Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Sexagesimae, 30. Januar 2005
Predigt über Markus 4, 26-29, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh
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Markus 4, 26-29
26 Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen auf ein Land wirft
27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – und er weiß nicht, wie.
28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, darnach die Ähre, darnach den vollen Weizen in der Ähre.
29. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin, denn die Ernte ist da.

Liebe Gemeinde

Nacht für Nacht und Tag für Tag, schlafen und aufstehen, säen und wachsen lassen, arbeiten, wachsen lassen und schließlich ernten. Nacht für Nacht und Tag für Tag darauf vertrauen - es wächst wie von selbst, das Reich Gottes!

I

Eine alltägliche Szene, milliardenfach auf der Erde erlebt, seit die Menschen sesshaft sind: Ein Mensch sät und wirft den Samen auf die Erde. Er wartet, dass neue Nahrung wächst. Immer der gleiche Kampf um das tägliche Brot, seit Generationen, immer die gleiche Mühsal. Immer die Sorgen um die Politik und um das Wetter, die – wie die Flutkatastrophe - gefährden können, was wir so mühsam zu schaffen versuchen. Im Schweiße deines Angesichtes, heißt es schon im Schöpfungsbericht, wirst du deine Arbeit tun, wirst du säen und ernten.

Eine alltägliche Szene, auch wenn uns das Säen fremd geworden ist. Wir stehen auf, Tag für Tag, wir tun, was getan werden muss, im Betrieb oder im Haushalt. Wir arbeiten und machen Pause, wir werden müde und fahren abgespannt nach Hause. Wir genießen den Feierabend und gehen zu Bett. Tag für Tag, Nacht für Nacht. Wir geben einen Teil unserer Lebenskraft, um unser Leben und das Leben anderer zu bewahren und um immer wieder neues Leben zu schaffen.

II

Was unterscheidet diese alltäglichen Szenen von der, die Jesus schildert? Unterscheidet sie überhaupt etwas? Oder ist das Reich Gottes dieser immer gleiche Alltag: zur Arbeit oder zur Schule gehen, die Betten machen, kochen, aufräumen, ausruhen, sich entspannen, schlafen.

Ich bin nicht sicher, wo genau der Unterschied liegt. Ich lese aber, dass Jesus nicht den Stress hervorhebt und die Langweile, nicht die Angst und die Ansprüche der Lehrer/innen, der Kolleg/inn/en oder des Chefs, nicht die Mühsal und die Sorgen! „Der Mann wirft den Samen aufs Erdreich und legt sich dann schlafen und steht wieder auf, Nacht für Nacht und Tag für Tag. Und der Same keimt und wächst - wie, das weiß er selbst nicht.“

Sein alltägliches Tun zeichnet sich durch geduldiges Warten aus, dass das Säen Erfolg hat. Es zeichnet sich dadurch aus, dass er beruhigt schläft: bisher hat die Arbeit fast immer Ertrag gebracht. Der Sämann hat Vertrauen, dass sein Tun sinnvoll ist. Er gibt einen Teil seiner Nahrung: den Samen, hin, um neue Nahrung zu gewinnen, er arbeitet und legt sich dann schlafen, weil er sich fest darauf verlässt, dass er weiterleben wird.

III

Seit die Arbeit der Bauern kaum noch wahrgenommen wird, seit Maschinen säen und das Säen im eigenen Garten nur noch Hobby ist, hat dieser Satz an Plausibilität verloren. Heute scheint nichts von selbst zu geschehen! Wer Achsen herstellt, der kommt nicht morgens an die Arbeit - und da ist etwas gewachsen. Die Schicht vorher hat vielleicht weitergearbeitet; aber wenn die Bänder still stehen, tut sich nichts.

Und nichts scheint in der Schule zur Zeit dringender zu sein, als den Jugendlichen beizubringen: Nichts kommt von selbst! Wer sich nicht müht, der hat keine Chance! Automechaniker willst du werden: nicht ohne gute mittlere Reife! Studieren? Nicht mit diesem Notenschnitt! Nein, nichts kommt von selber, denn: von nichts kommt nichts!

Hat dann das Gleichnis seinen Sinn verloren!? Enthält es nur noch eine nette Erinnerung an vergangene Zeiten, in denen man sich noch zurücklehnen konnte und sicher sein, ja, es geht schon irgendwie weiter, so wie es die Erafhrung der Landbevölkerung in und nach dem Zweiten Weltkrieg war: Zur Not bebaue ich mein Gärtchen, „denn von selbst bringt die Erde Frucht!“ Der fröhliche Landmann, der über die Felder zieht, eine nette Illusion aus einer Zeit, in der die Menschen ihr Leben zwar auch nicht in ihrer Hand hatten, aber in der sie sich trotz Sorgen vor Unwetter vielleicht heimischer fühlten.

IV

Wahrscheinlich stimmt beides nicht, das Bild von den guten alten Zeiten und unser Bild von heute: Menschen, die früher vom Ertrag der Felder lebten, waren nicht sicherer, gewisser, vertrauensvoller. Schon immer gab es volle Scheunen und gleichzeitig Hunger - und Menschen, die vor Hunger starben. Davon erzählt schon die Bibel, davon erzählt heute das Fernsehen in schrecklichen Bildern.

Nein, das Vertrauen, von dem Jesus in diesem Gleichnis spricht und das vielleicht das Reich Gottes ausmacht, war in einer Welt, die noch ganz oder zumindest hauptsächlich von der Landwirtschaft bestimmt war, nicht selbstverständlicher als heute. Auch damals war das Misstrauen groß, auch damals gab es Sorgen, auch damals die Angst, kann ich wirklich beruhigt aufhören und einschlafen, oder ist morgen alles zu Ende.

V

Säen, schlafen, aufstehen, Nacht für Nacht, Tag für Tag. Der Same geht auf und wächst - er weiß aber nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht.

Sich dieser Abfolge anzuvertrauen, dass war zu Jesu Zeiten nicht selbstverständlich - und ist es heute nicht. Doch damals wie heute gibt es die Erfahrung: ja, ich weiß nicht, wie es zugegangen ist, aber wie von selbst ist es gut geworden. Wie von selbst!

Da gibt es jahrelang nur Stress in einer Familie, in der Ehe, mit den Kindern, in der Schule. Und dann ergreift einer die Chance, die sich ihm bietet, sät - und gegen alle Erwartung, denn wie hatten wir es nicht schon probiert, im Guten und im Bösen, mit Drohungen und mit Belohnungen, mit Erziehungsberatung und und und .... Einer ergreift die Chance, sät - und der Same geht auf und wächst, die schulischen Leistungen bessern sich, die häusliche Lage entspannt sich. Er weiß aber nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht.

Da rutscht eine immer weiter ab, kommt nicht mehr pünktlich zur Arbeit, fängt an zu trinken, verliert den Rhythmus, kann nicht mehr aufstehen, wird straffällig - und dann trifft sie andere, die den Weg schon kennen, die ihr nichts vormachen, die sagen, das ist schwer, das schaffst du nicht allein, aber wir helfen dir - und es gelingt, und sie findet wieder zurück; am Ende weiß sie nicht wie, auch wenn sie die Mühen erlebt hat, aber dann war es doch ein Geschenk, ein wie von selbst.

VI

Nichts kommt von selbst, sagt unsere Erfahrung!
Neues Leben kommt wie von selbst, sagt Jesus! Und stimmt ein Lob des Schlafes an!

Denn das ‘nichts kommt von selbst’, lässt sich nicht zu Ende leben. Sonst müssen wir verzweifeln und werden krank. Es kommt ein Punkt, an dem wir loslassen müssen, jeden Tag. Jeden Abend legen wir uns ins Bett und sinken in Schlaf. Vielen fällt das nicht leicht, gerade wenn der Tag, die familiäre Situation, die Arbeitsbelastung, der Ärger in der Schule oder mit dem Kollegium groß ist. Aber irgendwann müssen wir loslassen. Irgendwann müssen wir uns fallen lassen, sonst gehen wir kaputt.

Für unsere Kultur, in der das künstliche Licht die Nacht zum Tage macht, in der die Bänder nicht still stehen dürfen, damit sich die Produktion lohnt, für unsere Kultur hat das etwas Faszinierendes: loslassen, zur Ruhe kommen, Vertrauen, dass mein Leben getragen ist. Wer loslassen kann, wer getrost und vertrauensvoll einschläft, der taucht ein in den Rhythmus der Schöpfung Gottes.

„Der Fromme schläft nicht nur bei Nacht, sondern während seiner ganzen Lebenszeit; er lässt es gehen, wie Gott es macht, genießt die Gaben; lässt es sich gefallen, Werkzeug zu sein, und gibt Gott die Ehre. Er schläft und hat alles gleichsam in Ruhe und Muße. Und bei allem Tun tut er nichts, und indem er nichts tut, tut er alles.“ So beschreibt Luther das Leben im Glauben, Luther, den niemand verdächtigen kann, tatenlos gewesen zu sein und die Hände einfach in den Schoß zu legen. Er stimmt ein in den Lobgesang des Schlafes.

VII

Im Reich Gottes lässt sich gut schlafen. Im Vertrauen darauf, dass Gott für uns sorgt, lassen wir los und merken: gerade wenn wir loslassen, wenn wir nicht mehr versuchen, aus eigener Kraft zu leben, schöpfen wir neue Kraft. Bei allem, was wir zu leisten vermögen und was wir auch leisten sollen, in Gottes Nähe wird uns das Leben geschenkt: Wie von selbst bringt die Erde Frucht - wie von selbst.

Amen.

Direktor Priv.-Doz. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Evangelisches Predigerseminar
der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck
Gesundbrunnen 10
34369 Hofgeismar
05671-881271
e-mail: cornelius-bundschuh@ekkw.de


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