Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

2. Weihnachtstag, 26. Dezember 2004
Predigt über
Johannes 8, 12-16, verfasst von Paul Kluge
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Liebe Geschwister,

noch flimmert und flackert, blitzt und blinkt es aus Fenstern und von Balkonen. Manches Haus, mancher Vorgarten ist in ein Lichternetz eingewickelt. Die weihnachtlichen Dekorationen erinnern eher an eine Kirmes als an Jesus Christus, und es scheint, dass um so mehr Glühbirnen eingeschraubt werden, je weniger die Menschen vom Licht der Welt wissen.

Der für heute vorgeschlagene Predigttext passt nicht gut in solche Lichterseligkeit. In ihm geht es nicht um Tausende von Glühbirnen, sondern um ein einziges, um das einzige Licht. Im achten Kapitel des Johannesevangeliums heißt es in den Versen 12 bis 16:

"Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr. Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wißt nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe. Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand. Wenn ich aber richte, so ist mein Richten gerecht; denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat."

Pharisäer und Schriftgelehrte nämlich hatten versucht, Jesus eine juristische zu stellen: "Das Gesetz schreibt vor, Ehebrecherinnen zu steinigen, was sagst du dazu?" Seine Antwort hatte sie mehr als beschämt: "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." Dann hatte er die Frau nach Hause geschickt, Pharisäer und Schriftgelehrte hatten sich schon vorher davongeschlichen.

Dieser Vorfall - er geschah im Tempel - hatte Aufsehen erregt. Jesus saß allein auf einer Bank und beobachtete die Menschen. Überall standen sie in Gruppen und Grüppchen zusammen, beredeten den Fall. Wußten nicht, wie sie das Urteil Jesu beurteilen sollten. Einerseits hatten sie ein Gesetz, und nach diesem Gesetz hätte die Frau sterben müssen. Andererseits hatten auch die Davongeschlichenen sich als schuldig bekannt. Manche, die das mitbekommen hatten, waren von denen enttäuscht, die als Vorbilder galten; andere waren ratlos, und noch andere reagierten mit Schadenfreude und hatten ihr hämisches Vergnügen an dem Urteil Jesu.

Eine dieser Gruppen stand ziemlich nahe bei Jesus, und er hörte, worüber sie sprachen: Wo sie denn hinkämen, wenn das Gesetz einfach so ausgehebelt würde, fragte einer, und ein anderer meinte, Gesetze seien unbedingt einzuhalten. Ein dritter forderte, die Pharisäer und Schriftgelehrten müssten diese Bloßstellung vergelten - schließlich garantiere ihre Treue zum Wortlaut der Schrift den Fortbestand von Gesetz und Ordnung. "Reden wir doch mal mit ihm," schlug einer vor. Zögerlich setzte sich das Grüppchen in Bewegung. Als es sich Jesus näherte, malte er mit einem Stock im Sand, Linien, Kurven, Kreise - wie manch einer kritzelt, wenn er nachdenkt.

"Meister," sprach einer ihn an, "Wir haben gelernt und glauben es, dass das Gesetz des Mose unseres Fußes Leuchte ist und ein Licht auf unseren Wegen; wer dies Gesetz nicht hält, geht im Dunkel der Gesetzlosigkeit unter. Du aber -" Abrupt stand Jesus auf: "Ich bin das Licht der Welt!" rief er ziemlich laut und erregt. Andere Gruppen drehten ihre Köpfe zu ihm hin, kamen näher. Jesus wartete, wiederholte dann, etwas ruhiger, noch einmal: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wer tut, was ich sage und lebt, wie ich lebe, braucht das Dunkel nicht zu fürchten, denn er lebt im Licht."

Die Umstehenden - darunter auch einige Pharisäer - waren erst einmal stumm. Doch sie kannten sich in den Gesetzen aus, und so hielt einer ihm entgegen: "Du sagst über und für dich selbst aus. Du weißt, dass das vor Gericht nicht zieht." - "Erstens stehe ich hier nicht vor Gericht," antwortete Jesus, "und zweitens stimmt es einfach, was ich sage."

Das könne er bestätigen, ließ sich einer aus der inzwischen angewachsenen Zahl der Umstehenden vernehmen, er habe sich davon überzeugen können. Alle reckten ihre Hälse in die Richtung, aus der die Stimme kam. Auch Jesus versuchte zu erkennen, wer das gesagt hatte. Der Sprecher drängelte sich durch die Menschen - Jesus erkannte Nikodemus, den Pharisäer und Politiker, mit dem er eine lange Nacht hindurch diskutiert hatte. Nikodemus war damals im Morgengrauen sehr nachdenklich gegangen, jetzt merkte Jesus, dass die Saat aufgegangen war. Die beiden begrüßten sich herzlich, dann erzählte Nikodemus den Umstehenden von seinem Gespräch mit Jesus und wie der ihm die Schrift erschlossen habe. "Er hat mich neu sehen gelehrt," gestand Nikodemus, "ich habe erkannt, dass das Gesetz des Mose, dass Gottes Gebot die Menschen richtet, aber nicht verurteilt. Es richtet unsere Füße auf den Weg des Friedens, richtet unsere Herzen auf den Weg der Liebe. Es geht nicht darum, recht zu haben oder zu bekommen, es geht darum, recht zu tun. Daran wird sich unser Leben entscheiden."

"Wir werden dich ausschließen," drohte ein anderer Pharisäer, "was du da sagst, verstößt gegen unsere Satzung. Gilt, was dieser Jesus sagt, mehr als alles, was geschrieben steht?" Ein Schriftgelehrter rief: "Wer ist das überhaupt, woher kommt der, was hat der für eine Ausbildung?" - "Das weiß ich nicht," antwortete Nikodemus, "und das interessiert mich auch nicht. Ich weiß nur, dass mir durch ihn ein Licht aufgegangen und mein Leben viel heller geworden ist. Dafür muss man sich allerdings auf ihn einlassen, und das bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen. Nicht nach oben buckeln und nach unten treten, sondern genau umgekehrt: Denen, die unten sind, dienen, und den Herrschenden entgegentreten. So haben es die Propheten gewollt und getan, und so sollen auch wir handeln!"

Einige klatschten Beifall. Doch ein Priester, der sich dazu gesellt hatte, warnte, das dürfte aber kein Römer hören, das sei ja fast schon Aufruhr. Das Volk aber könne nur überleben, wenn es der römischen Obrigkeit untertan sei und bleibe. Wer anderes wolle, würde am Kreuz enden.

Der Priester ging weiter; die Menschen um Jesus empörten sich über ihn und seines gleichen: "Arbeiten mit den Besatzern zusammen, um ihre Pöstchen zu sichern," schimpfte einer, und ein anderer meinte, die seinen kaum besser als die Zöllner und man solle nicht auf sie hören. "Aus ihren Ämtern soll man sie jagen!" forderte ein dritter.

"Nun mal langsam," ergriff Jesus das Wort, "wir sollten keinen verurteilen, solange wir seine Beweggründe nicht kennen. Immerhin haben die römerfreundlichen Priester erreicht, dass wir unsere Religion ausüben können. In anderen besetzten Ländern gibt es das nicht. Ich jedenfalls kann die Priester nicht verurteilen. Lesen wir nicht in der Schrift, dass Gott keinen Menschen verurteilt, sondern stets nur bestimmtes Verhalten, dass er wohl die Sünde, nicht aber die Sünder verurteilt? Daran halte ich mich und weiß ich eins mit meinem Vater im Himmel, und ihr solltet das auch tun!"

"Ja, aber -" wand jemand ein. "Kein Aber," konterte Nikodemus, "es liegt auch an uns, ob wir Leid und Leiden vermehren oder mindern, ob wir das Dunkel in der Welt noch dunkler machen oder ob wir, wo wir können, ein bisschen Licht in die Welt bringen. Ich habe von Jesus gelernt, dass das geht. Jetzt geht - und tragt in die Welt nun ein Licht.

Tatsächlich löste die Ansammlung sich auf, manche kopfschüttelnd, andere nachdenklich. Einer ging zu Jesus und fragte, ob er bei ihm bleiben könne. Er konnte. Amen

Paul Kluge, P. em.
Grosser Werder 17
D-39114 Magdeburg
Paul.Kluge@t-online.de


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