Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Palmarum, 20. März 2005
Predigt über Markus 14, 3-9, verfasst von Alois Schifferle
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Die Perikope Mk 14,3-9 handelt von der Salbung Jesu in Betanien. Sie muss im Gesamtduktus von Mk 14,1-25 gesehen werden, wo es letztlich um Jesu Leiden und Verherrlichung geht. Das 14. Kapitel beginnt mit den Versen 1 und 2 die den Todesbeschluss des Hohen Rates zum Inhalt haben. In den Versen 3 bis 9 befindet sich Jesus im Hause Simons des Aussätzigen, als eine Frau mit einem Gefäß von Alabaster, das kostbares Öl beinhaltet, auftritt. Sie lässt es nicht dem Aussätzigen zukommen, sondern zerbricht das Gefäß und salbt Jesu Haupt damit. Ihr Handeln ruft Unruhe bei den Umstehenden hervor. Sie muss sich den Vorwurf der Verschwendung gefallen lassen.

In diesem Zusammenhang, so meine ich, sind die Verheißungen des Glaubens größer als das Leid, das uns Menschen treffen kann. Die Verheißungen des Glaubens zielen ja immer auf Leben schlechthin. „Wer glaubt, steht in dem Gespräch mit Gott, das Leben ist und den Tod überdauert“ (Kardinal Ratzinger).

Sicherlich ist es schwieriger geworden, von dieser Verheißung zu sprechen. Es gab eine Zeit, in der die Menschen vornehmlich ihren Blick auf das Jenseits richteten und nach ihrem ewigen Heil fragten. Die Antwort, die sie auf diese Frage erhielten, half ihnen, ihr Leben auch im Diesseits zu bestehen. Heute hingegen blicken wir Menschen vornehmlich auf unser irdisches Leben und beschäftigen uns beständig damit, wie wir es am besten bestehen und einrichten können. Die Glaubenden unter uns aber sind gewiss, dass die Antworten, die sie finden und lieben auch im Angesicht von Leiderfahrung und Tod standhalten. Diese neue Richtung kann stimmen, wenn wir daran denken, dass Jesus selbst die Frage nach dem Ewigen Leben mit dem Hinweis auf den Nächsten beantwortet hat. Der Vorwurf hier im Text - kostbares Öl zu verschwenden - hat eine egoistische Komponente, die durchbrochen werden muss.

Der Perikopen-Abschnitt Mk 14,3-9 steht inmitten der Perikope Mk 14,1 - 15,47, das heißt der Geschichte um die Passion Jesu, also eine Geschichte um Leben und Tod.

Jedes Drama bezieht bekanntlich seine Spannung aus einem Konflikt. Den Konflikt, der Jesus letztendlich den Tod bringt, haben wir hier schon im Blick: Es wäre besser darum - so die eine Seite - dieses Öl zu verkaufen und den Erlös den Armen zu geben, als es einfach über das Haupt eines Jesus von Nazareth auszugießen. Wir sehen, wie hier polare Gegensätze aufeinander prallen: Es geht um die bessere Wahl. Wenn wir es im übertragenen Sinn verstehen wollen, geht es um Leben und Tod. Selbst der Zuschauer ist im Drama immer am Geschehen beteiligt. Das Drama enthält aber eine Spannung, die durch die Worte Jesu wieder aufgelöst werden, denn er sagt voraus, was auf ihn zukommt: Verrat, Verleugnung, sogar seine Auferweckung. Zudem gibt es beim Abendmahl einen Sinn: Hier steht nicht nur das Leben eines Unschuldigen auf dem Spiel, sondern es geht um die Erkenntnis, dass dieser Jesu der gesalbte Gottes ist! Die Salbung hat somit etwas Heiliges, etwas Ausersehenes an sich, etwas Kostbares. Im übertragenen Sinn bedeutet dies, dass der Gesalbte mit überragender Kraft ausgestattet ist, wobei der Höhepunkt der Dramaturgie da erreicht ist, wo ihn später die Hohen Priester und Schriftgelehrten verurteilen und ihn noch am Kreuze als Messias und König Israels herausfordern - welch ein Missverständnis! Und nach Jesu Kreuzestod, (Mk 16,8) von fruchtenden Sätzen umgeben, gehen sie hinaus um einem Toten einzubalsamieren. Das heißt, sie gehen hier daran, in ihrer Trauer die getötete Hoffnung zu mumifizieren, um wenigstens die Hülle ihrer Hoffnung zu erhalten. Aber erst später wird deutlich und klar, wem Gott an Ostern Gültigkeit verliehen hat: dem Leben Jesu, wie es sich in Galiläa abgespielt hat und wie es in Jerusalem am Kreuz zur Vollendung gekommen ist. Der Auferstandene ist nun der Gekreuzigte und Gesalbte zugleich. Er trägt die Stigmata seiner Vergangenheit in Galiläa - auch mancher Fehlerwartungen und Fehlinterpretationen der damaligen Verantwortlichen. Jesus von Nazareth hat in seinem Verkünden und Verhalten, in seinem Leben und Sterben die Liebe Gottes als die letzte Macht über unser Dasein offenbar gemacht, durch die Dunkelheit und Unverständlichkeit seines Leidens und Sterbens. Der Glaube des Gesalbten Jesus von Nazareth an seinen Vater enthält im Tod seine endgültige Gestalt - im Tod in der Liebe Gottes geborgen zu sein. Für Markus ist auch das Sterben des Gesalbten Jesu Evangelium; ein von Gott gewolltes Ereignis, von Jesus bewusst akzeptiert. Denn dadurch stellt er sich in die Leidenstradition seines Volkes Israel hinein. Gerade das Evangelium der markinischen Passionsgeschichte (Kartage und Osternacht) könnte hilfreich sein, die Wahrheit Jesu zu erschließen: Dass Jesus Gottes Sohn ist, entdeckt jeder, der sich - gleich ihm - dem notwendigen Leiden nicht entzieht, sondern es annimmt und nach Jesu Beispiel durchträgt. Hier berühren sich näherhin Palmsonntag und Karfreitag - und er kommt uns entgegen beim Brotbrechen, wo sie ihn erkannten.

Von einem eigentlichen Zweikampf, einem Duell zwischen Tod und Leben handelt ja gerade die Sequenz der katholischen Osterliturgie. Das Vorrücken des Todes unserer Welt und im eigenen Leben, geschieht leise und weniger dramatisch. Ebenso verhallen unauffällig die Versuche des Widerstandes und des Aufstandes gegen den Tod unserer Zeit. Aber solche Zeichen und Signale des Lebens wider den Tod werden doch gesetzt. Eine Erinnerung nach rückwärts, zur geschehenen Auferstehung - aber ebenso eine Erinnerung nach vorwärts zur Auferstehung, die immer neu geschehen soll und geschehen muss, bleibt eine Erinnerung, die man alleine für sich selbst gar nicht festzuhalten vermag, sondern die einem von anderen zugerufen und zugesprochen werden muss. Ich möchte diese Überlegungen schließen mit einem Gedanken von Dorothee Sölle: „Auferstehung“: „Sie fragen mich nach der Auferstehung. Sicher, gehört habe ich davon, dass ein Mensch dem Tod nicht mehr entgegenrast, der Tod, hinter einem sein kann, weil vor einem die Liebe ist. Dass die Angst hinter einem sein kann, die Angst, verlassen zu bleiben ... Ach, fragt nicht nach der Auferstehung. Ein Märchen nach uralten Zeiten, das kommt dir schnell aus dem Sinn. Ich höre denen zu, die ich austrockne und klein mache; ich richte mich ein auf die langsame Gewöhnung ans Todsein in der geheizten Wohnung; den großen Stein vor der Tür. Ach, frag du mich nach der Auferstehung, ach, hör nicht auf mich zu fragen.“

Unsere Welt soll daher nicht nur die Spuren der Gewalt und die Narben angetanen Leids tragen. Die Erde soll schließlich nicht von Salzmeer und Wüstensand überflutet werden, sondern deutliche und unverwischbare Spuren von geschwisterlichen und freien Menschen erhalten. Oder im Sinne Berthold Brechts gedeutet: Die am Horizont der Zukunft erhoffte neue Welt liegt in großer Ferne. Er will darauf hinweisen, wer die ihm auf der Erde gegebene Zeit nützt, lässt sie uns dennoch näher rücken. Aus dem Vermächtnis an die Nachgeborenen Berthold Brechts betont er darin: „In die Stätte kam ich zur Zeit der Unordnung, als der Hunger herrschte. Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs und ich empörte mich ihnen. So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben ward. Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten. Schlafen legte ich mich unter die Mörder. Der Liebe pflegte ich achtlos. Und die Natur sah ich ohne Geduld. So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben ward. Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit. Die Sprache verriet mich, den Schlächter. Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden saßen ohne mich, sicherer, das hoffte ich. So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben ward. Die Kräfte waren gering, das Ziel lag in großer Ferne. Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich, kaum zu erreichen. So verging meine Zeit, die auf Erden mir gegeben ward.“ In diesen Gedanken wird deutlich, dass durch alle Unterschiede hindurch eine neue, überraschende Gemeinsamkeit aufleuchtet: Verbunden sind Menschen nicht durch zeitliche oder räumliche Nachbarschaft, sondern durch ihre Sensibilität für Sterben und Leben. So wie sie es in ihrem je eigenen Leben, in ihrer menschlichen Begegnung und in ihrer Gesellschaft erfahren. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich nicht abstumpfen lassen gegen die tragischen Verwundungen und noch weniger gegen die schuldhaften Verhinderungen des Lebens. Sie warnen alle vor dem leisen Vorrücken des Todes und sehen ihm nicht tatenlos zu. Gemeinsam ist ihnen eine nicht auszutreibende Liebe zum Leben zu allem Lebendigen und zu allem, was lebendig macht. Sie nehmen dafür den Mund nicht voll mit den großen Worten des Glaubens. Sie prägen nicht aufdringlich und demonstrativ überall das Symbol des Kreuzes und der Auferstehung Christi ein. Ihre Schlüssel sind oft ohne religiöse Markenzeichen, ohne kirchlichen Firmennamen - aber vielleicht ist gerade dies, ihre einzige und entscheidende Konfession im wörtlichen Sinn: Sie bekennen sich gegen den offenen und getarnten Tod und - sie erschließen uns das Leben!

Prof. Dr. Alois Schifferle
Lehrstuhl für Pastoraltheologie
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
alois.schifferle@ku-eichstaett.de


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