Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Neujahrstag, 1. Januar 2005
Predigt über die Jahreslosung Lukas 22,32, verfasst von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Jesus Christus spricht: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre(Lk.22,32)
Jahreslosung 2005

Liebe Gemeinde,
die Losung für das Jahr 2005 lautet:

Jesus Christus spricht: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht
aufhöre(Lk.22,32)

Dieser Satz aus dem Neuen Testament bekam durch die Flutkatastrophe in Südostasien und Afrika einen neuen Sinn. Die Bilder des Grauens, des Schreckens, die Berichte von Überlebenden, die mit Tränen kämpfen, die oft nur stockend vorgetragenen Schilderungen erfahrener Reporter vor Ort lassen uns stumm werden. Wer nicht um Angehörige, Brüder, Schwestern, Kinder bangen muss, leidet mit. Die Bilder, die Berichte aus Südostasien legen sich über alles, stehen uns immer wieder vor Augen.

Journalisten sprechen von „apokalyptischen Zuständen“. Dieses Wort gebrauchten sie das letzte Mal nach dem 11. September. Die Journalisten damals und heute finden kein anderes Wort für das furchtbare Geschehen als dieses uns aus der Bibel bekannte Wort. Passt dieses biblisches Wort mit jenem zusammen, das die Jahreslosung für 2005 ist? Gedacht war es anders, ganz anders. Wer hätte dies auch denken können? Ist biblisches Wort gleich biblisches Wort? Ist und bleibt es?

1. Was heißt beten, für dich gebeten? Jesus sagt Petrus, dass er für ihn gebeten hat. Der Satz steht im Lukas-Evangelium. Er steht an einer entscheidenden Stelle. Lukas schreibt ihn in seinem Kapitel 22, das vor den Geschehnissen vom Vorabend von Jesu Verhaftung, Verurteilung und Tod steht. Jesus weist seine Jünger auf das zukünftige Geschehen hin. Die Jünger erleben später dieses Geschehen fassungslos. Lukas geniert sich nicht, auch und gerade nicht, von ihrer Fassungslosigkeit zu berichten. Also davor noch sagt Jesus zu Petrus den Satz. Er sagt ihn direkt zu Petrus gewandt: „Ich habe für dich gebeten“. Wenig später, noch bevor das eigentliche Drama beginnt, wird Petrus sich an diesen Satz erinnern. Petrus war Jesum nach dessen Gefangennahme gefolgt und wird erkannt, als Jesu Freund erkannt. Petrus verleugnete den Freund, um sein Leben zu retten, vielleicht auch nur, um sich vor Gefangenschaft oder Schlägen zu schützen. Wir wissen nicht, was Petrus dachte, aber wir wissen, dass er Jesum verleugnete, behauptete, Jesum nicht zu kennen. Dann, es war inzwischen spät geworden, beginnt es bereits zu tagen, hell zu werden. Ein Hahn kräht. Das Krähen löst bei Petrus eine Erinnerung aus, rief ihm das Gespräch mit Jesu ins Gedächtnis zurück. Jesus hatte in dem Gespräch Petrus auch vorausgesagt, dass Petrus ihn, Jesum, verleugnen werde. Nun ist es soweit. Das Neue Testament und Lukas scheuen sich nicht, ihren Lesern mitzuteilen, dass Petrus Jesum verleugnete. Der Freund, der Weggefährte verleugnet den Freund. Viele Kirchen scheuen sich bis heute nicht, an das Geschehen zu erinnern. Auf ihren Kirchtürmen steht ein Hahn zur Erinnerung an damals. Er dreht sich im Winde, wie Petrus sich im Winde der Meinungen drehte. Ein schöner Freund, der den Freund verleugnet! Jesus ist und bleibt ein wahrer Freund. Er erinnert Petrus an ihr Gespräch vor seiner Verhaftung. Als der Hahn dreht, dreht Jesus sich um und blickt Petrus an. Da erinnert sich auch Petrus an das Gespräch und begreift. Jesus bereitete das Begreifen vor, als er mit Petrus redete, als er für ihn betete.

2. Jesus betete für Petrus, indem er für dessen Glauben betete. Er betete nicht für Geld, Waffen, Sicherheit oder dgl., sondern um dessen Glauben. Der erbetene Glaube schaffte die Erinnerung, ließ Petrus seine Tat erkennen und auch bereuen. Lukas schreibt: „ Und er ging hinaus und weinte bitterlich (Lk. 22,62). Später wird der erbetene Glaube gar Petrus zum Prediger von Jesu Tod und Auferstehung machen. Das blieb er bis zu seinem eigenen Tod, einem gewaltsamen Tod als Prediger, Freund von Jesus.

Glaube versetzt Berge, heißt es ( Mt. 17,3; 1.Kor. 13,2). Leider stehen noch viele von ihnen. Stehen sie wirklich? Sind es so viele? Petrus starb später für Jesus, wie gesagt. Glaube ist auch die Erkenntnis: „Mit unsrer Macht ist nichts getan; wir sind gar bald verloren“, wie Martin Luther in einem Lied singt (Martin Luther, Ein feste Burg, EG 362,2). Die Flutwelle konnten wir nicht verhindern und werden solche Wellen auch in Zukunft nicht verhindern können, hoffentlich ihre Auswirkungen verringern. Wir leben auf glühend heißem Stein und werden nur durch eine Erdschicht geschützt, die zudem brüchig ist, wenn Platten sich über einander schieben oder sich an einander reiben. Vielleicht werden das nächste Mal auch nicht so viele Urlauber am Strand liegen oder wohnen, weil dann nicht gerade wiederum Feiertage sind.

„Mit unsrer Macht ist nichts getan“. Diese Erkenntnis teilt mit uns die neuere Philosophie, die Postmoderne. Sie wendet sich gegen die Moderne, gegen uns moderne Menschen. Wir können zum Mond fliegen, aber wir müssen zur brüchigen Erde zurückkehren, um zu überleben. Wir können in die tiefe der Meere tauchen und dabei versunkene Schiffe fotografieren, aber wir schaffen es nicht, Frieden zu schaffen auf der Welt, weder im Irak noch anderswo. Wahlen werden gefälscht und von Mordanschlägen begleitet. Die wegen Wahlfälschung wiederholte Wahl wird vom durch die Wahlfälschung einst begünstigten, nun bei der Widerholung zum Verlierer gewordenen gerichtlich angefochten! Toll, was wir Menschen schaffen und noch toller, was wir nicht schaffen. Es wird Zeit, dass Philosophie und Theologie uns die Augen öffnen. Diese Erkenntnis kann heilsam sein, nämlich Augen öffnen.

3. Viele, die der Flutkatastrophe entkamen, hatten nur noch ihre Strandbekleidung. Alles andere war verloren. Die Flut hatte ihrer Pässe und ihr Geld, ihre Kleider und ihre Scheckkarten mit sich gerissen. Sie waren froh, am Leben zu sein. Sie bedeckten sich in Frankfurt/M, Wien und wo immer sie ankamen mit Handtüchern, die ihnen jemand geschenkt hatte, die sie vielleicht irgendwo mitgehen hatten lassen. Das Geld, um das sich heute im Zeitalter der Shareholder-Value-Denker alles dreht, war weg. Weg. Natürlich muss die Wirtschaft Gewinne machen, aber diese Erkenntnis ist nicht die ganze Wahrheit. Diese umfasst wesentlich mehr. Dazu gehören Arbeitnehmer und Käufer. Von geringem Lohn kauft niemand ein neues Auto, kann er keins kaufen. Auch Banken geben dann keinen Kredit. Die Hoteliers in Südostasien bauten dicht am Meer, um gut zu verdienen, und sparten sich Sicherungen einzubauen, um zu verdienen. Nun haben sie nichts. Falls Versicherungen ihnen die Schäden oder Teile davon zahlen, trifft es die Versicherungen. Sie sparten sich, auf den Einbau von Sicherungen zu drängen, um Kunden zu locken. Sie dachten nicht einmal an ihr Geld, sondern nur an den momentanen Gewinn. Denken reicht weiter sogar als Geld. Schon das Altertum und später das Mittelalter wussten, dass Klugheit die Folge des Handelns mitbedenkt, anders ausgedrückt umfassend denkt. Man brachte das damals auf die im damals üblichen Lateinischen ausgedrückte Formel: „Quidquid agis, prudenter agis, prudenter agas et respiece finem“ (=Was du auch tust, handele klug und denke ans Ende). Petrus dachte nicht so weit, er dachte nur an sich, als er Jesum verleugnete. Shareholder-Value-Fans sehen nur ihren Kontoauszug, nicht den Markt, obwohl ihr Geld vom Markt kommt. Anders und kürzer ausgedrückt: sie sehen nicht den Menschen, den anderen, biblisch ausgedrückt den Nächsten. Sie sehen auch nicht, dass wir auf einer dünnen Erdschicht leben. Sie sehen nicht, dass sie auf glühend heißem Stein schwimmen! Erkenntnis, weiterzusehen, ist Glaube.

4. Um diesen Glauben hat Jesus für Petrus gebeten. Petrus begriff, wenn auch spät, fast zu spät.

Daß wir, du und ich, begreifen, besagt die Jahreslosung. Jesu Worte „Ich habe für dich gebeten“ gilt zunächst für Petrus und seit Ostern und Pfingsten für alle Welt. Darum überliefert Matthäus am Ende seines Evangeliums ein weiteres Wort Jesu, dass er an alle Jünger richtete. Wir verlesen heute das Wort bei Taufen: „ Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende “ (Matt.28, 19f).

Glaube gibt Erkenntnis und wendet sich an Alle. Unsere Kirchen sind offen, wenn wir predigen. Predigten im Internet sind frei; niemand braucht ein Passwort. Frau und Mann können an Kirchen vorbeigehen, müssen Internet-Predigten nicht aufrufen, aber auch daran dachte Jesus. „Ich habe für dich gebeten“. Er sorgt sich im voraus.

Warum denken wir bei „Versorgung“ immer nur an Versicherungen, aber nicht an Jesus und seine Vorsorge? Denken Sie darüber dieses Jahr über nach. Sie haben 365 Tage dazu Zeit.

Amen

Lied EG 58,1-2,12-14

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

 


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