Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

3. Advent, 12. Dezember 2004
Predigt über
Lukas 3, 1-14, verfasst von Karin Klement
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Gottesdienst mit Taufe)

Liebe Tauffamilie! Liebe Advents-Gemeinde!

Haben Sie eigentlich noch richtige Erwartungen? Hoffnungen auf etwas, das irgendwie wundervoll, absolut überraschend, ja himmlisch sein wird? Kennen Sie noch jenes freudige, spannungsvolle Kribbeln, das den Blutdruck ansteigen und das Herz flimmern lässt? So wie bei den Kindern, für die jede Schneeflocke ein Zauber ist oder ein höchst interessantes, herrlich matschiges, prima zu verklumpendes Spielzeug? Kinder können es manchmal gar nicht abwarten, bis der erste nächste Schnee fällt.

Oder sind unsere Erwartungen als Erwachsene geschrumpft, verpufft wie ein allzu oft aufgeblasener Luftballon, der letztendlich seine Spannung verloren hat? Enttäuschte Erwartungen, still und heimlich entschwundene Träume, wie Geister aus ferner Zeit?

Ursprünglich ist ADVENT die Zeit der Erwartung. Warte-Zeit auf den, der da kommen will – alle Jahre wieder. Doch im Laufe der Zeit ist die Erwartung abgekühlt, abgeklärt. Sie hat sich verändert. Nun warte nicht mehr ich, vielmehr richten sich die Erwartungen auf mich: Für das große Familien-Weihnachtsfest alles schön vorzubereiten, die passenden Geschenke zu besorgen und natürlich auch geheime Wünsche von den Augen der geliebten Menschen abzulesen und, wenn möglich, zu erfüllen. Die vor-weihnachtliche Zeit entwickelt sich zum Wettrennen um die neuesten, besten, erstrebenswertesten Geschenke. Anstelle der ursprünglichen Fasten-Zeit – Lebkuchen und Weihnachtsplätzchen bis zum Abwinken. Anstelle einer ruhigen Besinnungszeit – ein Hetzen von einer vorgezogenen Weihnachtsfeier zur nächsten. Anstelle einer enthaltsamen, sparsam gefüllten Zeit – springen mir die vollbehängten Weihnachtsbäume in jedem Einkaufsladen in die Augen, golden glitzernd im glimmernden Kerzenschein aus der Steckdose. Welche Überraschung bietet da noch der Weihnachtsbaum in der eigenen guten Stube?

Wir tun uns selbst keinen Gefallen, wenn die Erfüllung der Erwartungen jedes Jahr immer großartiger, immer beeindruckender sein soll. Aber wie kommen wir zu mehr Gelassenheit und Ruhe? Wie finden wir wieder, was wir eigentlich erwarten – tief verborgen in der Seele, untergegangen in der proppenvollen Alltagszeit, zugedeckt von fremden Erwartungen, die uns Film, Fernsehen oder Werbung unterjubeln? Wo verbirgt sich das geheimnisvolle Weihnachten? Das überraschende, unerwartete, herzbewegende Weihnachten?

Wir erwarten eine Geburt. Aber was oder wer da geboren werden soll, verbirgt sich zunächst vor dem Wissen der Menschen. Nur mit einem Gefühl, einer leisen Ahnung beginnt das neue Leben sich zu entwickeln. So ist es zumindest bei uns Menschen.

Als unser Täufling, der kleine RUBEN, unterwegs war, gab es schon ein paar medizinisch-technische Einblicke. Per Ultraschall wurde Mama`s Bauch durchleuchtet. Und etwas verschwommen erschien eine kleine Gestalt auf dem Bildschirm. Ein flimmerndes Herz, sich bewegende Arme und Beine, vielleicht sogar der Umriss eines Köpfchens. Aber immer noch recht vage, eigentlich so, wie fast jedes Kind im Mutterleib aussehen könnte. Das einzige Detail, das gewisse Rückschlüsse auf seine Person zulassen konnte, hielt der kleine Junge bestens versteckt. Und somit weckte er bei seinen Eltern die freudige Erwartung auf eine kleine CHARLOTTE. Welche Überraschung und beglückende Spannung, dass es doch anders kommen sollte, als erwartet. Und wer mag sie nicht, solche überraschende Steigerung der Freude? Doch von außen es bewirken, sich selbst verschaffen, das gelingt nicht. Es kommt wie ein Wunder!

ADVENT – Warten auf ein Wunder? Für den vorhin gehörten, namentlich in die Reihe berühmter Landesfürsten, Regionen- und Religions-Herren gestellten Prediger Johannes stellt sich der Advent anders dar: Als eine Zeit der Busse, der Umkehr und Neuorientierung. Denn es scheint unbedingt und dringend nötig zu sein. Die Auflistung der Mächtigen ihrer Zeit ruft den Menschen ins Bewusstsein, unter welcher Fremdbestimmung ihr Lebensalltag steht. Ihr Heimatland – besetzt von römischer Herrschermacht. An den Wegen, die sie zurücklegen, um von einem Ort zum nächsten zu gelangen – überall Zollstationen, wo sie der Willkür der Zöllner ausgeliefert sind. Eine allgegenwärtige Präsenz des Militärs, weniger zu ihrem Schutz, vielmehr als eine Last. Soldaten, die unrechtmäßig und gewaltsam nehmen, was sie haben wollen. Die Aufzählung der Herren ihrer Zeit, lässt die Menschen erkennen, wie sehr ihr Leben eingebunden ist – in Umstände, die sie nicht ändern können, in unheilvolle Zusammenhänge, die ihnen und anderen Unrecht antun. Das Heil der Welt lässt auf sich warten. Und von den Mächtigen, den Reichen ihrer Zeit haben die einfachen Leute nichts Gutes zu erwarten. Aber muss man sich mit allem abfinden? Reicht es, zu versuchen, irgendwie sein eigenes „Schäfchen ins Trockene“ zu bringen, nach dem Motto „Hauptsache, mir geht`s gut! An den üblen gesellschaftlichen Zuständen kann ich kleiner Mensch sowieso nichts ändern!“?

Weshalb kommen die Menschen zu Johannes? Suchen sie ihr privates Stückchen Glück in der Taufe zur Schuldvergebung? Reicht es ihnen aus, bestätigt zu bekommen, dass sie alles getan haben, was unter den gegebenen Umständen möglich ist, um irgendwie anständig zu leben?

Für JOHANNES geht es weder um Anklang und Popularität bei den Leuten, die ihm zuhören, noch um geschliffene, einschmeichelnde Worte. Es geht ihm um das, was wir tun, wie wir leben. Um unsere menschliche Einstellung, um unser Verhalten. Mit bissigen, scharfen, unverschämten Worten staucht er seine Hörer zusammen: „Tut Buße! Kehrt um, ändert euer Leben! Tut Gutes, eben das, was Gott als Selbstverständlichkeit von euch erwartet!“ Eine herbe Kritik, unbequeme Worte. Eine Publikumsbeschimpfung, die Geschichte schreibt: „Ihr Schlangenbrut! Glaubt ihr etwa, dass ihr aufgrund euer Zugehörigkeit zum Gottesvolk von Gottes Zorngericht ausgenommen seid?“ Glaubt ihr etwa, nur weil ihr keine Politiker seid, keine Mächtigen eurer Tage, dass ihr keine Mit-Verantwortung für die Ereignisse dieser Welt tragt?

JOHANNES, der zornige Prediger in der Wüste, enttäuscht die Erwartungen seiner Zuhörer, absichtlich, ganz bewusst. Keine krummen Wege lässt er durchgehen, keine Berg- und Talfahrt, die von Wahrheit und offener Ehrlichkeit ablenken will. Auf geradem Weg soll jeder Mensch sein Ziel erreichen. Aber wie sieht dieser Weg konkret aus für jeden einzelnen? Was sollen wir denn tun?

JOHANNES predigt eine Bußtaufe. Er redet vom Untergang des alten Menschen im Jordanwasser und vom Auftauchen eines ganz neuen, von Schuld gereinigten Menschen hinein in ein neues Leben. Wenn wir ein Menschenkind taufen (wie heute z.B. den kleinen RUBEN), dann tun wir das wohl in ganz anderer Erwartung. Wir hoffen auf himmlischen Beistand, auf Schutz und Bewahrung, auf den Segen Gottes, der dieses Menschenkind wie einen Schirm vor schlimmen, tränenreichen Erfahrungen schützen soll. Doch JOHANNES predigt einen anderen, einen herausfordernden Gott. Einen Gott, der seinen Anspruch an uns Menschen stellt. Einen Gott, der seine Geschöpfe nicht wie Marionetten am Bändchen hält, sondern ihnen vielmehr Freiraum schenkt. Freiraum zu eigenen Entscheidungen, die wir jedoch selbst zu verantworten haben. Freiraum auch zu Taten und Erfahrungen, die uns belasten, schmerzen oder in die Enge treiben können. JOHANNES predigt keinen sanften, butterweichen, sondern einen strengen, ernstzunehmenden Gott. Diesem Gott ist es nicht gleichgültig, wie wir handeln, wie wir mit anderen und mit uns selber umgehen. Dieser Gott fordert Rechenschaft und Umkehr, nicht nur dort, wo ganz offensichtlich falsche Wege gegangen werden, sondern auch dort, wo ein Gefühl der Selbstgerechtigkeit den kritischen Blick auf das eigenen Tun verstellt.

Was Johannes predigt, erinnert mich frappant an die Mühen elterlicher Erziehung: Solange wir unseren Kindern immer nur nachgeben, ihnen keine Grenzen setzen, können sie ihre Kräfte nicht erproben; ihre Wege nicht an uns orientieren. Wenn wir ihnen jedoch einen Rahmen vorgeben, Ethik und Moral vorleben, können sie daran ihre eigenen Wertvorstellungen ausprobieren und messen.

Die Rahmenrichtlinien für ein gottgefälliges Leben, die JOHANNES vorgibt, erscheinen wie simple Allerweltsregeln: Die ZÖLLNER sollen nicht mehr fordern, als ihnen das Recht zugesteht. Die SOLDATEN sollen ihre Macht nicht zum Schaden anderer ausnutzen. Und wir alle sind von JOHANNES gehalten, unseren Besitz mit den Bedürftigen zu teilen. Mehr verlangt er nicht? Nein, weniger verlangt er nicht!! Das oft Gehörte, das Allzuvertraute und Selbstverständliche muss anscheinend immer wieder neu gesagt und konkret beschrieben werden. Das neue Leben aus der TAUFE soll an jenem Ort anfangen, wo wir leben: Im Alltag, bei der Arbeit, in der Familie, bei den Menschen, die mit uns leben. Wenn JOHANNES vom Teilen und Abgeben spricht, geht es ihm vielleicht nicht darum, Besitz und Habe akribisch genau aufzuteilen, sondern eher darum, dass wir einen Blick dafür gewinnen, was wir einander schuldig sind. Dass wir uns Gedanken darüber machen, was wir selber dazu beitragen können, damit alle Geschöpfe Gottes leben und über-leben können.

Das Abgeben und Teilen – nicht nur von Geld, auch von Zeit und Mitgefühl, von Rücksicht- und Anteilnahme – erscheint als ein grundlegendes Problem unserer Zeit. Wir wissen schon, was wir einander schuldig wären, doch an der Umsetzung vom Wissen in die Tat hapert es immer noch.

Die Stimme des Predigers in der Wüste stört und stößt an. Sie lässt uns den ADVENT nicht gemütlich feiern oder bequem genießen. Sie fordert heraus. Und das ist gut so! Sanfte Worte hören wir zur Genüge. Freundliche, unverbindliche Worte, die sich nicht festlegen lassen, umgeben uns wie Wattebäuschen vor der harten Realität. Mit ihnen lässt sich wenig anfangen. Sie widerstehen keinem Druck, sondern geben nach und verpuffen. JOHANNES aber drängt und widersteht. Seine Botschaft hat er sich nicht selbst ausgewählt, aber sie ist ihm wichtig, genauso wichtig wie die Menschen, zu denen er spricht. Doch er bleibt ein Rufer in der Wüste, ein Mahner aus der Distanz. Er kommt den Menschen nicht nahe, sondern bleibt ein merkwürdig fremdes Sprachrohr Gottes.

Auch JESUS fordert zur Umkehr auf. Auch er predigt vom Neuen Leben, das mit der TAUFE schon hier und heute beginnen soll. Aber er rückt den Menschen dabei sehr nahe, geht uns unter die Haut. Er versetzt sich in unsere Lage, teilt unser Leben, unsere Sorgen, kennt die manchmal schwer zu beschreibenden Nöte. Und allen, die sich nach einem neuen Leben sehnen, spricht er Gottes Nähe zu. Nicht der brennend-zornige, fordernde Gott steht im Mittelpunkt seiner Rede, seines Handelns, sondern der liebende, versöhnende Gott, der großzügig sich selbst verschenkt.

„Kehrt um, denn Gottes neue Welt ist nahe!“ Was bei JOHANNES wie eine Drohung klingt, wird im Munde JESU zu einer Einladung. JOHANNES und JESUS – zwei Botschafter für Gottes und der Menschen Sache. Wer ist Vorläufer, wer Nachfolger? Dienen nicht beide demselben Ziel? JOHANNES bereitet den Weg vor. Er stellt uns klar vor Augen, wie ernst die Situation ist, und wie notwendig die Umkehr. Er enttäuscht unsere falschen Erwartungen. JESUS aber führt die Botschaft des Johannes weiter, öffnet sie in einen weiten Horizont. Er ermutigt uns zu ganz neuen, heil- und hoffnungsvollen Erwartungen: Umkehr ist nicht nur nötig, sie wird uns auch möglich! Denn Gott in seiner Liebe kommt uns längst zuvor. Er kommt uns in dem Menschen JESUS als Mitmensch entgegen. Das HEIL, das Gott seiner Welt schenkt, ist schon längst auf den Weg gebracht. Wir schauen es im Kind in der Krippe; wir ahnen es im Bild des Gekreuzigten.

JOHANNES ist der Wegbereiter. Doch JESUS selbst ist der Weg, auf dem wir laufen können: alle unsere Lebens-Wege; über die krummen Umwege von Irrtum und Schuld, durch tiefe Täler von Enttäuschung und Leid, genauso wie über die unzähligen Gipfel des Glücks. Das dürfen wir erwarten (nicht nur im Advent) – überrascht, neugierig und gespannt – wie ein Wunder!

AMEN

Kirchengemeinden Roringen u. Herberhausen
Pastorin Karin Klement Lange Straße 42
37077 Göttingen
Tel. 0551 – 2 15 66
Fax 0551 – 209 999 4
Email Karin.Klement@evlka.de


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