Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Reminiszere, 20. Februar 2005
Predigt über Matthäus 15,21-28 (dänische Perikopenordnung),
verfasst von Kirsten Bøggild (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


DAS BEHARREN DES GLAUBENS

„Weib, dein Glaube ist groß!“, sagte er. In diesem formelhaften Ausruf liegt eine ganze Welt: die Welt des Glaubens. Eine Welt mit einem großen Register von Tönen, Farben und Nuancen, Gefühlen, Worten und Taten. In der kurzen Erzählung von der kanaanäischen Frau lernen wir die Stärke des Glaubens kennen. Wir folgen ihrer Bewegung von Ohnmacht zu Macht in ihrem schließlichen Sieg. Und wir können, wenn wir wollen, uns selbst und unseren eigenen Glauben oder Mangel an Glauben in dieser Bewegung spiegeln.

Die kanaanäische Frau hat alle Chancen gegen sich. Ihre Tochter ist sehr krank und hilflos. Sie selbst ist eine Fremde und gehört zu den Ausgestoßenen und Verachteten im Verhältnis zu den Leuten und der Religion, zu denen Jesus und seine Jünger gehörten.

Es beginnt in Not und Ohnmacht. Der Schmerz einer Mutter, ihrem kranken Kind nicht helfen zu können. Eine Notsituation wie viele andere. Gemeinsam ist ihnen die Verzweiflung, nichts unternehmen zu können. Die Liebe, die will, dass der andere glücklich ist – und dann kann sie nur zusehen, wie der andere leidet und Tag für Tag immer unglücklicher wird. – Der Glaube entsteht merkwürdigerweise in der Ohnmacht. Wir sollten meinen, er entstünde als Reaktion auf etwas Wunderbares und Starkes. Das geschieht gewiss auch. Aber ebenso oft entsteht er als ein Notschrei, ein Ruf um Hilfe. Weil die Liebe nicht resigniert. Weil die Liebe am Ende nicht verzweifelt. Die Liebe gibt nie die Hoffnung auf. Und wenn alles hoffnungslos scheint, dann gibt es nichts anderes als zu glauben. Zu glauben gegen alle Widrigkeiten.

Vielleicht wusste die Frau selbst kaum, was sie tat, als sie Jesus anrief und ihn um Barmherzigkeit bat. Getrieben von ihrer tiefen Verzweiflung ging sie spontan dorthin, wo Hoffnung auf Hilfe sein konnte. Hin zu dem Mann, den sie gesehen und gehört hatte und der besaß, was sie nötig hatte: die Macht zu helfen. Große Selbstüberwindung war nötig, denn das Wahrscheinlichste war doch, dass sie abgewiesen würde. Ich glaube nicht, dass sie lange überlegt hat, ehe sie hinging. Ich glaube, sie ließ sich von einer inneren Kraft zu ihm führen, ohne dass sie sich dessen bewusst war. Sie hatte sich selbst und ihren Stolz vergessen, das Unglück ihrer Tochter erfüllte sie ganz und trieb sie vorwärts. Ob sie gedemütigt und ausgescholten würde, das war ihr völlig gleich. Was bedeutete das im Verhältnis zu dem, was sie vielleicht erreichen konnte, wenn sie all ihre Aufmerksamkeit auf den Mann richtete, der die Macht über Glück und Unglück besaß? Was bedeutete es schon, dass sie sich in den Augen anderer demütigte und sich in aller Öffentlichkeit der Gefahr aussetzte, abgewiesen zu werden? War das nicht total gleichgültig – angesichts dessen, was sie wollte? Die Selbstüberwindung, die so nötig schien, wurde ihr, glaube ich, kaum bewusst, so stark war der Drang in ihr, Hilfe zu bekommen, und ihr Glaube, dass sie Hilfe bekommen würde.

Aber es kam zu einer massiven Ablehnung. Schockierende Demütigung. Zuerst begegnete man ihr mit Schweigen. Als ob sie gar nicht da wäre. Als ob sie Luft für ihn wäre. Als ob sie es nicht wert wäre, auch nur ein einziges Wort an sie zu richten. Eine Eiseskälte war die Antwort auf ihren Hilferuf. Sie gehörte ja nicht dazu. Ja, und als auch das sie nicht zum Rückzug bewegen konnte, bekam sie zu wissen, dass sie nicht besser sei als ein kleiner dummer Hund. Welch ein Spott! Welch eine Scham! Wie er sie in den Schmutz trat! Jesus erscheint hier als ein ungemütlich harter Mann – bei weitem nicht der weiche, gutherzige, umherwandernde Prophet, den wir uns so oft vorstellen. Aber in diesem Geschehnis entwickelt sich der Glaube der Frau. An die Stelle eines nahezu unbewussten Drangs, der sie in die Arme des göttlichen Mannes treibt, tritt allmählich ein bewusster Kampf gegen die völlige Ablehnung und die Hoffnungslosigkeit, die daraus zu folgen pflegt. Möglicherweise ist die schreckliche Attitude, die Jesus an den Tag legt, eine bewusste Probe seinerseits. Eine Probe, wieviel ihr Glaube zu tragen vermag und zu welcher Stärke er sich entwickeln mag. Glaube wächst durch Widerstand – war es das, was er mit ihr vorhatte? Und wenn sie nun schreiend fortgelaufen wäre und ihn weit weggewünscht hätte wegen seiner Kälte und seiner Verachtung für sie, was wäre dann aus ihrer unglücklichen Tochter geworden? Was wäre aus der Verzweiflung der Mutter geworden? Und was wäre aus dem Glauben geworden, der sie trotz allem aus ihrem eigenen geborgenen Heim und hinaus in die Öffentlichkeit getrieben hatte, wo sie auf fürchterliche Weise gekränkt und gedemütigt worden war?

Nicht besser als ein dummer kleiner Hund! Das hatte er gesagt: „Es ist nicht recht, der Kinder Brot zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen!“ Man sollte meinen, eine solche Grobheit hätte ihr den Mund verschlossen. Aber Glaube und Hoffnung und Liebe machen erfinderisch. Anstatt ihm ins Gesicht zu schlagen – was eine natürliche Antwort auf die Beleidigung gewesen wäre – geht sie auf das Wortspiel ein: „Gewiss, Herr, aber auch die Hunde fressen ja von den Brosamen, die von ihrer Herren Tische fallen!“

Nicht sie ist gelähmt, sondern er ist gelähmt. Er demütigt sie, aber sie spielt ihn an die Wand. Er hat keine Gründe für eine Ablehnung mehr. Indem sie auf die Demütigung eingeht und sie in ihr Gegenteil verkehrt – nämlich in Stolz – gewinnt sie den Kampf durch Findigkeit und Selbstüberwindung. Von einer weinenden, schreienden, verzweifelten Mutter hat sie sich zu einer mutigen, klugen und situationsbewussten Frau entwickelt, blitzschnell und entschlossen. Glaube ist nicht nur ein unbestimmtes und folgenloses Gefühl. Glaube ist Kampf. Findigkeit und Intelligenz. Wenn das nötig ist. So wächst er von einem verzweifelten Notschrei um Hilfe zu einer Selbstverteidigung und Argumentation. Alle Kräfte des Gemüts und des Gehirns werden mobilisiert.

Wenn der Glaube auf dem besteht, was er will, muss er sich den Weg durch alle Barrieren hindurch ertrotzen. Das ist ein Wissen, das uns ermuntern kann.

Die kanaanäische Frau ist eine Freundin im Glauben. Ein Beispiel für einen Menschen, der nicht aufgibt, wie groß der Widerstand auch sein mag. Und das haben wir nötig. Wir selbst. Wenn wir in einer ähnlichen Situation sind. Wenn uns aller Glaube, alle Hoffnung und zuletzt alle Liebe verloren gehen. Wie nahe läge es, nachzugeben und sich niederzulegen und nur festzustellen, dass nun nichts mehr zu machen ist! Es dämpft unseren Protest und unsere gepeitschten Gefühle, einfach die Waffen zu strecken und sich passiver Resignation hinzugeben. Das wäre am leichtesten – und würde vielleicht sogar eine Art Frieden mit sich bringen? Aber nein – das wäre Selbstaufgabe, und das würde bedeuten, die im Stich zu lassen, die wir lieben. Was wäre aus der unglücklichen Tochter geworden, wenn die Mutter aufgegeben hätte? Wir erhalten durch die kanaanäische Frau den Mut, darauf zu beharren, dass unsere Liebe Recht hat. Dass wir nie resignieren. Dass wir beharren – auch wenn nichts so aussieht, als wollte es gelingen. Glaube ist Trotz gegen alle Formen des Abgelehntwerdens. Und er kommt im Innersten aus einem Vertrauen auf Gott, das so urprünglich ist, dass niemand es mit etwas anderem begründen kann als mit ihm selbst oder mit Gott.

Der Widerstand gegen das Beharren des Glaubens kommt sowohl von außen als auch von innen. Komm jetzt zur Vernunft! Sieh den Realitäten in die Augen, sagen wir uns selbst und zueinander. Da ist keine Hoffnung mehr. – Aber der Glaube ist trotzig. Er hält nicht nur einen kleinen Augenblick. Er hält lebenslänglich. Wenn er erst einmal sich über sich selbst im Klaren ist und weiß, was er will. Wenn Liebe Glaube ist und Glaube Liebe ist, gibt es nichts, was ihn abweisen könnte, weder von außen noch von innen. Die Frage ist, ob Liebe und Glaube eins geworden sind, oder ob sie zwei geschiedene Dinge in einem Menschen sind. Sind sie zu einem geworden, dann sie sind auf gewisse Weise unüberwindlich, aber wenn sie zweierlei sind, jedes für sich und getrennt voneinander, dann sind sie nicht stark genug. Denn was wäre die Liebe der Frau ohne Glauben? Und was wäre der Glaube der Frau ohne Liebe? – Aber genau dies ist so oft das Problem, dass wir uns Liebe sentimental ohne Glauben vorstellen und Glauben allzu rational denken, ohne Liebe mitzudenken. Nur wenn Liebe und Glaube zwei Seiten ein und derselben Sache sind, ist der Glaube trotzig und ausharrend bis in den Tod.

Dass Liebe und Glaube vereint unabweislich und unüberwindlich sind, kommt zum Ausdruck, als Jesus sagt: „Weib, dein Glaube ist groß! Dir soll geschehen, wie du es willst!“ Ihr Ruf um Hilfe wurde erhört. Der Glaube hatte sich von Ohnmacht zu Macht über den Gegner bewegt, so dass er Frucht trug in der Erhörung eines Gebets. Was der Glaube wollte, geschah – allerdings erst nach einem langen und zähen Kampf.

Ist diese Frau wie eine Freundin im Glauben? Ein Beispiel zur Ermunterung für jedermann? Ja, so ist sie ja wohl gedacht und beschrieben. Es ist ein Mysterium, dass der Glaube seine eigene Erfüllung bewirkt. Der Glaube an den Sohn Gottes. Und zwar auch in unserem Leben.

Ein Mysterium will ich es nennen, dass das, was der Glaube will, auch geschieht. Denn das steht nicht in unserer Macht. Es geschieht durch die Gnade Gottes. Die Gnade, für die der Sohn Gottes lebendiger Ausdruck war. Er konnte also das Beharren der Frau so beantworten, wie er es tat.

Amen.

Sognepræst Kirsten Bøggild
Thunøgade 16
DK-8000 Århus C
Tel.: +45 86 12 47 60
E-mail: kboe@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier


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