Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Sexagesimae, 30. Januar 2005
Predigt über Markus 4, 1-20, verfasst von Niels Henrik Arendt (Dänemark)
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(Markus 4,1-20 ist der Text der dänischen Perikopenordnung)

Die menschliche Hoffnung ist eine merkwürdige Sache. Sie ist zugleich gebrechlich und zählebig. In mancherlei Hinsicht wäre es leichter, wenn man davon abließe, immer wieder Hoffnung zu hegen, wenn die Zukunft finster erscheint – wenn man die Hoffnung einfach aufgäbe, aber das tun wir nicht. Im Gegenteil. Die Hoffnung stellt sich ein ums andere Mal von Neuem ein. Es wäre auch leichter, ein für alle Mal zu resignieren, sich zufrieden zu geben, sich mit dem Elend abzufinden, das es ja immer in der Welt geben wird. Stattdessen geschieht es immer wieder, dass wir den Kopf nicht hängen lassen, dass wir uns aufrichten und nach vorn spähen, und wäre es auch nur der kleinste Lichtschein.

Seine Hoffnung an Stellen zu pflanzen, von denen man nicht weiß, ob sie dort auch gedeihen kann, ob da etwas ist, wovon sie leben kann oder nicht, das scheint sinnlos zu sein. Aber wir tun es. Wie oft ist eine Erwartung geschwunden, und dann versuchen wir dennoch, sie umzupflanzen, denn wir können uns nicht dazu bequemen, sie einfach mit Stumpf und Stiel auszureißen, uns von der verwundbaren Hoffnung zu befreien und zu leben ohne Illusionen darüber, dass die Zukunft oder die Welt oder wir selbst besser werden könnten. Wir scheinen nicht ohne das leben zu können, was manche zweifellos als einen naiven Glauben bezeichnen würden, einen Glauben daran, dass alles trotz allem zu einem guten Ende führen kann.

Der österreichische Arzt Viktor Frankl, Gefangener in Auschwitz von 1942 bis 1945, erzählt, wie die Hoffnungslosigkeit vielen seiner Mitgefangenen in dem Nazivernichtungslager das Leben nahm. Und das ist vielleicht die Erklärung, dass sich die Hoffnung nicht vernichten lässt. Vielleicht ist es ein Selbsterhaltungstrieb des Geistes, der die Hoffnung sich immer wieder melden lässt, obwohl das nicht besonders realistisch ist. So war es jedenfalls für die Gefangenen: immer wieder erstarb die Hoffnung, immer wieder erstarkte sie von Neuem, aufgrund irgendeines Gerüchts, irgendeines bedeutungslosen Ereignisses, irgendeiner hingeworfenen Bemerkung eines der Henker. Einer der Gefangen kam Ende Februar 1945 zu Frankl und erzählte ihm, dass er einen Traum gehabt habe: er hatte geträumt, dass der Krieg jedenfalls für ihn am 30. März vorbei sein werde. Alle wussten, dass der Krieg in den letzten Zügen lag: Gerüchte vom Vormarsch der alliierten Truppen gelangten bis hinter den Stacheldraht, wo das Leben sonst genauso brutal und leidvoll war, wie es das die ganze Zeit gewesen war. Jetzt schlug in diesem Traum seine Hoffnung ihre Wurzeln. Er sprach davon, er freute sich, er hörte auf jedes Gerücht, das seine wilde Hoffnung hätte bestätigen können. Aber es war, wie wenn die Front still stand, und als der 29. März kam und keine Befreiung in greifbarer Nähe war, bekam der Mann einen ernsten Anfall von Flecktyphus. Am 30. März frühmorgens verlor er das Bewusstsein, und in der Nacht darauf starb er. In dem Sinne ging sein Traum in Erfüllung.

Die Episode zeigt, dass die Hoffnung sogar im kärglichsten Erdboden wächst – und dass manche von der Hoffnungslosigkeit erdrückt werden. Aber wenn man sieht, wie wenig die Hoffnung zuweilen hat, worauf sie sich stützen kann, und wie vieles sie bedroht, dann muss man wohl sagen, dass es leichter wäre, sie aufzugeben, als sie zu bewahren. Und man kann die Frage stellen, ob nicht für aufgeklärte Menschen der Realismus oder die Resignation eine angemessenere Lebensgrundlage wäre. So ist es auch heute. Ich brauche die Weltlage nicht Revue passieren zu lassen, um das zu begründen. Wer hätte das nicht so empfunden?

Für Jesus muss Resignation auch so manches Mal die Möglichkeit gewesen sein, die am nächsten lag. Wie es heute berichtet wird: er sprach, und die Menschen hörten zu, und dennoch begriffen sie nichts; er handelte, und die Menschen sahen, und dennoch begriffen sie nichts. Sogar seine Jünger missverstanden ihn. Er erkannte, dass das einzige in die Augen fallende Ergebnis seines Handelns ein wachsender Widerstand bei denjenigen war, die wirklich etwas bedeuteten – was nützte es da, dass es unbedeutende einzelne Menschen waren, die mit ihm zu halten und ihn zu schätzen schienen? Und trotzdem gab er nicht auf, sondern machte weiter. Die Erklärung dafür liegt in dem Gleichnis, das wir heute gehört haben, und in anderen von diesen kleinen bildlichen Erzählungen. Wie viele von ihnen handeln nicht davon, wie gering, wie bedrohlich, wie aussichtslos sich alles ausnimmt! Und doch enden sie immer besser und überschwenglicher, als man es sich in seiner Phantasie vorstellen kann.

Der Sämann in dem Gleichnis hatte viele Odds gegen sich; zum größten Teil sogar verborgen, erkennbar erst, als das Korn zu wachsen begann. Aber er säte trotzdem. Ja, er tat es mit einer Großzügigkeit, die ans Unbedenkliche grenzte. Dann ging das Korn auf, d.h. an den Stellen, wo noch etwas davon übrig war, und während es wuchs, musste der Sämann immer wieder zusehen, wie seine Erwartungen zunichte wurden, hier war wirklich Stoff für düstere Voraussagen über die Ernte. Und dennoch endete es also mit dieser phantastischen Ernte. Man kann den Blick nach unten richten – auf die zahlreichen Schwierigkeiten, die mit der Aussaat verbunden sind. Aber man kann den Blick auch nach vorn richten, auf die Ernte, und dies ist es, was Jesus von seinen Zuhörern will. Wer kannte nicht all die Missgeschicke, die ein Bauer hatte? Aber die überwältigende große Ernte – das ist die Pointe der Geschichte.

Von wem handelt also das Gleichnis – handelt es von der Kirche, oder handelt es von der Welt, oder handelt es von mir: dem einzelnen Menschen? Ich glaube nicht, dass man hier auf diese Weise trennen kann, alles ist doch von Gott geschaffen. Das Gleichnis handelt davon, dass das Wort Gottes eine überraschende Wirkung haben wird – auf Aufmerksamkeit stoßen, die Welt erneuern, Menschen bekehren wird. Es ist eine Geschichte, deren tiefster Sinn es ist, uns die Hoffnung und den Glauben zurückzugeben – trotz all dessen, was sie bedrohen kann. Und davon gibt es ja genug. Freude und Freimütigkeit am Leben können leicht von Sorgen und fahlen Gedanken und anderem Jammer erstickt werden. Aber das weiß Gott sehr wohl, und Gott wirft die Flinte nicht ins Korn. Es war dieses Wissen, das Jesus Mut machte, fortzufahren. Und es ist dieses Wissen, das er mit uns teilt in dieser und anderen kurzen Geschichten. Gott ist großzügig mit seinen Geschenken, Gott harrt aus, Gott weiß, was er tut, Gott hat Zeit, Gott ist geduldig. Und zu allerletzt geht es, wie Gott es in seiner Güte will.

„Das größte Wunder auf der Erd
ist’s Reich, das Christ gegründet,
sein Herrlichkeit so unerhört,
dass Gleiches niemand findet.“
(Grundtvig, dän. Ges.buch 319)

Amen

Bischof Niels Henrik Arendt
Ribe Landevej 37
DK-6100 Haderslev
Tel. +45 74522025
e-mail: nha@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier


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