Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag, 21. November 2004
Predigt über
1. Korinther 15, 35-38.42-44a, verfaßt von Wolfgang Winter
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Aber – so wird jemand fragen - wie werden die Toten auferstehen? Mit was für einem Leib werden sie kommen? Du Tor! Aus dem Samen, den Du ausstreust, wächst kein Leben, wenn das Samenkorn nicht zuvor stirbt. Und was du säest, das ist ja nicht schon der Leib, der ja erst werden soll, sondern ein nacktes Samenkorn, vom Weizen etwa oder von sonstigem Saatgut. Gott aber gibt ihm dann seinen Leib, wie er es bestimmt hat; und zwar jedem Samenkorn seinen eigenen Leib.
So steht es auch mit der Auferstehung von den Toten. Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Unehre, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwachheit, auferweckt wird in Kraft. Gesät wird ein beseelter Leib, auferweckt ein geistlicher Leib.“

Liebe Gemeinde,
heute, am letzten Sonntag des Kirchenjahres, gedenken Viele ihrer Toten. Viele gehen heute an die Gräber auf dem Friedhof. Erinnerungen an vergangene gemeinsame Zeiten werden wieder wach. Vielleicht stellt sich auch die alte Traurigkeit wieder ein über den Verlust eines nahen Menschen. Und vielleicht ist heute wieder ein Stück der altbekannten und so mühsamen Trauerarbeit nötig: das erneute Anerkennen der Wirklichkeit eines Verlustes und das tapfere und zuversichtliche Anpacken eines Lebens ohne den verstorbenen Menschen.

Die eindrucksvollen Sätze aus dem 1. Korintherbrief von Paulus eröffnen aber noch eine weitere Perspektive. Es sind Sätze aus einem großen Kapitel, in dem Paulus die christliche Auferstehungshoffnung beschreibt. Er beschreibt hier, wie der christliche Glaube in seinem Kern Glaube an Gott ist, der seine Macht über den Tod in der Auferstehung Jesu bewiesen hat. Mit diesem Jesus Christus sind auch wir verbunden und haben damit Anteil an seiner Auferstehung. Der Tod soll nicht das letzte Wort haben. „Als letzter Feind wird er vielmehr zunichte werden“. (1. Kor. 15, 26)

Dies Bekenntnis zur todüberwindenden Macht Gottes in Jesus Christus setzt unser Predigttext fort. Skeptikern und Zweiflern hält Paulus scharf entgegen: Du Tor, in der Natur kannst Du es ja beobachten, das immer wiederkehrende Stirb und Werde! Der Samen muss sterben, um Leben hervorzubringen. Und der nackte Samen wird später mit einer ansehnlichen Frucht bekleidet. So gibt Gott jedem nackten Samenkorn den zu ihm passenden Leib, das zu ihm passende Kleid. Und so – darauf läuft die Natur-Analogie hinaus – steht es auch mit der Auferstehung von den Toten. Auch hier zuerst die Sphäre des Todes: Vergänglichkeit, Unehre, Schwachheit, irdischer (beseelter) Leib, dann aber Gottes wunderhaftes Eingreifen. Auferstehung in Unvergänglichkeit, Herrlichkeit, Kraft. Der geistliche Leib.

Man kann bezweifeln, ob Paulus mit seiner Natur-Analogie damalige oder heutige Skeptiker der Auferstehung von den Toten beeindrucken konnte oder kann. Ich denke, am entscheidenden Punkt versagt die Analogie. Das Stirb und Werde eines Samenkorns ist ja durch einen internen, organischen Zusammenhang, ein genetisches Programm, verursacht. Paulus will aber genau das Gegenteil sagen: im Menschen selber steckt gerade keine Potenz, die ihn unsterblich macht und Anteil an Gottes Macht gewinnen lässt. Es ist allein und ausschließlich die Wundermacht Gottes, die den Menschen aus dem Tode rettet. Gerade die Anti-Thesen vergänglich - unvergänglich, unehrenhaft - herrlich, schwach – kräftig, seelisch – geistlich sollen bekräftigen, dass es um ein unerwartetes, neuartiges Geschehen geht: Gott bleibt seiner Schöpfung und seinen Geschöpfen treu – durch den Tod hindurch. Ja, Gott sieht in Christus seine Menschen noch in einer besonderen Weise an. Luther hat diese Blickrichtung Gottes so beschrieben:

„Menschen wollen in die Tiefe nicht sehen. Wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist, da wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, da läuft jedermann davon ... Gott allein ist solches Hinsehen vorbehalten, das in die Tiefe, die Not und den Jammer sieht, und so ist er allen denen nahe, die in der Tiefe sind.“ ( M. Luther, Das Magnificat verdeutscht und ausgelegt, 1521)

Dies ist also die neue Perspektive, die neue Hinsicht: in den Augen Gottes ist unsere Geschichte mit den Toten noch nicht zu Ende. Diese Geschichte hat noch eine Zukunft. Wir Lebenden und unsere Toten sind noch nicht das, was wir einmal sein werden. Paulus hat dafür überschwängliche Ausdrücke gefunden: Unvergänglichkeit, Glanz und Herrlichkeit, Kraft. Das sind Bilder für einen Zustand, der über unser Vermögen, auch Vorstellungsvermögen hinausgeht. Wichtig ist aber vor allem, dass Gott seine Beziehung zu uns, wo, wer und wie wir auch sein mögen, nicht aufgibt, und dass wir deswegen unsere Beziehungen zu anderen, und eben auch zu unseren Toten, nicht aufgeben müssen. Die Trauer und die Trauerarbeit angesichts von Verlusterfahrungen ist gewiss nötig und unvermeidlich. Aber über die Trauer hinaus gibt es auch Hoffnung auf den Gott, der stärker ist als Trennung und Tod.

Freilich – Gottes Blick reicht über unsere Geschichten und unsere Beziehungen zu den uns nahen Menschen weit hinaus. Gott ist allen Menschen nahe, die von der Macht des Todes bedroht sind. Von dem großen Theologen des letzten Jahrhunderts, Karl Barth, wird eine Geschichte erzählt, die ich immer noch gut finde. Bei einem Tischgespräch ging es um die Frage von Tod und Auferstehung und ewigem Leben. Da wollte eine Dame von dem Professor wissen: „Können Sie mir ganz klipp und klar sagen: Werde ich im Himmel gewiss auch meine Lieben wiedersehen?“ Barth erwiderte daraufhin spontan: „Machen Sie sich darauf gefasst, nicht nur Ihre Lieben!“ – Wir können fortsetzen: .... sondern auch Fremde. Und auch Leute, die Sie nicht mögen, Gegner, Feinde. Das Leben mit Gott geht also weit über den privaten Lebenskreis hinaus. Die Hoffnung auf ein Wiedersehen im Jenseits ist keine Privathoffnung, in der wir mit unseren Lieben unter uns sind. Es ist eine Hoffnung auf den Sieg des Lebens über die Todesmächte in der ganzen Schöpfung. „Wir wissen, dass alle Kreatur sich sehnt mit uns und sich noch immer ängstigt. ... Wir sind wohl gerettet, doch auf Hoffnung hin.“ So Paulus in einem anderen Brief (Röm 8,22).

Ob wir diese Hoffnung nicht nur für uns und die Unsrigen, sondern auch für die Anderen – also eine weltweite Hoffnung auf die Überwindung der Todesmächte - aufrecht erhalten können? Vieles spricht dagegen. Die Leidensgeschichten der Opfer von Terror und Folter. Unsere Verunsicherung angesichts der Verletzbarkeit moderner Gesellschaften, wie sie uns jeder Anschlag wieder bewusst macht. Der Umschlag multikultureller Toleranz in Abkapselung von Kulturen und Subkulturen und daraus entstehende Projektions- und Gewaltbereitschaft. Aus Fremden werden dann schnell Feinde. Schließlich auch die drohende Zerstörung unserer eigenen Lebensgrundlagen auf dieser Erde durch unsere Ökonomie.

In dieser Lage verabschieden sich manche von der Hoffnung für die Welt. Das Lebensmotto heißt dann: Lebe in der Welt, als hättest Du damit nichts mehr zu tun; vielleicht ist es sogar gut, wenn die Heillosigkeit noch deutlicher wird: um so schneller und herrlicher kommt die neue Welt. In deinem Innern bist Du schon frei, bist Du schon bei Gott.
Eine andere Form der Hoffnungslosigkeit ist viel verbreiteter: versuche, dich gut einzurichten in dieser Welt. Was irgendwann mal kommt, das kannst Du von Dir fernhalten. Es geht um das Hier und Jetzt. D. h.: was kann ich mir kaufen, was kriege ich heute, was kann ich jetzt erreichen?

Solche Tendenz zur Resignation, zum Rückzug aus der Welt und der Hoffnung für die Welt kennen wahrscheinlich Viele. Ich selber kenne sie bei mir auch. Wie aber kann es geschehen, dass jemand aus der Resignation und Isolierung herauskommt und wieder Vertrauen fasst in die lebenschaffende Macht Gottes und sich wieder verbunden fühlt mit den Mitgeschöpfen auf dieser Erde? Ich meine, dass es hier vor allem um eine Offenheit geht, ein Aufmerken auf Zeichen der Lebensmacht Gottes in unseren alltäglichen Lebensvollzügen. Es geht gewissermaßen um einen zweiten Blick, um eine andere Perspektive in Alltagsverhältnissen.
Eine solche Erfahrung habe ich kürzlich selber gemacht.
Ich bekam Besuch von Zeugen Jehovas. 2 junge Männer, ordentlich in Schlips und Kragen, stellten sich vor und baten um ein Gespräch mit mir. Ich führte sie in mein Zimmer und nach einigen Höflichkeiten zu Beginn kamen sie schnell zur Sache. Sie sagten, sie wollten mich zur Entscheidung rufen, der Kampf Gottes gegen Satan sei in vollem Gange. Die Kriege auf der Welt, die Gewalt, die Zerstörung, Ausbeutung von Mensch und Natur, dahinter stecke der Satan. Aber Gott werde bald ein Ende machen und Feuer und Schwefel über die Bösen regnen lassen. Er werde sich mit Macht durchsetzen und die Bösen ausrotten. Millionen würden zugrunde gehen – aber ich könne mich jetzt noch für Gottes siegreiche Seite entscheiden.

Ich merkte, dass ich unterdessen unruhig wurde. Ich fing an, mich zu ärgern. Dann sagte ich sehr scharf: „Wie können Sie und Ihr Gott das Leben von Millionen Menschen das Leben so kaltherzig verloren geben!“ Ich hatte das Gefühl, einen unverdaulichen Brocken geschluckt zu haben, den ich unbedingt wieder loswerden wollte. Die Atmosphäre war nun gespannt und feindselig geworden.
Und dann geschah etwas merkwürdiges. Ich sah hinter den verschlossenen und harten Gesichtszügen der beiden Männer weiche und offene Gesichtszüge junger Leute aufleuchten. Zwei Menschbrüder. Es war, als ob ich Teil einer anderen Geschichte geworden wäre – einer Geschichte, in der der verstehende und liebevolle Blick nicht bricht unter dem Ansturm des Negativen, sondern standhält. Gottes Blick auf uns Mensch, und Gottes Geschichte mit uns Menschen: Der Herr lässt leuchten sein Angesicht über uns wenig ansehnlichen Menschen.

Der Rest des Gesprächs ist kurz erzählt: Ich gewann meine Fassung wieder, die Atmosphäre entspannte sich und die Verschiedenheit unseres Frömmigkeitsstils konnte zunächst einmal, zumindest von mir, akzeptiert werden.
Die lebenschaffende Macht Gottes ist in unserem Alltag längst gegenwärtig – es gilt sie nur zu entdecken.
Amen

Wolfgang Winter
Studienseminar der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers
stg@gwdg.de


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