Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Jubilate, 17. April 2005
Predigt über Johannes 16, 16.20 – 23a, verfasst von Christian Tegtmeier
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Christliche Freude am Leben schließt die Geburtswehen mit ein. –So möchte ich die frohe Botschaft unseres Sonntages umschreiben, die beim Evangelisten Johannes überliefert ist. Dort heißt es:

-Predigttext verlesen –

Was uns der Evangelist in den Abschiedsreden Jesu überliefert, liebe Gemeinde, sind Gedanken, die sich auf das Geschehen von Karfreitag bis Ostern beziehen. Sie greifen weiter, schenken uns Christen Freude, wenn wir unter den Umständen unseres Lebens und dieser Welt allen Anlass zum Lachen verloren haben. Sie verweisen auf die Leidenserfahrung Jesu und nehmen sie als Tatsachen hin. Sie leugnen nicht, wie heute gern gesagt und schon gepredigt, das Leiden des Erlösers und seinen Tod, sie reden nicht und bleiben nicht in Vermutungen, sondern akzeptieren Kreuz und Auferstehung als reale Begebenheiten im Wirken Jesu.

Johannes berichtet, Jesus habe im Blick auf seinen Abschied zu den Jüngern davon gesprochen, dass sie ihn eine kurze Zeit noch schauen werden, dann aber nicht. Und wiederum wird er später wieder von ihnen gesehen werden. Sie werden traurig sein und weinen und klagen, ehe sich diese Trauer in überschwänglichen Jubel und große Freude wandeln wird und sie dann singen beginnen:

„Jauchzet, Gott, alle Lande!
Lobsinget zu Ehren seinem Namen, rühmet ihn herrlich!
Sprechet zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!“

Vor dem Jubel steht der Karfreitag mit Leid und Tod am Kreuz, Schande und Hohn und Spott. Die Jünger sind entsetzt und mutlos geworden, finden sich in ohnmächtiger Trauer wieder. Mit der Grablegung am Tage darauf verlässt Jesus ihre sichtbare Welt. Das, was ihnen Halt und Trost gab, ist zerbrochen. Das Band der Liebe, das Wirken und die Herrlichkeit ihres Herrn wird durch die Schatten des Todes und ihrer Trauer verdunkelt.

Nach drei Tagen, einer relativ kurzen Zeit, begegnen zwei Jünger plötzlich und überraschend auf dem Weg nach Emmaus dem Auferstandenen. Und auch im Kreis aller Jünger ist er mitten unter ihnen - er lebt! Selbst den ungläubigen Thomas überwältigt die Gegenwart seines Herrn. Jetzt sehen sie ihn wieder, erkennen in ihm den Anderen, den, der umfangen ist von der Herrlichkeit und dem Licht des Vaters. Freude und Zuversicht erfüllt ihre Herzen.

Das war keineswegs im Horizont ihrer Erwartungen, deshalb blieben ihnen vor Ostern die Worte Jesu verschlossen und fremd. Trauer hatte sie berührt, Hoffnung gänzlich verlassen. Und nun werden Tränen in Freude und Lachen verwandelt. Sie fühlen sich nach den schweren, düsteren Tagen wie von neuem geboren. So schwer waren diese Tage zu ertragen, das Jesus sie mit den Stunden der Geburt vergleicht: Am Ende der Schmerzen und nach dem Leid der Stunden der Geburt stehen das übergroße Glück und die Freude über ein neugeborenes Menschenkind, und dieses Glück lässt die Mutter alle Ängste und Nöte vergessen.
Christliche Freude am Leben schließt die Geburtswehen mit ein!

Daraus schöpfen wir Christen unsere Hoffnung, das ermutigt uns, auch unter den schwierigen Umständen, die ein Menschenleben begleiten oder prägen, den Mut nicht zu verlieren. Denn die Freude der Jünger war so überwältigend, dass wir kaum eine Ahnung haben, wie sie ausgelebt wurde. Wir wissen nur, dass diese Freude tief im Herzen saß, tief im Glauben Wurzeln schlug und zum Leben befreite. Daran können wir teilhaben, denn wir sind getauft und glauben, dass Jesus Christus unser Herr und Erlöser ist.

Ein Lesezeichen unbekannter Herkunft begleitet mich bei der Bibellese, liebe Gemeinde. Es hat Worte und Zeichen: ein Kreuz und eine Krone. Darüber und dazwischen stehen die Worte „ohne“ und „keine“. Das Kreuz wird am Schaft von grünen Zweigen umrankt. Durch das Lesen unseres Evangeliums wird mir die Botschaft des Zeichens bewusst und verständlich:

„Ohne Kreuz keine Krone“.

Ohne Kreuz keine Krone, das meint: wer in sich geht, seine Schuld bekennt und büßt, der erlebt die Freude, wiedergeboren zu sein, zu denen gezählt zu werden, die Gottes Gnade erlöst hat.

Das mag für moderne Ohren unerwartet klingen, liebe Gemeinde, doch so wie wir es im Alltag erwarten und hoffentlich praktizieren, dass da, wo jemand etwas falsch gemacht hat und seine Fehlleistung einsieht, ihn das schlechte Gewissen plagt und er nur dann zu einer Unbeschwertheit zurückfinden kann, wenn er sich auf den Weg macht, den Verletzten, den Beleidigten, den Leidenden um Verzeihung bittet, sich entschuldigen will und kann – so wird es auch im Verhältnis zu Gott sein.

Mitunter ist die tränenreichste Arbeit der Vergebung das Ringen mit sich selbst, das Eingestehen der eigenen Schuld oder eines Verhaltens, mit dem ich bewusst oder unbewusst andere beleidigt, verletzt oder gedemütigt habe. Kann ich mich im tiefsten Innern davon überzeugen, dass ich gefehlt habe, dann weichen die Tränen der Reue der Freude einer erbetenen Vergebung, dann spüre ich die mir gewährte Gnade und Chance zur Umkehr, für einen neuen Anfang meines Lebens oder für die Gemeinschaft anderer mit mir.

Gleiches gilt für mein Verhältnis zu Jesus Christus.

Bin ich bereit, mein Versagen und meine Gottesferne seiner Güte und Liebe gegenüber einzugestehen und wie der Zöllner zu beten und zu bitten: „Gott sei mir Sünder gnädig!“, dann erfahre ich das Licht seiner Vergebung, spüre die Huld und Freude von meiner Schuld erlöst zu sein.

Ohne Kreuz keine Krone: das meint auch dies:

Wer in der Anfechtung Tränen vergoss, dem wird die Freude der Erlösung widerfahren. Ich begegne Menschen, die ungewollt von Herausforderungen und Schwierigkeiten gepeinigt werden:

Da ist der Mann, der trocken geworden ist und keinen Tropfen Alkohol anrühren will und soll und darunter leidet, dass seine Freunde ihn deshalb necken und verführen wollen: „Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren!“ Hart und schwer ist es dann, standhaft zu bleiben, der Versuchung nicht zu erliegen.

Da ist die alte Frau, die ihre Enkel, die sie liebt und die ihrem Leben Licht und Freude bereiten, nicht sehen darf, denn die Kinder werden bewusst von ihr ferngehalten und sogar gegen sie aufgewiegelt.

Wer kann das auf Dauer ertragen? Wen überkommt da nicht Bitterkeit oder Resignation? Wessen Liebe erkaltet da nicht?

Dann hilft es, zu wissen, dass Tränen sich in Freude verwandeln, wenn ich den Weg der Liebe und der Güte um Gottes Willen weitergehe, wenn ich mich allen Widrigkeiten zum Trotz getragen weiß vom Kraftfeld der Liebe Gottes und mir dieses Wissen wichtiger ist, als ein augenblicklicher Erfolg oder ein Sieg nach Punkten über die Menschen, die es mir schwer machen wollen.

Ich erinnere an junge Menschen, die glauben wollen, die ihren Weg zu Jesus Christus suchen und von Gleichaltrigen verspottet und von Erwachsenen abgewiesen werden, denen gar die Kirche als Institution befremdlich erscheint. Und dennoch bleiben sie treu in der Suche, in ihrem Glauben, in der Gemeinschaft. Sie wollen tiefer schauen als nur auf die Oberflächlichkeit heutiger Teenager-Kultur, wollen zum Kern des Glücks und des Lebens vorstoßen.

Ohne Kreuz keine Krone.

Manchmal begegne ich Menschen, die das Sterben ungerecht finden, besonders ein Sterben mit Schmerzen und Ängsten, mit langer Zeit im Krankenhaus oder im Hospiz. Sie meinen, wer gut und glücklich gelebt hat und niemandem etwas zu Leide tat, der dürfe am Ende selbst nicht so leiden. Sie klagen Gott an, dem sie sonst kaum Glauben und Achtung schenken. Doch wer hat gesagt, dass Sterben immer rasch und einfach, ohne Schmerzen ginge – so unbewusst, wie das Geborenwerden, an dessen Schmerzen sich nur die Mutter bewusst erinnern kann? Erst durch Schmerzen und Ängste um Leben und Tod gelange ich geläutert ins Licht des neuen Lebens, wenn ich glaube.

Schauderhaft ist der Tod der Menschen, die sich ihres Lebens mit Schuld, Sünde, Tod und Teufel erinnern und sich nun fragen müssen, ob sie Halt und Zuspruch, Vergebung und Gerechtigkeit erlangen oder ob sie namenlos verloren gehen, ihren Lohn bereits erhalten haben.

Die Krone des Lebens steht dem zu, der treu bat und seiner Schuld bewusst, Gott um Vergebung bat.

Ohne Kreuz keine Krone – hieß es auf dem Lesezeichen. Viele singen gerne:

„In dir ist Freude, in allem Leide“

und bekennen:

Christliche Freude am Leben schließt die Geburtswehen mit ein.

Amen.

Christian Tegtmeier
310042727065-0001@T-Online.de

 


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