Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres, 7. November 2004
Predigt über
Römer 14, 7-9, verfaßt von Christian-Erdmann Schott
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


7. Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.
8. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir
leben oder sterben, so sind wir des Herrn.
9. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und
Lebendige Herr sei.

In diesen letzten Wochen im Kirchenjahr werden viele Menschen nachdenklich. Diese Wochen im November liegen in der Jahreszeit, in der die Blätter von den Bäumen fallen; in der auch die Blätter des Kalenders anzeigen, dass wieder ein Jahr unseres Lebens seinem Ende entgegengeht. Die Grundstimmung dieser Zeit ist Abschied, vielleicht auch ein bisschen Wehmut. Aber das kann auch dazu führen, dass wir uns für Fragen öffnen, die wir sonst gern wegschieben.

Nun platzen in diese Stimmung diese Sätze aus dem Römer-Brief, die überhaupt nicht stimmungsvoll sind. Im Gegenteil, es sind ausgesprochen anspruchsvoll „herrische“ Worte. Drei Mal ist in Vers 8 vom „Herrn“ die Rede. Das ist sicher kein Zufall. Die Zahl Drei ist eine heilige, eine vollkommene Zahl (Trinität) und unterstreicht mit dieser feierlichen Häufung unmissverständlich: Der Herr ist Gott. Alles Leben kommt von ihm her und geht zu ihm zurück. Er ist der Anfang und das Ende der Schöpfung, zu der auch wir gehören.

Wenn wir uns dieser hoch anspruchsvollen Aussage stellen, kann das für unser Leben Konsequenzen haben. Ich nenne diese:

I. Wenn wir Christen Gott „Herr“ nennen, ist das etwas anderes als wenn es zum Beispiel Juden oder Muslime tun. Denn wir sehen Gott, den Herrn, mit den Augen Jesu Christi. Christus hat uns gezeigt, dass wir in Gott in erster Linie den liebenden Vater sehen dürfen. Er hat uns durch seinen Sohn und Gesandten eingeladen, zu ihm zurückzukehren, nach Hause, wie der verlorene Sohn im Gleichnis, der ins Vaterhaus zurückfindet. Wenn darum hier im Römerbrief von Gott, dem Herrn, die Rede ist, soll uns das nicht klein machen, sondern es ist eine Einladung, in die Kindschaft zurückzukehren und unser Leben in seiner Gemeinschaft, als „Hausgenossen Gottes“, zu leben.

„Wir leben dem Herrn“ meint: Wir leben unser Leben im Vertrauen zu Gott, im Glauben, in Dankbarkeit, in Freude an der Gemeinschaft mit ihm und untereinander, ja sogar mit einem gewissen Glanz. Das Leben mit Gott, dem Herrn, ist keineswegs ohne Probleme, ohne Mühsal, ohne Kreuz, ohne Krankheit, ohne Tod, aber es ist doch überstrahlt von der Herrlichkeit des Herrn. Zu einem solchen Leben hat uns Jesus ermutigt ….“Kommet her zu mir alle…“ Und was das dann meint, hat er uns erzählt und gezeigt.

II. Wenn wir als Christen Gott „Herr“ nennen, meinen wir das absolut wörtlich. Es bedeutet, dass er der einzige Herr ist, dass es außer ihm keinen anderen oder gar höheren Gott oder Herrn geben kann. Das glauben wir vor allem gegenüber dem Tod und seiner sehr starken Herrschaft. Mit bloßem Auge und ohne Glauben gesehen, ist der Tod „der Herr“. Alles Leben läuft auf ihn zu. Am Ende hat er uns alle im Griff. Aber dagegen glauben wir, dass Gott höher, größer als der Tod ist. Der Tod ist eine Art Unter-Herr, vielleicht auch ein Werkzeug Gottes. Aber über ihm steht und herrscht Gott.

Das bekennen wir jeden Sonntag, wenn wir im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis sprechen. Wie sagen nicht „Ich glaube an den Tod, den Allmächtigen“, sondern „Ich glaube an Gott, den Allmächtigen…“

Darum glauben wir auch, dass unser Sterben uns nicht von Gott trennen kann. Wir dürfen uns daran halten, dass wir trotzdem in den Händen Gottes bleiben und dass wir, wenn wir sterben, nicht ins Nichts und nicht in den Tod hinein sterben, sondern in Gott.

Das hat Jesus Christus demonstriert, als er auf seinem Weg durch das Land Israel nach Jerusalem hinter dem Tod am Kreuz stets Gott im Auge hatte: „Ich gehe hin zu dem, der mich gesandt hat“ (Joh.7, 33). Damit hat er uns gezeigt, was Sterben heißt: „Sterben wir, so sterben wir dem Herrn“.

Durch seine Auferstehung wird das noch einmal unterstrichen. Es wird nämlich deutlich, dass das der Weg ist, den auch wir nach Gottes Willen gehen sollen und wie wir mit unserem Todesschicksal umgehen können. Damit wir das ernst nehmen, hat Gott Jesus Christus neben sich zum „Herrn“ gesetzt. Höher konnte er nicht greifen und deutlicher konnte er nicht zeigen, dass er uns auf den Weg Christi ziehen will, weg vom Weg des Todes, das heißt von der Verweigerung der Gottesgemeinschaft in allen ihren wie auch immer gearteten Erscheinungsformen.

Jesus Christus ist damit auch hier der Schlüssel zum Verständnis dieser Worte des Apostels Paulus: Durch Christus finden wir ins Leben, lernen wir zu leben und durch ihn lernen wir auch zu sterben.

Das meint aber zugleich, dass nicht allein der Tod, sondern dass alle anderen Herren, Mächte, Größen, Menschen und Moden uns nicht Angst machen und durch die Angst beherrschen können. So lange wir den Blick fest auf Gott, auf Jesus Christus, auf das Wort, das von ihnen Zeugnis ablegt, richten, so lange wir „dem Herrn“ leben und/oder sterben, haben wir eine feste Ausrichtung, die uns allen anderen Angeboten gegenüber eine große innere Freiheit gibt.

Lassen Sie mich nun noch auf den Eingangsvers zurückkommen: „Unser keiner lebt sich selber“. Das klingt auf der einen Seite nach enger, fast inniger Gemeinschaft zwischen Gott und uns. Es kann aber auch nach Abgrenzung klingen: Wir von der christlichen Gemeinde, wir leben mit Gott, die anderen nicht.

Ich denke, von beidem schwingt etwas in diesem Vers mit und beides muss es auch geben: Unsere Ausrichtung auf Gott verträgt nur eingeschränkt daneben auch eine Ausrichtung und Orientierung an anderen Inhalten und Zielen. Der Anspruch des eifersüchtig liebenden Gottes ist total. Gott, der Herr, verträgt keine Nebengötter – und seien sie noch so sinnvoll: Gesundheit, Familie, Beruf, Karriere. Das müssen wir uns immer wieder klar machen – zu unserem Heil.

Denn wir kommen nicht zur Ruhe, wir werden nicht heil und ganz, sondern unsicher und ängstlich, wir verlieren unsere Kraft, wenn wir uns von der Mitte unseres Lebens, von Gott, entfernen.

Es macht Sinn, dass wir uns daran erinnern. Wenn diese Wochen der fallenden Blätter und der spürbar dahin ziehenden Zeit uns in dieser klaren Ausrichtung erneut bestärken, dann sind auch diese Wochen in der dunklen Jahreszeit gesegnet. Dass sie das sein möchten, wünsche ich uns allen. Amen.

Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroem-Straße 21
55124 Mainz (Gonsenheim)
Tel.: 06131-690488
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