Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Reminiszere, 20. Februar 2005
Predigt über Matthäus 12, 38-42, verfasst von Reiner Kalmbach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Wer mit pubertierenden Jugendlichen zu tun hat, kann manchmal der Verzweiflung nahe sein…, ich weiss wovon ich rede, mein 15-jähriger Sohn löchert mich ständig mit Fragen und Zweifeln, die sein momentanes “Innenleben” widerspiegeln: “…was du uns all die Jahre über den Glauben beigebracht hast, was in der Bibel steht, was du Sonntags von der Kanzel predigst, das ist doch alles anfechtbar, nichts von dem was da geschrieben steht, ist bewiesen…”

Manchmal begleitet mich mein Sohn auf den langen Fahrten durch den Süden Argentiniens (mein Gemeindegebiet umfasst die Grösse Süddeutschlands). Da haben wir viel Zeit für intensive Gespräche, für die ich immer wieder dankbar bin. Es ist klar, dass er nicht einfach vom kindlichen Vertrauen in den Unglauben gefallen ist und sich neuerdings nur noch auf logisch und rational Erklärbares verlässt. Er stellt ganz einfach die “Autoritätsfrage”, schliesslich geht es ja um die “Wahrheit”. Warum sollen wir “glauben”, dass Jesus der Weg, das Leben und die Wahrheit ist…, das ist wohl ein sehr hoher Anspruch, mehr noch: an diesen Jesus glauben, erfordert die Aufgabe all dessen, was uns Sicherheit und Bequemlichkeit bietet, denn dieser Anspruch steht über dem “Menschenmöglichen”!

Mein Sohn möchte gerne “Beweise”, und als Vater ist man versucht sie ihm, auf der Basis seiner eigenen Argumentation, also der Vernunft, zu geben. Aber da ist nichts…, ausser dem Wort, das für den Gläubigen Sein Wort ist, und dieses Wort ist so klein und zerbrechlich, jeder kann es mir in Frage stellen. Da hilft es auch nicht, wenn ich meinem Sohn sage, dass der Glaube mit Vertrauen und nicht mit Schauen zu tun hat…In seiner pubertären Unsicherheit, in seinen Zweifeln würde er gerne “sehen”, er muss sehen…Zeichen.

Und um Zeichen geht es heute, Zeichen, gefordert nicht von einem zweifelnden Jugendlichen, sondern von “wissenden” Schriftgelehrten und Pharisäern.

(Textlesung)

Wir haben das Recht auf ein Zeichen! (?)

Warum wollen die Schriftgelehrten und Pharisäer Zeichen sehen? Sie haben ein Recht darauf! Schliesslich stellt dieser Jesus so ziemlich alles in Frage, was den Leuten heilig ist: Sabbatgebot, Tempelreinigung, er spricht mit Frauen die in zweifelhaftem Ruf stehen, korrupte Steuereintreiber zählen zu seinen Jüngern, er vergibt Sünden (wo doch nur Gott selbst Sünden vergeben kann…). Wenn Jesus schon mit diesem Anspruch auftritt, dann soll er gefälligst seine “Akkreditierung”, seine Vollmacht nachweissen.

Jesus musste wissen – und er wusste es!, dass seine Auslegung der Tora (“…ich aber sage euch!”), seine Lebenspraxis, seine Predigt den Konflikt mit der Jerusalemer Obrigkeit heraufführte. Er ging diesen Weg also ganz bewusst! Das offenbart sich ganz besonders in seiner Hinwendung zu den Benachteiligten, Verachteten und Gescheiterten. Nicht dass er in seinem “sozialen Engagement” zu weit gegangen wäre (wie es einige Ausleger behaupten); die Ursache seines Handelns ist eben nicht in der sozialen, politischen oder gesellschaftlichen Situation zu suchen, sondern im “Reich-Gottes-Prinzip”: Gottes Name wird geheiligt, Sein Reich kommt, Sein Wille geschieht, indem Menschen aus den gottwidrigen Bindungen befreit werden durch die Vergebung der Sünden.

Jesus stellt ein ganzes Denksystem in Frage, er greift es an und damit diejenigen die über die Einhaltung der Regeln wachen.

Bei uns in Südamerika haben jene Kirchen und Gruppen Zulauf, die den Menschen Zeichen (und Wunder) am Fliessband bieten. In gefüllten Hallen, über Fernsehkanäle und sogar im Internet löst Jesus Probleme aller Art und mit Garantieschein. Mit nur einer Bedingung: man muss an die Zeichen glauben! Wenns nicht klappt stimmt eben der Glaube nicht…In diesem System ist kein Platz mehr für das Kreuz (das als Lebenswirklichkeit angenommen sein will). Jesus ist der Supermann der seine Macht auf Abruf unter Beweis stellt.

Die Menschen haben also das Bedürfnis nach Zeichen, darauf wollen sie ihren Glauben bauen: ob pubertäre Jugendliche, oder theologisch geschulte Fachleute, ob unwissende (und darum irregeführte) Arme in Südamerika, oder ich selbst in meinen Zweifeln: wir haben ein Recht auf Zeichen!

Die Frage die sich mir stellt, ist aber die: um welches Zeichen handelt es sich?, ein Zeichen das unseren Vorstellungen und Wünschen entspricht (und sie dadurch bestätigt), oder ein ganz anderes Zeichen, eines das von uns als solches nicht auf Anhieb erkannt werden kann, eben weil es so gar nicht in unser Konzept passt…?

Wer Zeichen fordert hat grundsätzlich eine ganz klare Vorstellung: “…so muss es sein, sonst glaube ich es nicht!”. Also: Jesus muss unserem Willen entsprechen, er muss uns gehorchen. Aber…

Jesus gibt uns dieses Zeichen nicht…

Im Grunde genommen geht es diesen “Zeichensuchern” nicht um Jesus, sondern eben um das sichtbare Zeichen. Als Christen sehen wir uns immer wieder mit diesen Forderungen konfrontiert. Deshalb müssen und wollen wir unseren Glauben rechtfertigen, unseren Anspruch, uns in alles einzumischen, wir wollen begründen, vielleicht sogar beweisen. Wenn wir aber in diesem Sinne über unseren Glauben nachdenken, stoßen wir unwillkürlich auf Jesus: was hat Jesus mit unserem Glauben zu tun?, welche Rolle spielt er heute (noch), für mich persönlich, für die Welt die mich umgibt?

Immer wieder wollen mir aufgeklärte Menschen einreden, dass Jesus – für seine Zeit und in seiner Umwelt -, sicherlich in jeder Hinsicht revolutionär dachte und handelte. In diesem Sinne kann er sogar ein Beispiel für uns sein…Aber wir müssen heutzutage unseren eigenen Weg finden. Zu allen Zeiten gab und gibt es “Visionäre”…

Wer glaubt steht mit seinem Denken und Handeln ganz woanders, er lässt sich mit rationalen Erklärungs – und Deutungsversuchen nicht einordnen. Jesus ist eben keine Variante (unter anderen) des Menschlichen. Er ist ganzer Mensch und zugleich etwas ganz anderes – von daher muss man auch die Zeichenforderung der Schriftgelehrten und Pharisäer verstehen: nur wer tatsächlich dieses “Andere” wäre, hätte die Vollmacht so zu reden und so zu handeln. Also soll er gefälligst einen Nachweiss vorlegen! Hätte er wirklich diese Vollmacht – verliehen von Gott–Vater persönlich, dann müssten selbst die grössten Kenner und Ausleger des mosaischen Gesetzes – und sei es zähneknirrschend, ihn anerkennen, dann stünde er über Mose und den Propheten!

Die Zeichenforderung an sich ist also nichts negatives, nicht nur der Unglaube will sich – durch Zeichen – bestätigt wissen, sondern auch unser Glaube lebt von Zeichen. Die Bibel ist voll davon: Mose zwingt den Pharao durch die Plagen (Zeichen) in die Knie, dann der Durchzug durchs Rote Meer. Oder auch unsere eigenen Glaubenserfahrungen, klar und eindeutig für den der sie erlebt, zweifelhaft und anfechtbar für den Aussenstehenden (“noch wandeln wir im Glauben nicht im Schauen und sehen durch einen Spiegel in einem dunklen Wort…”, sagt Paulus).

Jesus gibt kein Zeichen, dabei ist es keine Frage, ob er es könnte. Er tut es nicht. Täte er es, seine Gegner müssten sich geschlagen geben, alle müssten sich ihm beugen…, der Unglaube würde zur Unmöglichkeit, freilich nur deshalb, weil es dann auch keinen Glauben mehr gäbe. Zehn Plagen haben den Pharao nicht zu einem gläubigen Menschen gemacht. Er hat nur klein beigegeben, aber Liebe zu den Menschen wurde nicht daraus. Und gerade darum geht es!!! Hätte Jesus der Forderung seiner Gegner nachgegeben, das Resultat wäre Hass in ihren Herzen.

Anders gesagt: die Pharisäer und Schriftgelehrten wollen “sehen” (zuschauen), sie wollen keine Entscheidung aufgrund einer inneren Überzeugung treffen. Jesus soll ihnen diese Entscheidung abnehmen. Und das geschieht in unserer modernen Welt tagtäglich und in allen Lebensbereichen.

Gott will nicht unseren Verstand zum Verstummen bringen, sondern unsere Herzen gewinnen. Ein Zeichen würde uns nicht zur Umkehr (Busse) bewegen, Sein Reich würde nicht in unsere Herzen einziehen und von uns Besitz ergreifen.

Nein!, für Leute die von “aussen” sehen wollen, Christuserkenntnis ohne Risiko, ohne Vertrauen, ohne Konsequenzen (Umkehr), “nur mal sehen, was er kann…, und dann weitermachen wie bisher…”, ein spektakulärer Christus, für solche Leute gibts keine Zeichen!

Was nun?, wirklich kein Zeichen, kein “Gottesbeweiss”?, gehören wir gar zu diesem “abtrünnigen Geschlecht” von dem Jesus redet…?, und wie erklär ichs meinem Sohn…?

Nein, kein Zeichen…, kein “solches” Zeichen…

…weil Jesus selbst dieses Zeichen ist!

Und er versucht es an einer Figur zu veranschaulichen, die alle Welt kennt: an Jona, eine der Geschichten, die selbst in nichtkirchlichen Kreisen und sogar noch heute bekannt sein dürfte. Dieser Jona, der einen Auftrag ausführen soll, dessen Konsequenzen er aber fürchtet…und deshalb flüchtet, sich aus der Verantwortung stiehlt…, fort, nur fort, um dann festzustellen, dass Gott überall ist, sogar im tiefsten Innern eines Seeungeheuers. Und dann erzählt uns die Bibel: “Geh in die Stadt und predige wider sie…”, “…Es sind noch 40 Tage, so wird Ninive untergehen…!”; “…da glaubten die Leute von Ninive an Gott…Als aber Gott ihr Tun sah…, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tats nicht…”

Hier wird Gottes Absicht deutlich: Gericht – Umkehr – Vergebung -, Gott will Ninive (die Welt) auf keinen Fall aufgeben, sich selbst überlassen. Ninive, die geliebte Welt für die Gott bereit ist, alles zu tun, ja er ist sogar bereit sich selbst zu opfern. In dieser Absicht Gottes kann man das Kreuz erkennen – als Zeichen -!

Das ganz “andere” Zeichen: die Menschen erwarten, dass Jesus sich über alles Menschliche hinaushebt, seine Supermannqualitäten unter Beweiss stellt, aber das Zeichen weist in die andere Richtung, nicht nach oben, sondern nach unten!. Nicht seine Hoheit sehen wir, sondern seine Erniedrigung, nicht seine Allmacht, sondern seine Schwachheit…, ja sogar seine Gottverlassenheit! Ist das ein Zeichen? Es ist so anders, dass es für die Menschen zum Skandal wird, und ein Skandal erregt Aufmerksamkeit…Das Kreuz steht da, hineingerammt in die Erde, für alle sichtbar…, am Kreuz, an diesem Zeichen kommt niemand vorbei! Manch einer bleibt stehen und denkt darüber nach, beginnt zu “verstehen”, zu “glauben”. Das Kreuz stellt alles in Frage: unsere Art die Wirklichkeit zu sehen und sie zu beurteilen, die Tendenz uns selbst rechtzufertigen…Die Wirklichkeit des Kreuzes stellt unsere Erwartungshaltung auf den Kopf, wer an dieses Zeichen glaubt, fragt nicht: “…was hat mir das Leben zu bieten?”, sondern: “…was kann ich dem Leben geben?” Wer sich auf das Kreuz einlässt wird verändert, so wahr Gott lebt! Wer dieses Zeichen anerkennt wird befreit von all den selbstgerechten und selbstgezimmerten Systemen, wer seinen Blick auf das Kreuz richtet, spührt, dass es ihm zum Leben verhilft. Jona bleibt nicht im Bauch des Fisches: nach drei Tagen ist er wieder da, Ninive muss gerettet werden!

Jesus selbst ist das Zeichen für uns zur Umkehr. Die Menschen wollen von Leigitimität reden, Jesus spricht von Umkehr…, wie die Niniviten: sie erschraken über sich selbst, sie “kehrten um”, weil sie glaubten. Die Pharisäer und Schriftgelehrten wollten von Umkehr nichts wissen, sie standen schliesslich auf der richtigen Seite, sie gehörten zu den (All)-wissenden. Aber gerade gegen sie werden die Niniviten und die heidnische Königin im Jüngsten Gericht als Zeugen aussagen. Dann wird Jesus sagen: “sie taten Busse nach der Predigt des Jona…ihr hingegen nicht…”

Und an dieser Stelle müssen wir uns fragen: wie steht es um die christliche Gemeinde, um die Kirche, um die Christen? Damals waren die Gesprächspartner Jesu die Schriftgelehrten und Pharisäer, heute sind wir es. Wer wird dereinst in der Zeugenbank sitzen, um gegen die Christenheit auszusagen? Wie steht es mit dem Zeugnis unseres Glaubens in der Welt?, ist es “glaubwürdig”, offenbart sich darin Gottes Liebe für diese Welt, oder spiegelt sich darin eher unser eigener Stolz und die Rechtfertigung unseres Lebensstils…?

Christus ist das ganz andere Zeichen, das Zeichen das nach unten zeigt. Dieses Zeichen (Kreuz) müsste für die Christen die auf der “Sonnenseite” dieses Planeten leben, ein ständiges Ärgernis sein, Grund genug zum Nachdenken, zum Umkehren…

Und mein Sohn?: er wird lernen zu vertrauen auf dieses kleine, zerbrechliche und anfechtbare Wort. Wie? Indem wir als Eltern versuchen den ganz anderen Christus glaubwürdig und im täglichen Leben zu bezeugen. Gott helfe uns!

Amen.

Reiner Kalmbach
reikal@neunet.com.ar


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