Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

4. Advent, 19. Dezember 2004
Predigt über
Lukas 1, 26-38, verfasst von Elisabeth Tobaben
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)






Liebe Gemeinde!

Es gibt eine Fülle künstlerischer Darstellungen aus verschiedenen Zeiten zur Geschichte der Verkündigung an Maria, der Verheißung der Geburt Jesu.
Besonders eindrucksvoll finde ich immer wieder dieses Fresko aus dem Kreuzgang des Brixener Doms.
Es ist vor einigen Jahren restauriert worden, und erstrahlt jetzt wieder in den ursprünglichen, frischen, leuchtenden Farben.
Der Engel Gabriel mit ausladenden, zarten weißen Flügeln und die jugendliche Maria knien einander gegenüber, beide in wallenden weißen Gewändern.
Der Engelsbote hat die rechte Hand segnend erhoben, in der linken trägt er eine weiße Lilie, Symbol des Lichtes, der Reinheit und Unschuld.
Oben über der Begegnungsszene thront Gott Vater, in der linken Hand die Weltkugel als Insignium der Macht.
Aus seiner Rechten hat er gerade das Kind auf den Weg geschickt, es fliegt durch die Luft auf Maria zu – oder schwimmt es vielmehr?
Jedenfalls wird es geleitet vom Heiligen Geist, durch eine weiße Taube symbolisiert, der dem winzigen Wesen den Weg zeigt.
Geschultert trägt das ungeborene Kind bereits das Kreuz.
Die ganze Lebensgeschichte Jesu schwingt schon mit in diesem Bild.

Und Maria?
Sie hat die Hände überkreuz über der Brust zusammengeschlagen, vor Schreck vielleicht, als wollte sie sich schützen vor dem, was ihr da zugemutet werden soll.
Sehr ernsthaft blickt sie auf den Engel, aber doch auch ein bisschen fassungslos.
Ein herrlich plastisch-realistisches Bild!
Ein Kind ist „unterwegs“ im wahrsten Sinne des Wortes, unterwegs in diese Welt, die es verändern und auf den Weg des Friedens und des Heils bringen soll.

Auf einen Stein der Verkündigungskirche in Nazareth, an dem Platz, an dem die Verkündigungs- Geschichte vielleicht gespielt haben könnte, hat ein Gläubiger in ganz früher Zeit geschrieben: „Freu dich, Maria!“ (Wochenspruch Phil. 4,4)
Man hat diesen Stein in ein Museum nach Jerusalem gebracht, weil man in ihm ein Zeichen sah für die Wertschätzung, die Maria schon vor so langer Zeit entgegengebracht wurde.

„Freu dich, Maria!“
Aber zunächst hören wir, dass Maria erschrickt.
Aber erstaunlicherweise erschrickt sie gar nicht über die unmögliche Situation, in die sie da gerade geraten ist.
Dass ein Engel kommt, ist allein ja schon aufregend genug, und dann noch zu ihr nach Nazareth!
„Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ (Joh. 1,46)
Dieses Kaff im heidnischen Galiläa – was kann man da schon erwarten?
Da gab es ganz andere, viel bedeutendere Orte, ganz abgesehen von dem, was die Propheten angekündigt hatten, von Nazareth war da jedenfalls nie die Rede!
Und dann handelt es sich ja auch noch um einen völlig Fremden, der offenbar das Zimmer einer jungen Frau betritt, die noch dazu dort auch noch allein ist – ohne die Bewachung durch Vater oder Bruder, noch dazu verlobt - skandalös!
Das tat man nicht, man redete eigentlich überhaupt nicht mit einer fremden Frau!
Der Bote bringt Maria damit in Verruf, sie gerät in eine sehr zwielichtige Rolle!
Aber das alles scheint Maria gar nicht weiter zu berühren, sie lässt sich sogar auf ein Gespräch ein mit dem Fremden.
Was sie wundert, ist der Gruß, den der Bote ihr entgegenbringt: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir!“
Als sie noch überlegt, was das denn nun wohl heißen könnte, wiederholt der Engel seinen Gruß noch einmal und präzisiert, was er schon gesagt hatte. (V. 30)
„…du hast Gnade gefunden…“
Der Engel würdigt Maria, die sonst als junges Mädchen eigentlich keines Grußes würdig wäre, noch dazu mit solch einem Gruß!
Der Merkwürdigkeiten sind kein Ende…
Sie soll dem angekündigten Kind einen Namen geben, obwohl das doch stets die Aufgabe des Mannes war.
Und dann noch so einen! „Jesus“ – soll das Kind heißen, „Gott hilft“.
Was mag aus ihm werden?
Nicht weniger als Gottes Ankunft in unserer Welt wird angekündigt.

Jahrhunderte lang war Maria die biblische Figur, an der in besonderer Weise Unterwürfigkeit, Ergebenheit, Demut und Geduld festgemacht wurden.
So hat man sie (vor allem katholischen) Frauen als Vorbild hingestellt, ihr Verhaltern, ihre Einstellung als nie zu erreichendes Ideal vor Augen gemalt.
Es hört sich in unseren modernen Ohren ja auch so demütig und untergeordnet an, wenn Lukas Maria sagen lässt: „siehe, ich bin des Herrn Magd…“.
Doch muss man bedenken: im alttestamentlichen Zusammenhang hat dieser Satz auch noch einen ganz anderen Klang:
Man kannte natürlich die berühmten „Gottesknechtslieder“ des Propheten Jesaja.
Und wenn Maria sich hier als „Magd des Herrn“ bezeichnet, dann klingt das in Aramäisch wie die weibliche Fassung des Gottesknechtes.
Dem Leser damals muss der Atem gestockt haben!
Was sagt sie da? „Magd des Herrn“? Darf sie das denn überhaupt? Das steht ihr doch gar nicht zu!
Es ist, als hätte Maria jetzt schon alles verstanden.
Sie scheint im Vorab zu begreifen: dies Unfassbare, was mir hier gerade geschieht, es wird grundlegend, für immer und alle Zeiten das Leben auf den Kopf stellen!
Maria wird von nun an etwas Besonderes sein, von Gott auserwählt für eine besondere Aufgabe!
Und in Maria beginnt die Befreiung aus allem, was uns gefangen hält.
Sie erlebt es im Rahmen der Traditionen ihres Volkes, der Thron Davids wird ihrem Sohn verheißen, als König und Herrscher wird er angekündigt.
Doch das, was dann kommen wird, geht weit über die alten Vorstellungen hinaus!
So wie in dem Bild aus dem Kreuzgang des Brixener Doms schon die ganze Jesus-Geschichte enthalten scheint, so deutet sich in Maria schon an, dass ihr Sohn aus noch ganz anderen Zwängen befreien wird.
Der erwachsene Jesus wird Menschen begegnen, sie in seine Nachfolge rufen, heilen und trösten, aber auch in Frage stellen und ins Leben rufen.
„Ganz Mensch und ganz Gott“ werden die alten Bekenntnisse sagen.
In ihm kommen Himmel und Erde wieder zusammen, Gott und Mensch, Glauben und Leben.

Martin Luther sagt: „Wenn ich das Evangelium nicht als bloßes Geschwätz nehme, sondern weiß: das Kind ist mein, und ich soll hören, was es lehrt mit Worten und Taten, dann bleibt’s im Herzen festgewurzelt und beschlossen und der Mensch wird stärker davon…Es soll kein Wort sein, das vorüberrauscht: er (Christus) soll mir empfangen und geboren sein.“
Dazu helfe uns Gottes Geist.
Amen.

Elisabeth Tobaben
Ev. Luth. Inselkirchengemeinde JUIST
Elisabeth.Tobaben@evlka.de


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