Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 2004
Predigt über 1. Petrus 5, 5c-11
, verfaßt von Karl Rennstich
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


" Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen."

Liebe Gemeinde!

Wie hoch aktuell diese Worte gerade heute sind, wurde mir in den letzten Wochen klar. Die Bedeutung des Wortes Leiden lernte ich am eigenen Körper kennen. Ich hatte so furchtbare Schmerzen, dass ich weder essen noch trinken noch reden noch schlafen konnte. Zur Ablenkung setzte ich mich vor den Fernsehapparat. Als das schreckliche Leiden der Kinder und Erwachsenen um die Schule in Beslan in Rußland sah, das brutale, erbarmungslose selbstmörderische Terroristen Hunderten von Menschen beifügten, da ging mir der Satz unseres Predigtextes durch den Sinn: Der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.

Demut kann man unterschiedlich verstehen. »Der getretene Wurm krümmt sich wieder. So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit, von neuem getreten zu werden. In der Sprache der Moral nennen wir das Demut«, schreibt Friedrich Nietzsche, der Menschen bewundert, die sich nicht mehr treten lassen, sondern wie der Übermensch alle Dinge des Lebens selber in die Hand nehmen. Chesterton betont dagegen, dass nur die Sicheren, die Selbstbewussten sanftmütig und demütig sein können. Nur ein tief verwurzelter und in sich ruhender Mensch könne freiwillig diesen Weg gehen.

Aus der chinesischen Weisheit lernen wir: Ich habe drei Schätze, die ich hüte und hege. Der eine ist die Liebe, der zweite ist die Genügsamkeit, der dritte ist die Demut.
Nur der Liebende ist mutig, nur der Genügsame ist grosszügig, nur der Demütige ist fähig zu herrschen.
Die Bibel verbindet Leiden, Demut und Mitleiden mit den Brüdern und Schwestern in der Welt.

Die Mosegeschichte, auf die sich Juden, Christen und Muslime berufen, bringt Leiden und Demut in einen engen Zusammenhang. Moses Leiden begannen bereits mit seiner Geburt. Eigentlich hätte er gar nicht leben dürfen, denn nach dem damals erlassenen ägyptischen Gesetz mussten alle hebräischen Jungen sofort nach der Geburt getötet werden, um das schnelle Wachstum der Fremden zu verhindert. Hebräer, Ausländer, Fremde durften in Ägypten zwar arbeiten, aber sie hatten keine Rechte. Dass Mose lebte, verdankte er dem Einsatz der hebräischen Hebammen, die sich mutig gegen dieses unmenschliche königliche Gebot stellten, indem die Geburten nicht anmeldeten. Zur Rechenschaft gezogen sagten sie: die hebräischen Frauen sind so stark, sie brauchen uns Hebammen gar nicht. Die Kinder sind schon geboren bevor wir kommen.

Der von seiner Mutter in großer Not schließlich ausgesetzte und in Gottes Obhut übergebene Junge, fand in der Tochter des Pharao seine Rettung. Sie zog ihn aus dem Wasser und so erhielt er seinen Namen: Der aus dem Wasser gezogene.

Mose genoss in seiner Jugend die Privilegien der Reichen. Seine leibliche Mutter versorgte ihn im Auftrag der Königstochter. Doch er vergaß nicht seine Herkunft. Als er eines Tages mit ansehen musste, wie ein ägyptischer Aufsehen einen Hebräer misshandelte, tötete er den Aufseher. Er musste in die Wüste fliehen und wurde Hirte bei Jetroh, der später sein Schwiegervater wurde.

Mose musste lernen, dass Demut Bodennähe und Mut zum Dienen lernen. Demut ist aus dem Hebräischen ani abgeleitet. Martin Luther übersetzt den Begriff mit Elend. In den Seligpreisungen, der Magna Charta des Reiches Gottes, sind »Sanftmut und Demut« Merkmale des Jüngerlebens, christliche Grundwerte und Wirkung des Heiligen Geistes. Das älteste christliche Glaubensbekenntnis in Philipper 2,5-11 beschreibt den Weg Jesu Christi von oben nach unten.

Der Petrusbrief setzt die paulinischen Gedanken fort und betont die Gegenseitigkeit der christlichen Bruderliebe mit den Worten: „Alle aber umkleidet euch im Verkehr miteinander mit Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade. Im Urtext heißt es: die Demut wie eine Schürze anziehen.

Martin Luther unterstreicht in seiner Predigt über 1.Petrus 5, 9 unter dem Thema: Gemeinschaft der Leiden als Trost der Kirche, dass die schwersten Anfechtungen geistlicher Art seien wie beispielsweise Zweifel an Gott, Misstrauen gegen Gott und Gotteslästerung. Da werde der Mensch irre, er verschmachtet und verdorrt. Da sei es ein Trost zu wissen, dass ebendieselben Leiden über eure Brüder in der weiten Welt gehen. Am schlimmsten sei, dass die Selbstsicheren sich gar noch als Märtyrer fühlten. Sie hätten »den Teufel schon lange gefressen« und merkten gar nicht, dass sie selber schon längst siebenmal vom Satan verschlungen worden seien.

In dieser Leidenssituation wird Gemeinde zum »home for the homeless« (J.H. Elliott). Solidarität wird ausgedrückt durch Symbole wie geistliches Haus, (2,5), auserwähltes Geschlecht (2,9) zusammenwohnend (3,7), Miterbinnen (3,7) mitfühlend (3,8). Der Druck von außen fördert ungeheuchelte Bruderliebe. Jedes Gemeindeglied trägt Verantwortung für das Ganze, ausgedrückt in der Formulierung »allgemeines Priestertum«.

Christen in der Fremdlingsschaft und im Leiden stehen in Gefahr, sich zurückzuziehen an einen sicheren Ort. Der Orient ist die Heimat des Christentums. Im Augenblick erleben wir, dass das Christentum zur einzigen Religion wird, die in ihrem Ursprungsland nicht mehr existiert. Dietrich Bonhoeffer formulierte das solidarische Leiden der Christen so: “Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.“

Weil der Dialog der Religionen für alle Religionen wichtig ist, weil Religionen sonst zur Intoleranz erstarren, und die Gesellschaft ihre Dynamik verliert, fordert der jordanische Prinz Hassan die arabischen Christen zum Bleiben in Palästina auf. Wir hier in Deutschland sollten sie darin bestärken und uns nicht wie Friedrich Naumann vor gut hundert Jahren um politischer Vorteile willen von Christen distanzieren, sondern in jeder Form unterstützen.

Der 1945 verstorbene Theologe Leonard Ragaz, Mitbegründer des so genannten religiösen Sozialismus, der seine Professur mit allen damit verbundenen Privilegien an der Universität Zürich aufgab und hinab ins Arbeiterviertel zog, war überzeugt, dass Gewalt von Gott und von den Menschen trennt. Gewalt wolle die Erde erobern und könne sie doch nicht erobern und nicht behalten. Gewalt sei in sich nichtig. Sie stürze dahin vor dem Geiste, vor der Wahrheit, vor der Freiheit, vor dem Rechte. Sie stürze vor allem dahin vor dem Leiden um der Gerechtigkeit willen. Christi Reich behalte das letzte Wort. Das Kreuz sei stärker als das Schwert, das Ohnmächtige stärker als das Mächtige, das »geschlachtete Lamm« stärker als der Löwe. Die Welt gehörte zuletzt dem Geist, der Freiheit, der Wahrheit, der Liebe.
Gewalt könne nur üben, wer Gott nicht ehrt, den Herrn, der auch der Vater ist.

Deshalb heißt es auch heute noch: Widersteht fest im Glauben , und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Amen.

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
Reutlingen
Email: kwrennstich@gmx.de


(zurück zum Seitenanfang)