Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 27. März 2005
Predigt über Matthäus 28, 1-10 (11-15), verfasst von Karl Rennstich
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


28:1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
3 Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.
4 Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.
10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Dogmatische und homiletische Entscheidung
Der Tod ist eine Station auf dem Weg zur Auferstehung

Den Bericht von Jesu Auferstehung finden wir in den Evangelien auch in
Markus 16,1-10; Lukas 24,1-10 und Johannes 20,1-18.
Doch nur Matthäus berichtet in der Fortsetzung unseres Textes den ersten Korruptionsfall im Zusammenhang der Auferstehung Jesu:

28:11 Als sie aber hingingen, siehe, da kamen einige von der Wache in die Stadt und verkündeten den Hohenpriestern alles, was geschehen war.
12 Und sie kamen mit den Ältesten zusammen, hielten Rat und gaben den Soldaten viel Geld
13 und sprachen: Sagt, seine Jünger sind in der Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen.
14 Und wenn es dem Statthalter zu Ohren kommt, wollen wir ihn beschwichtigen und dafür sorgen, dass ihr sicher seid.
15 Sie nahmen das Geld und taten, wie sie angewiesen waren.

Die Entmachtung des Todes zeigt sich am deutlichsten an der Auferstehung Jesu Christi. »Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?« (1Korinther 15,55). Doch obwohl der Tod bereits hinter dem Christen liegt, werden die Todesangst und die grauenerregende Macht des Todes offen angesprochen. Die Todesangst der Menschen wird konkret gezeigt am Beispiel der Jünger Jesu und ihrer Todesangst während einer Fahrt auf dem stürmischen See Genezareth (Markus 4,35ff.) und ihrer Angst bei der Verhaftung und nach der Kreuzigung Jesu. Noch eindrücklicher sich die Todesangst Jesu im Gebetskampf im Garten Gethsemane (Markus 14,32ff).
Für Johannes und Paulus ist der Tod und jedes neues Leben immer leiblich und seelisch zugleich. Paulus richtet seinen Blick nach vorn, um Christus und die „Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seines Leidens“ besser erkennen zu können (Philipper 3,10f). Aus dieser Gewissheit gewinnt er eine tiefe innere Gelassenheit und Zuversicht:
»Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Römer 8,38f.).
Der Tote schläft nur (1Thessalonicher 4,14; Johannes 11,11): er kann die Stimme dessen hören, der ihn auferweckt (Johannes 11,43; 5,24.28 und die Posaune (1 Korinther 15,52). Erst mit der Neuschöpfung der Welt, am Ende der Tage, verschwindet auch der Tod, der zusammen mit allem, was widergöttlich ist, zerstört werden wird. Paulus fasst es in die Worte: »Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod« (1 Korinther 15,26; vgl. auch Offenbarung 20,14). Von dieser neuen Welt aber heißt es: »Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein; denn das Erste ist vergangen.« (Offenbarung 21,4).
Auferweckung des Leibes bedeutet, dass der ganze Mensch mit seiner Lebensgeschichte und all seinen Beziehungen zu anderen Menschen und zur Schöpfung eine Zukunft hat


II. Predigt

Liebe Gemeinde!

Jeden Morgen, wenn ich meinen Computer einschalte, sehe ich als erstes das strahlende Gesicht eines Jungen. Es ist das Bild meines ältesten Sohns, der 1968 - nicht ganz fünfjährig- ertrank. Am Ende des Tages ist er das letzte Bild. Ich war mit meiner Familie damals in Malaysia- in der Gegend, in der Hunderttausende an Weihnachten des vergangenen Jahres in wenigen Minuten durch die Macht des Wassers ihr Leben verloren haben. Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zu Staub sind für mich schmerzende Worte, welche die Realität des Lebens umschreiben.
Erst nach dreißig Jahren traute ich mich wieder über das Wort des Leid geplagten Hiob zu predigen: »Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen. Gepriesen sei der Namen des Herrn«. Dass ich heute mit dem Bild meines strahlenden Jungen den Arbeitstag beginnen und beenden kann, ist für mich ein Geschenk des Glaubens. Der Glaube wächst mit der Zeit.

Ostern beginnt mit einem Erdbeben
Aus unserem Predigttext erfahren wir, dass zwei Frauen in aller Frühe des ersten Tages der Woche, am Sonntag, zum Grab des am Freitag gekreuzigten Jesus kommen, um es zu »besehen«. Sie wollen den Leichnam mit wohlriechenden Salben zubereiten. Plötzlich erschien ein Engel. Ein Erdbeben verunsicherte sie. Doch dadurch wurde der Stein vom Grab gerollt. Der Engel des Herrn setzt sich auf den Stein. Die Erscheinung des Engels war wie ein Sternauge, heißt es wörtlich im Urtext. Der Engel trug leuchtende Gewänder, weiß wie Schnee. Die Wächter » sind wie Tote«!

Der Engel sprachzu den erschrockenen Frauen: »ER ist nicht hier. ER ist auferstanden. ER lebt wie er gesagt hat. Kommt her und sehet die Stätte, da er gelegen hat; und gehet eilend hin und sagt es seinen Jüngern, dass er auferstanden sei von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe ich habe es euch gesagt«.

Der moderne Mensch mag fragen:
- War Jesus vor der Erscheinung des Engels auferstanden?
- War er während des Erdbebens auferstanden?
- Wie konnten die Soldaten später berichten, was geschehen war, wenn sie »wie tot« waren?

Dennoch: Die Auferstehung Jesu ist zweifellos viel besser dokumentiert als die meisten uns bekannten geschichtlichen Berichte aus alter Zeit. Aber dieser Bericht ist in einer symbolischen Sprache geschrieben. Leider haben viele so genannte moderne Menschen diese Sprache, die eine eigene Grammatik und Syntax hat, verlernt. Die Auferstehung Jesu ist ein mysterion, ein Geheimnis. Das Mysterion ist die Mutter des Staunens (thaumazo), der Anfang aller Weisheit.

Auch das Erdbeben ist immer noch ein Mysterion. Nach der Bibel ist das Erdbeben eine Begleiterscheinung Gottes wie besispielsweise auf dem Horeb, als Mose die Zehn Gebote erhielt (Exodus 19, 11f.), oder als Elija auf dem Berg Horeb seinen neuen Auftrag erhielt, gegen die Ungerechtigkeit und Korruption im Lande anzukämpfen. Jedes Mal erschien dabei Gott in einem gewaltigen und starken Sturm. Nach dem Beben kam ein Feuer. Und nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln, in dem Gott war.

Die Frauen und die Soldaten sind von Furcht ergriffen. Die Wächter des Grabes »erschrecken zu Tode« durch die Erscheinung des Engels. Die Frauen werden von der »Furcht« befreit. Im Urtext bedeutet »Furcht« sowohl Flucht als auch Furcht. Während die Soldaten flüchten, halten die Frauen stand. So erhalten sie einen neuen Standpunkt. Der Auferstandene macht die Frauen frei für ihren neuen Dienst, Menschen zu Gott zu rufen.Die Auferstehung ist Anfang und Mitte des christlichen Glaubens. Das Letzte im Leben des Menschen ist das Leben in seiner ganzen Fülle und nicht der Tod. In Sphäre des Todes zusammengefasst sind Krankheit, Not, Einsamkeit und Beziehungslosigkeit, aber auch Sünde, Schuld und Trennung von Gott. Schön umschreibt das der Kirchenvater Tertullian: »Die Hoffnung der Christen heißt Auferstehung der Toten; alles, was wir sind, sind wir im Glauben daran«.
Und Dietrich Bonhoeffer nennt die Auferstehung den archimedischen Punkt, mit dem die Welt aus den Angeln gehoben werden kann.

Überredungskunst oder Zeugnis
»Und sie kamen zusammen mit den Ältesten und hielten einen Rat und gaben den Kriegsknechten Geld genug und sprachen: »Saget, seine Jünger kamen des Nachts und stahlen ihn, während wir schliefen «.

Im Urtext steht hier ein Wort, das zwei ganz unterschiedliche Bedeutungen hat: »überreden« und »überzeugen«. Die Überredungskunst geschieht seit alters bis zum heutigen Tag auf zweierlei Weisen: »Willst du nicht mein Bruder (Schwester) sein, so schlag ich dir den Schädel ein. Der eigentliche Gegengott zum wahren und lebendigen Gott ist für Jesus der Mammon. Er steht für Macht. Andererseits ist die Grundfeste des Glaubens »Trauen auf Gottes Wort«. Im biblischen Wort für Glauben, »pistis«, bilden Glaube und Vertrauen eine untrennbare Einheit.
Die Mächtigen in Jerusalem versuchten (wie die Mächtigen unserer Tage) durch Bestechung ihre »Überzeugung« durchzusetzen: Wahrheit ist käuflich. Der biblische Glaube wird weitervermittelt durch »Zeugen«. Der Märtyrer ist der Zeuge, der mit seiner ganzen Lebensexistenz für die Wahrheit der Auferstehung eintritt.
Die Freude ist die Frucht der Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Der Auferstehungsglaube, kämpft an gegen Bitterkeit und Mutlosigkeit.

Steh auf und lebe dein Leben nach der Kraft der Auferstehung
Steh auf
wenn dich etwas umgeworfen hat
steh auf
gerade wenn du meinst
du könntest nicht aufstehen
der stein vor deinem grab
wird sich von selbst
fortbewegen
es wird dir ein stein vom herzen fallen
mach alle ostergeschichten wahr
und frage nicht, ob sie wahr sind
probier sie aus
ob sie auf dich passen
sie passen auf dich
sie sind keine totengeschichten
probier sie
dann wirst du sehen
es sind wahrsagengeschichen.
(W. Willms: Der geerdete Himmel, S. 10)

Prof. Dr. Karl W. Rennstich
Lerchenstrasse 17
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Tel: +49-(0)7121-372651
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