Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 18. Juli 2004
Predigt über
Matthäus 19, 16-26, verfaßt von Birte Andersen (Dänemark)

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(dänische Perikopenordnung)

Den reichen Jüngling können wir mit zwei verschiedenen Brillen sehen. Eigentlich ist es ja sehr lobenswert, daß er etwas mit seinem Leben will. Das ewige Leben erben, sagt er. Er spricht nicht von Unsterblichkeit, sondern davon, ins Leben zu kommen. Er begnügt sich nicht mit weniger, er geht aufs Ganze. Nicht das halbe Leben - da ist eine Sehnsucht und Unruhe mitten im Alltag, die ihn treibt. Und er war reich - wir verstehen es nun viel besser: Er hatte so viele Möglichkeiten. Welchen Weg sollte er gehen?

Denn das Leben ist so kostbar, deshalb ist es wichtig, daß man es richtig gebraucht. Wie komme ich zum Eigentlichen, zum heiligen Gral? Ohne mich selbst oder meine Umwelt dabei zu verleugnen. Wo geht der Weg?

Suchende Menschen haben zu allen Zeiten weise oder heilige Männer befragt - hier kommt der Mann zu Jesus.

Jesus aber sieht ihn mit anderen Brillen. Er nennt seine Sehnsucht Rastlosigkeit und Drang nach Vollkommenheit. Denn er verweist den reichen Jüngling an das tägliche Leben mit den Geboten als Rahmen für dieses Leben, damit es wächst und gedeiht. Aber das reicht dem Jüngling also nicht. Und dann legt Jesus noch einen drauf.

Nun sind es ganz andere Forderungen, und wir haben das Gefühl, daß Jesus fast eine Falle stellt, oder jedenfalls den Preis so anhebt, damit sowohl der Jüngling als auch wir anderen merken, was sich abspielt. Jesus macht das zu einer Frage des Entweder Oder: Entweder Gott - oder der Jüngling. Entweder das Leben verlieren oder das Leben gewinnen, Heil oder Verdammnis.

Das alles, weil der Jüngling kein Sowohl als auch akzeptieren will. Er hatte die Ewigkeit nicht im Alltag sehen können und wollte eben mehr.

Wir müssen hoffen, daß seine Traurigkeit eine schöpferische Erkenntnis enthielt, daß er in seiner Sucht nach Mehr gebremst wurde und den Mut erhielt, in sich zu gehen.

Diese Möglichkeit haben wir jedenfalls, mit ihm als einem abschreckenden Beispiel. Ein spannendes Schreckbild, weil er nicht genug kriegen kann und dem Ruf nachgeht, den er hört. Abschreckend, weil er den Gral finden will, indem er selbst vollkommen wird.

Jesus antwortet dem Jüngling zunächst nicht, daß das Gebot der Nächstenliebe unerfüllbar ist, wie wir wohl geantwortet hätten, daß nämlich die Vollkommenheit eine Unmöglichkeit ist. Nein, er bietet die Ewigkeit umsonst an: "Du sollst ja nur das tun, was du schon tust. Du hältst ja die Gebote. Bleibe dabei, dann kommt die Ewigkeit".

Aber das war nicht genug. Er selbst und das Leben sollten perfekt sein. Das allgemeine Leben war zu billig zu gewöhnlich. Und wenn er nicht Turistklasse reisen will, dann wird das Heil unendlich teuer. Denn Perfektion und Vollkommenheit kosten nach seiner eigenen Logik immer das, was man sich leisten kann - perfekte Güte, perfekte Schuldfreiheit oder das perfekte Recht. So ist das eigene Wesen der erlösenden Liebe: Sobald die Liebe etwas Quantitatives wird, verschwindet sie aus unserem Blick, denn dann ist sie etwas anderes geworden als Liebe.

Wenn wir nicht von selbst uns der Welt geben, die Gott gehört, dann fordert Gott das, was wir glauben, was wir besitzen - hier in dieser Geschichte das Geld des Jünglings. Jesus hört in der Sehnsucht und dem Vollkommenheitsstreben des Jünglings eine Ablehnung des Lebens, das er lebt. Und deshalb muß Jesus das entscheidende Mißverständnis korrigieren: Die Welt gehört nicht ihm, und deshalb kann er sie auch nicht verwerfen. Und will er sie kaufen - dann wird es teuer!

Es klingt schön, daß er die Ewigkeit haben will, aber er wird darüber zu einem Tyrannen in bezug auf die Welt.

Es könnte sein, daß uns der Jüngling gar nicht so fern steht. Und es geht nicht nur um Geld! Auch wir suchen nach der Innenseite des Lebens, der Ganzheit, dem Glück oder dem Reich Gottes. Wir verhalten uns nur zur Ganzheit, wenn sie uns teilweise betrifft. Wir sagen, daß wir uns zum Ganzen verhalten, aber wir wagen es nicht, die Ganzheit über uns bestimmen zu lassen. Wir suchen das, was voll und ganz ist, aber es darf uns nur stückweise und teilweise angehen. Denn wir mögen die Konsequenzen nicht: Wenn die Welt Gott gehört, muß sie dies ganz tun - nicht nur teilweise und stückweise.

Aus dieser Geschichte wird deutlich, daß uns die Sehnsucht an ganz verschiedene Orte führen kann. Die Sehnsucht ist eine Art Nabelschnur, die uns an unseren göttlichen Ursprung erinnert, aber wir können uns ganz unterschiedlich zu ihr verhalten. Es gibt eine Sehnsucht, deren Ruf dich von der Erde wegzieht, aus der Welt, aus der Wirklichkeit, die deine ist, eine Sehnsucht, die die Welt verwirft, so wie sie ist. Eine Sehnsucht, die das tägliche Leben mit Mißtrauen begleitet, damit sich die Ewigkeit in ihm zeigt. Und dieses Mißtrauen bestimmt den Preis, den wir bezahlen können.

Jesus kehrt die Richtung der Sehnsucht um, weil er darauf besteht, daß die Welt Gott gehört. Damit wird das alltägliche Leben zum dem Nadelöhr, durch das wir die Ewigkeit sehen können. Eben dieses alltägliche Leben und nicht etwas neben oder über ihm. Eben dieses irdische Leben, dieses Nadelöhr, durchlief Christus in seinem Leben und Sterben. Dadurch öffnete er die Pforte der Ewigkeit - mitten in deinem Leben. Weil Gott ein kämpfender Gott ist, hält er dieses Tor offen - mitten in unserem Leben.

Das kann man so sagen:

Gott ist keine Metapher für die Poesie.
Poesie ist selber ein Sandkorn in Gott,
wenn auch funkelnd, schön und gefährlich,
mehr als die anderen.
Gott
ist die Metapher für eine Wirklichkeit,
die Gott heißt, Gott ist,
dessen Liebe unser Leiden durchbricht
und in ihm wohnt.
(K. Sivert Lindberg, 1999)

 

Dann hat die Sehnsucht einen anderen Charakter: Dann sehnen wir uns danach, tiefer in das Leben einzudringen, weil uns die Ewigkeit schon geschenkt ist, dann macht die Sehnsucht Entdeckungen in ihrer Herrlichkeit und Größe. Wer gefunden hat, kann um so mehr suchen, denn nun kennt er die Glut der Perle.

Es können innere und äußere Umstände sein, die zu ändern sind, damit die Ewigkeit Raum gewinnt, aber die Ewigkeit hat begonnen. Deshalb müssen du und ich die Fähigkeiten, Möglichkeiten und die Geschichte nutzen , die gerade deine und meine sind.

Ich habe die Sonne hervorbrechen sehen,
um einen Augenblick
einen kleinen Fleck zu erleuchten,
und bin dann meines Weges gegangen
und habe es vergessen. Aber sie war
die leuchtende Perle. Eben das Feld,
in dem der Schatz verborgen war. Ich sehe nun ein,
daß ich alles geben muß, was ich habe,
um ihn zu besitzen. Leben ist nicht streben
nach einer flüchtigen Zukunft, auch nicht
sich sehnen nach einer eingebildeten Erinnerung.
Leben ist, sich wie Moses beugen
dem Wunder im brennenden Dornenbusch,
einem Licht, das genauso flüchtig erscheint,
wie einmal deine Jugend in der Welt war,
das aber die Ewigkeit ist, die auf dich wartet.
(R.S. Thomas)

Amen

 

Pfarrerin Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 - 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk

 


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