zusammengewachsen sind, so werden wir auch mit dem der Auferstehung zusammenwachsen. Denn wir wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt wurde, damit der Leib der Sünde vernicht werde, so dass wir nicht mehr der Sünde dienen. Denn wer gestorben ist, ist dadurch von der Sünde frei geworden Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden, und wir wissen, dass Christus, nachdem er von den Toten auferweckt wurde, nicht mehr stirbt. Der Tod herrscht nicht mehr über ihn. Denn wenn er gestorben ist, ist er der Sünde ein für alle Mal gestorben; wenn er aber lebt, so lebt er für Gott. So haltet auch ihr euch selbst dafür, dass ihr der Sünde tot seid, für Gott aber lebt in Christus Jesus.
So soll nun die Sünde nicht in eurem sterblichen Leibe herrschen, so dass ihr seinen Begierden gehorcht; auch stellt eure Glieder nicht als Waffen der Ungerechtigkeit der Sünde zur Verfügung, sondern stell euch selbst Gott zur Verfügung als solche, die aus den Toten zum Leben erstanden sind, und stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit zu Verfügung! Denn die Sünde wird nicht mehr über euch herrschen, denn ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade."

I. Vorüberlegungen zum Text

Die parallele Anordnung von Römer 6, 1 und 6, 15 zeigt, dass das 6. Kapitel in zwei Teile zu gliedern ist. Dem Gegensatz von Tod- Leben im ersten Teil steht der Gegensatz Knechtschaft- Freiheit im zweiten Teil gegenüber, wobei die Verse 12- 14 eine Art Überleitung sind, denn der Gegensatz Tod- Leben ist bereits aufgegeben.

So soll nun die Sünde nicht in eurem sterblichen Leibe herrschen, so dass ihr seinen Begierden gehorcht; auch stellt eure Glieder nicht als Waffen der Ungerechtigkeit der Sünde zur Verfügung, sondern stell euch selbst Gott zur Verfügung als solche, die aus den Toten zum Leben erstanden sind, und stellt eure Glieder als Waffen der Gerechtigkeit zu Verfügung! Denn die Sünde wird nicht mehr über euch herrschen, denn ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.

Der Wir Stil zeigt das Bekenntnis an. Paulus beantwortet Fragen (ti oun eroumen) bezüglich seiner Gnadenlehre. Gnade besteht in einer neuen Gerechtigkeit. Der enge Zusammenhang von Christus und den Seinen von Kapitel 5 wird auch in Kapitel 6 weitergeführt. Das zeigen die Gegensätze von Sünde- Gnade, Tod- Leben und Gesetz- Gnade, deshalb dürfen 5,12- 21 und 6, 1-3 nicht auseinander gerissen werden. Der Schwerpunkt liegt auf den Imperativen, die auf den Indikativen aufbauen. Der Getaufte wird aufgefordert, in der Konsequenz seines Getauftseins zu leben und zu handeln (Otto Michel, Der Brief an die Römer. Göttingen 1955, S. 129).

Der Gegensatz alter- neuer Mensch ist Teil der urchristlichen Taufmahnung und erinnert an die Taufliturgie der Urgemeinde. ”Tot für die Sünde“ bedeutet ”Lebendig für Gott“ und ist die Losung der Gerechtigkeit, der der Getaufte sich nun verpflichtet weiß. Der Getaufte folgt nicht mehr den Begierden, (Fleisch), sondern führt sein Leben in Christus.

II. Predigt

Ein Professor eröffnete seine Vorlesung mit dem folgendem Experiment: Er nahm ein Goldfischglas, stellte es auf den Tisch und füllte es mit einigen großen Steinen, bis kein weiterer mehr hineinpasste.
Nun blickte er in die Runde und fragte: "Ist das Glas voll?"
Die Studenten antworteten im Chor: "Ja!" Dann der Professor eine Schachtel, öffnete sie und kippte vorsichtig Kieselsteine in das Glas und schüttelte es dabei leicht. Der Kies füllte die Zwischenräume zwischen den großen Steinen. Dann blickte er wieder in die Runde und fragte erneut: "Ist dieses Glas voll?" Dieses Mal durchschauten die Studenten sein Spielchen. Einer davon antwortete: "Sehr wahrscheinlich nicht!" "Gut", antwortete der Professor. Nun nahm er einen Beutel, öffnete ihn und begann behutsam Sand in das Glas zu schütten. Der Sand füllte die Löcher zwischen den Steinen und dem Kies. Er blickte dann auf seine Gruppe und fragte: "Welche Erkenntnis lässt sich mit diesem Experiment demonstrieren?"

Das Glas ist Symbol für das Leben. Stephen Covey möchte mit dieser Geschichte verdeutlichen, dass es wichtig ist, die Prioritäten des Lebens richtig zu setzen. Um die Prioritäten des Lebens geht es auch in dem Text, den Paulus an die Römer geschrieben hat. Er möchte mit dem Römerbrief die Christen in Rom gewinnen für seine Mission bei den Germanen, die in den dunklen Urwäldern hinter Spanien und Italien leben. In diesem Zusammenhang legt er ihnen sein Verständnis von Gerechtigkeit (dikaiosyne) vor. Mission ist also die Mutter der Theologie. Den christlichen Glauben fasst er zusammen mit dem Satz: Der Christ folgt nicht mehr seiner Begierde, sondern lebt aus der in Jesus Christus manifest gewordenen Gnade und lebt entsprechend.

Der Gnade als Kennzeichen des durch die Taufe neu gewordenen Menschen, steht die aus der Sünde kommende Begierde als Kennzeichen des alten Menschen gegenüber. Sie ist dadurch charakterisiert, dass der Mensch seine Glieder zur Verfügung stellt als Waffe der Ungerechtigkeit, während die aus der Gnade lebenden Getauften ihre Glieder als Waffen der Gerechtigkeit zur Verfügung stellen. Der Getaufte lässt sich nicht mehr von der Sünde beherrschen, er ist vielmehr befreit zu einem Leben aus der Gnade. Begierde (Sünde) Knechtschaft und Gnade (Freiheit) stehen sich gegenüber.

Das Symbol der religiösen Erfüllung ist für Christen das Reich Gottes. Paulus übersetzt diesen Begriff in die hellenistisch- römische Sprachkultur mit dem Begriff Gerechtigkeit. Es ist ein soziales, politisches und personalistisches Symbol; Der Begriff ist dem Nirwana des Buddhismus vergleichbar, wobei Nirwana mehr ein ontologisches Symbol ist.

Wir leben heute nicht mehr in der hellenistisch- römischen Kultur, sondern in der modernern pluralistischen Gesellschaft, in der sich – wie einst zur Zeit des Paulus- die Religionen der Welt auf engstem Raum zusammentreffen. Die Weltmission findet nicht mehr draußen statt, sondern Weltmission ist heute Inlandmission. Um den christlichen Glauben verstehbar zu machen, müssen wir ihn übersetzen, so wie einst Paulus jüdische Glaubensaussagen in die hellenistische Sprachkultur übersetzen musste. Reich Gottes übersetzte Paulus mit Gerechtigkeit. Und damit sind wir mitten drin in den großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen unserer Zeit. Was Paulus mit Sünde und Begierde bezeichnet, nennen die Buddhisten die drei Wurzeln des Bösen (lobha, Gier; dosa, Hass und moha, Illusion).

Die Gier nach Reichtum ist ein Charakteristikum der modernen, globalen Geldgott- Religion. Sie kennt keine Gnade. Ihr unpersönlicher Gott ist gnadenlos und vergibt keine Schuld, vielmehr lebt er von den Schulden der Menschen.
Der Islam kennt mehr als 90 Worte für Sünde, wobei die Beigesellung Gottes, (shirk) die größte ist.

Reich Gottes und Nirwana
Die Begriffe »Reich Gottes« und »Nirwana« sind Symbole und deuten hin auf eine tiefere Wirklichkeit. Der Begriff Reich Gottes entstammt dem Bild eines Herrschers, der ein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens auf­richtet. Nirwana kommt aus der Erfahrung der Endlichkeit, der Trennung, des Irrtums und des Leidens; er entstammt der Vorstellung eines seligen Einsseins aller Wesen, jenseits von Endlichkeit und Irrtum. Der Theologe Paul Tillich unterstreicht die Gemeinsamkeit der beiden Symbolbegriffen Reich Gottes und Nirwana: das Reich Gottes steht im Gegensatz zu den Reichen die­ser Welt; das Nirwana beschreibt den Gegensatz der Welt des Scheins und der (wahren) Wirklichkeit.

Der deutsch- amerikanische Theologe Walter Rauschenbusch (1861 - 1918) , der viele Jahre als Pfarrer unter den Ärmsten in ”Hell´s kitchen“ in New York arbeitet, erzählte das Beispiel eines New Yorker Polizisten, der vom Schubkarren eines Italieners eine Banane nahm. Der Italiener versuchte verzweifelt, glücklich dreinzuschauen. So Tatenlos auch wir Christen tatenlos dem Machtmissbrauch zu; doch Jesus habe das Leben von Zöllnern und Soldaten verändert und sie aufgefordert, ihr Parasitentum aufzugeben. Jesus arbeitete zwar viel mit Einzelnen, doch sie waren nicht sein Ziel. Sein Ziel war die Gesellschaft; Zentrum seiner Lehre war das Reich Gottes, und dies ging von kleinen Zentren der Erneuerung aus. Jesus machte, als einer, der in der Tradition der hebräischen Propheten stand, die Menschen bereit für eine ge­rechtere soziale Ordnung, die er als Reich Gottes bezeichnete. Im Reich Gottes soll Rauschenbusch zufolge der soziale Organismus gerettet und das Leben auf der Erde in himmlische Harmonie gebracht werden. Grundlage dieses Reiches sei für Jesus die Liebe, und er habe jeden Brauch, jedes Gesetz und jede Institution daraufhin getestet und bewertet, ob es die Menschen zueinander erzieht, oder sie spaltet. Rauschenbusch spricht einer Republik der Arbeit, wo die Arbeit als Dienst aneinander verstanden wird, wo für alle die Möglichkeit zu wahrer Bildung und Lebensfreude besteht. Das Reich Gottes umfasse das ganze men­schliche Leben. Pointiert umschreibt Rauschenbusch das Reich Gottes als die „nach dem Willen Gottes organisierte Menschheit.“ Doch das Königreich Gottes bleibe stets im Kommen.

Die islamische Sicht vom Reich Gottes siehtder Muslim Taufiq Sidqi vorgebildet in Lukas 4:1.5.9. Daraus ergebe sich, dass Jesus auf dem Ölberg die erste Offenbarung empfangen habe bei den Feigen- und Ölbäumen beim Berg Sinai und bei dieser ”sicheren Ortschaft.“ Der Feigenbaum wird zum Symbol für die Wertskala der Religionen. Der Feigenbaum sei der heilige Baum der Buddhisten. In seinem Schatten empfing Buddha seine Erleuchtung. Unter diesem Baum wurde er wie Christus vom Satan erfolglos versucht. Auch Buddha war ein wahrer Prophet. Doch wurde seine Lehre noch mehr als die Lehre von Isa von seinen Anhängern korrumpiert.

Der Ölbaum sei Symbol für die Lehre. Sowohl der Buddhismus als auch die Lehre Jesu sei eine „Gnadenreligion“ und werde durch das gemeinsame Symbol eines Früchte tragenden Baumes zum Ausdruck gebracht. Doch der Buddhismus habe sich noch weiter als das Christentum von seinem prophetischen Ursprung entfernt. Auch das mosaische Judentum, symbolisiert durch den Berg Sinai, habe sich von seiner Wurzel gelöst. Die „sichere Ortschaft“ sei Mekka und die Ka`aba. Nur der Islam habe die reine Lehre unverfälscht bis heute erhalten.

Taufiq Sidqi lehnt das christliche Sündenverständnis grundsätzlich ab und versucht es auch gar nicht zu verstehen, weil es voller innerer Widersprüche und heidnischen Ursprungs sei. Er findet die christliche Lehre von Heil und Versöhnung absurd.

Ihr steht unter der Gnade
Der christliche Glaube geht von der Erfahrung aus, dass der Mensch einer Macht ausgeliefert ist, die den Menschen immer wieder zum Wegbereiter eines zwischenmenschlichen, ge­sellschaftlichen und kosmischen Chaos macht, indem sie dem Menschen suggeriert, er sei wie Gott. Der »Gotteskomplex« - wie H.E. Richter diese Urform der Begierde nennt- ist nicht nur eine Gefahr für die »Heiden«, sondern auch für die an einen persönlichen Gott glaubenden Christen. Jedenfalls geht der Apostel Paulus in seinem Brief an die Christen in Rom davon aus. Die Ungläubigen rechnen gar nicht mit Gott.

Christen wissen, dass trotz aller gut gemeinten Anstrengung der Mensch den göttlichen Willen nicht erfüllen kann. Hat er dennoch eine Chance? Die christliche Antwort darauf ist zusammengefasst in dem Wort Gnade. Durch Christus hat Gott die Welt mit sich selbst ver­söhnt. Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Damit wollen Christen ausdrücken, dass in Christus die Gegnerschaft zwischen Gott und Mensch überwunden worden ist.
Amen

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
Lerchenstrasse 17
D-72762 Reutlingen
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Tel: +49-(0)7121-372651
Mobile: +49-(0)174-595-5914
Email: kwrennstich@gmx.de

 


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