Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Palmarum, 20. März 2005
Predigt über Matthäus 21,1-9, verfasst von Erik Bredmose Simonsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Soll die Kirche politisch sein?
- eine Predigt zu Palmarum im Schatten des Irakkrieges

Die Kirche muss aktuell sein! Die Kirche muss Stellung nehmen! Die Kirche hat Stellung zu nehmen und mit ihrer Auffassung der Fragen und Problemstellungen der Zeit voranzugehen!

So hören wir es unablässig von vielen verschiedenen Seiten in der dänischen Gesellschaft. Zuletzt haben wir es im Zusammenhang mit dem Krieg im Irak vernommen. Es ist aber die Frage, ob sich diejenigen, die so nach der Stellungnahme der Kirche verlangen, im Ernst klar gemacht haben, was das beinhalten würde, und nicht zuletzt ist es eine große Frage, ob es überhaupt die Aufgabe der Kirche sein kann, in den politischen Angelegenheiten der Gesellschaft Stellung zu beziehen.

Wir wollen die beiden Fragen jeweils für sich betrachten. Zuerst die Frage, was es bedeuten würde, wenn die Kirche in dem Sinne politisch sein soll, dass sie sich einmischt und Partei ergreift und sich zu politischen Fragen der Zeit äußert.

Soll die Kirche in die politische Diskussion hinreinreden, dann hat man zunächst einmal zu klären, wer denn überhaupt die Kirche ist. Und es erfordert eine kirchliche Leitung, die sich für die ganze Kirche äußern und sagen kann: die Kirche hat die und die Meinung. Es gibt viele Menschen, die der Auffassung sind, so etwas wäre nicht nur ein großer Vorteil, sondern auch notwendig – auch viele Pfarrer sind dieser Ansicht.

Aber man muss sich hier doch ernsthaft besinnen und die Unkosten abwägen. Soll die Kirche auf diese Art und Weise politisch sein, dann kann das sehr schnell die Folge haben, dass ein großer Teil der Mitglieder der Kirche sich genötigt sieht, auszuwandern, weil die eigenen politschen Standpunkte nicht mit denen der Kirche harmonieren. Diese Auffassung ist nur eine, die ich hier zufällig aufgegriffen habe. Ein guter Freund und Kollege von mir predigte neulich in einem Gottesdienst gegen den Irakkrieg, und das führte unmittelbar dazu, dass mehrere Kirchgänger während des Gottesdienstes aufstanden und die Kirche verließen.

Man kann zahlreiche Beispiele solcher Ereignisse beibringen, und wenn die Leute dann auswandern, wenn politische Standpunkte zur Sprache kommen, so ist das nicht notwendig ein Ausdruck banaler Meinunsunterschiede, auch nicht bloß Ausdruck dafür, dass sie keine Möglichkeit zur Gegenrede hätten, nein, es geht hier in Wirklichkeit um etwas sehr viel Tieferes, sehr viel Ernsteres.

Und hier sind wir bei der zweiten Frage angelangt, die ich anfangs stellte, nämlich der Frage, inwieweit es überhaupt die Aufgabe der Kirche sein kann, politisch Stellung zu nehmen angesichts gesellschaftlicher und insoweit auch großer weltpolitischer Problemstellungen.

Vielleicht scheint es unmittelbar wie eine Frage, die man ohne viel Drumherumreden mit Ja beantworten könnte, denn die Kirche muss wohl eine Meinung darüber haben, was gut und was böse ist, was Wahrheit und was Lüge ist, was richtig und verkehrt ist. Und das ist sicher wahr, die Kirche darf und muss verkünden, dass es gut und böse, Wahrheit und Lüge gibt und dass wir Stellung nehmen und wählen müssen, dass wir uns an die Wahrheit halten und das Gute tun müssen.

Allerdings ist das denn doch nicht ganz so einfach, denn nirgends wird uns auseinandergesetzt, was das Gute so im ganz konkreten Sinne ist.

Der Herr der Kirche Jesus Christus wanderte ja nicht umher und erklärte den Menschen damals deutlich das Gute und das Böse. Aber man kann sagen, dass er ihnen und damit auch uns eine Grundlage gab, Stellung zu beziehen. Du sollst den Herren, deinen Gott und deinen Nächsten lieben wie dich selbst, sagte er; aber er gab nie eine Fazitliste oder ein Handbuch für Liebe und Güte. Jesus handelte nie prinzipiell, nie auf der Grundlage von Ideen, was das Gute sei. Er war immer konkret und seine Taten waren immer auf einen konkreten Menschen in einer konkreten Situation gerichtet. So ist die Liebe. Sie lässt sich nicht einfangen in einem politischen Programm, mit dem man sich dann auf den Weg machen und messen könnte, welche Handlungsweise jeweils gut und richtig sein mag. Und außerdem ist es doch so, dass die absolute Wahrheit, die absolute Liebe und die absolute Güte Gott allein zugehört. Als Menschen sind wir darauf angewiesen, in einer Welt zu leben, die sich nicht so ohne Weiteres auf- und einteilen lässt in Gut und Böse und in gute und böse Menschen. Die Welt ist der Ort der Zweideutigkeiten, wo Gut und Böse unablässig in uns und um uns streiten, und das ist so, weil wir nun einmal nicht in dem Paradies leben, in dem alles gut und eindeutig war.

In dieser unserer zweideutigen Welt sind wir jeder für sich gehalten, auf eigene Verantwortung unseren Weg zu finden, unsere Wahl zu treffen und unsere Entschlüsse zu fassen. ”Du sollst den Herrn deinen Gott und deinen Nächsten lieben wie dich selbst”, das ist, wie Jesus es sagt, das erste und größte Gebot, und dies Gebot steht fest für jeden einzelnen von uns. Aber zu verstehen, was es für uns bedeutet, und das heißt, herauszufinden, was wir zu tun haben, ja, das zu entscheiden ist ganz und gar jedem einzelnen Menschen selbst aufgegeben. Und jeder Mensch muss seine Antwort auf eigene Verantwortung finden. Und hierin liegt auch, dass wir alle miteinander zu jeder Zeit verpflichtet sind, Stellung zu nehmen – auch zum Krieg im Irak.

Aber die Antwort auf die Frage, inwieweit der Krieg berechtigt, notwendig oder böse sei, die ist nicht eindeutig, weil es in unserer Welt keine eindeutigen Antworten gibt. Jeder muss Stellung beziehen. Und jeder muss darüberhinaus mit der Gefahr leben, dass man grausame Fehler begehen kann. Und es kann ebenso falsch sein, auf eine Stellungnahme zu verzichten, wie es falsch sein kann, Stellung zu beziehen. Wir können nicht davon befreit werden, Schuld auf uns zu laden, sei es dass wir Stellung nehmen oder nicht, und sei es, dass wir den einen oder den anderen Standpunkt einnehmen. So ist das Menschsein, weil es keine absoluten Wahrheiten gibt in der Welt, in der wir schalten und walten.

Hätte man beispielsweise Ende der 30er Jahre rechtzeitig gegen Hitler eingegriffen, hätten Millionen Juden und anderer Kriegsopfer während des Zweiten Weltkrieges vielleicht ihr Leben gerettet, aber das konnte man ja erst im Nachhinein wissen. Wenn daher die Regierungschefs der Zeit glaubten, sie hätten nach Verhandlungen mit Hitler „Frieden in unserer Zeit” geschaffen, so waren sie guten Glaubens. Der gute Glaube erwies sich allerdings als nicht gut genug.

Wir sollen nicht töten, heißt es in einem der Zehn Gebote, und Jesus wiederholte es. Und das mag ja ziemlich eindeutig scheinen, aber wann tötet man im Grunde mehr? – wenn man es unterlässt, einen mörderischen Tyrannen zu entfernen, der täglich mordet und Menschen in großer Zahl unterdrückt, oder wenn man versucht, ihm mit den damit verbundenen unbehaglichen Unkosten das Leben zu nehmen?

Ich kenne die Antwort auf diese Frage nicht, und es kann mir unbehaglich zumute sein angesichts all dessen, was unsere Welt leidet; aber ich habe kein Recht, von der Kanzel die zu verurteilen, die den einen oder den anderen Standpunkt eingenommen haben. Beide Haltungen mögen ihre Berechtigung haben, und Ideen für die Antwort auf die gestellte Frage kann uns nur die kommende Zeit geben, während die endgültige Antwort bis zum Tage des Gerichts warten muss, bis zu dem Tage, an dem wir nicht mehr stückweise erkennen werden, bis zu dem Tage, an dem Gott alles in allen wird und wir die große Wahrheit und Verklärung sehen werden, so wie Paulus es am Schluß des ”Hohenliedes der Liebe” im ersten Korintherbrief sagt.

Es ist mit anderen Worten nicht so ohne Weiteres machbar, zu verlangen, dass die Kirche zu politischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung nehmen soll. Zwar soll die Kirche das Wort Gottes als die Wahrheit verkünden, aber die Kirche selbst liegt ja im Zweideutigen und kann daher nicht das Patent auf Gottes Wahrheit beanspruchen. Wir sind auf die Auslegung angewiesen, und damit befinden wir uns in der Welt der relativen Wahrheiten. Wir können und sollen unser Leben leben und Stellung beziehen und im Lichte des Wortes Gottes handeln, und unser christlicher Glaube kann uns die eine oder andere Überzeugung eingeben, aber das ist und bleibt etwas, von dem wir nicht sicher sein können, dass das, was wir tun, nun auch der Wille Gottes ist.

Und obendrein ist die Kirche ja nicht bloß ein gewöhnlicher öffentlicher Raum, wo die Meinungen miteinander streiten und politisk dikutiert werden können. Nein, die Kirche hat die Aufgabe, uns das Wort Gottes zu verkünden, die frohe Botschaft, dass Gott Mensch wurde um unsertwillen, um uns nahe zu sein mitten in dem guten, aber auch in dem beschwerlichen und zweideutigen Leben, das wir hier in dieser Welt zu leben haben. Dass er starb und auferstand, damit wir leben können, obwohl auch Bosheit, Leiden und Tod mit zu unserem Leben gehören.

Fängt man an, in der Kirche Politik zu predigen, dann bringt man auf ungute Weise Gottes Wort und seine eigenen politischen Anschauungen durcheinander. Gott wird dann zum Garanten dafür gemacht, dass bestimmte Auffassungen gut und wahr sind, während Leute, die anderer Meinung sein mögen, damit automatisch des Feldes verwiesen werden, indem man so ja behauptet, sie stünden gegen Gott und seien unchristlich. Die Welt und die Geschichte bieten unzählige Beispiele, dass so etwas ein teuflischer Cocktail ist.

Palmsonntag ist insofern ein gutes Beispiel, dass sich Jesus gerade nicht mit der politischen Macht abgeben wollte. Als er in Jerusalem einzog, um dort das Osterfest der Juden zu feiern, da strömten die Leute um ihn zusammen und jubelten ihm zu als dem neuen König. Man hatte seine Botschaft nicht verstanden, und deshalb erwartete man, dass er nun die Macht ergreifen und die Führung im Kampf für die Vertreibung der verhassten römischen Besatzungsmacht übernehmen würde.

Dass er auf einem Esel, einem Arbeitstier, geritten kam, dass er friedfertig war, beachtete man nicht, denn man war allzu beschäftigt mit eigenen politischen Projekten. Wenige Tage danach erstarben die Hosianna- und Hurrarufe, und es traten ganz andere an ihre Stelle: Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!

So entwickeln sich die Dinge in der Welt der Zweideutigkeiten. Im Namen der guten Sache kreuzigte man die Liebe. Er war und ist Gottes Wort an uns, und er ließ sich nicht in den politischen Kampf hineinziehen, und dafür musste er mit seinem Leben bezahlen.

Doch steht das, womit er gekommen ist, auch noch heute unum­stößlich fest. Er war Gottes Wort an uns, und das ist er noch immer, denn er ist auferstanden am Ostersonntag. Und er wird bei uns sein mit seiner Liebe und seiner Vergebung – auch wenn wir die unvermeidliche Schuld auf uns laden, die damit verbunden ist, Mensch zu sein in einer zweideutigen Welt. Amen.

Pfarrer Erik Bredmose Simonsen
Præstebakken 11
DK-8680 Ry
Tel.: ++ 45 - 86 89 14 17
E.mail: ebs@km.dk

Übersetzt von Dietrich Harbsmeier

 


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