Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

12. Sonntag nach Trinitatis, 29. August 2004
Predigt über Apostelgeschichte 9, 1-22
, verfaßt von Elisabeth Tobaben
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Mit Begrüßung der neuen Vorkonfirmanden ( Inselkirche Juist)

Liebe Gemeinde!

„Und jetzt muss ich es nur noch tun“, sagte die Studentin, die gerade ihre Pläne vor mir ausgebreitet hatte, wie sie denn zukünftig ihr Leben gestalten wollte.
Ein schwieriges Problem wollte sie lösen, das sie immer wieder einholte, das Studium noch mal neu organisieren, ein weiteres Fach dazunehmen, endlich wieder Volleyball spielen, ein anderes Zimmer suchen… sie hatte sich eine ganze Menge vorgenommen!
Und sie hatte alles bis ins Kleinste analysiert und die Zusammenhänge gut durchschaut.
Sie wusste genau, was sie wollte. „Jetzt muss ich es nur noch tun“, sagt sie.
„Nur noch?“ frage ich?
Sie guckt überrascht, aber dann lacht sie auch und seufzt: „Ach ja, vielleicht ist genau das das Schwierigste? Vielleicht brauche ich ja doch so ein kleines Damaskuserlebnis?
Oder wenigstens so einen Blitzschlag wie bei Martin Luther?
Gleich sein ganzes Leben radikal ändern und ins Kloster gehen, bloß weil der Blitzschlag einen verschont hat? Das wär’ schon was…“
Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist und ob sie es hin gekriegt hat, ihr Leben so umzukrempeln, wie sie es sich vorgenommen hatte.
Eine Zeit lang habe ich ihre Fortschritte und Rückschläge noch verfolgen können, dann trennten sich unsere Wege.
Es war schon mühsam mitunter und anstrengend sowieso, und oft gelang es ihr überhaupt nicht so, wie sie gerne wollte.

Aber das ist vielleicht immer so, wenn ein Mensch beschließt, etwas in seinem Leben - oder gar sich selbst- zu verändern.
Die eigene Erkenntnis ist das eine, sie aber dann auch noch umzusetzen, „nur noch“, das ist dann oft gar nicht so leicht.
Auch wenn man selbst ganz sicher ist, das man nun den richtigen Weg gefunden hat, garantiert kommt nach den ersten Schritten irgend jemand und sagt: „Wie?? Was hast du vor? Och nee, das lass man lieber.“ Oder: „Du hast dich aber verändert, früher warst du aber viel umgänglicher…“
Da kann es schon sein, dass man manchmal denkt: so ein zwangsläufiges Ereignis wie es der Saulus-Paulus erlebt hat, wäre gar nicht so schlecht!
So dass man gar nicht anders könnte, als ganz neu anzufangen;
Ohne dass die Erfahrungen der Vergangenheit einen dauernd einholen und beeinflussen, ohne dass man es noch will;
Unbelastet, couragiert, voller Elan und Power;
Aber: kann man sich so etwas eigentlich wünschen?
Planen und Erhoffen?

Ich glaube, gewünscht hätte sich Saulus so ein Erlebnis wie das vor Damaskus ganz bestimmt nicht, nie im Leben!
Auch wenn er vielleicht anschließend mit seinem neuen Leben als Apostel doch ganz zufrieden war.
„Damaskus-Erlebnisse“ plant man nicht, sie geschehen einfach, und man kann sie wohl auch erst im Nachhinein als solche deuten, dann, wenn schon alles anders geworden ist.
Aber wie kommt es dazu?
Das kann sehr unterschiedlich sein, gucken wir mal, wie es bei Saulus passiert ist.

„Er wütete mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn.“ Steht in der Apostelgeschichte.
Ein eher cholerischer Typ scheint er gewesen zu sein, einer, der schon mal fest zulangen konnte, wenn einer nicht so will, wie er sich das vorstellt, gar eine andere Meinung, einen anderen Glauben hat.
Das gehört sich doch nicht!
Zugleich hat er aber auch sehr korrekte, fast zwanghafte Züge.
Er möchte für Ordnung sorgen in den Synagogen.
Die Anhänger dieses neuen Christus-Glaubens bringen nur Unruhe in die Gemeinde und verwirren das Volk, das geht doch nicht.
Glauben doch tatsächlich, Jesus sei der Messias gewesen! So ein Unfug!
Saulus war ein hoch gebildeter, sehr frommer und religiös engagierter Mann.
Er kannte sich hundertprozentig aus in seiner Bibel und wusste, dass der Messias natürlich nicht aus Nazareth kommen konnte, die Propheten hatten etwas ganz anderes geweissagt.
Und dann wurde er auch noch gekreuzigt wie ein Verbrecher, das kann nicht sein!
Also ist es völlig logisch, dass Saulus schnaubt und wütet gegen diese Christen.
Ein gutes Werk will er damit tun, dazu helfen, dass dieser unmögliche neue Glaube so schnell wie möglich wieder ausgerottet wird und verschwindet, damit die Menschen wieder zurecht gebracht werden können.
Und Saulus ist auch ein vorsichtiger Mensch, er sichert sich ab mit seinem Vorhaben, holt sich Rückendeckung und besorgt sich in Jerusalem Empfehlungsschreiben von den beiden amtierenden Hohenpriestern an die Synagoge in Damaskus.
Er möchte, dass man ihm freie Hand lässt, ihn vielleicht unterstützt darin, die Leute ausfindig zu machen, die vom rechten Weg abgekommen sind.
Voll Feuereifer reist er nach Damaskus.
Und dann zieht es ihm selbst buchstäblich den Boden unter den Füßen weg.
Blendend helles Licht, eine Stimme, die auch die Umstehenden, mehr oder weniger Unbeteiligten, hören.

Das allein bewirkt die große Veränderung allerdings noch nicht.
Saulus hätte sich dieser Stimme wohl auch verschließen können, sie vielleicht als psychotisches Erleben auffassen können.
Aber das tut er nicht. Er lässt sich auf dieses ungewöhnliche „Gespräch“ ein, er antwortet – mit einer Gegenfrage.
Und hier, glaube ich, geschieht der eigentliche Umbruch, mit Saulus’ Frage nämlich: „Herr, wer bist du?“
In ihm muss aber zu diesem Zeitpunkt wohl doch schon etwas Entscheidendes geschehen sein.
Mit „Herr, Kyrios“ redet er die Stimme an, ein Ehrentitel, mit dem man höher Gestellte ansprach, Könige, Herrscher.
„Du bist etwas Besonderes“, sagte man damit. Ich erkenne deine Macht an.

„Herr, wer bist du?“ Das wird auch die Frage, die uns in den nächsten zwei Jahren im Konfirmandenunterricht beschäftigen soll.
Das wäre mir wichtig, dass Ihr neuen Konfirmandinnen und Konfirmanden das lernt, diese Frage immer wieder neu zu stellen und Eure eigenen Antworten darauf zu finden.
Denn das ist eine Frage, auf die es keine fertige, perfekte und immer und zu allen Zeiten und für jeden Menschen richtige Antwort gibt.
Natürlich wird es manche Übereinstimmung geben, über die man sich auch verständigen kann.
Aber wer Jesus für uns genau heute und hier ist, das hängt immer auch von unserer eigenen Lebenssituation ab!
Für Saulus war die Antwort in diesem Moment: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“
Für ihn war Jesus zunächst mal der, der sein ganzes bisheriges Leben durcheinander gebracht hat, ihn zutiefst in Frage stellte.
Später wird er dann auch noch zu neuen Erkenntnissen kommen.
Als er anfängt, überall in den Synagogen die neue Lehre zu verkündigen, da sagt: Jesus ist Gottes Sohn.
Jetzt könnten wir sammeln, welche anderen Antworten möglich wären.
Trösten
Stärken
Aufregen
Beunruhigen…

Offenbar braucht man Zeit für so einen Erkenntnis- und Begegnungsprozess!
Von Saulus jedenfalls erfahren wir, dass er nach seiner Vision nichts mehr sehen kann, so geblendet ist er von dem hellen Licht, das seine Vision begleitet hatte.
So hat er drei Tage, um nachzudenken, zu beten und sich neu zu orientieren.
Ich stelle mir das schon beunruhigender vor, als es sich im ersten Moment so anhört, drei Tage – na ja.
Aber das weiß Saulus ja vorher nicht, wie lange seine Dunkelheit dauern wird.
Nur, dass er irgendwie Anweisungen erhalten wird, sagt ihm die Stimme.
Drei Tage Enge und Angst, Dunkelheit und Orientierungslosigkeit.
Wie mag es weitergehen?

Drei Tage. Drei symbolträchtige Tage.
So wie das Alte Testament von Jona im Bauch des Fisches erzählt, und so wie die Ostergeschichte erzählt, dass Jesus nach drei Tagen im Reich des Todes wieder aufersteht.
So beginnt für Saulus nach drei Tagen ein neues Leben.

Als Ananias ins Spiel kommt.
Man kann ahnen, wie dem zumute ist, als er diesen Auftrag bekommt!
„Wie?“ fragt er, „Saulus? Zu dem willst du mich schicken, Gott? Das ist doch der, der deinen Heiligen überall das Schlimmste angetan hat!“
Da ist die Angst um die eigene Freiheit, denn was, wenn es schief geht?
Und außerdem ist es offenbar eine Zumutung für ihn, dass Gott da Großes mit einem vorhat, der sich so schändlich verhalten hat.
Ist das überhaupt möglich, steckt auch darin, dass einer sich so um 180° drehen kann, dass sogar aus einem Verfolger ein Christ wird?
Und wenn, kann man dann von denen, die bisher die Opfer waren verlangen, dass sie nun mit ihrem ehemaligen Peiniger womöglich sogar zusammen in einer Gemeinde leben?
Ananias ist nicht der einzige, der so denkt, als Saulus zu predigen anfängt, stürzt er damit die Synagogengemeinde in helle Aufregung und die Juden in Damaskus in Verwirrung.
Kann man so einem den glauben?
Ein verständliches Misstrauen.
Vielleicht umso mehr, weil bei uns mit Berichten von so plötzlichen und radikalen Bekehrungen auch oft Erfahrungen wach werden, wie sie die Studentin mit ihren Veränderungsplänen machen mußte: dass es nämlich ganz schön schwierig sein kann und anstrengend.
Auch wenn die große Veränderung im Leben des Saulus gerade nicht aus dem eigenen Entschluss entsteht, ist das im eigenen Erleben wohl schlecht voneinander zu trennen.
Aber gerade deswegen finde ich die Geschichte ausgesprochen ermutigend.
Sogar da noch, wo jemand in Verhaltens- und Glaubensmustern so festgefahren ist, dass er selber gar nicht mehr glaubt, dass sich etwas ändern könnte oder müsste, selbst da noch kann Gott Bewegung in ein Leben bringen, Aufbruch, neuen Anfang möglich machen.
Umwerfend manchmal.
Meistens eher langsam, Schritt für Schritt.
Trauen wir es ihm zu!
Amen

Elisabeth Tobaben
Ev. Luth. Inselkirchengemeinde JUIST
Elisabeth.Tobaben@evlka.de 

 


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