Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Quasimodogeniti, 3. April 2005
Predigt über Johannes 21, 1-14, verfasst von Raimund Hoenen
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Liebe Gemeinde,

Ostern, wie es uns in den neutestamentlichen Schriften überliefert ist und wie es Christen bis heute im Kirchenjahr feiern, hat sich nicht nur an einem Tag ereignet und ist nicht nur Sache eines Tages oder eines Festes. Die Auferweckung Jesu durch Gott vollzog sich in einem Prozess, in einer Reihe von Erscheinungen in der Anhängerschaft Jesu. Der Evangelist Lukas nennt die Zeit von 40 Tagen nach dem 1. Auferstehungstag bis Himmelfahrt und von 50 Tagen bis Pfingsten, die seitdem das christliche Kirchenjahr bestimmen. Danach endet die Zeit der Erscheinungen mit dem Sendungsauftrag an die Apostel, allen Menschen die Jesus-Geschichte als heilende „gute Botschaft“ Gottes mitzuteilen. Der Evangelist Johannes schließt an die zweimaligen Erscheinungen im Jüngerkreis in Jerusalem ein „drittes Mal“ an am Galiläischen Meer, um in einem übertragenen Verständnis die Zeit für Begegnungen mit dem Auferstandenen offen zu halten. Das geschieht im Glauben der Menschen, die das Heilsangebot für sich annehmen. Ostern – als Erfahrungsprozess mit dem Auferstandenen - begründet also den Glauben, der sich vom Wissen unterscheidet. Unser Wissen gelangt an unüberschreitbare Grenzen, weil es eine Auferweckung vom Tod nicht denken kann, auch wenn uns moderne Wissenschaften die Relativität der Zeit und ihrer Wahrnehmungen bewusst machen kann. Dennoch braucht auch der Glaube Bewahrheitung und Vergewisserung mit Erfahrungen, die geschichtlich wirksam das Leben verändern und gestalten. Der 1. Sonntag nach Ostern weist thematisch auf solch eine Veränderung durch Neugeburt hin.

Der lateinische Name des Sonntags ist aus der Eingangsliturgie abgeleitet, die mit dem Bibelwort aus 1. Petr 2, 2 begann: „ Quasi modo geniti infantes concupiscite rationabile, sine dolo lac, ut in eo crescatis in salutem : Wie die neugeborenen Kinder seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch, damit ihr durch sie heranwachst zum Heil!“ Im Gegensatz zu unserem heutigen Vernunftverständnis gilt hier als vernünftig, durch Glauben zum Heil und zu einem sinnvollen und erfüllten Leben zu gelangen.

Wenn wir es mit dem Auferweckungshandeln Gottes und zugleich mit unserem Glauben zu tun bekommen, dann dürfen wir erwarten, dass es dabei geheimnisvoll und unverständlich „unglaublich“ und zugleich überraschend verständlich „glaubwürdig“ zugeht. Genau so präsentiert sich uns inhaltlich und sprachlich die Geschichte der Erscheinung des Auferstandenen in Joh 21; die folgende Übersetzung versucht sowohl dem auch für das Neue Testament einmaligen Sprachstil wie dem Wechsel der Zeitformen zu entsprechen.

Johannes 21,1-14
Danach offenbarte sich Jesus wiederum den Jüngern am See Tiberias, er offenbarte sich aber so:
Es waren beisammen Simon Petrus, Thomas, genannt Zwilling,
Nathanael aus Kana in Galiläa, die Zebedaiden und zwei andere von seinen Jüngern.
Sagt zu ihnen Simon Petrus: Ich will fischen gehen. Sagen die anderen: Wir kommen auch mit dir.
Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in jener Nacht fingen sie nichts.
Als es aber schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Und die Jünger wussten nicht, dass es Jesus ist.
Sagt nun zu ihnen Jesus: Kinder, habt ihr nichts zum Essen dazu? Sie antworteten ihm: Nein.
Er aber sagte ihnen: Werft das Netz zur rechten Seite des Bootes aus, dann werdet ihr finden!
Sie warfen es nun aus, und sie konnten es nicht einziehen, so schwer war es von der Menge der Fische.
Sagt nun jener Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Simon Petrus aber, als er hörte, dass es der Herr ist, gürtete das Obergewand um – denn er war nackt – und warf sich in den See. Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht weit vom Land, etwa 200 Ellen – hundert Meter -, und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.
Als sie nun an Land kamen, sehen sie ein Kohlefeuer am Boden und darauf sowohl Fisch als auch Brot! Sagt Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Da stieg Simon Petrus hinein und zog das Netz an Land, voll von großen Fischen – 153; und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.
Sagt Jesus zu ihnen: Kommt und esst! Keiner der Jünger aber wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. Kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt es ihnen, und ebenso auch den Fisch.
Das war das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern erschien, nachdem er von den Toten auferstanden war.

(1) Die Erscheinungen des Auferstandenen setzen sich fort

Auch wenn die Leser des Johannesevangeliums nach dem 20. Kapitel glauben, es sei schon alles gesagt und das Buch sei zu Ende (20,30f.), so gibt es ein weiteres „Danach“. Ort und Zeit des Erscheinungsgeschehens wechseln von Jerusalem an den See Tiberias, in die Heimat Jesu und seiner Anhängerschaft. Sieben Jünger sind dort versammelt, fünf werden mit Namen genannt, zwei sind namenlos. Von denen ist einer der „Jünger, den Jesus lieb hatte“, der sich am Schluss als Schriftsteller des Evangeliums bekennt (21,24) – und damit Zeuge des irdischen Jesus und der ersten Christenheit zugleich sein müsste! Wenn auch keine Frauen in diesem Schlusskapitel vorkommen, so bleibt doch Maria Magdalena die erste Auferstehungszeugin (20,11ff.). Jeder Mann und jede Frau sind aber eingeladen, in dem Jüngerverhalten sich selbst zu entdecken und es auf sich zu beziehen. Die Erzählung scheut sich nicht, einen Blick hinter die Kulissen in die Anfänge der Jüngerschaft zu gewähren, die auch Ängste, Konkurrenzen und Machtkämpfe offenbaren. Da stehen schon am Beginn Ratlosigkeit und Resignation nach Jesu Tod, der alle Erwartungen und offenbar falsche Hoffnungen zerschlagen hatte.

Wie weiter? Wenigstens das erschien den Jüngern plausibel: Zurück zu dem, woher wir kommen – in die Heimat – und zu dem, was wir können, zu unseren alten Berufen: zu den Booten und Netzen am See! Petrus - um ihn geht es wesentlich im ganzen Kapitel - ergreift die Initiative: Ich gehe fischen! Und die anderen schließen sich an: Wir kommen auch mit!

Die eigentlich löbliche Eigeninitiative des Petrus wird nicht belohnt. Sie ist vergeblich, weil sie in die falsche Richtung geht! Für die Jünger, die längst eine andere Qualifikation durch ihre Erfahrungen mit Jesus haben, ist diese Arbeit nicht mehr dran! Und den anderen sechs fiel auch nichts anderes ein als sich Petrus anzuschließen. Sie machen als Mitläufer, was alle machen. Sie „werden gelebt“, weil sie nicht ihr eigenes Leben verwirklichen. Viele von uns leben so ihr ganzes Leben, allein bestimmt von den Anforderungen anderer. Und wohl alle kennen die Erfahrungen, hinter der Zeit, hinter den Terminen herzulaufen und die Erwartungen nicht erfüllen zu können. Der angepasste „Mann ohne Eigenschaften“ tritt in unser Blickfeld, der kein Profil hat und damit nicht eigentlich lebt.

Eugen Drewermann verweist in diesem Zusammenhang auf Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“:
„Immer wird für ihn erst ein möglicher Zusammenhang entscheiden, wofür er eine Sache hält. Nichts ist für ihn fest. Alles ist verwandlungsfähig…So ist jede seiner Antworten eine Teilantwort, jedes seiner Gefühle nur eine Ansicht...“ (I,81f.)

Wer sich nur an die Situation anpasst, kann sie nicht verändern und nicht neu gestalten. Das Bild der Nacht, in der alle Katzen grau sind, beschreibt zugleich die Erfolglosigkeit des Tuns. Für den Beruf des Fischers ist die Nacht als Arbeitszeit zwar weiterhin notwendig und sachgemäß, und im Berufsalltag gibt es nach wie vor vergebliches Mühen, Frustrationen, Existenz- und Überlebensängste. Die Nacht, die mit ihrer Dunkelheit die Vergänglichkeit der Todeswelt beschreibt, muss verlassen werden, denn für die Jünger ist Neues angesagt! Wenn der Auferstandene erscheint, wird es heller Morgen, bricht sich das Licht Bahn! Diese neue Wirklichkeit ist auch denen fremd, die es eigentlich wissen müssten: Die Jünger erkennen den auferweckten Jesus zunächst nicht! Der aber sagt ihnen wie ein Fremder, was sie tun sollen. Doch vorher unterstreicht er noch einmal den Mangel, als hätte man von der vergeblichen „Nachtarbeit“ nicht schon genug: Ihr habt wohl nichts zum Brot dazu? Zum Leben hätten sie mit ihren alten Berufen schon etwas, aber das Eigentliche fehlt. Das ist eben nicht „mit links“, also aus Gewohnheit, zu machen, sondern: An der rechten Seite werdet ihr finden! Neuorientierung gegen alte Berufserfahrung ist gefragt! Am Tag fischen, nachdem in der ganzen Nacht nichts gefangen wurde? Sollen jetzt die Fische plötzlich anbeißen? Diesem Auftrag zu folgen verlangt eine bewusste Entscheidung, Mut der Überwindung, ein Wagnis auf der Basis von Vertrauen. Das macht den Unterschied zur Fremdbestimmung und Mitläuferentscheidung aus: Hier ist ein alternativer Auftrag, der die Jünger neu fordert. Das bestätigt der Erfolg: Mehr als sie je erhoffen konnten, haben sie gefunden! Sie gewinnen ein Leben, das nicht von Tod, Trauer und Resignation bestimmt ist, nicht nur ein Leben „nach dem Tod“, sondern ein neues Leben „vor dem Tod“, diesseitig, jetzt! Die christliche Auferstehungsbotschaft vertröstet also nicht nur auf ein „jenseitiges Leben“, sondern antwortet auch auf Wolf Biermanns Frage in seinem Lied „Es gibt ein Leben vor dem Tod“:

„Ach, daß es danach noch was Schönes gibt
ist tröstlich in unserer Lage.
Wie gut! Und doch, da bleibt uns noch
Die kleine – die große – Frage
(das wüssten wir gern noch daneben!)
Ob´s so was gibt – wir hättens gern:
- auch vor unserm Tode ein Leben.“
(aus: Preußischer Ikarus, 1981)

Ja, es gibt mit der Auferstehung erst recht ein Leben vor dem Tod, sie wandelt das Leben um!

(2) Verwandlung: Vom Ausgebranntsein (burn out) zum Brennen (burn within)

Die Schlüsselerkenntnis der Erzählung spricht der Lieblingsjünger aus: Es ist der Herr (21,7)! Der Herr ist Jesus, der gekreuzigt wurde! Der Lieblingsjünger hat diese Erkenntnis den Lesern der Geschichte bereits längst mitgeteilt: Wir wissen vom ersten Satz an: Der sich offenbart, der auferstanden ist, ist Jesus! Das ist das Bekenntnis der Christen seit Ostern: Jesus ist der Herr, er ist der von Gott Auferweckte, er ist der Herr über den Tod, er ist nahe bei Gott, gleichwie Gott, wie Thomas in der Jerusalemer Erscheinungsgeschichte bekennt (20,28). Was nun in der Erzählung folgt, ist die Verwandlung der Jünger. Alles was sie tun, erhält eine neue Qualität.

Zunächst ist es Petrus, der als erster auf das Boot gesprungen war und nun vom Boot herab noch vor dem Ufer ins Wasser springt. Er will nicht nackt vor den Auferstandenen treten, er muss sich noch verhüllen, denn ihm hängt noch seine Verratsgeschichte an – wie soll er Jesus vor die Augen treten? Doch er wird umdenken lernen, wenn ihn der Auferstandene dreimal neu beruft „Weide meine Schafe“ – und ihn im Alter „gürten und führen“wird, „wohin du nicht willst“ (21,18).

Die Jünger werden neu lernen müssen, was es bedeutet, vom Auferstandenen her zu leben: Der Weg zu seiner Gegenwart ist nicht weit: 200 Ellen, ca. 100 Meter, das ist sogar auch mit großen Lasten, einem vollen Boot, zu schaffen. Der Auferstandene ist ja nicht am „anderen Ufer“, in einer anderen Welt, sondern da an Land, wo sie herkamen, er ist in der Welt gegenwärtig.

Die überraschendste Erfahrung ist dann die: Nicht alles im Leben muss selbst erarbeitet werden, vieles, wie das Leben selbst, ist gegeben, ist Vorgabe und Geschenk! Von dem, was die Jünger zum Leben brauchen und finden sollen, ist schon alles am Ufer. Der Fisch zum Brot ist schon auf dem Feuer, das den Fisch genießbar macht! Die Ausgebrannten erleben, dass sie der Auferstandene selbst neu entflammt und wieder zum Brennen bringt! Ähnliches erlebten die Emmausjünger: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Weg und uns die Schrift öffnete?“ (Lk 24,32). Auch ihnen teilte er das Brot aus, hier sind Brot und Fisch bereit.

Doch bevor er austeilt, beteiligt er sie mit: Der Lohn ihrer neuen Arbeit wird gewürdigt: Holt den Fang selbst ein! Die Fülle ist groß - 153 Fische! Wir können nicht annehmen, dass sie gezählt worden sind, dann wären wir ja wieder bei der Wirklichkeit des alten Berufs und nicht bei der neuen Aufgabe! Wenn die Summe der damals bekannten Völker gemeint ist, dann wäre die Aufgabe beschrieben, die Heilsbotschaft an die ganze Welt zu richten. Dann ist ein Netzwerk aufzubauen, das die Verheißung hat, nicht zu zerreißen. Darin haben Menschen nicht Gefangenschaft und Tod zu erwarten, sondern Leben und Freiheit! Das Netzwerk will erhalten werden, sorgender Umgang und Verantwortung sind gefragt! Das soll sich die kleiner werdende Kirche sagen lassen, die an ihrer Schwachheit verzweifelt oder vielleicht nicht die richtigen Wege findet, um den Hunger der Menschen nach Sinn, Orientierung und sogar Erlösung zu stillen. Ähnliche Sorgen kannten die Christen auch schon früher. Vom Kirchenvater Chrysostomus (um 400) ist das folgende Wort überliefert: „Ihr glaubt wohl, je tiefer ihr sinkt, umso mehr Fische werdet ihr fangen?“ In der dunklen Meerestiefe gibt es nichts zu fischen!

Die Verschiedenheit der Christen und die Konkurrenz können andererseits auch die Kirche beleben: Petrus und der Lieblingsjünger sind verschieden, müssen aber nicht gegeneinander ausgespielt werden! Dem Petrus wird deshalb später gesagt werden: Du musst dich nicht um den Lieblingsjünger kümmern, er wird seinen eigenen Weg gehen (21,22)! Der Lieblingsjünger wird an Petrus lernen, dass es Leitungsaufgaben gibt, für die andere wie er mehr geeignet sind.

Die Begegnung mit dem Auferstandenen vereint Menschen im Mahl der Befreiten. Zwei Merkmale fallen besonders auf: Der Auferstandene lädt zum Essen ein. Die zweifelnde Rückversicherung, ob der Auferstandene wirklich einlädt, brauchen die Glaubenden nicht: Sie wissen und bekennen: Jesus ist es, der Herr über Tod und Leben! Und das zweite: Jesus ist der Gastgeber, die Geladenen können sich beschenken lassen. Er selbst isst nicht mit, er hat eine andere Leiblichkeit. Die Geladenen müssen selbst und miteinander essen. Aber Jesus kommt, um auszuteilen: Das Mahl mit ihm ist ein Mahl auf Hoffnung. Damit verbunden ist die Bitte: Ja komm Herr Jesu! Da in dieser Mahlfeier der Wein fehlt, muss keine Verbindung zur späteren Eucharistiefeier der Kirche hergestellt werden.

Ein Ostern, das uns heutige Hörer ergreift, deckt Wahrheiten in uns und an uns auf, setzt Energien frei, die dem Leben dienen, löst aus Erstarrungen und weckt Phantasie. Weil der Auferstandene Herr ist über unser Leben und über unseren Tod, könnten wir Christen gelassener leben. Wir könnten getroster sterben, wenn wir mit Jesus beten: Gott, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Wir könnten die Zweifel an Gott, die eine Naturkatastrophe wie der Tsunami hervorbringt, durch Glauben überwinden lernen. Wir könnten deutlicher protestieren gegen alle Erstarrung, die auf dem Bestehenden beharrt, wenn wir Gott unsere Erneuerung und Veränderung zutrauen. Wir könnten wieder brennen für das Evangelium von Jesus Christus! Wir dürfen aber auch nicht übersehen, dass wir als Christen noch in der Welt des Todes leben, also auch in der Nacht der Ängste, im stürmischen Meer der Zweifel, in der Ungewissheit der Hoffnungen, mit der Ohnmacht des gekreuzigten Herrn. Das österliche Halleluja, das Gottes Wunder preist, wird nicht nur ein äußerliches Lippenbekenntnis bleiben, wenn es unser Inneres bestimmt und sich in das Tatzeugnis für das Leben wandelt.

Amen.

Prof. Dr. Raimund Hoenen
06120 Lieskau, Am Hasengarten 14a
mail: rhoenen@t-online.de

 


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