Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

15. Sonntag nach Trinitatis, 19. September 2004
Predigt über
1. Petrus 5, 5c-11, verfaßt von Ulrich Nembach
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Sorge

Liebe Gemeinde,

dieser Text erschreckt uns. Von „Demut“ ist die Rede. Unsere „Sorge“ sollen wir auf Gott werfen. Dabei wird täglich weitergebombt. Und doch – bei näherem Hinsehen – ist dieser Text für uns geschrieben; ich möchte sagen: gerade für uns geschrieben. Natürlich ist der Text vor fast 2.000 Jahren für andere verfasst worden, aber das Thema ist damals und heute ähnlich, in seiner Konsequenz so gar gleich. Demut, Sorge und damit auch drohendes Leid - denn nichts anderes ist Sorge – war damals das Problem und ist es heute. Selbst der Schauplatz ist ähnlich. Damals ging es um Christen in der Welt im römischen Reich, d.h. um Christen in dem Reich, das die damalige Welt umfasste, und wir leben in der Welt, der heutigen ganzen Welt, der globalisierten.

I.

Um was geht es konkret? Es ist die Sorge. Terror herrscht weltweit, von New York bis Tschetschenien, von Madrid bis Bagdad. Terror meint die Folgen von Gewalt, brutaler, rücksichtsloser Machtanwendung. Einmal sind die Folgen sind die Folgen körperlicher Art, Tod, Verletzte in Krankenhäusern. Terror meint zweitens die seelischen Folgen, die der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Wir beten in unseren Gottesdiensten für die Angehörigen unserer Verstorbenen. Terror meint drittens die Sorge, die Angst vor neuen Anschlägen. Vor den Folgen eins und zwei, vor Tod und Verletzung, vor seelischen Schäden.

Liebe Gemeinde, diese Sorge trifft uns alle. Die Sicherheitsorgane müssen ihre Arbeit tun, besser tun als in der Vergangenheit, aber ein Restrisiko bleibt. Die in Madrid fuhren zur Arbeit, in die Schule, die in New York waren schon an ihrem Arbeitsplatz, oder andere waren freudig in den Urlaub nach Bali, andere nach Djerba gefahren, wieder andere gingen voller großer Erwartungen zum ersten Mal in die Schule in Beslan. Sie alle wurden ge-troffen, ohne von irgendwelchen politischen Problemen be-troffen zu sein. Wer ist der nächste?

Diese Sorge sollen wir abgeben? Sollen wir Gott geben? Ist er so eine Art Annahmestelle für Pakete mit der Aufschrift „Sorge“? Der griechische Text und ihm folgend Luther sprechen gar von „werfen“. „Weg mit den Sorgen!“ ?

II.

Geht das? Fahre ich nicht zur Arbeit? Gehe ich nicht in die Schule? Nicht-Christen werden noch härter reagieren: Typisch Kirche.“ Manche Christen werden sagen: „Der Pfarrer hat gut reden. Kirchen waren bisher nicht betroffen,…“, bis einmal die Kirche in Bethlehem und einmal eine Mosche in Palästina.

Manche fragen härter, noch direkter: Gott? Gott soll zuständig sein für meine Sorgen? Wo war er bei den Anschlägen? Ja, wo wird er sein, wenn hier in Brandenburg Hartz IV am 1.1.2005 in Kraft treten wird? Andere werden sagen, „wenn hier in Essen Hartz IV in Kraft treten wird?“

Liebe Gemeinde, unser Text hat es sich nicht leicht gemacht. Er wusste wovon er im Weltreich Rom spricht. Die Welt damals war keine heile. Die Nachbarn waren zu Christen nicht freundlich. Die Christen selbst waren oft arm, unterdrückt, nicht selten Sklaven. Die Demokratie war zwar schon vor Jahrhunderten erfunden worden, aber sie fand keine Anwendung. Bis gar Menschenrechte proklamiert werden sollten, mussten noch Jahrhunderte vergehen. Wenn also der Text dennoch von Gott als Annahmestelle für Sorgenpakete spricht, dann ist das bewusst und im vollen Wortsinn gemeint.

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben“, heißt es im Johannes-Evangelium (3,16) und gleich im nächsten Vers:

„Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“

Um Gott geht es in unserem ganzen Predigttext. Unter Gott sollen wir uns demütigen, auf ihn unsere Sorgen werfen; er hat uns berufen. Darum schließt der Text mit einem Lob Gottes.

III.

Gott hat uns berufen – berufen in Jesus Christus. Lassen Sie mich noch einmal die Bibel zitieren, dieses Mal Paulus, 1. Kor.3, 16:

„Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“.

Diese Feststellung ist die Antwort auf das Leid, die Sorgen. Damals und heute! Diese Konsequenz sehen aber nicht alle Menschen als Antwort auf das Leid. Leid wird unterschiedlich erlebt. Einige Beispiele aus der Dichtung. Sie spiegelt uns Menschen, unser Erleben.

Wir erleben das Leiden sehr direkt. Es gab andere Epochen, auch in Deutschland, die das Leid sehr direkt erlebten, davon geprägt wurden und ihr Erleben beschrieben haben. Eine davon sind die Jahre zwischen 1760 bis 1790. Geistesgeschichtlich gesehen werden diese Jahre als „Sturm und Drang“ nach dem Titel eines Schauspiels von Friedrich Maximilian Klinger (1752-1831) bezeichnet. Friedrich Schiller (1723 -1796) schrieb damals sein Stück die Räuber (uraufgeführt 1782), Wolfgang Goethe (1749 – 1832) den Roman „Die Leiden des jungen Werthers« (1774, Neufassung 1787); in Göttingen versammelten sich Dichter zum „Göttinger Hain“ (gegründet 1772). Es geht in allen diesen Werken um Erlebnisse. Diese waren oft verwirrend. Klinger wollte sein Schauspiel ursprünglich „Wirr-Warr“ nennen. Erst später gab er ihm den Titel „Sturm und Drang“. „Wirr-Warr“ wäre treffend gewesen. Alles ist verwirrend. Der Grund dafür ist Leiden. Es sind seelische Leiden. Sie sind gewaltig. Klinger schreibt an einer Stelle in seinem Stück: „Unser Unglück kommt aus unserer eigenen Stimmung des Herzens, die Welt hat dabei getan“ (=dazu getan, mit-gewirkt), „aber weniger“ (als wir selbst getan). Die Menschen leiden an sich selbst, können ihrem eigenen Herzen nicht entkommen. Das wohl berühmteste Stück Klingers trägt den bezeichnenden Titel „Das leidende Weib“. Es ist ein Trauerspiel. Der junge Werther in Goethes Roman erschießt sich, weil er seinem Leid nicht entkommt.

Von Erleben her zu leben, ist auch unsere Art zu leben (Gerhard Schulze, die Erlebnisgesellschaft, Kultursoziologie der Gegenwart, 1. Aufl., Frankfurt/New York 1993).

Die Menschen in und nach dem 30-jährigen Krieg litten ebenfalls. Paul Gerhard u.a. antworteten auf das Erlebte mit Liedern, sprachen von ihrem Leid. Sie warfen ihr Leid auf Gott. Paul Gerhard dichtete direkt: „Die Trübsal trübt mich nicht“ (EG 112,3). Schon früher,1598, hatte Cyriakus Schneegass gesungen:“In dir ist Freude in allem Leide..“ (EG 398,1). Im letzten Jahrhundert sangen die Menschen in Deutschland in den Leiden in und nach dem 1. und 2. Weltkrieg ebenfalls von Gott und Christus als Helfer im Leid. Neue Lieder entstanden in diesem Sinne und die alten Lieder von Paul Gerhard, Martin Luther u.a. wurden gesungen.

Dieser kurze Gang durch die Geschichte der Dichtung zeigt, dass Menschen leiden, Leid erleben, aber unterschiedlich damit umgehen. Das Erleben im „Sturm und Drang“ führt oft zum Tod, gar zum Selbstmord. Der leidende junge Werther erschießt sich. Er muss den Verlust der Geliebten erleben; dies kann er nicht ertragen. Anders reagieren Schneegass, Gerhard. Menschen reagieren unterschiedlich.

Unser Predigttext ruft seine Leser auf, die Sorgen auf Gott zu werfen, demütig zu sein, im Glauben Versuchungen zu widerstehen.

Gott ist für uns da! Damals, heute und in der Zwischenzeit! Darum heißt es am Schluss des Textes und auch der Predigt:

„Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen“ (V. 11).

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
Göttingen
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

 

 

 

 


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