Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Gründonnerstag, 24. März 2005
Markus 14, 17-26, verfasst von Reinhard Überrück
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


17 Als es Abend geworden war kam Jesus mit den zwölf Jüngern.
18 Und als er mit ihnen bei Tische war und aß, sagte Jesus: „Ich sage euch, es ist sicher, einer von euch, der jetzt mit mir ißt, wird mich verraten.“
19 Sie wurden tief betroffen darüber und sagten zu ihm einer nach dem anderen: „Doch nicht etwa ich?“
20 Jesus antwortete:„Einer von euch Zwölfen, der mit mir aus einer Schüssel ißt!
21 Das geschieht, damit der Menschensohn stirbt, wie über ihn in der Heiligen Schrift geschrieben steht. Wehe dem Menschen, der den Menschensohn ausliefert. Es wäre besser, er wäre nicht geboren worden.“
22 Als sie mit ihm aßen, nahm er das Brot, dankte, brach es in Stücke und gab es ihnen und sprach: „Nehmt, das ist mein Leib.“
23 Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und gab ihn herum und alle tranken daraus.
24 Und er sagte zu ihnen: „Das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für Viele.
25 Ich sage euch, es stimmt, dass ich nicht mehr trinken werde von diesem Erzeugnis des Weinstocks bis zu jenem Tag, wo ich es neu trinken werde im Reich Gottes.
26 Und den Lobpsalm singend gingen sie zum Ölberg.

Liebe Gemeinde!

Die bekannteste szenische Darstellung unseres Predigttextes ist wohl Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“. Unzählige Male ist dieses Wandgemälde aus einer Mailänder Kapelle kopiert worden. Das Original ist leider vom Zahn der Zeit etwas unansehnlich geworden, aber in vielen christlichen Häusern hängt es, als mehr oder weniger gelungene Replik, aufgefrischt, versilbert, vergoldet, in Kupfer getrieben oder als Holzrelief.

In einer Ausstellung mit religiöser Gebrauchsgrafik aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts habe ich mal eine ganze Wand mit mindestens 50 verschiedenen Kopien des „Letzten Abendmahls“ gesehen. Das wirkte fast erschlagend, aber auch erheiternd, weil durchaus nicht jeder Künstler das Niveau von Leonardo erreichte. Auch heute kann man Leonardokopien noch in jedem christlichen Devotionalien-Laden kaufen.

Viele Künstler hat es zu Bildbearbeitungen animiert. Es gibt eine CD zu kaufen mit 150 Varianten. Frauen kann man da am Abendmahlstisch versammelt sehen oder Schauspieler, Jesus als Schwarzer, Asiate, Indio, als Parteivorsitzender oder als Karikatur. Geben Sie mal im Internet bei Google in der Bildsuche „Abendmahl“ ein. Sie werden viele dieser Bilder dort finden.

Sie machen deutlich: dieses Bild und die Geschichte dahinter lässt Menschen nicht los. Regt sie immer wieder an zum Nachdenken, Weiterphantasieren und Aktualisieren.

Bei mir selber ist das Leonardo-Bild mit meiner Konfirmandenzeit verbunden. Wir haben damals einen Schwarz-Weiß-Film aus den 60er Jahren von Jörg Zink gesehen, der Leonardos Abendmahl auf unvergleichliche Weise erklärte. Dabei machte er vor allem die Spannung deutlich, die in dieser Szene in der Luft liegt, als Jesus sagt: „Einer von euch, der mit am Tisch sitzt, wird mich verraten.“ Diese Sekunden sind es ja, die Leonardo festgehalten hat. Wie die Jünger aufspringen, die Entrüstung, der Ärger. Das kann doch nicht sein.

Es ist aber so: Der Verräter sitzt mit am Tisch - das ist die Botschaft des Leonardo Abendmahls und auch das Anstößige, das Menschen immer wieder an der Schilderung vom letzten Abendmahl fasziniert hängen bleiben lässt.

Das letzte Abendmahl Jesu ist keine heile Welt, keine idyllische Szene. Wer es sich - wie das Kreuz auch - ins Zimmer hängt, hängt sich damit ein Ärgernis ins Zimmer und nicht einen Traum von einem gelungenen Festmahl, einer gelungenen Fete im Kreis der Familie oder der Freunde.

Und es gibt ja auch keine Auflösung der Spannung, dieses Krimis. Der Verräter wird nicht entlarvt, zumindest jetzt noch nicht und nicht beim letzten Mahl mit Jesus. Natürlich kennen wir als Bibelleser die Vorgeschichte und wie es weitergeht, aber eben in diesem Moment noch nicht. Und so ist denn die brennende Frage der Jünger: „Doch nicht etwa ich?“ eine, die herausstrahlt. Herausstrahlt aus Bild und Szene auf uns selber, zu uns heute hin.

Und wenn wir in diesem Gottesdienst gemeinsam das Abendmahl feiern, dann legt uns unser Predigttext heute ganz besonders diese Frage vor, einem jeden von uns.

Die Geschichte des Abendmahls ist weitergegangen. Für Christen ist es zum großen Hoffnungs- und Heilszeichen geworden. In besonderer Weise fühlen wir uns im Abendmahl, wenn wir es feiern, verbunden mit Gottes Heilsgeschichte und mit seiner Vergebung.

Wenn ich mich im Gottesdienst auf das Abendmahl einlasse, dann ist das eine andere Situation als die beim letzten Abendmahl mit Jesus. Wir wissen mehr als die Zwölf, kennen Ostern schon. Darum kann ich nach dem Gang zum Altar beim Zurückgehen in die Kirchenbank durchaus ein befreiendes glückliches Gefühl haben und ein wenig Kribbeln im Bauch.

Den Jüngern beim letzten Abendmahl Jesu ging es wahrscheinlich anders. Sie gingen vermutlich nicht fröhlich in Richtung Ölberg, auch wenn unser Predigttext von einem Lobpsalm auf ihren Lippen berichtet. Das war vermutlich nur der Abschlußgesang des Passahmahls, zu dem sie eigentlich zusammengekommen waren. Ritual und Liturgie eben, aber in ihrem Inneren wird es anders ausgesehen haben. Selbstzweifel, enttäuschte Hoffnungen, Erschöpfung, Trauer, das Gefühl von kaputter Gemeinschaft.

Das letzte Mahl mit Jesus wirft mehr Fragen auf als es für die Jünger beantwortet.
Für mich gehört das „sich selber Fragen“ beim Gang zum Abendmahl dazu. Auch wenn es vielleicht etwas hart klingt. Letztlich ist es die Frage: „Bin ich’s, der Verräter?“

Früher war es in vielen Gegenden Brauch, nur einmal im Jahr zum Abendmahl zu gehen, am Gründonnerstag oder Karfreitag. Die Reduzierung sollte die Hochachtung vor dem Abendmahl ausdrücken. Sogar die Anmeldung zum Abendmahl gab es und spezielle Beichtfeiern, damit deutlich wurde: ich habe mich auch richtig vorbereitet, um an den Tisch des Herrn zu kommen. Ich weiß: Auch ich schleppe Schuld mit mir rum, habe meine schwarzen Flecken, Belastungen, Schwierigkeiten und Probleme, die nur Gott mir nehmen kann. Auch ich werde immer wieder zum Verräter an meinem Glauben.

Heute wird in den Gemeinden das Abendmahl häufiger angeboten, einmal im Monat etwa, und die Schwelle zur Teilnahme ist nicht mehr so hoch, man kann auch spontan zum Abendmahl gehen. Und das ist auch gut so, denn sich der Vergebung Gottes zu vergewissern, kann nicht nur einmal im Jahr richtig und wichtig sein.

Aber die Frage: „Bin ich’s, der Verräter?“ gehört immer mit dazu. Nur wer etwas von dieser Spannung weiß, die über der Geschichte vom letzten Abendmahl liegt und die uns mit einbeziehen will, wird offen für Befreiung und Vergebung, wenn er sie mitnimmt beim Gang zum Abendmahl.

Es bleibt die ganz konkrete Frage: „Wo bin ich’s denn nun, der Verräter?“ Da muß natürlich jeder für sich die Antworten finden. Hierbei ist jeder ganz allein vor Gott.
Es hilft vielleicht, die einzelnen Lebensbereiche durchzugehen, in denen wir stehen.

Mit unserem Glaubensleben fängt es an. Wie sieht es damit aus? Welchen Stellenwert hat Gott in meinem Leben? Wann habe ich das letzte Mal mit ihm gesprochen, gebetet?

Mit unseren Beziehungen könnte es weitergehen, Freundschaften, Ehen, Familie: Was läuft da schief? Wo werden wir den Anderen nicht gerecht oder lassen jemanden links liegen, der dringend unsere Hilfe braucht?

Das Nächste könnten unsere Sozialkontakte sein an der Arbeitsstelle, in den Vereinen, in der Kirchengemeinde, da, wo wir uns engagieren. Was läuft da falsch, an dem ich mitschuldig bin? Wo werden durch mich eher Beziehungen zerstört als aufgebaut? Wo mache ich Gemeinschaft und Frieden kaputt?

Wenn man damit erst einmal anfängt fallen einem eine Menge Fragen ein. Man muß sich nur mal Zeit dafür nehmen.

Die möchte ich uns jetzt geben. Unser/e Organist/in wird nun etwas ruhige Orgelmusik spielen. Stellen Sie sich die Fragen, die für Sie nötig sind.

Orgelmeditation

Liebe Gemeinde, die Jünger Jesu beim letzten Abendmahl waren wahrscheinlich zu tief betroffen und gefangen in Fragen, in Selbstzweifeln und Verdächtigungen untereinander, um wirklich zu begreifen, was damals noch passierte beim gemeinsamen Mahl.

Wir wissen um das Geheimnis, das geschah, als doch alle miteinander das Brot brachen und aus einem Kelch tranken. Wir wissen, dass darin Gottes neue Wirklichkeit aufscheint, die auch allen Verrätern gilt und allen mit offenen Fragen.

Gottes neue Wirklichkeit läßt auch Sie nicht verzweifeln und schenkt neue Anfänge.

Amen

Reinhard Überrück
Ev. Seelsorger in der Bundeswehr
Eschenweg 3
59423 Unna
Tel: 02303/256276
Email: rueberrueck@t-online.de

 


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