Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Lätare, 6. März 2005
Predigt über Johannes 6, 48-51.55-65, verfasst von Hinrich Buß
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Vorbemerkungen:
1. Ich nehme zur Predigtperikope (Joh. 6,55-65) V. 48 und V.51 hinzu. Dies geschieht, um von der Brotrede, die das ganze 6. Kapitel durchzieht, entscheidende Sätze und vor allem die Spitzenmetapher "Ich bin das Brot des Lebens" aufzunehmen. V. 51. ziehe ich heran, weil in dem Vers "Brot" und "Fleisch" gleichgesetzt werden. Ich folge darin Martin Nicol in GPM 1999, Heft 2.
2. Ich führe auch ein Beispiel aus der (vergangenen) Sowjetunion an, in der Meinung, daß atheistische Vorstellungen nach wie vor brisant sind.
3. Die Kirchentür der Marktkirche in Hannover ziehe ich als Illustration heran, weil sie in mehrfacher Hinsicht erhellend ist.
4. Die Vancouver-Erklärung zum Abendmahl aus dem Jahre1984 findet man im bayrisch-thüringischen Gesangbuch auf S. 1504.
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Liebe Gemeinde,

1.
Als diese Worte gefallen sind, wird es unruhig unter den Zuhörern. Sie murren, sie widersprechen, sie empören sich. "Das ist eine harte Rede", sagen sie, "wer kann sie hören?" Sie geht ihnen gegen den Strich. Später wird berichtet: "Von da an wandten sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm." Es sind nicht irgendwelche Neugierige, die eben einmal vorbei gekommen sind, vielmehr überzeugte Anhänger aus dem engsten Kreis. Was hat sie in Rage gebracht?

"Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist", hat Jesus gesagt. "Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit." Viele Male ist diese Stelle seither wiederholt worden, auch Konfirmanden lernen sie auswendig. Was ist daran ungewöhnlich? Es ist der ungeheure Anspruch, der zum Ausdruck kommt: "Ich, Jesus, bin das Brot des Lebens", verstärkt noch durch den Zusatz: "das vom Himmel gekommen ist". Jesus macht geltend, daß er himmlisches Manna zu bieten hat.

Aber nun drehe man den Spieß einmal um: Dann sind es Worte für Lebenshungrige, für Menschen, die einen großen Appetit auf Leben haben. Man stelle sich vor, es gäbe auf der ganzen Erde keine hungernden Menschen mehr - nicht auszudenken, was das bewirken könnte! Man stelle sich vor, daß Menschen, die gefangen sind und sich nach Freiheit sehnen, tatsächlich frei gelassen würden, in Israel und Palästina, in Nordkorea, in anderen Weltgegenden. Man stelle sich vor, daß der Hunger nach Liebe tatsächlich erfüllt würde. Man stelle sich vor, daß der Hunger nach Gerechtigkeit auf Gegenliebe stieße, weil alle miteinander teilten: Brot, Wärme, Wohnung und Geld. Ist das denkbar?

Vorstellbar ist es schon, danach sehnen wir uns, danach hungern und dürsten wir. Aber es ist zunächst nur eine Wunschvorstellung, weit entfernt von jeder Realität. Wenn nur e i n Hunger nach Leben gestillt werden könnte, würde man bereits aufatmen. Wo der Mund zu voll genommen wird, da winken die Leute ab und gehen davon. Sie ärgern sich, damals wie heute. Doch Ärger hin, Ärger her, Jesus setzt sich souverän darüber hinweg und nimmt für sich in Anspruch, daß er Brot des Lebens bieten kann, ja daß er selbst das Brot des Lebens ist.

2.
Ich habe in einer Zeitung ein Plakat abgebildet gesehen, das in der früheren Sowjetunion an vielen Orten ausgehängt war. Man sieht darauf einen Priester, der in der einen Hand Brot, in der anderen einen Kelch hält. Das Abendmahl ist dargestellt, jeder erkennt es ohne Mühe. Darunter ist zu lesen: "Ob es wohl satt macht?" Die Antwort kann man sich leicht zusammen reimen. Ein Stückchen Brot, ein Schlückchen Wein, was können sie schon ausrichten? Nichts, wenn man Hunger hat. Lächerlich wenig sind sie. Als "Brot für die Welt" sind Oblate und Kelch ungeeignet. Das Plakat unterstellt: Hier werden Menschen für dumm verkauft. Religion ist Opium für das Volk, so die alte Ideologie. Wo der Magen gefüllt werden müßte, werden Menschen mit Worten eingedeckt und mit einem Stückchen Brot und einem Schlückchen Wein abgespeist. So der Vorwurf. Hier wird offenbar das Murren der frühen Christen ergänzt durch den Spott der Atheisten.

Zu Recht? Lassen Sie uns aufpassen, daß der gut gefüllte Bauch nicht die Gedanken vernebelt.
Das Abendmahl ist kein Sättigungsmahl. Das wäre zu wenig. Hier geschieht Größeres. Jesus ist Geber und Gabe zugleich. Er ist derjenige, der sich selber mitteilt, der sich preisgibt, der sich opfert: "Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm." Der bleibt dauerhaft mit ihm verbunden. Jesus vergibt Menschen, damit ein Neuanfang möglich wird. Er stärkt Schwache, damit sie Kraft gewinnen. Er tröstet Traurige, damit sie wieder lachen können. Er ist Sterbenden nahe, damit sie Hoffnung gewinnen.

Das Abendmahl ist eine "Feier des Lebens", wie die Weltkirchenkonferenz in Vancouver 1984 dies Mahl genannt hat. In dem Dokument sind schöne Formulierungen enthalten:
"Mitten in Hunger und Krieg feiern wir, was verheißen ist: Fülle und Frieden.
Mitten in Drangsal und Tyrannei feiern wir, was verheißen ist: Hilfe und Freiheit.
Mitten in Zweifel und Verzweiflung feiern wir, was verheißen ist: Glauben und Hoffnung.
Mitten in Furcht und Verrat feiern wir, was verheißen ist: Freude und Treue.
Mitten in Haß und Tod feiern wir, was verheißen ist: Liebe und Leben.
Mitten in Sünde und Hinfälligkeit feiern wir, was verheißen ist: Rettung und Neubeginn.
Mitten im Tod, der uns von allen Seiten umgibt, feiern wir, was verheißen ist durch den lebendigen Christus. Kyrie eleison."

Das Abendmahl hat die Kraft, in Krisensituationen das Leben erneut mit Vertrauen und Sinn zu erfüllen und das Lebensschiff wieder flott zu machen. Das Abendmahl ist eine Speise, welche die Erde mit dem Himmel verbindet.

3.
Natürlich brauchen Menschen etwas zu essen, wenn sie Hunger haben. Wenn der Magen knurrt, kann man den Menschen keine Bibel in den Mund schieben, auch keine Oblate und keinen Abendmahlswein. Dann braucht man etwas zum Beißen. Christen haben das Wort Jesu im Ohr: "Gebt, so wird euch gegeben." (Luk.6,38) Oder mit Jesaja gesprochen (57,8): "Brich dem Hungrigen dein Brot." Jesus selbst hat das Startzeichen gegeben, mit der Speisung der 5.000. In dem 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums wird eingangs davon berichtet. Brot des Lebens sein heißt auch: den knurrenden Magen zu füllen. Dafür steht in der evangelischen Kirche "Brot für die Welt".

Auf dem Plakat ist die Frage notiert: "Ob das wohl satt macht?" Das ist geschickt gefragt und zugleich falsch gedacht. Es reicht nicht, Menschen nur abzufüttern. Es gibt andere lebensnotwendige Bedürfnisse.

Die Marktkirche in Hannover hat eine große Bronzetür. Sie ist nach dem 2. Weltkrieg entstanden, beim Wiederaufbau. Sie enthält eine Reihe von Bildern. Auf ihr ist u.a. ein Mann dargestellt, der an einem Tisch sitzt und es sich schmecken läßt. Er ißt mit Behagen, man sieht es ihm an. Nach den vielen Entbehrungen im Krieg sich endlich wieder den Magen füllen zu können, ist ein Genuß. Es gibt Braten, es gibt Wein. Ein Kellner bedient. Er bringt heran, was der Gast sich wünscht. Ein bißchen Bauch hat er schon angesetzt. Das Bild ist eingereiht in Darstellungen wieder entstehenden Lebens. Nur eine Figur ist befremdlich: der Kellner. Er trägt einen Frack, der nur den Oberkörper bedeckt. Ansonsten ist er nackt. Man sieht seine Knochen. Der Kellner ist der Tod höchstpersönlich. Er bringt womöglich Speisen, die angereichert sind mit Chemie, Früchte, schön anzusehen, aber leider gespritzt. Oder der Keller ist so eifrig, weil er ahnt, daß der Gast deutlich über den Appetit ißt. Oder er stellt dar, daß kein Mensch von Essen und Trinken allein leben kann, vielmehr mit den vielen Speisen auf dem Tisch geistig und seelisch verhungert. Was nun zutrifft, muß jeder und jede selbst herausfinden. Der Kellner bleibt stumm, wie es die Art des Knochenmannes ist. Man hat ausgerechnet, daß bei uns mehr Menschen an falscher Ernährung sterben als durch Verkehrsunfälle umkommen. Wir essen um zu leben, aber oft genug ist es Brot des Todes, das wir uns einverleiben. Brot des Lebens brauchen wir, aber was ist das?

4.
Wir brauchen Freude, die unser Herz beseelt; Liebe, die unser Haus ausfüllt; Mut, der unseren Schritt beschleunigt, Wahrheit, die klare Gedanken macht. Wir brauchen den Geber des Lebens. Auf der Bronzetür der Marktkirche ist auch Jesus dargestellt, oben über allen Bildern, die das tägliche Leben zeigen. Gewalt ist dargestellt und Liebe, Haus anzünden und Haus aufbauen, Gräber ausheben und Kinder gebären. Beides ist da, das Böse ist nicht verbannt. Jesus hat es nicht wie einen Spuk vertrieben. Aber er hebt seine segnenden Hände. So als wollte er sagen: Ja, dies gibt es weiterhin, aber bitte, bleibt nicht dabei stehen, hebt eure Augen, seht das Brot des Lebens.

Und nun geht ein Brautpaar durch diese Tür, unter dem segnenden Christus hindurch. Braut und Bräutigam wissen, daß sie nicht von Luft und Liebe allein leben können. Das Paar weiß aber auch, daß es nichts so sehr benötigt wie eben diese Liebe. So treten beide vor den Altar und beten: Wir möchten gern füreinander da sein, wir möchten unsere Liebe erhalten. Aber bitte, wir können uns nicht dafür verbürgen, wir brauchen deinen Segen. Das tägliche Brot haben wir; gib uns das Brot der Liebe, von dem wir auf Dauer leben können. Sie sprechen es aus und gehen gestärkt nach Hause.

An anderer Stelle, in unserer Stadt, liegt eine Frau auf dem Krankenbett. Sie ist erst wenig über 60 Jahre alt, aber sie hat nicht mehr lange zu leben. Der Krebs hat sie zerfressen. Ihr Mann steht neben ihr und bettelt: Bitte, nimm doch ein Stückchen Brot, du verlierst sonst alle Kraft. Aber sie kann gar nicht mehr schlucken, sie bringt nichts mehr hinunter. Sie hat Geburtstag, ein Chor kommt und singt ein Lied, und das geht in sie hinein und füllt sie aus, mehr als jede Speise. Dann wird ein Tisch gedeckt, nicht mehr mit Wurst und Schinken oder Kaffee und Kuchen, nur ein Schluck Wein und ein Stück Brot bekommt sie, mit den Worten: "Für dich gegeben, für dich vergossen". Sie braucht es nicht mehr als Nahrung für ihren Körper, vielmehr als Lebensmittel für die lange Reise. "Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist", sagt Jesus. "Wer von diesem Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit."

Ob man davon satt werden kann? Fragen Sie Sterbende; fragen Sie Menschen in Not und Verfolgung; fragen Sie junge Leute, die sich lieben: Ein Wort kann die Welt verändern. Ein Stück Brot kann das Brot des Lebens sein.

Amen.

Landessuperintendent i. R. Dr. Hinrich Buß
Göttingen
Hinrich.Buss@evlka.de


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