Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Buß- und Bettag, 17. November 2004
Predigt über
Römer 2, 1-11, verfaßt von Rudolf Rengstorf
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Die Rede von Gottes Zorn ist in der Kirche so gut wie verstummt. Das hat mit Sicherheit damit zu tun, dass sie so oft missbraucht wurde. Missbraucht wurde dazu, die Kleinen dem Willen der Großen gefügig zu machen. Nach der Devise: Wenn du tust, was ich nicht will, wird Gott zornig und straft dich. Gott sei Dank haben wir das inzwischen durchschaut und wissen: Nein, die Rede von Gottes Zorn eignet sich nicht mehr als himmlischer Druckverstärker für irdische Herrschaftsverhältnisse. Und in der Kindererziehung ist sie allemal unangebracht.

Aber nun nur noch vom lieben Gott zu reden, der für alles Verständnis hat, der jeden so annimmt und lässt, wie er ist - das macht aus dem Schöpfer und Eigentümer der Welt, dem Ursprung und Sinngeber menschlichen Lebens, eine nichtssagende Belanglosigkeit, nimmt ihm die Ehre, von erwachsenen Menschen ernstgenommen und respektiert zu werden. Dass Gott in der heutigen Welt so bedeutungslos erscheint, das haben die Kirchen mit ihrer Rede vom immer lieben Gott selber mit verursacht. Was fällt uns eigentlich ein, ihm, der uns Menschen erdacht hat, die Fähigkeit abzusprechen, wie wir im Innersten getroffen und verletzt zu sein - über das, was wir aus seiner Schöpfung, aus uns selbst und aus ihm gemacht haben?
Was wäre das für ein Gott, der sich seine Welt einfach nehmen ließe und sich zufrieden damit gäbe, von den Herren und Damen, die sie ihm genommen haben, noch toleriert zu werden – als Zugeständnis an die Ewig-Gestrigen und die geistig Zurückgebliebenen?
Und ebenso wenig lässt er es sich nehmen, den Menschen zur Rechenschaft zu ziehen für das, was er getan hat.

Und diese Vorstellung mag einen - wenn auch ungewohnt - doch mit einer gewissen Befriedigung erfüllen: dass Gott sich nicht alles gefallen lässt und auch diejenigen, die in diesem Leben mit ihren Untaten unbehelligt davonzukommen scheinen, ihn am Ende immer noch vor sich haben. Wenn Gott nicht nur lieb ist, sondern auch richtet, dann ist die Weltgeschichte nicht das Weltgericht. Dann triumphieren die Täter am Ende nicht über die Opfer. Und dann ist es kein Zufall, daß wir den Sinn für Recht und Gerechtigkeit in uns tragen. Obwohl man doch am besten zu fahren scheint, wenn man sich nur nach dem richtet, was einem nützt. Das ganze erste Kapitel seines Briefes an die Römer hat Paulus darauf verwandt, die Menschen vorzuführen, die die Gebote in flagranter Weise verletzen und die Welt so durcheinander bringen, dass man darüber nur in heiligen Zorn geraten kann.

Und jetzt, im zweiten Kapitel, richtet er sich genau an sie, die gepackt sind von heiligem Zorn über die Ungerechtigkeit und die Bosheit dieser Welt.. "O Mensch", ruft er aus, so als müsse er sich gleich gegen mehrere Vorwürfe erwehren - etwa solche: Warum erzählst du denn uns von all den Gräueltaten, die da draußen von den Gottlosen begangen werden? Denen musst du das sagen! Statt dich mit deiner Buß- und Strafpredigt vor uns unbescholtenen und rechtschaffenen Bürgern und Christen dicke zu tun! "O Mensch", so hält er ihnen entgegen, "du kannst dich nicht entschuldigen, auch wenn du noch so sehr meinst, im Recht zu sein." Und dann stellt Paulus in schon unerhörter Weise die, die sich in heiligem Zorn über schreiendes Unrecht empören, auf ein und dieselbe Stufe mit den Tätern. Nicht, weil er - wie ein Psychologe - an die Abgründe auch in der Seele des Anständigsten denkt. Er hebt vielmehr darauf ab, dass wir bei unserem Richten und Verurteilen dazu neigen, uns mit Gott an die Stelle Gottes zu setzen und uns gegenüber, seinem Rechtsanspruch an uns faktisch zu immunisieren. Und das haben wir – anders als die Zeitgenossen des Paulus – damit zur Perfektion gebracht, dass wir ihn als ständig lieben Gott verharmlosen. Wir die Richter - und er, dessen Beruf es ist, gnädig zu sein Was für eine Perversion!
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es liegen Welten zwischen uns und den Folterknechten, Kindesschändern, gnadenlosen Kredithaien, gewissenlosen Betrügern und bedenkenlosen Lüstlingen. Hier alles in einen Topf zu werfen, wäre unverantwortlich.

Und doch gibt es etwas, was uns mit ihnen verbindet und uns vor Gott mit ihnen auf eine Stufe stellt: nämlich ein Leben, das ziemlich weit entfernt ist von dem, der nicht nur hier und da eine freundliche oder gar fromme Erwähnung von uns erwartet, sondern der uns mit Herz und Kopf und Hand und Fuß - ganz und gar - als seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben will. Wer sich so Gott zur Verfügung stellt, der überlässt ihm das Richten über andere Menschen, und der schlägt bei der Buße wie es vom verlorenen Sohn heißt - "in sich", statt mit seinen Urteilen um sich.
In der Tat und Gott sei Dank gibt es ja diese Menschen, die durchdrungen sind von der Nähe Gottes, geprägt von seinem Willen, ohne anderen dabei die Luft zu nehmen, sondern im Gegenteil: Raum geben sie und strahlen eine Güte aus, die aufatmen lässt.
Nur: mein Leben ist weit weg davon. Was tue ich denn schon, die Verhältnisse, die ich gerne so lauthals beklage, an meinem Platz, mit meinen Möglichkeiten zu ändern? Wenn ich darauf achte, was in meinem täglichen Leben für mich wichtig ist, wonach ich mich richte. wovon ich mich leiten lasse: da spielt der Wille Gottes nur sehr indirekt eine Rolle. Und wenn der Gedanke auf ihn kommt, was bei einem Pastor ja unvermeidlich ist, dann vor allem in der Weise der Illusion, als sei zwischen ihm und mir im wesentlichen alles in Ordnung. Diese Art von Ordnung, da muss ich Paulus recht geben, beleidigt Gott. Er wird sie sich nicht gefallen lassen. Und was das am Ende für mich bedeutet - ich wage es mir nicht auszumalen.

Doch merkwürdig, mitten in dem Text über den zornigen Gott auf dem Weg zum Gericht, erklingen ganz andere Töne: "Verachtest du den Reichtum, seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Umkehr treibt?" Denn da ist etwas Unglaubliches geschehen: Auf dem Weg zum Gericht ist der Richter umgekehrt, weil er nicht auf die Angst des Angeklagten aus ist. Sein und ihr Herz möchte er haben, das sich anstecken lässt von seiner Güte. Das Wort Buße wäre etwas Schreckliches, weil Aussichtsloses, wenn nicht er, der es uns zuruft, die Arme aufhielte und sagte: Und jetzt kommt, und lasst euch auf die Füße stellen. Kommt, und lasst euch helfen, dass ihr heraus kommt aus dem leichtfertigen Schlechtreden, der gnadenlosen Geschäftigkeit, der ungläubigen Skepsis, dem routinemäßigen Umgang ,it der Not anderer, der Schwerhörigkeit gegenüber eurem Gewissen. Lasst euch helfen, dass ihr da heraus kommt und ihr die Zeit nutzt zur Güte! Dazu habe ich euch das Leben gegeben. Dass es gut wird mit euch und meiner Welt im ganzen, das ist das Recht, auf das ich aus bin. Und auf diesen Weg möchte ich euch mitnehmen. Amen.

Superintendent Rudolf Rengstorf
Wilhadikirchhof 11
21682 Stade

 


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