Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

9. Sonntag nach Trinitatis, 8. August 2004
Predigt über
Lukas 18,1-8, verfaßt von Hanne Sander
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die meisten werden den Typ kennen!

Der nicht Ruhe gibt, bis er das durchgesetzt hat, was er für richtig hält. Der sein Recht haben will und das, was ihm zusteht, und der nicht aufgibt, bis er es bekommen hat, auch wenn das viel Zeit kostet und auch sonst nicht umsonst ist.

Im Neuen Testament werden faktisch fast immer die Frauen als die dargestellt, die darauf bestehen, ihr Recht zu bekommen und Hilfe - wie hier im Lukasevangelium eine Witwe, die als direkt schwierig dargestellt wird. Und dann noch gegenüber einem etwas feigen Richter, der Angst hat, daß die Frau direkt gewalttätig werden und ihm ins Gesicht schlagen könnte.

Das ist ja eigentlich ein merkwürdiges Bild, wenn man es auf das Verhältnis zwischen Mensch und Gott überträgt - und als Bild darf man es wohl nicht allzusehr dehnen.

Was wir beachten sollen, ist die Ausdauer der Witwe. Wir können uns vorstellen, daß sie keinen Verteidiger hat, es gibt keine anderen, die sich ihrer Sache annehmen. Aber das veranlaßt sie nicht dazu aufzugeben. Sie fährt fort, den Richter zu bedrängen, bis der sie schließlich anhört.

Soll so eine anmaßende und recht schwierige Frau wirklich unser Vorbild sein? Offenbar! Jedenfalls wird sie zu einem Gegenbild zu der Vorstellung, daß Demut einem ordentlichen Christen gut ansteht. In dem Sinne, daß einige (vielleicht nur in unseren Vorurteilen) meinen, es sei besonders fromm, alles, was geschieht, als Willen Gottes zu betrachten, mit dem wir uns - fromm - abzufinden haben.

Wo bleibt da der Protest? Wie können wir es vermeiden, uns gegen die Ungerechtigkeit zu verhärten, die Menschen ganz offenbar widerfährt? Ein aktuelles Beispiel: Es gibt Klimatolo­gen, die meinen, daß der Treibhauseffekt (d.h. unser zu hoher Konsum) und erhöhte Temperaturen auf der nördlichen Halbkugel der Erde zu den Klimaveränderungen beiträgt, die nun besonders Asien trifft, also den ärmsten Teil der Welt - als mehr gewaltiger Regen als früher, der wiederum bedeutet, daß das Leben für die Hälfte der Erdbevölkerung noch schwieriger wird.

Ich meine deshalb nicht, daß wir vorschnell die energische Witwe abschreiben sollten. Zuweilen scheint mir jedenfalls, daß ich über die Naturkatastrophen und die Not und das Unglück in der Welt lesen kann, ohne zu sehen, das uns das wirklich angeht. So wie wir gut in unserem Teil der Welt leben - können wir unemp­findlich werden für die Ungerechtigkeit, die Menschen in anderen Teilen der Welt betrifft.

Neulich las ich ein Buch des norwegischen Theologieprofes­sors Notto R. Thelle. Das Buch hat den Titel: Wie laut kann ein Mensch fragen? Thelle hat viele Jahre in Japan gelebt und gearbeitet - und das Beispiel, von dem er erzählt, stammt auch aus dem Osten:

"Sie suchte nach Sinn, suchte nach dem Leben. Durch Stille und Meditation wollte sie den verborgenen Sinn der Worte erfassen, die Wahrheit hinter den Formen aufspüren. Eines Tages forderte sie ihren Meister heraus: Lehre mich den Klang einer Harfe ohne Saiten. Der Meister machte eine Bewegung in der Luft, so als schlüge er unsichtbare Saiten an, und sagte: Da - hast du sie gehört? Nein, ich habe nichts gehört, sagte die Frau. Und der Meister antwortete: Warum fragst du nicht lauter?" Und Notto Thelle fügt selbst hinzu: Wie laut muß ein Mensch fragen, um Antwort zu erhalten? Wie intensiv muß man suchen, um den Weg zu finden?

So wie ich den Text hier - und andere Texte im Neuen Testament - heute höre, meine ich nicht, daß wir zu laut fra­gen können.

Es ist wichtig, daß wir uns nicht mit der offenkundigen Ungerechtigkeit in der Welt abfinden.

Es ist wichtig, daß wir uns nicht beugen und schweigen, wenn es Grund gibt, gegen soziale Ungerechtigkeiten und politi­sche Übergriffe zu protestieren.

Es ist wichtig, daß wir nicht müde werden und nicht aufhören, für Frieden und Gerechtigkeit lokal wie global zu beten.

Die Furchtlosigkeit und Hartnäckigkeit der Frau macht unausweichlich Eindruck, und die Aufforderung, zu beten und nicht müde zu werden, wird immer eine Aufforderung an uns sein, die prophetischen und gesellschaftskritischen Kräfte zu sehen, die im Christentum liegen und im Leben Jesu sichtbar wurden.

Jesus verteidigt in einer Situation eine Prostituierte und rettet sie vor der Steinigung. Er gibt Frauen und Kindern Platz in einer Gesellschaft, in der sie keinen Status hatten. Er protestiert gegen eine Kommerzialisierung der Gottesvereh­rung im Tempel. Er preist die selig, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, und verspricht ihnen, daß sie satt werden. Er läßt sich beeinflussen und ändert seine Einstellung zu denen, die als Fremde in der jüdischen Gesellschaft lebten.

Aber läßt es sich vermeiden, daß wir müde werden? Wie können wir immer wieder um Gerechtigkeit beten, wo es zugleich so aussieht, als nehme die Ungerechtigkeit und Ungleichheit in dr Welt zu?

Flüchtlinge überall in der Welt warten auf Gerechtigkeit. Hungrige in der Welt warten auf eine gerechte Verteilung.

"Die mißhandelten Kinder der Welt warten. Menschen haben über Generationen gehofft und gebetet, daß ihre Kinder oder wenigstens ihre Enkelkinder ein besseres Leben haben. Viele haben vergeblich gebetet und nie ihr Recht bekommen. Einige bitten nur darum, daß der Tod sie befreien möge" (Thelle).

Jesus konnte auch nicht die ganze Welt retten - er konnte keine gerechte Welt schaffen. Aber er nahm sich der konkreten Menschen an, denen er begegnete. Und deren neues Leben leuchtete in der Welt, so daß andere Mut zu ihrem Leben bekamen. Er zeigte uns einen Weg, den wir gehen können, und ein Leben, daß wir leben können, damit wir nicht in Mutlosigkeit und Verzagtheit ver­sinken. Amen.

Pfarrerin Hanne Sander
Prins Valdemarsvej 62
DK-2820 Gentofte
Tel.: 39 65 52 72
e-mail: sa@km.dk


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