Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach und J. Neukirch

12. Sonntag nach Trinitatis, 29. August 2004
Predigt über Apostelgeschichte 9, 1-20, verfaßt von Gerhard Weber
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)

Die Bekehrung des Saulus

1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester
2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.
3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;
4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.
7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus;
9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

Liebe Gemeinde,

Saulus war ein ordnungsliebender Mann. Er nahm alles sehr genau und er war engagiert in seinem Beruf. Wenn er einen Auftrag bekam, dann erfüllte er ihn 200prozentig. Als eine neue Gruppe extremistischer Gläubigen auftauchte, sah er in ihnen eine große Gefahr für das Volk und er verfolgte sie mit aller Gewalt. Er hatte ein Gespür dafür diese Leute zu finden, denn er wusste, wo sie sich trafen.
Einen richtigen Namen hatte diese Gruppe sich noch nicht gegeben, sie wollten sowas wie ein “Neuer Weg” sein. Das Althergebrachte lehnten sie ab und wollten womöglich alles verändern und neu machen. Sie hatten diesen Anführer Jesus, den Pontius Pilatus hat hinrichten lassen.

Und obwohl dieser Jesus nun tot war, war diese Gruppe nicht tot zu kriegen.
Im Gegenteil: sie breiteten sich immer mehr aus. Saulus aber versuchte diese Anhänger mit aller Härte des Gesetzes zu bekämpfen. Darin war er erfolgreich und gefürchtet. Ob er sich wirklich inhaltlich mit seinen Gegner beschäftigt hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich genügte es ihm, dass die Regierenden diese Gruppe von Menschen als gefährlich eingestuft hatte, um sie zu bekämpfen und zu verfolgen.

Das Leben ist ein ständiger Kampf. So erleben es auch heute immer mehr Menschen. Das Lebensgefühl verändert sich, wenn Veränderungen anstehen, die uns verunsichern. Die soziale Absicherung steht auf dem Prüfstein. Die einen sagen, Veränderungen sind notwendig, damit wir auf die zukünftigen Herausforderungen reagieren können. Die anderen haben Angst, dass sich die Wohlhabenden auf Kosten der breiten Bevölkerung bereichern.

Errungenschaften, die sich über viele Jahrzehnte bewährt haben, sollen verändert oder abgeschafft werden. Sich zu verändern ist immer schwer, weil wir uns eingerichtet haben und uns schwer tun.
Auf der anderen Seite erleben wir seit einigen Jahren eine immer schneller werdende Neuerungsbewegung. Im Gesundheitswesen, auf dem Arbeitsmarkt, in der Schule, in der Pflege alter Menschen oder im Versicherungs- oder Steuerwesen. Überall werden ständig Neuerungen und Veränderungen eingeführt. Jeder muss sich ständig auf dem Laufenden halten, damit er nicht Nachteile erleidet.
Ich erlebe es immer wieder, dass besonders ältere Menschen da nicht mehr mitkommen und sich überfordert fühlen. Aber auch jüngere Menschen haben bei Veränderungen so ihre Schwierigkeiten. Wie schwer ist es von seinen schlechten Gewohnheiten loszukommen. Da will einer mit dem Rauchen aufhören und schafft es trotz vieler Tricks und Hilfestellungen nicht. Die Sucht und die Gewohnheit ist zu stark.
Oder der Alkoholkranke, der in die Therapie geht und sagt: “Ich will ja nur ein bisschen weniger Trinken.”
Der eigene Wille ist oft sehr schwach, wirklich Veränderungen im Leben zu bewirken. Wir Menschen müssen meist erst in eine tiefe Krise geraten, die uns dann bewegen kann, uns zu verändern.

So war es ja auch bei Paulus: Er kannte die neue Gruppe der Christen ja ganz gut, aber er hat sie durch die Brille der Ablehnung und des Hasses gesehen.

Erst ein äußeres Ereignis stürzt ihn in eine tiefe Lebenskrise. Die Begegnung mit seinem vermeintlichen Feind, der persönliche Kontakt mit Jesus, den er für tot hielt, bringt sein bisheriges Leben durcheinander. Er wird blind und verliert seine Orientierung. Alles, was sein bisheriges Leben ausmachte steht auf dem Prüfstein. Sein ganze Lebenseinstellung, sein Beruf - alles gerät aus den Fügen.

Wer das einmal in seinem persönlichen Leben durchgemacht hat, weiß, was das bedeutet: Wenn der Ehepartner auf einmal sagt: “Du, ich habe jetzt einen neuen Lebenspartner gefunden. Ach wie das mit den Kindern wird, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.” Wenn das ein Mensch sagt, dem man vertraut hat und auf den man baut, dann bricht eine Welt zusammen und es braucht viel Zeit wieder neu Orientierung und Lebensmut zu fassen.

Oder was kann es für Eltern bedeuten, wenn ihr erwachsener Sohn eines Tages nach Hause kommt und sagt: “Liebe Eltern, ich bin schwul, ich habe mich in einen Mann verliebt und möchte mit dem zusammen leben.” Da bricht erstmal eine Welt zusammen und es kostet dann viel Zeit und viele Gespräche bis die Eltern ihren Sohn verstehen und sie sich von ihren Vorstellungen und Erwartungen an ihren Sohn lösen können.

Auch Paulus braucht diese Zeit. Eine ganz natürlich Reaktion: Er kann 3 Tage nichts essen und nichts trinken. Alles, was er gemacht hatte steht nun auf dem Prüfstein von einem Moment auf den anderen. Er muss erstmal durch die Veränderung hindurch und das ist sehr schmerzhaft.

Freiwillig und von sich aus hätte er niemals sein Leben geändert. Er hätte so weitergemacht wie bisher. Es brauchte das äußere Ereignis. Heute fällt es uns natürlich an solche Lichtvisionen zu glauben, weil wir meinen, dass es mit unserer Lebensrealität nichts zu tun hat. Es geht aber ja nicht um die Lichtvision, sondern um das äußere Ereignis, das die Veränderung bewirkt.

Vielleicht erinnern sie sich daran, das wir vor 20 Jahren noch ein geteiltes Land waren. Wir waren jetzt im Urlaub an der Ostsee und ich bin am Strand von Travemünde Richtung Osten gelaufen. Alle Spuren der damals tödlichen Grenze sind verschwunden. Ich habe immer nach Resten gesucht. Wo ist die Grenze denn gewesen? Man muss es sich mühselig in Erinnerung rufen, wie brutal und menschenverachtend diese Grenze war. Wie viele Familien wurde auseinander gerissen, wie viele Menschenleben zerstört. Mir kamen die Grenzübertritte als junger Mensch in Erinnerung. Die Blicke der Grenzpolizisten bei der Abfertigung und die schwer bewaffneten Soldaten. Die Politiker haben in jahrelangen Verhandlungen versucht, Erleichterungen zu schaffen. Die Abschaffung der Grenze und die Wiedervereinigung wurde zwar immer wieder gefordert und als politisches Ziel propagiert, aber damit gerechnet, dass sie in absehbarer Zeit Wirklichkeit werden sollte, hat keiner.

Sie traf uns alle unvorbereitet, quasi aus heiterem Himmel. In Ost und in West. Wir waren überwältigt und begeistert. Eines Tages rasten die Trabis durch Göttingen.
Es war für viele Menschen wie ein Wunder. Nicht jahrelange Verhandlung in gemeinsamen Kommisionen haben dies bewirkt, sondern, dass ein Mensch einen Zettel gereicht bekommt und er einfach vor laufender Kamera vorliest: die Grenze ist offen!

Wir dürfen dieses historische Ereignis nicht vergessen. Es ist wichtig, dass wir die Befreiung und die Aufbruchstimmung dieses Ereignisses in Erinnerung behalten, auch und grade, wenn die praktischen Konsequenzen der Wiedervereinigung viele Opfer von uns verlangt haben und verlangen.

Wendepunkte im Leben sind immer wieder wichtig. An ihnen können wir neue Orientierung erfahren. Wir dürfen uns den Wendepunkten nicht verschließen, auch wenn wir Angst davor haben. Sie fordern uns heraus, unser Leben zu bedenken, ja zu überdenken. Und dabei ist es wichtig, dass es nicht immer nach unseren Wünschen gehen muss. Das Leben ist nicht dazu da, dass meine Wünsche erfüllt werden.

Es ist dazu da, mit anderen Menschen zusammen neue Hoffnungen zu entwickeln, damit wir den Herausforderungen des Leben bestehen können, im gesellschaftlichen, im beruflichen und auch im privaten Leben.

Wenn Menschen in Krisen geraten, dann ist es wichtig, dass sie begleitet werden. Auch Paulus wurde von seinen Begleitern an die Hand genommen. Das fällt uns schwer, wenn wir an die Hand genommen werden müssen. Wenn wir eingestehen müssen, dass wir auf dem bisherigen Weg nicht weiter kommen. Wenn wir vielleicht umkehren müssen.

Der Apostel Paulus hat sich nicht aus freien Stück zur Umkehr entschieden, er konnte eigentlich gar nicht anders. Er wurde von der Realität, von der Gegenwart Jesus so überwältigt, dass er keine andere Wahl hatte, als sein bisheriges Leben in Frage zu stellen.

Wie es weitergehen sollte, war nicht klar. Durch die Krise muss man erst hindurch. Gott hat Paulus durch diese Krise geführt und ihn zu seinem wichtigsten Mitarbeiter werden lassen. Aus dem Saulus ist später ein Paulus geworden, aus dem Verfolger der Christen ein Verkündiger der Frohen Botschaft, dass Gott in Jesus Christus alle Menschen liebt und sogar die schärfsten Gegner. Er nimmt uns alle an die Hand auf dem Weg durch ein Leben mit Höhen und mit Tiefen.

Auf diesem Weg bewahre der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Gerhard Weber
Pastor in St. Martin Geismar
Charlottenburger Straße 10
37085 Göttingen
email: gerhard.weber.goe@t-online.de


(zurück zum Seitenanfang)