Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 2004
Predigt über Lukas 10,38-42
, verfaßt von Eva Tøjner Götke (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Es ist so alltäglich, was wir heute hören. Das Verhältnis zwischen Martha und Maria, zwei Schwestern. Ein Gast soll bewirtet werden.

Martha ist das wohlerzogene Mädchen, das tut, was es gelernt hat, nämlich Gäste zu bedienen und für Essen zu sorgen, dafür zu sorgen, daß sie sich wohlfühlen, zuhause fühlen - so wie sich das eben gehört, wenn man ein wohlerzogenes Mädchen ist.

Aber da ist Maria, die sich nur dem Herrn zu Füßen setzt und das beste Teil erwischt hat und seinen Worten lauscht.

So jedenfalls deutet Martha ihr Verhalten und verdächtigt sie der Faulheit und fehlender Solidarität, denn "jemand muß ja für das Essen sorgen".

Martha ist die, die dem Alltag erlegen ist. Sie hat kein Ohr für das "Mehr" in der Situation, als Jesus eintritt. Sie behandelt ihn wie einen gewöhnlichen Gast, der so bewirtet werden muß, wie sich das gehört.

Der Alltag kann uns in vieler Weise auffressen. Und das geschieht bei uns allen, entweder freiwillig oder unfreiwillig, daß er sich unser bemächtigt.

Wir können so sehr mit dem Alltag beschäftigt sein, damit, alle seine Rituale einzuhalten, die wir selber geschaffen haben, daß wir nie zum Eigentlichen kommen: Zusammenzuzählen, sich hinsetzen und über den Tag nachdenken und nicht nur darüber, was wir nun für das Essen morgen aus dem Gefrierschrank nehmen sollen.

Wir können am Alltag festkleben, weil wir ihn selbst unser Handeln bestimmen lassen, so daß er uns etwas tun läßt, wozu wir eigentlich gar keine Lust haben. Dann werden der Alltag und das Alltägliche zur sauren Pflicht. Das geschieht bei Martha.

Ich bin sicher, daß Martha nachher ihre Zunge abbeißen wollte, denn sie konnte ja sehr wohl hören, als der Satz in der Luft hing, daß sie sich mit ihrem Beleidigtsein selbst entlarvt hatte, daß sie also nicht "aus Herzen" und "mit Freude" für Jesus gesorgt hatte. Sie wollte eigentlich etwas anderes.

Aber wir sind selber nicht immer Herr darüber, daß der Alltag uns auffrißt.
Ältere Menschen können erzählen, daß etwas vom Schwersten am Altwerden das ist, daß die alltäglichen Notwendigkeiten - allein sich anziehen und aufstehen - in einem solchen Maße an den Kräften zehren, daß keine Kraft mehr da ist für anderes als die Sorgen des Alltags - wie sehr man auch etwas mehr will, wie wir heute sagen.

Das heutige Evangelium handelt von den Problemen und Dilemmas des Alltags. Zugleich aber handelt es davon, daß das Erfreuliche und Unerwartete plötzlich geschehen kann, daß es uns vergönnt ist und uns Anlaß gegeben wird, daß wir alles, was wir in den Händen haben, fahren lassen und entdecken, daß es etwas gibt, das nötiger ist als das tägliche Brot. Und das hebt den Alltag auf eine ganz andere Ebene.

Es gibt wirklich Wichtigeres als die alltäglichen Notwendigkeiten. Und das ist Geist.
Das einzig Notwendige, das ist etwas, was sich plötzlich offenbaren kann, sich uns zeigen kann, in unseren Alltag einbrechen kann und uns dazu bringen kann, alles fahren zu lassen, uns über die Sorgen des Alltags erheben kann und damit alles in einem ganz anderen Licht sehen läßt.

Das ist das Werk des Geistes.
Und das geschieht, als Jesus in das Haus bei Martha und Maria eintritt.
Für Maria!

Maria hat ganz einfach alles andere glücklich vergessen: ihre Pflichten, ihre Schwester, ihre Erziehung. Hier ist die Zeit, der Geist ist über sie gekommen, der Herr ist zu Besuch und sie hört ihm zu.

Und er spricht zu ihr - müssen wir vermuten - vom barmherzigen Vater im Himmel, der für seine Kinder sorgt und zu ihr sagt: "Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als Speise und der Leib mehr als die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen kann, ob er gleich darum sorget?"

Und Maria sitzt und denkt an das kleine Dorf, an die kleinen Verhältnisse, an all die Sorgen der Einwohner um das Wohlergehen, die Ernte, die Tiere, das Essen.

Und sie denkt an all die Unzufriedenheit, den Neid, der sich einstellt, wenn es jemandem gut geht.

Und sie denkt an all die Sorgen, die den Leuten den Atem rauben können - Sorgen, nicht gut genug zu sein, Sorgen, daß Gott nicht mit in ihrem Leben ist, weil Armut und Krankheit der deutlichste Beweis für Gottesverlassenheit zu sein scheinen, Sorgen um die Kinder, um das Urteil der anderen.

Und Jesus macht eine ganz andere Welt für sie lebendig. Eine Welt, die sich über die Sorgen des Alltags erhebt. Ein Leben, daß mit einem ganz anderen Maßstab gemessen wird als dem, mit dem wir einander und das Leben des anderen messen.

Und diese Welt wird mit seinem Besuch lebendig. Hier kommt ein fremder Mensch in die Tür. Er hat ihr Haus ausgewählt. Er ist unter ihr Dach gekommen. Ohne daß sie sich vorbereiten konnten oder sich entschuldigen konnten, daß sie doch dessen wahrlich nicht würdig seien.

Das einzige, was Maria tun konnte, war, sich zu seinen Füßen zu setzen. Denn sie wollte ihm gerne zuhören. Sie wollte gerne all das glauben, was er ihr erzählte.

Denn die Worte sind ein Geschenk für sie. Sie sättigen ihr Leben mit einer solchen Fülle, daß sie alles in ein neues Licht rücken. Nun ist der Alltag nicht mehr nur etwas, was man überstehen muß. Es gibt etwas, was man erst hören muß, ehe wir das gute Teil erhalten.

Das gute Teil ist, daß man in seinem Leben gegenwärtig ist und an es unter der Fürsorge Gottes glaubt. Daß man versteht, daß die Sorgen von uns selbst kommen, daß sie nichts mit dem Gericht zu tun haben, mit dem Gott über uns richtet. Um das Leben, das Gott gehört, brauchen wir uns keine sorgen zu machen. Gott ist der barmherzige Gott, der den Sündern vergibt, der Gast ist und selbst bei den Ärmsten in einem kleinen abgelegenen Dorf zu Gast ist.

Glauben wir daran, daß Gott auch uns besucht hat und uns entgegengekommen ist - im Geschehen der Taufe - uns entgegenkommt mit seinem Wort, wann immer es an uns ergeht, dann dürfen wir unser Leben, unseren Alltag in einem ganz anderen Licht sehen.

Sorglos - trotz unserer Sorgen. Wir dürfen die Freude im Alltäglichen sehen.

Die Freude im Alltäglichen: Daß man Wäsche aufhängen darf, Butterbrot für die Kinder schmieren darf, im Regen zur Arbeit radeln darf - ganz einfach - daß man leben darf! Das ist ja eine Grunderfahrung - die grundlegende Dankbarkeit und Freude, die wir vergessen, wenn alles aufgeht in Ärger über die Faulheit und Unhöflichkeit anderer:

"Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not".
Ja, es gibt in der Tat kaum eine Grenze für all das, um das wir uns Sorgen machen können.

Eines aber ist not. Und plötzlich haben wir das Glück, daß sich für uns offenbart, was das ist - wie dies bei Maria geschah.

Das geschah an diesem Tag nicht für Martha. Wir werden von ihr am nächsten Sonntag hören (in der Geschichte von der Auferweckung des Lazarus), wo sie bestimmt nicht so vom Geist verlassen ist wie in dieser Geschichte heute.

Das bedeutet, daß wir in Martha und Maria keine Stereotypen sehen sollen, wie wir dies vielleicht allzu oft tun, den Praktiker gegenüber dem Geistmenschen.
Wir sollen vielmehr die Lehre daraus ziehen, daß der Geist den Unterschied ausmacht.

Deshalb müssen wir darum bitten, daß der Geist über uns komme, so daß wir in jeder Lage wissen können, was das eine ist, das nottut. Daß wir von Herzen und mit Freude bewegt werden und handeln können. Amen.

Pastorin Eva Tøjner Götke
Platanvej 10
DK-5230 Odense M
Tel.: ++ 45 - 66 12 56 78
email: etg@km.dk

 


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