Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Epiphanias, 6. Januar 2005
Predigt über
Johannes 1, 14-18, verfasst von Gerlinde Feine
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Johannes gibt Zeugnis von ihm und ruft: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt.

 


Deckengewölbe in einer Kapelle der Mauritiuskirche Ofterdingen

Liebe Gemeinde –

Niemand hat Gott je gesehen. Auch Mose nicht, der ihm doch so nahe kommen durfte, damals in der Steppe, als er seinen Namen erfuhr aus dem brennenden Dornbusch heraus, der 40 Tage und Nächte auf dem Sinai wohnte mitten in der Wolke, in der Gott war, und mit dem Gott redete „von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet.“ (Ex 33,11). Aber als er ihn sehen will, „seine Herrlichkeit“ erkennen, da warnt ihn Gott: „Kein Mensch wird leben, der mich sieht“, und zieht an ihm vorüber. Hinterhersehen darf Mose, mehr nicht.

Niemand hat Gott je gesehen. Auch nicht Elia, der an einem Tag den größten Sieg und die größte Niederlage seines Lebens erfährt und an dem Gott vorübergeht in einer an Dramatik kaum zu überbietenden Art und Weise: Sturm, Erdbeben und Feuer spürt der Prophet, „aber der Herr war nicht im Winde, …nicht im Erdbeben, (und) … nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen.“ (1.Kön 19,12). Und wie Mose, der von der Nähe Gottes so verändert wurde, daß er von innen heraus strahlte, verdeckt Elia sein Gesicht und redet mit Gott, aber er sieht ihn nicht.

Niemand hat Gott je gesehen. Auch Jakob nicht, der im Schutze der Dunkelheit am Jabbok mit ihm kämpft, auch Abraham nicht, der ihn in Gestalt von drei Männern bewirtet, auch Miriam nicht, die tanzend der Wolken- und Feuersäule nachzieht, auch David nicht und auch nicht Salomo, die träumend seine Stimme hören, auch nicht Samuel, der im Tempel vor ihn gerufen wird, und auch Hanna nicht, seine Mutter.

Niemand hat Gott je gesehen, nicht in diesem Leben. „Kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Zu groß ist der Glanz, der von Zion ausgeht (Jes 60,3), zu überwältigend die Macht und Herrlichkeit Gottes, als daß sie mit unserem Verstand und unseren Sinnen fassbar wären – allenfalls die Sprache kann sich dem annähern, die wunderbaren Bilder und Motive in den Psalmen, die anrührenden Geschichten, in denen Gott den Menschen auf eine Weise begegnet, die sie oft nur im Nachhinein verstehen, durch Boten vielleicht oder vermittelt durch Träume und Visionen.

Und so reden ja auch wir und deuten das, was uns widerfahren ist, von Gott her und auf Gott hin: „Da hat Gott mir seinen Engel geschickt“, begründen wir eine Entscheidung. „Da ist mir Gott ganz nahe gewesen“, beschreiben wir bestimmte spirituelle Erfahrungen. „Da hat Gott seine Hand über uns gehalten“, sagen Menschen, die aus einem katastrophalen Ereignis gerade noch mit dem Leben davon gekommen sind. Und andere, die vielleicht dieselbe Erfahrung gemacht haben, denen bleibt der Blick auch im Nachhinein noch verstellt. Die können Gott eben gerade nicht sehen in den Bildern, die uns das Fernsehen gerade in den letzten Wochen ins Haus gespielt hat, in den Trümmern an den Küsten Südostasiens, in den Bergen von Leichen, den endlosen Listen mit Namen von Vermissten und Toten. Da, so sagen sie, lässt sich Gott nicht erkennen, nicht einmal von hinten. (Eher schon lässt sich der andere sehen, der „gefallene Engel“ und Widersacher Gottes: In die Rauchwolken der brennenden Türme des World Trade Centers sei sein Gesicht eingegraben gewesen… Vielleicht haben Sie das Foto der merkwürdigen Wolkenformation gesehen; auch seriöse Zeitungen und Magazine haben es veröffentlicht.). Und wäre es Gott denn zu verdenken, wenn er sich einfach abwenden würde von vielen Dingen, die in seiner Welt geschehen? Wäre es nicht verständlich, daß er nicht mit ansehen möchte, wenn seinen Geschöpfen Leid oder Unrecht oder Gewalt angetan wird, selbst wenn es sich um eine Naturkatastrophe handelt und nicht um ein von Menschen ausgelöstes Unglück?

Aber so ist es nicht. Vor wenigen Tagen schrieb Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der EKD und Landesbischof von Berlin-Brandenburg, in „Spiegel online“, die Flutkatastrophe in Südostasien stelle nicht Gottes Allmacht in Frage, sondern die Allmachtsphantasien der Menschen, die vergessen haben, daß sie bei allem wissenschaftlichen Fortschritt und technischem Verständnis die Natur nicht beherrschen können. „Gottes Allmacht kann man sich nicht so vorstellen, dass Gott alles Böse und Unbegreifliche im Vorhinein aus dem Lauf der Dinge herausschneidet. Gottes Allmacht zeigt sich in der Liebe, mit der er sich uns Menschen zuwendet, damit wir uns auch angesichts des Unbegreiflichen an ihr orientieren.“ ( http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,335111,00.html) Und sie zeigt sich in der Freiheit, die er seinen Geschöpfen zumutet, auch wenn diese Freiheit nicht zum Guten genutzt wird.

Niemand hat Gott je gesehen. Und doch will Gott von uns gesehen werden. Gerade in den dunklen Momenten, in den Stunden der Verzweiflung, den Situationen voller ungelöster und unbeantwortbarer Fragen will er sich erkennen lassen von den Menschen, die doch nach seinem Bild geschaffen wurden, ausgestattet mit einem freien Willen. Sehen lassen will er sich, ohne Gefahr für die, denen er nahe sein will. Reden will er mit uns, „wie ein Mann mit seinem Freunde redet“, ansprechen lassen will er sich wie eine gute Freundin, auch anklagen lassen voller Verzweiflung, um dann trösten zu können, aufzurichten, zu stärken und zu ermutigen.

Und so lässt Gott sich sehen: Der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat ihn uns verkündigt. „Schaut hin“, sagt Johannes: „Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich.“ Schaut hin, habt keine Angst, es kann euch nichts passieren. Gott ist Mensch geworden – und lässt sich sehen! „Schaut hin, dort liegt im finstern Stall, des’ Herrschaft gehet überall. Da Speise vormals sucht ein Rind, da lieget nun der Jungfrau’n Kind“ (Paul Gerhardt). Das feiern wir an Weihnachten, das feiern wir heute am Erscheinungsfest: Gott ist den Menschen in einer Weise erschienen, die sie ertragen können, die nicht ihr Vorstellungsvermögen sprengt und sie nicht zerstört. Als Mensch – und doch unverwechselbar Gott selbst. „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ Niemand hat Gott je gesehen bis zu diesem Moment.

Freilich: Im Stall und an der Krippe ist Johannes der Täufer, der hier als Zeuge auftritt, nie gewesen. Er zeigt nicht auf das Kind, sondern auf den Mann Jesus. Er erkennt, was es mit ihm auf sich hat – In Jesus kann sich Gott selbst den Menschen sehen lassen, ohne daß es ihnen schaden könnte. Er ist Gottes Knecht und Gottes Lamm – alle Verheißung und alle Hoffnung des Alten Bundes finden in ihm ihre Erfüllung.

Das alles sieht Johannes. Und weil er in der Sprache der Tora und der Propheten zuhause ist, versteht er, was geschieht. Wir tun uns schwer mit den Zeitbestimmungen, mit der Selbstverständlichkeit, wie er „vorher“ und „nachher“ in seinen Sätzen jongliert. Er kennt die Weisheit, die als Schöpfungsmittlerin vor Gott spielt, aus Spr 8 und Hi 28 (z.B.); uns aber ist ihr Lied längst fremd geworden, wir verstehen nicht auf Anhieb, daß sie gemeint ist mit dem Wort, das Fleisch, also Mensch, wurde. Es ist gut, daß Johannes uns darauf aufmerksam macht.

Der Täufer sieht Jesus an und erkennt, daß sich in ihm Gott selbst sehen lässt. Er merkt wohl, daß etwas Neues beginnt, daß Gott den Menschen in einer Weise nahe kommt, wie sie bisher nicht möglich war. Wo für Mose und das Volk Israel die Gabe der Gebote und ein Leben in ihrem Licht die einzige Weise darstellte, Gott zu entsprechen, da wird die Welt nun von Gnade und Wahrheit umfangen. Und das alles ist einfach „geworden“, nicht von Menschen gemacht, herbeigeführt oder erarbeitet, sondern geschenkt und geschehen. Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade. (NB: Aus diesen Worten spricht nicht Johannes der Täufer, sondern Johannes, der Evangelist).

Das alles sieht Johannes. Aber er hält die Freiheit nicht lange aus. Er fühlt sich sicherer im Gesetz, das ja heilig, gerecht und gut ist (das sagt sogar Paulus; Röm 7,12). Nach Jesu Taufe lässt er ihn ziehen, und aus dem Gefängnis heraus wird er ihn fragen lassen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Er verharrt im Altbewährten, im Gesetz, von dem er weiß, daß es die Menschen auch in Gottes Nähe hält – zwar nicht so nah wie die, die von der Fülle der Gnade schöpfen, aber doch nicht in der Dunkelheit der Gottesferne. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Mi 6,4). Daran hält er sich, und das verstehe ich gut. Das gibt es ja heute auch noch, daß Menschen auf Jesus schauen, ihn sehen und erkennen, sogar andere auf ihn aufmerksam machen – und dann doch zögern, ihm in letzter Konsequenz zu trauen. In ihrer Angst klammern sie sich an das, was ihnen sichtbar vor Augen steht, an Gebote und Regeln, an Ordnungen und Vorschriften – „tu dies nicht und laß das sein“ – lassen sich verunsichern von frommen Eiferern und merken oft nicht einmal, wie weit sie das verfehlen, was ihnen doch so deutlich vor Augen steht. Wer sich an das Gesetz hält, kann Gott gefahrlos nahe sein. Aber er wird ihn nicht sehen können.

Niemand hat Gott je gesehen – bis Jesus erschienen ist als Mensch gewordener Sohn des Höchsten. In ihm und durch ihn sieht Gott nun uns an, mit den alten und weisen Augen dessen, der vor aller Zeit gewesen ist, der die Welt entstehen sah mitsamt dem Urknall und den vielen Wundern des Universums. Er sieht uns an, wie er den Mose sah und das Volk Israel in der Knechtschaft in Ägypten. Er sieht uns an wie er Elia sah, als der kraftlos und voller Verzweiflung am Horeb rastete, und wie er Abraham und Jakob beobachtete bei deren kleinen Betrügereien und großen Abenteuern, wie er sich an Miriams Tanz erfreute und an der Weisheit Salomos, wie er den kleinen David sah und das Kind Samuel, wie er über Hanna wachte in ihrer Not. Er sieht sie und sagt: „Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8).

Gott sieht uns an, nicht von weitem, sondern ganz aus der Nähe. Und auch in den ersten Tagen dieses neuen Jahres, das die Not der letzten Wochen als Last mit sich trägt, ist sein Blick voller Liebe und Wärme: Und von seiner Fülle nehmen wir alle Gnade um Gnade. Von der Gnade und Wahrheit, die in Christus geworden sind, werden wir leben, auch in diesem Jahr und in allen Jahren, die uns geschenkt werden, bis er uns zu sich ruft und wir ihm wirklich nahe sind. Von diesem Reichtum können (und sollen) wir anderen erzählen, ihnen den zeigen, in dem sich Gott sehen lässt, Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. „Herr, zeige uns den Vater“, bitten ihn die Jünger (Joh 14,8). „Herr, laß dich sehen bei uns“, rufen wir angesichts der Not und des Leids, die uns den Blick verstellen wollen. „Laß dich sehen und schau auf uns, damit wir leben können von dem Reichtum deiner Gnade.“ - „Gott, laß uns dein Heil schauen, auf nichts Vergänglichs trauen, nicht Eitelkeit uns freun; lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein.“ (M. Claudius)

Amen.

Pfarrerin Gerlinde Feine
Rohrgasse 4
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Tel. 07473-6334
Fax 07473-270266
gerlinde.feine@t-online.de

 


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