Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 5. September 2004
Predigt über Matthäus 20, 20-28
, verfaßt von Karsten Nissen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(dänische Perikopenordnung)

Der dänische Witzzeichner Storm Pedersen hat eine Zeichnung von einem Bettler. Ein Mann kommt zu ihm und fragt interessiert: "Können Sie wirklich vom Betteln leben?" Und dieser antwortet: "Nein, manchmal muß ich etwas dazuverdienen!". Das heutige Evangelium sagt, daß wir vor Gott alle Bettler sind. Und wenn wir meinen, daß wir selbst etwas dazuverdienen können, dann werden wir von ihm zurechtgewiesen, der den Preis für uns bezahlt hat. Bettler sind wir - das ist wahr. So schrieb Martin Luther in seiner letzten Aufzeichnung. Und das will uns auch das heutige Evangelium sagen.

Es beginnt so menschlich. Es beginnt mit etwas, was wir alle kennen. Das Lob der Eltern für ihre eigenen Kinder. Daß Eltern auf ihre Kinder stolz sind und ihnen alles Gute wünschen - das ist ja wohl nicht unnatürlich. Und wenn es um das Urteil über die Kinder geht, dann sind wir Eltern wohl die letzten, die imstande wären, ein objektives, sachliches Urteil abzugeben. Wir meinen natürlich, daß unsere Kinder die besten sind.

Es ist deshalb auch keine ungewöhnliche Mutter, von der wir im heutigen Evangelium hören. Sie will für ihre beiden Söhne das Beste - und sie meint, daß beide es verdient haben. Ihr Mann hieß Zebedäus, und deshalb werden die beiden Brüder Jakobus und Johannes auch die Zebedäussöhne genannt.

Und nun geht ihre Mutter zu Jesus mit einer besonderen Bitte. Er soll schon jetzt Jakobus und Johannes den Platz zu seiner Rechten und Linken im Reich Gottes geben. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Mutter meint, ihre Söhne hätten das verdient. Und sie waren sicher auch tüchtig, fromm und Jesus ergeben. Sie hatten reichlich dazuverdient.

Die beiden Söhne des Zebedäus gehörten zum engsten Jüngerkreis um Jesus. Petrus, Jakobus und Johannes waren die drei sogenannten Lieblingsjünger, die Jesu mitnahm, als er am Gründonnerstag im Garten Gethsemane wachte und betete. Johannes nannte man den Jünger, "den Jesus lieb hatte". Er saß Jesus am nächsten, als dieser das Abendmahl einsetzte am Gründonnerstag. Der Überlieferung nach waren die beiden Söhne auch Vettern Jesu.

Wie unpassend es auch erscheinen mag, schon jetzt um Ehrenplätze im Reich Gottes zu bitten, so hatten die beiden Söhne guten Grund, eben um diese Plätze zu bitten. Denn diesen Platz hatten sie faktisch schon jetzt - hier auf Erden. Und ihre Mutter wollte die Zusicherung, daß sie diesen Platz auch im Himmel einnehmen würden. Im Unservater bitten wir: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden". Aber das, was die Mutter wünschte, war dies, daß es im Himmel sein sollte wie nun auf der Erde.

Und die beiden Brüder waren eifrig, bereit, den Preis für diese Ehrenplätze zu bezahlen. "Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde", fragte Jesus, und sie antworteten: "Ja, das können wir". Und das waren keine leeren Worte. Das geschah. Wieder erzählt die Tradition der Kirche, daß beide Brüder als Märtyrer starben. Was Jakobus und Johannes zu Jesus sagen, ist also dies: "Gib uns den Platz im Himmel, den du uns schon hier auf Erden gegeben hast. Wir kennen den Preis. Und wir sind bereit, ihn zu bezahlen". Wir verstehen wohl sowohl die Mutter als auch die beiden Brüder sehr gut. Ja, sie hatten viel, mit dem sie dazuverdienen konnten - ihren Glauben, ihre Hingabe, ihre Vertrautheit mit Jesus - ja ihr eigenes Leben.

Bettler sind wir - das ist wahr. Und es nützt nichts zu glauben, das wir imstande sind, etwas dazuzuverdienen. Eben hier entsteht wahrer Glaube. Der kommt nicht aus Übermut und Stolz über uns selbst und was wir haben. Der wahre Glaube kommt aus der Ohnmacht, ja vielleicht Verzweiflung über uns selbst. Wenn wir unsere eigene Ohnmacht spüren, wie unsere eigene Schuld wie ein Stein auf uns liegt, den wir nicht von uns wälzen können. Er zwingt uns auf den Boden, er scheint uns die Luft zu nehmen. Das schwere Gewissen. Die vielen unüberlegten Worte und Taten. Die Ohnmacht angesichts der Tatsache, daß wir etwas nicht ungeschehen machen können. Die Angst vor dem Gott, der heilig und rein ist. Die Last, die auf uns liegt. Schwer und dauerhaft.

Der Kern des Christusglaubens besteht darin, zu spüren, daß diese Last von uns genommen wird. Wenn Christus selbst als Geber des Glaubens die Verheißung wiederholt, die uns damals in unserer Taufe gegeben wurde: Du bist mein, und nichts soll uns trennen. Wir gehören ihm. Wir gehören ihm im leben und Sterben. Aber das tun wir nicht wegen uns selbst, sondern weil er den Preis für uns bezahlt hat. Weil er in seinem Leben, seinem Tod und seiner Aufer­stehung an unsere Stelle trat, und uns von seinem Glauben gab: "Mein Glaube ist wie eine Blase, die bersten kann, aber dein Glaube hielt stand bis zuletzt. O, Herr, dann glaube du für mich", heißt es in einem schwedischen Kirchenlied. Das ist die Gabe, die Befreiung, die Paulus so zum Ausdruck bringt: Ihr gehört nicht euch selbst, denn ihr seid teuer erkauft. Der Preis ist bezahlt.

Der anfangs erwähnte Zeichner Storm P. hat nicht nur Witzzeichnungen produziert. Er war auch ein sehr seriöser Künstler. Er malte Ölgemälde auf Leinen. Die konnten tief sozialrealistisch sein mit einer erschütternden Botschaft. Ich vergesse nie eines dieser Gemälde, die aus seinen frühen Jahren stammen:

Ein Bischof steht auf der Kanzel. Groß und rund und prall. Scheinbar sehr beredt. Das Bischofskreuz und das Ritterkreuz glänzen um die Wette mit dem in Samt gekleideten bischöflichen Bauch. Hinter ihm ahnen wir ein Kruzifix. Es ist ein Kruzifix, das Jesus in der Stunde des Todes zeigt. Gequält und ausgestoßen ist der Heiland ans Kreuz genagelt. Wir sehen deutlich, daß das Kreuz außerhalb der Stadtmauer aufgestellt ist. Hinter dem Kruzifix ahnen wir Reihen von armen, verzweifelten Menschen, und wir sehen große dunkle Mietskasernen, wie man sie aus Kopenhagen kannte.

Storm P. hat diesem Bild diesen Titel gegeben: Die beiden Kreuze. Das eine Kreuz glänzt auf dem Bauch des Bischofs. Das andere Kreuz steht unter Menschen am äußersten Rand der Ge­sellschaft. Das eine Kreuz ist aus Gold, das andere Kreuz aus grobem Holz, mit Blut getränkt. Das eine Kreuz ist freiwillig erworben, es bringt menschlichen Status und Ehre zum Ausdruck. Das andere Kreuz ist auferlegt und steht für menschliche Verdammnis und Erniedrigung.

So war Jesus der Knecht der Menschen. Sein Ehrensitz war damals nicht ein Thron im Himmel mit Jakobus und Johannes zur Rechten und zur Linken. Sein Ehrensitz, wie wir gesehen haben, war ein Kreuz, wo er einen Räuber zur Rechten und zur Linken hatte. So trank er den Kelch, der in seinem Leben darin bestand, treu zu sein bis zuletzt. Treu zu seinem Vater. Treu zu der Erde, die von Gott geschaffen war. Treu zum Menschen. Zur dir und mir

Aber eben dieses Kreuz ist dein und mein Heil. Eben das Kreuz, das auf Golgatha aufgestellt wurde, ist unsere einzige Hoffnung, das Einzige, was den Stein wegwälzen kann, damit wir die Befreiung, die Freude und den Lebensmut wiederfinden können. All das, was in den starken Worten liegt, die wir einander sagen dürfen: Auf den Befehl Jesu Christi und kraft seines Leidens und Sterbens vergebe ich dir alle deine Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Den Platz im Reiche Gottes bekommen wir nicht, weil wir tüchtige, fromme, begeisterte Nachfolger Jesu Christi sind. Nein den Platz im Reich Gottes erhalten wir als ein Gabe von Gott. Sich an die Gabe klammern, von der Verheißung Gottes leben, die uns in der Taufe zuteil wurde, das heißt im Glauben leben. Das können wir nicht verstehen. Wir können es nur empfangen, wenn wir von all dem umkehren, was uns gehört - von all unseren Sünden und unserer menschlichen Ehre - und die Gabe Gottes empfangen. Amen.

Bischof Karsten Nissen
Domkirkestræde 1
DK-8800 Viborg
Tel.: ++ 45 - 86 62 09 11
E-mail: kn@km.dk

 

 


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