Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Karfreitag, 25. März 2005
Predigt über Lukas 23, 33-49, verfasst von Martin Reyer
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Karfreitag in Jerusalem, ganz nahe bei Golgatha. Was für ein Tag. Man meint, die Schöpfung müsse den Atem anhalten. Man sieht Himmel und Erde zusammen, Tod und Leben ineinander verstrickt. Göttliches Drama, Tragik des Lebens, eingefangen in einem Symbol: das Kreuz auf der Schädelstätte.

In dieser Szene aber konzentriert sich nicht nur allein das Grauen eines qualvollen Todes – aus diesem Bild haben viele Menschen aus vielen Generationen Trost geschöpft, Hoffnung und Mut, auch in finsterster Zeit. Das Kreuz auf der Schädelstätte, obwohl Zeichen sinnlosen Sterbens, das Kreuz ist auf geheimnisvolle Weise zum Symbol geworden, dass eben diese Macht des Todes gebrochen ist.

Sich zu öffnen für dieses Kreuz, Leben und Tod in einem, das bringt uns in Verbindung mit dem Geheimnis der Welt schlechthin. Dieses hoch aufgerichtete Folterinstrument, das zum Lebenszeichen geworden ist, das spricht zu uns.

Natürlich sind wir von Leiden, Schmerzen und Tod umgeben. Wohin wir auch blicken, es ist ein ständiges Vergehen. Wer sensibel genug ist für die Bewegungen des Lebens, der wird das kennen, wie – plötzlich! – die Erfahrung des Absurden mitten im Alltäglichen uns überfällt. Fröhlich zur Schau getragener Optimismus hilft da im Grunde wenig. Sich hinzugeben an scheinbar ach so wichtige Aufgaben hat plötzlich auch keinen Wert. Rückzug in Stille und Einsamkeit – wozu eigentlich? Ja, manchmal kann nicht einmal eine gute Predigt von der Gnade Gottes dieses tief in uns sitzende Wissen um unsere eigene Vergänglichkeit und Vergeblichkeit trösten. Wir alle, wir, obwohl Geschöpfe Gottes, sind doch Gefangene der Zeit, Gefangene der Endlichkeit und letztlich des Todes.

Natürlich ist es gerade diese fatale Endlichkeit des Menschen, die der Grund ist für alles, was er an Gutem und Bewunderungswürdigem hervorgebracht hat. Denken wir nur an die Pyramiden, die Erfolge der Medizin, die Kunst. – Und das Böse gehört eben auch in diesen Rahmen. Im Grunde kann man jede menschliche Lebensäußerung – zum Edlen oder Hässlichen – als Auflehnung gegen die Zeitlichkeit verstehen. Jedes menschliche Handeln, und natürlich auch die Liebe, im Grunde sinnlose Rebellion gegen den Tod.

Mit diesen Gedanken wollen wir uns dem Geheimnis von Karfreitag nähern. Es ist tatsächlich so erschreckend. Die Bedingung alles Menschlichen ist der Tod. Genauer noch: das Wissen um den Tod.

Und jetzt sagt der Glaube, der sich von Karfreitag her versteht: mitten in diesem – täglich bekämpften, täglich gestorbenen – Tod, da beginnt der Tod des Todes. Denn das ist der Karfreitag: Dass Gott, der ewige Gott selber, den Tod, die Grundbedingung seiner Geschöpfe, auf sich nimmt. "O große Not, Gott selbst liegt tot", heißt es in einem alten lutherischen Lied. Oder, in einem anderen Lied "Es war ein wunderlich Krieg, / da Tod und Leben rungen, / das Leben behielt den Sieg, / es hat den Tod bezwungen. / Die Schrift hat verkündet das, / wie ein Tod den anderen fraß. / Ein Spott aus dem Tod ist worden."

Karfreitag: Der Tod hat seine Bannkraft verloren. Und es beginnt die Verheißung, dass Gottes Geschöpfe in Gottes Ewigkeit, jenseits von Zeit und Raum aufgehoben und geborgen sind. Aller Vergänglichkeit zum Trotz. Jesus im Johannes Evangelium: "Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt."

Mitten in dieser vom Tod bedingten Welt beginnt die an keine menschliche Grenze gebundene Liebe. Wenn man den Karfreitag als die Mitte des Todes in dieser Zeit bezeichnen will, dann ist er aber zugleich auch Anfangspunkt der Liebe in dieser Welt, die ihren Ursprung in der Ewigkeit hat und deshalb der Endlichkeit nicht mehr unterworfen ist. Mitten unter dem so verstandenen Kreuz beginnt Ostern.

Mitten im Tod vom Leben umfangen. – Karfreitag heißt dann: in der Gewissheit zu leben, dass der Tod nicht das letzte Wort behalten wird in der Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung und mit seinen Geschöpfen.

Drei letzte Worte Jesu am Kreuz hat uns der Evangelist Lukas überliefert. Drei Worte, in denen die Überwindung des Todes offenkundig wird. Das erste ist die Fürbitte Jesu für seine Feinde: "Vater vergibt ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun." Das Schuld vergeben wird, das ist das erste Kennzeichen jener Liebe, die sich aus der Ewigkeit speist. Unser Menschenherz schreit so oft nach Rache, die letzten vier Jahre in diesem Land waren der blutgetränkte Beweis, wie Tod mit Tod bezahlt wird, die härteste Währung der Welt. Aber haben die wirklich alle sterben müssen, nur damit die Situation heute so ist wie sie ist? Das Wort Jesus eröffnet die Dimension einer Liebe, die nicht abrechnet, sondern heilt, und aus dem Verderben reißt. So lange schien es unsinnig und aberwitzig, der Situation hier im Lande mit Liebe begegnen zu wollen. Und doch: wie anders soll denn Friede werden in diesem geschundenen Land.

Das zweite Wort Jesu richtet sich an den Gekreuzigten neben ihm: "Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein." Der hatte sich zu seiner Schuld bekannt und ihn gebeten: "Herr, gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst." Geschichten vom Verlorenen hatte Jesus erzählt, vom verlorenen Sohn, vom verlorenen Schaf, verlorenen Groschen. Die Verlorenen seiner Zeit hatten zu ihm gefunden. Nun, im Tode am Kreuz, noch einmal der Verlorene. Und Jesus führt heim, was verloren ging, heim für immer und über die Grenze des Todes hinaus. Dorthin, wo die Liebe des Vaters von Ewigkeit her alles erfüllt. Das ist das zweite Kennzeichen der Liebe, die sich aus der Ewigkeit speist: sie führt uns zu unserer ewigen Bestimmung.

Und schließlich, dem Ende nahe, betet er mit Psalm 31: "Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände." Wir dürfen froh sein über jeden Menschen, der so sterben kann. Sich in die Hände Gottes geben. So wird ganz ernst und wahr, dass wir Gottes Eigentum sind, und eben nicht der Vergänglichkeit anheim fallen. Fallen in Gottes Hand, dass ist das dritte Kennzeichen jener Liebe, die sich aus der Ewigkeit speist.

Das Sterben Jesu hat die Menschen erschüttert: "Und alles Volk, das dabei war und zusah, dass sie sahen, was da geschah, schlugen sich an ihre Brust und kehrten wieder um." Sie verließen Golgatha nicht als Sieger, die den Untergang des Feindes bejubeln, oder als Gerechte nach Vollzug eines Urteils, sondern selber als Geschlagene. Sie ahnen: hier hat tatsächlich ein Kampf stattgefunden und Jesus ist der Sieger geblieben. Ein Tod den andern fraß und der Sieg wurde errungen über alles, was Menschen in Verzweiflung stürzt, bis hin zum Tod. Dieser Mensch, den seine Feinde wie einen gefährlichen Agenten für immer ausschalten wollen, dieser Mensch hat in Wirklichkeit die Liebesmacht Gottes zum Sieg geführt. Was da geschah, das gilt für alle Zeiten und für alle Menschen und auch für uns.

Und deshalb sagt der Heide unter dem Kreuz, der Hauptmann: Dieser Mensch war wirklich ein Gerechter. Bekenntnis zu Jesus, zu der von ihm verkündeten und gelebten Liebe Gottes. Bekenntnis zu Jesus in unserer durch den Tod bedingten Welt. So wird es ein segensreicher Karfreitag für uns.

Amen.

Propst Martin Reyer
Erlöserkirche, Jerusalem

propst.reyer@redeemer-jerusalem.com


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