Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ewigkeitssonntag, 21. November 2004
Predigt über
Offenbarung 21, 1-8, verfaßt von Michael Plathow
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Text:
1. Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2. Und die heilige Stadt, das neue Jerusalem, sah ich aus dem Himmel von Gott her herabkommen, bereitet wie eine Braut, die für ihren Mann geschmückt ist.
3. Und ich hörte eine laute Stimme von dem Thron her sprechen:
Siehe, die Wohnung Gottes unter den Menschen!
Und er wird unter ihnen wohnen,
und sie werden seine Völker sein,
und er, Gott, wird bei ihnen sein.
4 Und abwischen wird er alle Tränen von ihren Augen,
und der Tod wird nicht mehr sein,
weder Leid, noch Geschrei, noch Mühsal wird mehr sein,
denn das Erste ist vergangen.
5. Und der auf dem Throne saß, sprach: Siehe, ich mach alle neu: und er spricht: Schreib! Denn diese Worte sind zuverlässig und wahrhaftig. 6. Und er sprach zu mir: Sie sind geschehen. Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich werde dem Dürstenden umsonst (zu trinken) geben von der Quelle des Lebenswassers. 7. Wer überwindet, der wird dies erben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein. 8. Aber den Feigen und Treulosen und mit Greuel Befleckten und Mördern und Hurern und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern wird ihr Los beschieden sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod.

Lieder: EG 147, 3; 526, 1 – 3

Ewigkeitssonntag und Totensonntag 2004 am Ende des Kirchenjahres.
Liebe Gemeinde, Ewigkeitssonntag: Prota und Eschata, Anfang und Ende werden fokussiert in der Auferstehung Jesu Christi als Tat des dreieinen Gottes. Unsere eschatologisch geschaute Ostergeschichte ruft uns zu verantwortlichem Gebrauch unserer gegebenen Zeit im Horizont des Zukommens Gottes, wenn wir bekennen, „der wiederkommen wird zu richten die Lebenden und die Toten“.
Totensonntag: der Tod des Todes durch die Auferstehung Jesu Christi als Erstling der Entschlafenen ruft uns in der uns gegebenen Zeit zur Rechenschaft über die Hoffnung, die in uns ist, und zu getrösteter Gewissheit angesichts von Sterben und Tod, wenn wir bekennen „die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“.

1. Unsere Zeit ist uns gegeben. Unsere Zeit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, unsere Zeit in der Bewegung aus dem „Nicht mehr“ erstarrter Fakten im Angelpunkt des Jetzt auf das „Noch nicht“ des zukommenden Künftigen. Unsere Zeit mit ihrer Grenze durch Anfang und Ende, ist gegeben, ja, geschenkt. Sie beginnt mit der Geburt und findet ihre Grenze im Tod durch das Sterben hindurch. Sie ist mit der Schöpfung des Kosmos und der Erde gegeben und endet mit der Wiederkunft Christi, um in Gottes Ewigkeit beheimatet zu werden, d. h. in Gottes Zeit, kategorial unterschieden von unserer Zeit, weil Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eins sind. Zugleich ist unsere Zeit zwischen Anfang und Ende von Gott, der Alpha und Omega ist, d. h. von seiner Ewigkeit umfangen. Unsere Zeit liegt in Gottes Händen. Die Stunden und Jahre unseres Lebens sind geschenkt, damit wir sie im Pfeil der Zeit füllen und füllen lassen durch Begegnungen und Erfahrungen, durch Arbeit und Feiern, durch Zeugnis und Dienst, durch Zeit für Gott und Zeit für den Nächsten, durch Verantworten des Anvertrauten. Die heilsgeschichtliche Struktur der Sonntage und Feste des zyklischen Kirchenjahres hilft uns, unsere gegebene Zeit verantwortlich zu füllen und füllen zu lassen, so dass sie in ihrer Zeitbegrenztheit schon erfüllte Zeit wird.

Der heutige Ewigkeits- und Totensonntag ist es, der uns an Anfang und Ende in der Perspektive der Ewigkeit Gottes erinnert und an die Überwindung der Macht des Todes in der Auferstehung zum ewigen Leben. Unsere Zeitbegrenztheit durch das eherne Gesetz des Todes ist schon aufgebrochen durch die Auferstehung Jesu Christi „am dritten Tage“; da ist Gottes Ewigkeit ein- und angebrochen in unserer todgezeichneten Zeit seufzender Schöpfung. „Siehe, ich mache alles neu!“.

So erweist Christus sich als der Erste, der Leitstern, der Herr meiner geschenkten Zeit; grenzzeitlich erfahren, leben und verantworten wir sie. Christus ist der Anfang und das Ende, der Herr aller Zeit, wenn es heißt: „Das Erste ist vergangen“. In dieser universalen Ewigkeitsperspektive feiern wir den Gottesdienst am Ewigkeitssonntag, wenn wir als Gemeinde Gott den Vater preisen: „Gloria sei dir gesungen, mit Menschen- und mit Engelzungen“ (EG 147, 3) und bekennen: „der wiederkommen wird...“.

2. Der Ewigkeitssonntag gibt dem Totensonntag die Hintergrundsstrahlung: wenn wir gedenken an unsere lieben Verstorbenen, ihre Gräber Schmücken, Photos vergangener Tage betrachten und vielleicht Kindern und Enkeln von ihnen erzählen, wenn wir uns ihrer und der eigenen Auferstehungshoffnung vergewissern und Rechenschaft geben von der Hoffnung, die wir haben dürfen. Die Erfahrung der Grenze unserer Zeit im noch durch den Tod mit seinen großen und kleinen Brüdern gekennzeichneten Leben wirft Schatten und Dunkel voraus: die Angst vor Leid, Geschrei und Schmerz mit einem Meer von Tränen. Ich denke an die Trauer über einen geliebten Menschen, an die Schmerzen und das Leid der Menschen in Krankenhäusern, Wachstationen und Tageskliniken, Leid junger und älterer Menschen; an das stöhnende Seufzen in Kriegs- und Konfliktherden; an die Hungerschreie von Kindern; an die Verstörtheit von Menschen auf der Flucht. Ich denken an die dunklen Augenblicke, wo der Mut schwindet, wo Lebens- und Zukunftssorge sich einnistet wie ein Krebsgeschwür, das Herz verzagt macht, die Lebenskraft verzehrt und die Glaubens- und Lebensgewissheit sinken lässt. Ich denke an die abgebrochenen Gespräche, an gestorbene Beziehungen, an die Bedrücktheit durch unerfülltes Leben. Szenarien der Tränen von Tod, Leid und Schmerz.

Und da nun die visionäre Stimme vom Thron: „Und er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid, noch Geschrei, noch Mühsal wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“ An den Gräbern wird es verkündigt, denn Gott selbst spricht: „Siehe, ich mach alles neu!“

3. In bedrängter Zeit für die christliche Gemeinde verkündigt der Seher seine Vision. Bilder des alttestamentlichen Gedächtnisses visualisieren die Schau des Sehers: das Herabkommen des neuen Jerusalem vom Himmel konträr zum despotischen Machtzentrum Rom der damaligen Zeit; geschmückt ist die heilige Stadt wie eine Braut konträr zur Hure Babylon. Die alttestamentliche Vision vom „neuen Himmel und neuer Erde“ in Jes 65, 17 ff spricht konkreter gegen die Angst- und Sorgenphänomene des Vorletzten: Kinder werden nicht für den frühen Tod durch unzeitiges, tragisches, widersinniges Sterben gezeugt. Diese Verheißung bezieht sich nicht nur auf den einzelnen; ob das Leben eines Frühverstorbenen erfüllt und abgeschlossen ist, entzieht sich unserem Urteil. Die Verheißung hat auch das Massensterben - gerade von Kindern - im Blick durch Naturkatastrophen, Epidemien, Hunger, Krieg. All dies ist nicht nach Gottes Willen.

Weiter wird die Arbeit ihren Sinn und Wert in sich haben als freie, personale Entfaltungsmöglichkeit und nicht als lästiges Mittel für den Lebensunterhalt. Die ganze Natur einbeziehend, wird der Kampf ums Überleben durch Fressen und Gefressen-Werden aufhören. Das gilt auch für die Beziehung des Menschen zu Natur- und Tierwelt; sie sind nicht dem Menschen zur ungehemmten Ausbeute überlassen. Welch kritisches Potential gerade auch für das Vorletzte.

Viele weitere Zukunftsbilder, Symbole und Metaphern z.T. lyrischer, z. T. apokalytischer Ausdruckswelt versuchen anzudeuten die „neu Schöpfung“ des ewigen Lebens. Sie erhellen Wirklichkeit und sie erstellen Wirklichkeit. Alle weisen irgendwie hin auf das Leben bei und mit Gott, denn Gott ist Ewigkeit. Andringend und sachgemäß ist vielleicht die Rede vom Ruhen am liebenden „Herzen“ Gottes, denn – wie M. Luther einmal sagte – in Christus öffnet und spiegelt sich das „Herz“ Gottes als Liebender, um uns in seiner erbarmenden Liebe zu umfangen.

Nicht Vertröstung für die „hier“ Leidenden und Zu-Kurz-Gekommenen auf ein „Jenseits“ ist damit angesagt, nicht die egoistische Projektion eines „Drüben“, sondern prophetische Kritik gegen menschliche Hybris, Machsal und Lieblosigkeit und die gewisse Hoffnung der Christen durch die Auferstehung Jesu Christi an diesem Totensonntag, wenn wir singen „Jesus, er mein Heiland lebt; ich wird auch das Leben schauen ... Lässet auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht“ und bekennen: „Ich glaube an Jesus Christus ... am dritten Tage auferstanden von den Toten. ... Ich glaube die Auferstehung der Toten und das ewige Leben“. Denn die Mächte, oft aus dem bösen Herzen des Menschen geboren, die Sünde, das Elend und der Tod, sind nicht mehr. Und „ich bin gewiß, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist unserem Herrn“ (Röm 8, 38). „Das Erste ist vergangen“; „siehe, ich mach alles neu“, spricht der auf dem Throne saß.

4. All die visionären Bilder des Sehers konzentrieren sich am Ewigkeits- und Totensonntag auf eins: die Vision der Gegenwart Gottes: Gott wohnt unter den Menschen „und er, Gott, wird bei ihnen sein“. Die rettende Gegenwart Gottes und die Gemeinschaft mit ihm in der neuen Schöpfung stillt wie eine Quelle des Lebenswassers allen Durst nach Heil und Heilung – und das umsonst, frei, unverdient, aus gnädigem Erbarmen.

Diese Verheißung des Letzten, des „Noch nicht“ greift mit der neuschaffenden Tat des dreieinen Gottes in der Auferstehung Jesu Christi in unser Vorletztes „schon“ ein, stillt den Durst dessen, der wie der Hirsch lechzt nach frischen Wasser, wirkt mit dem heiligen Geist den Glauben und schenkt Vergebung, d. h. Leben und Seligkeit. In der Glaubens- und Geistgemeinschaft mit Jesus Christus, Gottes eingeborenem Sohn, unserm erstgeborenen Bruder, werden die Glaubenden als Kinder und Erben des ewigen Lebens in der vollendeten Neuschöpfung anerkannt. Gleichgestaltet mit Christus, ihrem gekreuzigten und auferstandenen Herrn, feiern sie den Gottesdienst „hier“ in Verbundenheit mit dem himmlischen Gottesdienst in Vorfreude auf das neue Jerusalem. Denn in der Verkündigung des Evangeliums und in der Feier des Abendmahls wohnt der lebendige Christus gegenwärtig in der Gemeinde. Personal und real ist er gegenwärtig im Abendmahl, schenkt Vergebung und neues Leben, Heil und Heilung, den Vorgeschmack des himmlischen Gottesdienstes. Christus ist es, der die Glaubenden mit den im Sterben Vorausgegangenen an seinem Tisch verbindet zu einer Gemeinschaft über den Tod hinaus.

5. Dies alles umfaßt die Hoffnung, die uns Christen gegeben ist. Davon dürfen wir weitersagen in unserer Umgebung, wo wir arbeiten und leben, gegen treulose „Christusphobie“ und feige Verdrängung: in einer Zeit voller Lebenssorgen und Hoffnungsängste, wie Trendforscher analysieren; in einer Zeit der Suche nach dem transzendenten „Drüben“, nach einem „heiligen Diesseits“ oder nach der neuen Chance durch fortschreitende Reinkarnationen; in einer Zeit der Glaubenskrise, des Traditionsabbruchs und des Atheismus der Gleichgültigkeit, in einer Zeit eindimensionaler Sinnverengung „Gut leben und schnell und leicht sterben“ oder selbstdeutenden Hedonismus „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“.

Von der christlichen Hoffnung auf die neue Schöpfung am Ewigkeitssonntag und auf die Auferstehung der Toten und das ewige Leben am Totensonntag dürfen wir Zeugnis ablegen. Wir sollen uns „outen“. Glaubensmut gehört heute dazu, von der Lebens- und Hoffnungsgewissheit der Christen zu sprechen. Darin aber erweist sich unsere Verantwortung für den christlichen Glauben, Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die uns gilt und die uns trägt.

Die fest bleiben, die Treue halten, Mut zeigen, Glauben leben und bezeugen, denen gilt die Verheißung Gottes, der Anfang und Ende ist: „Ich werde ihm Gott sein“, Gott, der das Leben ist und Leben, gelingendes Leben im Sog des ewigen Lebens, verheißt. Im Abendmahl schenkt uns der dreieine Gott den Vorgeschmack des himmlischen Freudenmahl, indem unser auferstandener Herr selbst als Geber und Gabe des Abendmahl uns einläd und zusagt: „Siehe, ich mache alles neu!“. Kommt, schmeckt und seht. Ihr seid geladen. Amen.

Prof. Dr. Michael Plathow
michael@plathow.de


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