Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag, 21. November 2004
Predigt über
Offenbarung 21, 1-7, verfaßt von Albrecht Weber
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Heute, am Toten- oder auch Ewigkeitssonntag, gedenken wir der im letzten Kirchenjahr verstorbenen Glieder unserer Gemeinde. Sie, die als Angehörige eines Verstorbenen unserer besonderen Einladung gefolgt sind, haben sich sicher gefragt: Was bringt mir solch ein Gottesdienst? Weckt er nicht lediglich all das Bangen, Zittern und Zagen in mir, was das Sterben oft begleitet oder ihm folgt? Kann denn Gott die schmerzliche Lücke füllen, die mit dem Tod meines lieben Familienmitglieds, Verwandten oder Freundes entstanden ist? Muss ich nicht letztlich mit meiner Trauer allein fertig werden? Gibt es außer schwachen Worten denn überhaupt einen Trost?

Ja, es gibt ihn, sagt der Seher Johannes. Er hatte im Rahmen einer Christenverfolgung im Römischen Reich hautnah erlebt, welch großes Leid durch den Tod einzelne Menschen, Familien und ganze Gemeinden überfallen kann. Er war auf eine einsame Insel mit Namen Patmos verbannt worden. Irdische Hoffnungen auf ein gemütliches, harmonisches Leben, auf eine berufliche Karriere oder ein schönes Familienleben hatten für ihn ein jähes Ende gefunden. Gab es in dieser traurigen Lage für ihn überhaupt eine Hoffnung? Mitten in dieser großen Not führte Gott ihn an einem Sonntag in einer inneren Schauung in den Himmel, wo er Jesus, den auferstandenen Herrn, sah. Das gab ihm großen Trost. Er spürte: Wenn Jesus, der im Auftrag Gottes einen Leidensweg ging, von Gott nach seinem Tod zu höchsten Ehren geführt worden ist, dann kann das auch für uns Traurige hier auf Erden ein Weg sein!

Während er noch darüber nachdachte, zeigte ihm Gott den weiteren Gang der Weltgeschichte und am Ende der Geschichte das Folgende. Ich lese es in der neuen Übersetzung durch Prof. Berger und Christiane Nord:

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Die Gestalt des alten Himmels und der alten Erde war nicht mehr da, auch das Meer nicht./ Ich sah, dass die heilige Stadt Jerusalem von Gott ganz neu erbaut war, geradewegs vom Himmel auf die Erde versetzt. Sie war schön wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat./ Vom Thron her ertönte eine laute Stimme: `Hier wohnt Gott gemeinsam mit den Menschen. Wenn Gott bei ihnen wohnt, sind sie endgültig sein Volk, und er ist als ihr Gott für immer bei ihnen./ Alle Tränen wird er von ihren Augen abwischen. Es wird keinen Tod mehr geben, und keine dumpfe Trauer, keine Verzweiflungsschreie und keinen peinigenden Schmerz. Denn alles, was früher war, ist vorbei.`

Gott auf dem Thron sagte: `Ich mache alles neu.` Und zu mir sagte er: `Schreib auf: Dieses Versprechen gilt!/ Und weiter schreibe: Ich habe es erfüllt. Denn ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, vor allem Anfang und nach allem Ende. Jeden, der Durst hat, lasse ich aus der Quelle des Lebens trinken./ Der Sieger wird das alles bekommen, und ich werde sein Gott sein und er mein Kind.`“

Liebe Gemeinde! Vor einiger Zeit saß ich durch Zufall einem Landesminister gegenüber. Wir kamen in ein angeregtes Gespräch. Er fragte mich, was ich von Nostradamus und anderen ähnlichen Weissagungsbüchern halte. Ich antwortete ihm, dass ich weder wisse, ob dies eine echte Prophetie sei noch dass sich in der uns vorliegenden Druckfassung Wortlaut und Deutung unzulässig miteinander vermischen. Ich empfahl ihm, die Offenbarung Johannes zu lesen. Er werde da wohl auch schwierige Dinge lesen, die er kaum verstehen könne- Theologen ginge es da nicht anders! -, aber er werde am Anfang und Ende dieses Buches etwas lesen, was ihn enorm beflügeln und mit Hoffnungsmut erfüllen könne. Ich nannte ausdrücklich auch die beiden letzten Kapitel der Offenbarung Johannes, denen auch unser heutiger Abschnitt entnommen ist. Natürlich wird weder dieser Minister, falls er meinem Rat gefolgt ist, noch irgendeiner von uns eine Reportage der neuen Welt geben können, selbst wenn wir dieses Kapitel wiederholt gelesen haben werden. Aber wir werden nicht mehr dieselben Menschen sein, wenn wir dieser Vision des Sehers Johannes erlauben, auf unser Innerstes zu wirken. Sie wird uns zu Menschen mit einer lebendigen Hoffnung verwandeln.

Was stellt uns Gott durch Johannes in Aussicht? Er stellt uns etwas Neues in Aussicht. Gott sagt nämlich kurz und präzise: “Ich mache alles neu.“ Also denken wir vielleicht, Gott folgt auch dem Trend und ist auf das Neueste aus. Denn nach dem Neuesten greifen wir gerne: Der neueste Hit, die neueste Mode und das neueste Buch gelten bei uns etwas. Wer will schon alt, konservativ oder von gestern sein? Jung und modern sein ist alles. Aber wir haben Gott missverstanden. Er hat nicht gesagt: „Ich liefere euch das Neueste“, sondern: „Ich mache alles neu.“ Während das für uns Neueste schon sehr bald alt aussieht und uninteressant wird, schafft Gott das Neue und Bleibende. Das Neue greift zwar mitten in unser alltägliches Leben von heute ein, aber es ist der Zeit weit voraus. Es stammt aus der Ewigkeit, die auch dann noch gilt, wenn Zeit, die irdische Lebenszeit wie die Zeit der Geschichte, zu Ende ist. Gott schafft nicht das Neueste, sondern das Neue, bleibend junge. Ich habe Christen auf ihrem Krankenbett gesehen, gezeichnet von einer Krankheit zum Tod, manchmal im hohen Alter. Aber ihrem Alter und ihrer Schwäche, selbst ihrer Krankheit zum Tod zu Trotz brannte in ihnen inneres Feuer, das sie für meine Augen in ihrem tiefsten Inneren als jung, von Gott erneuert und für die Ewigkeit vorbereitet zeigte. Dieses innere Feuer und einen tiefen Frieden konnte ich selbst dann noch bei ihnen entdecken, als sie nicht mehr sprechen konnten. Sie hatten es nicht mehr nötig, mit dem Neuesten zu kokettieren, sondern sie waren Menschen des Neuen. Das bleibend Neue, das Gott an ihnen getan hatte, machte sie zu Bürgern einer Welt, die Gott durch Johannes als einen neuen Himmel und eine neue Erde beschreibt.

Er beschreibt damit etwas eigentlich Unbeschreibliches und mutet uns zu, etwas zu erfassen, was eigentlich unfasslich ist. Wie kann das sein? Wenn ich mich von München mit dem Auto nach Süden aufmache, komme ich an einen Punkt, an dem ich von ferne die Alpen in Umrissen wahrnehme. Ich sehe hier noch keinerlei Einzelheiten, keine einzelnen Pflanzen, Tiere oder Menschen, die sich gerade dort aufhalten. Aber ich sehe die Umrisse eines großartigen Gebirges. So ist es mit einer Vision, auch der des Johannes. Wir sehen die Umrisse einer grandiosen neuen Welt, die Gott selbst schaffen wird; wir können sogar schon deutliche Unterschiede zu der Welt erkennen, auf der wir gerade beheimatet sind, aber die Feinheiten dieser Welt mit ihren Folgerungen bleiben uns einstweilen verborgen.

Welche Umrisse können wir erkennen?

  • Der Tod ist entmachtet, abgeschafft, „entsorgt“. Es gibt keine bangen Fragen mehr: Ist diese Krankheit heilbar? Wie lange kann ich noch leben? Wie soll ich ohne den Verstorbenen mit dem Leben fertig werden? Ganze Berufszweige, die dazu da sind, den Tod zu verhindern oder zu „verwalten“, werden arbeitslos: Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte, ambulante Notdienste ebenso wie Friedhofsdiener, Friedhofsgärtner und Beerdigungsinstitute. Das himmlische Arbeitsamt muss ihnen allen neue Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten. Auch für die Pastorinnen und Pastoren fällt ein wichtiges Aufgabenfeld weg.
  • Alles, was der Bild- Zeitung Schlagzeilen beschert, was manche neben ihrem Frühstückbrot wie ein Aufputschmittel konsumieren, Ereignisse des Terrors, Überfälle, Erpressung und Naturkatastrophen, kurz: alles, was uns ängstet und beunruhigt, wird nicht mehr sein. Die himmlische Bild- Zeitung hat nichts Aufwühlendes mehr zu berichten, die Ärzte keinen Nervenzusammenbruch mehr zu behandeln, und schweres Leid gehört endgültig und für immer der Vergangenheit an. Auch die Redaktionen einer himmlischen Bild- Zeitung werden sich daran gewöhnen müssen, über Positives zu berichten. Denn Chaotisches, was die Neugier der gelangweilten Leser erregt, wird es nicht mehr geben. Es wird dafür Spannenderes geben, eben positiv Neues, was Gott hervorbringen wird.
  • Die fatale Trennung zwischen Mensch und Gott, Erde und Himmel ist endgültig aufgehoben. Ja, kann denn ein Mensch und sei er der frömmste, behaupten, er lebe ganz im Einklang mit Gott? Kann irgendeine Gesellschaft auf der Erde behaupten, es herrschten in ihrer Mitte gerechte, faire und darum „himmlische“ Zustände? Gibt es irgendein Land, und sei es das sozialste, in denen es keine Menschen gibt, die eben „gleicher“ sind als gleich? Nein! Aber die Welt, die Gott uns durch Johannes fest zusagt, verspricht uns eben dies: Die Trennung des Menschen von Gott ist aufgehoben, weil das Herz der Menschen durch Gott erneuert ist. So passt es, dass ein neuer Himmel und eine neue Erde, von Gott geschaffen, Spiegelbild des neuen Menschen sind. Hier fühlt sich Gott wohl, hier kann er dem neuen Menschen ganz nahe kommen, hier kann er unter ihnen wohnen, in ihnen und mitten unter ihnen. Auch Tempel, Kirchen oder sonstige heilige Orte sind nicht mehr nötig, um Gott zu finden. Er wird vielmehr in unserer Mitte wohnen.
  • Das Widereinander von Volk gegen Volk, aller böser Nationalismus, alle braunen und sonstigen die Nation überhöhenden und Nichteinheimische ausgrenzenden Schlagworte und Verhaltensweisen werden der Vergangenheit angehören. Denn die ganze von Gott erneuerte Menschheit wird ein einziges Volk, das Volk Gottes, werden!
  • Wie bei einer Hochzeit wird ein rauschendes Fest, das endgültige Fest der Liebe Gottes zu den Seinen, gefeiert werden. Es werden keine blassen Frömmlinge auf die Menschen losgelassen werden, sondern ein blutvolles, freudevolles, liebevolles Fest von Gott selbst veranstaltet werden. Menschen, die Einlass in diese Stadt erhalten, werden selbst vital, freude- und liebevoll in nie bisher gekannter Tiefe sein. Die schönsten Feste, die wir je gefeiert haben, sind nur schwache Bilder für das Fest, das Gott für uns bereiten wird.
  • Diese neue Welt Gottes wird keinem Menschen aufgenötigt. Sie wird als Einladung all denen umsonst angeboten, die sich der Liebe Gottes zu ihren Lebzeiten anvertrauen und sie, wie bescheiden auch immer, erwidern. Es sind Menschen, die im Kampf gegen die Stimmen des Unglaubens in ihrer Umgebung und in ihnen selbst, gesiegt haben werden.

Als Philipp Nicolai, Pastor in Unna in Westfalen, gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit den Bewohnern seiner Stadt die Pest und viele Todesfälle zu bestehen hatte, zog er auf den Friedhof, wo er pro Woche oft 20- 30 Tote zu beerdigen hatte. Vom Tod und von vielfachem Sterben umzingelt, schrieb er auf dem Friedhof eine Trostschrift „Vom Freudenspiegel des ewigen Lebens“, in der er die Hoffnungsvisionen der Bibel, auch die des Johannes, entfaltet. Zugleich dichtete er zwei Lieder und komponierte zugleich Melodien für sie: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, ursprünglich ein Lied der Liebe zu Christus, und „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Von Pastor Nicolai sind uns weder zuvor noch danach sonstige Lied-Kompositionen überliefert. Inmitten eines unbeschreibliches Leides, als der ganze Ort Unna fast der Verzweiflung über ein massenhaftes Sterben erlag, öffnete Gott seinem Diener das Herz zu sehen, welche Kraft des Trostes die biblischen Hoffnungsvisionen in der tiefsten Not entfalten. Zugleich eröffnete er ihm die einmalig bezeugte Fähigkeit, zu dichten und zu komponieren. Beide in unserem Gesangbuch erhaltenen Lieder gehören zu den Schätzen unserer evangelischen und nun auch ökumenischen Singetradition.

Das Lied „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ wollen wir nun singen, als Lied des Trostes und der Hoffnung. Amen

Dr. Albrecht Weber
Pfarrer an der  Ev.-luth. Stadtkirche Delmenhorst
("Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit")
Schönemoorer Str. 12
27753 DELMENHORST
Tel.: 04221 56308
Fax: 04221 58 80 60
e-Mail: aljoweber@arcor.de


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