Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 25. Juli 2004
Predigt über
Matthäus 10, 24-31, verfaßt von Birte Andersen (Dänemark)

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Die Worte Jesu, wie sie Matthäus wiedergibt, sind getragen von großem Realismus und großer Zuversicht. Realismus, was die Bedingungen anbetrifft, die das Evangelium und seine Boten in der Welt vorfinden werden. Das Evangelium der Liebe wird auf Widerstand stoßen in einer Welt, deren Triebkraft der Egoismus ist. Dennoch wird dazu aufgefordert, klar zu reden, von den Dächern zu rufen, was wir auf dem Herzen haben. Und wir können das mit großem Freimut tun, weil wir in Gott geborgen sind. Deshalb besteht trotz harter Bedingungen Grund für Zuversicht. Das ist wohl die angemessendste Weise, die Worte zu verstehen, die wir eben gehört haben.

Im Laufe der Geschichte hat eine andere Auslegung im Mittelpunkt gestanden. Es ging um das Für und Wider in der Frage, ob das Schicksal des Menschen vorherbestimmt ist. Ob das der Sinn war, daß Gott alle unsere Haare auf dem Haupte gezählt hat. War das der Fall, dann stellte man sich entsprechend einen allmächtigen Gott vor, der an einem Ort über dem Ganzen thronte, im Himmel, und die Zügel für das Geschick der Menschen in der Hand hielt. Wie ein Marionettenführer. Das führte wiederum zu der Auffassung, ein solcher Gott müsse böse sein, weil es so viel Böses in der Welt gibt. Einen solchen Gott konnte man leicht verabschieden, als wir damit anfingen, Wissen und Technologie in unseren Dienst zu stellen, und fähig wurden, die Marionetten selbst zu steuern.

Und das haben wir dann getan. Vielleicht haben wir es zu rasch und zu bequem gemacht.

Was ist ein Mensch, wie viel von seinem Leben ist bestimmt von Strukturen, die festliegen, und wieviel kann der Mensch selbst bestimmen und verändern? Moderne Autoren kreisen immer wieder um diese Frage - so wie es die Alten in ihrer Weise taten.

Menschsein heißt, ein Geschick zu ergreifen oder zu erleiden. Und das Schicksal, kann man sagen, bildet sich in einem Zusammenspiel zwischen Schwere und Leichtigkeit.

In Perioden in der Geschichte ist es das Gewicht, das den Horizont bildet. Im Mittelalter und in der Reformationszeit war die Gesellschaft um sich selbst geschlossen, und ein Schuster hatte bei seinen Leisten zu bleiben.

In der heutigen Welt - hier bei uns - ist die Leichtigkeit fast unser Wahrzeichen. Unsere Gesellschaft ist offen - in gewisser Weise - sie legt ihre Bürger nicht von vornherein in feste Banden: Wir können selbst bestimmen, arbeiten, umziehen, in wechselnden Partnerschaften und Nachbarschaften leben. Wir können ein anonymes städtisches Leben leben oder ein Leben auf dem Lande. Wir können teilhaben an enger Nachbarschaft oder als Privatperson leben.

Alle diese Lebensmöglichkeiten bringen eine gewisse Unenpfindlichkeit mit sich gegenüber der Schwere, die mit dazugehört, wenn das Leben wirklich wird. Den, den man im Stich gelassen hat, kann man relativ leicht verlassen und so eine Konfrontation vermeiden. Vielleicht kommt die Schwere des Lebens dennoch zu uns, aber von hinten. Vielleicht als eine dunkle Ahnung oder verborgene Angst, die sich über aller legt und bewirkt, daß das Dasein nicht vor einem steht und ohne Konturen bleibt.

Viele haben Milan Kunderas Roman von er unerträglichen Leichtigkeit des Seins gelesen, oder den Film über diesen Roman gesehen. Der Titel selbst von der unerträglichen Leichtigkeit des Seins ist ja ein Teil unserer Sprache geworden und zeigt unser Problem an. Daß die Leichtigkeit zum Problem werden kann und zu einem Leben führt, das unwirklich ist. Besonders wenn sie sich mit dem Zufall verbindet, der die andere Seite der Leichtigkeit ist.

Der Zufall wird als etwas Bedrohliches erlebt, weil er ohne Bestimmung ist und ohne Kontrolle - es verlangt etwas, ein zufälliges Lüftchen in einem großen unendlichen Universum zu sein.

Die Art und Weise, in der die Hauptperson Thomas in diesem Roman sein Problem angeht, ist die, daß er so viele Frauen wie möglich liebt - den jede von ihnen enthält ja eine zufällig unausgenutzte Möglichkeit, die erprobt werden muß. Und keine von ihnen zeigt eine Notwendigkeit.

Bis er Teresa begegnet, die seine Frau wird, ist er nur leeren Zufälligkeiten begegnet. Teresa wird mit ihren eigenen wunderbaren Wesen und ihrem Festhalten an Thomas für ihn ein redender Zufall, um den man nicht herumkommt.

Er, der zweifelnde, wird gebunden, aber gebunden von dem Zufall, der die Welt zugleich öffnet und die Wirklichkeit festhält. Thomas muß eine Umwertung des Zufälligen vornehmen. Als ihn der Zufall traf, entdeckte er, daß es nicht die stumme Schwere war, die in einer allumfassenden und vorherbestimmten Notwendigkeit lag, sondern die redende, die ihn und sein Leben fordert. Entstanden, eben zufällig, aber ein Zufall, der sein Schicksal wird. Der Zufall, der nun zu ihm spricht und ihn mit Lebensmöglichkeiten konfrontiert, die er nicht für existent gehalten hatte.

Und er muß sagen: "Nur die Zufälligkeit kann für uns als eine Botschaft sein".

Das Notwendige, das Erwartete, das monoton Widerholte ist stumm. Nur der Zufall redet uns an.

Die Notwendigkeit ist immer gleich und monoton, bewegt sich nicht und bewegt nichts. Der Zufall aber macht die Welt vielfäl­tig, voll von Unterschieden, die unsere Aufmerksamkeit erzwingen. Und nun sind wir wieder beim Sperling, der fällt. Aber er fällt nicht, ohne zuvor geflogen zu sein.

Gott selbst hat auf das Gesetz der Notwendigkeit verzichtet und Freiheit und schöpferischen Zufall in die Schöpfung gelegt. Min großen Risiken für Fall und Unglück und Böses. Wenn wir nur auf den Fall der Sperlinge schauen, vergessen wir, daß die Flucht der Sperlinge zuerst da war. Wenn der Sperling nicht wenigsten ein Mal geflogen ist, kann er nicht fallen. Daß er fliegen kann und singen und sich vermehren, das ist Gott. Aber den Weg der Vögel kennt Gott nicht. Gott kennt die Wege nicht und er bestimmt sie auch nicht. Wo die Spatzen fliegen, das wird von Entscheidun­gen bestimmt, von Instinkten, von der Spontaneität des Augenblicks.

Gott bestimmt nicht über die natürlichen Gesetze und die Ausnahmen von den Naturgesetzen, die er geschaffen hat. Er herrscht nicht - denn das würde dem Menschen seine Freiheit nehmen und damit seine Menschenwürde. Gott steuert seine Geschöpfe nicht, er schafft durch seine Geschöpfe. Und Gott sitzt nicht zurückgelehnt und wartet darauf, was aus dem Zufall entsteht. Er lockt, inspiriert und folgt seinen Menschen, so daß wir Grenzen und Niederlagen überwinden können.

In einer merkwürdigen Weise enthält das Christentum in sich eine Dynamik zwischen Schwere und Leichtigkeit. Wenn die Verantwortung und die Aufgabe beschrieben werden sollen, dann ist es die Schwere, die am Werke ist. Die Jünger Jesu müssen der Wirklichkeit ins Auge sehen, nicht zuletzt der schwierigen und schmerzhaften Wirklichkeit: "Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten".

Aber dafür wird uns mit dem Evangelium eine befreiende Leichtigkeit als Ausgangspunkt geschenkt. Gott hat sein gutes Werk in uns begonnen, d.h. wir sind ein Teil der redenden, schaffenden Zufälligkeiten. Deshalb wird uns die Leichtigkeit des Seins gegeben, wenn es darum geht, die Konsequenzen der Last der Verantwortung zu tragen.

Wir sind grundlegend davon befreit, das zu tragen, was wir nicht tragen können - die Sünden der Vergangenheit, die geschehen sind und die wir nicht ungeschehen machen können, und auch die künftigen Konsequenzen unseres Tuns, die wir nicht überschauen und steuern können. Befreit dazu, die Zufälligkeit zu lieben und sie als Schicksal zu ergreifen.

Jesus gibt uns hier den Trost, daß wir immer am Orte Gottes sind, ob wir dessen nun würdig sind oder nicht. Dann sind wir nicht nur ein Hauch in einem unendlichen Univers, sondern eine Feder im Flügel Gottes. Nur eine Feder, aber ein Teil Gottes, dessen Flucht niemals endet. Amen.

Pfarrerin Birte Andersen
Emdrupvej 42
DK-2100 København-Ø
Tel.: ++ 45 - 39 18 30 39
e-mail: bia@km.dk


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