Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

1. Advent, 28. November 2004
Predigt über
Matthäus 21, 1-9, verfasst von Lars Ole Gjesing (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wieder ist die Adventszeit da. Das zeigen wir mit dem Kranz und den ersten Lichtern und mit einigen der schönsten Liedern des Jahres. Das alles bringt uns die gute alte Adventsstimmung, Stimmungen der Geschäftigkeit und der Erwartung. Wir erleben wieder einmal, wie wichtig es ist, dass es im Laufe eines Jahres Unterschiede zwischen den Zeiten gibt, und wie doch die Stimmungen so recht verschieden sind. Ein Sommertag an einem Nordseestrand kommt uns gerade jetzt unendlich fern vor, und wenn wir auf so einen Tag zurückschauen, dann entdecken wir auch, was uns damals vielleicht gar nicht aufgefallen ist, nämlich daß auch solch ein Sommertag seine ganz eigene und besondere Stimmung hat.

Wir befinden uns zu jeder Zeit in irgendeiner Stimmung, wir sind nie einfach nur neutral in unserer Laune. Und dass die Stimmungen wechseln, stärkt die Energie. Es ist so wichtig, dass es einen Unterschied gibt zwischen Alltag und Fest und zwischen den Festen verschiedener Art. Das schenkt uns nämlich einen Reichtum an Stimmungen, die wir im Laufe eines Jahres durchleben. Die Stimmungen liegen immer in unserem Unterbewusstsein, und sie färben und bestimmen die Art und Weise, wie wir die Dinge erleben. Die Erzählung von Jesu Einzug in Jerusalem hören wir immer in der besonderen Stimmung der Erwartung in der Adventszeit, und das passt sehr gut zu der Geschichte, denn im Grunde handelt sie viel mehr von der Zukunft als von der Vergangenheit. Man kann sich ohne weiteres damit zufrieden geben, dass sie ihren Beitrag zur Adventsstimmung leistet, wie das ja auch ein lieber alter Gegenstand der Erinnerung tut oder ein vertrauter Weihnachstsschmuck. Aber das wäre ärgerlich, denn die Geschichte hat es verdient, dass man sich tiefergehend mit ihr befasst.

Dieser Eselsritt in die Stadt Jerusalem erweist sich bei näherem Hinsehen als eine in allen Einzelheiten genau geplante Handlung. Der Anlass ist speziell: Man hat große Erwartungen in Jerusalem: Ostern ist nahe mit allem, was Ostern mit sich bringt an Pilgern und Leben und auch Unruhen. Und obendrein hat sich noch das Gerücht verbreitet, einer, der Heilungen vollbringt, ein Prophet und Aufrührer – oder was immer er sein mag – sei auf dem Wege von Galiläa in die Hauptstadt. Die Leute sind völlig aus dem Häuschen, die Behörden sind besorgt über die Unruhe, und die Besatzungsmacht ist auf der Hut gegenüber allen Anzeichen von Aufruhr.

In dieser aufgeregten Situation macht Jesus sich daran, ein kleines symbolisches Stück Straßentheater für die Versammlung aufzuführen. Er belebt die erprobte Technik von neuem, die die alten Propheten entwickelt haben: Er setzt seine Botschaft in Szene, so daß die Leute einbezogen werden und gezwungen sind, Farbe zu bekennen. Hesekiel hatte seinerzeit genauso gehandelt. Er hatte sich mitten in Jerusalem niedergelegt und war dann 390 Tage lang auf derselben Seite liegen geblieben – einen Tag für jedes Jahr, in dem Israel seinen Gott verlassen hatte. Jeremias war mit einem gewaltigen Joch auf dem Nacken durch die Stadt gezogen, um das Volk zu warnen, dass Nebukadnezars babylonische Unterdrückung das ungehorsame Volk treffen würde, und Hosea hatte sich mit einer Hure verheiratet und Hurenkinder mit ihr gezeugt, um die Untreue des Volkes dem Herrn gegenüber zu demonstrieren.

Es ist eben diese Tradition der schlagkräftigen Veranschaulichung, die Jesus heute wieder aufnimmt. Er kennt die Erwartung, dass er als ein Anführer des Aufruhrs kommen soll, als ein Messiaskönig vom Schlage König Davids, der die Römer aus der Stadt werfen und Israels Selbständigkeit und Größe wiederherstellen soll, so wie es in den guten alten Zeiten war. Mit königlicher Autorität fordert er ein Reittier an, als ginge es um Mobilisierung, und auf diese Weise trägt er gewissermaßen bei zu der Stimmung von königlicher Hoheit. Im übrigen aber widerspricht sein Einzug den Erwartungen so radikal, wie es überhaupt möglich ist: er ist unbewaffnet, begleitet von einer bunten Schar armer Leute, daraunter auch Frauen, und er reitet auf einem Esel als Ausdruck größter Friedfertigkeit.

Aber die Leute sind so in ihren eigenen Wünschen befangen, dass sie den Widerspruch gar nicht sehen. Sie huldigen ihm mit Zweigen und Kleidern auf den Straßen und den alten königlichen Huldigungsgesängen: „Gesegnet sei der, der kommt im Namen des Herrn. Sei gegrüßt, Sohn Davids!“ Sie spielen mit an dem Theater Jesu auf jämmerlichste Art und Weise. Jämmerlich, weil sie so befangen sind in dem Machtdenken, dass sie einfach nicht sehen können, das Neue nicht sehen können, das sich vor ihren eigenen Augen entfaltet. Sie werden durch dieses Theater entlarvt, so wie die alten Propheten es liebten, Menschen zu entlarven. Dieses Volk kennt nur die Macht als Antwort. Sie vermögen nicht ihren Gott mit anderem zu verbinden als mit Herrschaft und Gewalt, mit Kraftentfaltung und mit Unterwerfung von Feinden auf denkbar primitive Weise. Deshalb glauben sie, sie sähen einen machtvollen Aufrührer an der Spitze seines Befreiungsheeres, während sie doch in Wirklichkeit eine völlig machtlose Person sehen, jemanden, der sich wenige Tage später als Opfer eines gemeinsamen Justizmordes durch Behörden und Besatzungsmacht fallen lässt.

Dies ist eine Geschichte mit grotesker Ironie, weil das Volk dem Gegenteil von dem, wofür es eintritt, huldigt. Und eben dadurch geschieht es, dass sie nach dem Plan Jesu dem huldigen, was in Wirklichkeit Huldigung verdient und worauf und worüber man sich in Wirklichkeit freuen kann, nämlich dass Gott Vater die Spiralen der Gewalt durchbrochen hat, dass er gekommen ist, um seinen Leib Gewalt aufsaugen zu lassen, so dass diese Gewalt aus dem Umlauf genommen wird und aufhört, sich wie Ringe im Wasser auszubreiten. Mit seinem entlarvenden Theater schafft er eine Szene, die besagt, dass der, von dem sie gehofft hatten, er würde Gewalt üben, in Wirklichkeit Vollmacht hatte, weitaus mehr zu tun, als die Leute zu glauben und zu hoffen gewagt hatten, nämlich anzufangen, die Gewalt zu stoppen.

Das ist die Liebesbotschaft von der Bergpredigt, die hier in ihrer äußersten Konsequenz ans Licht kommt. Die Liebe ist unvereinbar mit jeglicher Form von Gewalt und Zwang. Sie muß immer auf die Anwendung von Gewalt verzichten. Dennoch ist die Liebe Macht Gottes. Diese ganze Verkündigung steht in scharfen Konturen gezeichnet und in Szene gesetzt in den Straßen Jerusalems am 1. Sonntag im Advent. Wir haben immer noch zugute, dass dies auf der großen Weltszene aufgeführt wird; denn es ist ja noch so, dass Gewalt und Macht in dieser Welt herrschen. Aber mit Erzählungen wie dieser ist die Gewalt entlarvt, wir brauchen nicht mehr an sie zu glauben, wir können uns darauf verlassen, dass sie nur ein falscher Herrscher ist, der letzten Endes eben nicht alle Macht im Himmel und auf Erden besitzt. Deshalb hoffen wir darauf und erwarten, dass das, was damal eine kleine Theaterszene war, eines Tages die Wirklichkeit der ganzen Erde und aller Wesen sein wird.

Pfarrer Lars Ole Gjesing
Søndergade 43
DK-5970 Æreskøbing
Tel.: ++ 45 – 62 52 11 72
E-mail: logj@km.dk

Übersetzt aus dem Dänischen von Dietrich Harbsmeier


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