Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 27. März 2005
Predigt über Matthäus 28, 1-10, verfasst von Gerhard Müller
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„Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, daß er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfaßten seine Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, daß sie nach Galiläa gehen; dort werden sie mich sehen.“

Zu einem Grab zu gehen und Abschied zu nehmen von einem Menschen, der mir viel bedeutet hat und bedeutet, war mir immer wichtig. Die Trauer findet darin ihren Ausdruck. In vielen Gemeinden gab und gibt es auch heute Ostergottesdienste auf Friedhöfen, in denen die Trauer um Menschen, die bereits abgerufen wurden, sich verbindet mit der Freude über des Todes Tod: „Der Tod ist verschlungen vom Sieg“, sagen Altes und Neues Testament (1. Kor 15, 54). Es sind Frauen, die am ersten Tag der Woche, am dritten Tag nach seinem Tod, zum Grab Jesu gehen. Haben die beiden mehr Mut als andere Frauen? Und natürlich auch als die Männer? Oder hingen sie besonders stark an Jesus, den sie auf seinem Weg von Galiläa nach Jerusalem begleitet hatten? Oder waren sie besonders sensibel und hatten diesen Trauergang nötig? Jedenfalls ist ihre Trauer stärker als die Furcht, die vielleicht in ihnen steckte. Sie machen sich auf, obwohl sie gewußt haben dürften, daß das Felsengrab bewacht wird. Aber sie wollen dem nahe sein, der als Lebender ihnen viel zu sagen gehabt hatte. Sie werden jetzt sicher an ihn im Gebet denken und ihre Anliegen vor Gott bringen wollen. Sie haben vor, „nach dem Grab zu sehen“. So heißt es. Es muß ja alles seine Ordnung haben, wenn der Tod ein Leben beendet hat. Denn es wird weitergehen. Aber wie? Diese Frage mag Maria von Magdala und die andere Maria auf ihrem Weg zum Grab bewegt haben.

Was sie dort erleben, ist aber alles andere als die Ruhe und das Schweigen des Todes. Kosmische Bewegungen werden geschildert: ein Erdbeben, ähnlich wie am Karfreitag, dem Todestag Jesu. Was aber wichtiger ist, ist die Erscheinung eines Engels. Er wird als eine Lichtgestalt hingestellt, unanschaulich wie ein Blitz, weiß wie der Schnee. Strahlen gehen von der Erscheinung aus, nicht schwarze Trauer und Wehklagen. „Vom Himmel kam er herab.“ Ein Gottesbote ist er also. Die Wächter erstarren vor Angst und Schrecken. Sie sind wie gelähmt. Verständlich, denn wenn Außergewöhnliches passiert, dann werden wir unsicher, wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen. Möglicherweise tun wir, als seien wir gar nicht anwesend, sondern stellen uns schlafend. So die Wächter. Stumm und wie tot sind sie. Randfiguren, die bedeutungslos sind und die nicht in das Geschehen eingreifen können.

Aber die Frauen werden vom Engel angesprochen. Sie sind nicht wie tot, sondern sie sind trotz ihrer Furcht ganz Ohr. Was wird ihnen gesagt, da sie doch nur das Grab Jesu, des Gekreuzigten, besuchen wollen? Der Engel spricht zu den Frauen: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, daß ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat.“ Daß die Frauen sich fürchten, ist mehr als verständlich. Wer möchte nicht in Grund und Boden versinken, wenn solch Außerordentliches geschieht? Aber es besteht kein Grund zu Angst und Furcht. Denn der Engel will sie nicht erschrecken, sondern er will ihnen eine Botschaft mitteilen und ihnen eine weitere an andere auftragen.

Sie erfahren, daß Jesus, der schmählich am Kreuz Gestorbene, von den Toten auferstanden ist. Gott hat sich zu dem bekannt, der am verfluchten Holz, am Galgen der Römer gehangen hatte. Gott hat ihn nicht im Tod gelassen, sondern ihm weitere Aufträge gegeben. Das ist das Zweite, das sie erfahren: Jesus wird seinen Jüngerinnen und Jüngern vorausgehen nach Galiläa. „Dort werden sie ihn sehen.“ Es ist ungewöhnlich, daß nicht Jesus selbst den Seinen sagt, was Gottes Wille ist und was sie zu tun haben. Aber der Engel unterstreicht seine Botschaft mit den Worten: „Siehe, ich habe es euch gesagt.“ Da gibt es keine Diskussion. Er, der von Gott kommt, macht seinen Auftrag kund und erklärt, daß er nicht eine eigene Einbildung vorträgt. Daß Jesu Jüngerinnen und Jünger, die aus Galiläa stammen, nach dort zurückkehren werden nach dem Geschehen in Jerusalem, ist klar. Denn Jesus wurde von ihnen hinweggenommen. Also werden sie sinnvollerweise nach Hause zurückkehren. Aber sie sollen nicht allein in Galiläa sein, dieser Provinz im Norden Israels, sondern Jesus will ihnen nach dort vorausgehen. Wie er von Galiläa nach Jerusalem den Weg angegeben hatte, so geht er jetzt den Rückweg vor ihnen her.

Natürlich macht diese Botschaft den Frauen Beine. Eilends machen sie sich auf den Weg zu den Jüngern, die den Weg zu Jesu Grab noch nicht gesucht oder jedenfalls noch nicht gefunden haben. Noch sitzt ihnen die Furcht in den Knochen über das seltsame und unerwartete Geschehen, das sie erlebt haben. Aber die Freude der beiden Marien ist größer als der Schreck, der ihnen in ihre Glieder fuhr. Mit „großer Freude“ laufen sie, um ihren Auftrag zu erfüllen und „seinen Jüngern zu verkündigen“, daß Jesus lebt und weiterhin vor ihnen hergehen wird.

Aber ihre Eile wird plötzlich beendet. Jesus tritt nämlich nun selbst vor sie hin und spricht sie freundlich an. Das ist nun der zweite Schock. Wie sollen sie dem begegnen, der vom Tod zum Leben hindurchgedrungen ist? Was sollen sie tun, nachdem Gott sich zu dem scheinbar Gescheiterten bekannt und als seinen Gesandten bestätigt hat? Beide Frauen fallen vor ihm nieder. Sie betasten seine Füße. Sie unterwerfen sich ihm. Aber zugleich fürchten sie sich nicht so stark vor ihm, daß sie nicht zu ihm träten. Ihre alte Vertrautheit mit Jesus verbindet sich mit der Ehrfurcht vor dem, den sie für tot gehalten haben, der aber zu ihnen redet, wie er das auch früher getan hatte. Die Botschaft Jesu ist eigentlich nicht neu. Auch er sagt: „Fürchtet euch nicht!“ Auch Jesus weiß um die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn Leid und Freude plötzlich zusammenkommen, wenn wir gar nicht recht zu fassen vermögen, was eigentlich los ist. Jesus beschränkt sich darauf, die Botschaft des Engels zu wiederholen: Die Jünger sollen nach Galiläa gehen; „dort werden sie mich sehen“. Seine Jünger sind seine „Brüder“. So redet der Auferweckte. Die Jünger werden nicht als die Furchtsamen, die Verleugner, die Geflohenen, die Versager bezeichnet. All dies hätte Jesus ihnen vorwerfen können. Hatten sie ihn doch in der Stunde der Not allein gelassen und verleugnet. Nein, die schwachen Menschen aus Galiläa werden wegen ihres allzu menschlichen Verhaltens nicht angeklagt, sondern als seine „Brüder“ bezeichnet, als Leute, mit denen sich der Auferweckte zusammengehörig weiß. Nie zuvor hatte Jesus die Jünger so genannt. Jetzt wirft er ihnen ihre Schwachheit nicht vor, sondern er nimmt sie als seine Schwestern und Brüder an. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat kürzlich gesagt, Jesu „erster Blick galt nicht der Sünde der anderen, sondern dem Leid der anderen“. Der Gekreuzigte und Auferstandene weiß, daß seine Jüngerinnen und Jünger jetzt wie Schafe sind, die keinen Hirten haben: verstört, hilf- und kopflos. Deswegen macht er klar: Ich bin und bleibe für euch da, auch und gerade in schwerer Zeit.

Was ist da am ersten Tag der Woche passiert, den die Christen bald den „Herrentag“ genannt haben? Denn an diesem Tag ist er auferstanden und hat sich dadurch als mächtiger als der Tod erwiesen. Was ist da passiert? Menschen erfahren, daß Gott lebt – damals und heute. Frauen und Männer erfahren, daß in Gott in allem Leide Freude ist, weil er die Seinen nicht straft, sondern ihnen vergibt. Gewiß – das müssen wir immer wieder neu buchstabieren und erleben, daß nicht der Tod unser Ziel ist, sondern der Dreieinige Gott, der uns geschaffen, erlöst und geheiligt hat. Er wartet auf uns, so wie er auf Jesus gewartet hat, der der Erstgeborene gewesen ist derer, über die der Tod nicht endgültig zu herrschen vermag.

Jesus gibt uns seine Zusage: Ich gehe vor euch her. Deswegen singen wir berechtigterweise von Jesus, der uns auf unserer Lebensbahn vorangehen möge. Und Jesus gibt uns einen Auftrag: Folgt mir nach! Nach Galiläa damals und auf unseren vielen Wegen heute nicht minder. Auch als Auferstandener geht er den Seinen voran und zeigt ihnen ihr Ziel. Er gibt uns den Auftrag, in seiner Nachfolge zu bleiben und hält uns unser Versagen nicht vor, sondern vergibt uns. Deswegen wird aus Leid Freude, aus Niedergeschlagenheit wird Zuversicht, aus Ausweglosigkeit wird Hoffnung, aus Selbstzufriedenheit wird Gottes- und Nächstenliebe. Gott schafft an Ostern neues Leben. Darum haben wir am heutigen hohen und geheimnisvollen Fest Anlaß zu Dank, Lob und Freude. Denn: „Der Tod ist verschlungen vom Sieg!“ Amen.

Landesbischof i.R. Prof. Dr. Gerhard Müller, Erlangen
gmuellerdd@compuserve.de

 


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