Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Rogate, 1. Mai 2005
Predigt über Lukas 11, 5-13, verfasst von Christian-Erdmann Schott
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Liebe Gemeinde! Die Worte, die wir eben gehört haben, sind ein Teil der Antwort Jesu Christi auf die Jüngerbitte „Herr, lehre uns beten“ (Kap. 11,1). Damit meinen die Jünger: Lehre uns so beten, dass wir bei Gott gehört werden und eine positive Reaktion auslösen.

Die Antwort Jesu muss auf dem Hintergrund des Gesamtzeugnisses des Lukas und des Neuen Testamentes überhaupt gesehen werden. Dann zeigt sich, dass sie drei auch für uns bleibend wichtige Hinweise enthält:

Erstens: Wenn Eure Gebete dem allgemeinen Zustand der Welt gelten, solltet Ihr davon ausgehen, dass sie bereits erhört sind. Seit Jahrtausenden haben die Menschen unter dem Zustand der Welt gelitten. Ungerechtigkeit, Gottlosigkeit, Lüge scheinen die Oberhand zu haben und immer schlimmer zu werden. Seit Jahrtausenden bitten die Menschen, Gott möge eingreifen und ein Zeichen seines Daseins, seiner Nähe und Verbundenheit mit der Menschheit geben. Diese Bitten sind – und das ist der Hintergrund der Antwort Jesu - erfüllt.
In Lukas 1 und 2, im Magnificat der Maria, in der Weihnachtsgeschichte mit der Botschaft der Engel, im Lobgesang des Simeon und der Hanna wird gesagt und besungen, dass das, „was der alten Väterschar höchster Wunsch und Sehnen war, und was sie geprophezeit, ist erfüllt in Herrlichkeit“ (EG 12,2).
Gott hat in der Person Jesu Christi das große Zeichen dafür gesetzt, dass er die Welt nicht aufgegeben hat; dass wir nicht Gott-los sind, sondern ihn „Unser Vater“ nennen dürfen und alles, was wir vorbringen und erbitten in diesem großen Rahmen des Welthandelns Gottes gesehen werden muss und auf der Grundlage einer großen Dankbarkeit geschehen kann. Wir dürfen in seiner Nähe leben und mit ihm sprechen.
Darum kann unser Beten auch eigentlich nur mit dem Lobpreis beginnen: „Dein Name werde geheiligt – Dein Wille geschehe – Dein Reich komme“ und setze sich bei uns weiter durch. (Lukas 11,2)

Zweitens: Wenn Eure Gebete Eure persönliche Situation betreffen, könnt Ihr davon ausgehen, dass Gott Euch erhören und helfen wird. Dabei sollt Ihr Euch auch nicht dadurch entmutigen lassen, dass die Not – Krankheit, Arbeitslosigkeit, Angst, Sorge, Kinderlosigkeit, Einsamkeit – groß und die Lage aussichtslos scheint. Denkt daran, dass Gott Euer Vater ist oder auch – hier unser Evangelium - Euer guter Freund. Wenn schon ein menschlicher Freund hilft, weil Ihr nicht nachlasst mit Bitten, um wie viel mehr wird Gott auf Euer anhaltendes Gebet hören, sich erweichen lassen und helfen. Und wenn schon ein menschlicher Richter sich durch das unaufhörliche Bitten einer schutzlosen Witwe erweichen lässt, um wie viel mehr werdet Ihr Gott erweichen, wenn Ihr beharrlich bleibt. (Lukas 18,1-8). „Bittet – suchet – klopfet an“ – Gott ist Euch zugetan. Er wird Euch hören, „denn er tut Wunder“ (Psalm 98,1).
Damit sind wir bei dem breiten Strom der Wundergeschichten im Neuen Testament. Etwa die Hälfte von ihnen ist als Gebetserhörung konzipiert. Zum Beispiel die Geschichte von den Zehn Aussätzigen mit der Bitte „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Oder die beiden Blinden, von dem Matthäus erzählt, die ihm nachfolgten und schrieen „Ach, du Sohn Davids, erbarme dich unser“ (Matth. 9,27). Die Wundergeschichten können und sollen uns ermutigen, auch in aussichtsloser Situation um ein Wunder bei uns zu bitten. Im Kern ist ohnehin jede Bitte um Hilfe, die wir an Gott richten, die Bitte um ein Wunder. Das dürfen wir. Das sollen wir.

Drittens: Wenn Ihr betet, müsst Ihr Gott aber auch ernst nehmen und ihm zubilligen, dass er darüber entscheidet, wie er Euch helfen will. Darum heißt es ja im „Vater Unser“ auch ausdrücklich „Dein Wille geschehe“. Gerade das müssen wir immer wieder lernen – wie es auch Jesus selbst lernen musste. Die Geschichte seines Betens in Gethsemane zeigt es. Auch er musste dahin kommen, sich in den Willen Gottes zu fügen. Andererseits zeigt diese Geschichte aber auch, dass Gott auf seine, auf die ihm gemäße Weise tatsächlich hilft: Er sandte zu Jesus Christus einen „Engel vom Himmel“, der ihn für seinen Leidensweg stärkte (Lukas 22,43).
Darum ist es so wichtig, dass wir bei allem, was uns bewegt und bedrückt, oder auch erfreut, die Bitte um den Heiligen Geist nicht vergessen. Darauf weist ja unser Evangelium auch hin (V.13) Wenn wir den Geist Gottes haben, werden wir lernen, auf die Zeichen zu achten, durch die Gott antwortet. Manchmal kann diese Reaktion Gottes eine Weile dauern. Aber das geduldige Warten auf die Hilfe Gottes hat schon bei manchen Menschen zu der Einsicht geführt, dass Gott sie besser verstanden hat als wir uns mitunter selbst verstehen und unsere Gebete – zu unserem Glück – nicht so erhört hat, wie wir sie meinten, sondern umgebogen hat. Das dankbar zu erkennen, ist Sache des Gottvertrauens und des Heiligen Geistes. Es hat Menschen gegeben, die dankbar für nicht erhörte Gebete waren, weil sie erkannten, dass Gott die Dinge, die sie belastet haben, besser hinausgeführt hat, als sie es selbst jemals gekonnt hätten.
Der Heilige Geist macht aus den Christen Überlebenskünstler – weil er uns die Fähigkeit verleiht, das Gute, das Gott uns auf oft versteckte Weise zukommen lässt, zu erkennen. Der Apostel Paulus hat das in die schönen Worte gefasst: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ (Röm. 8,28). So lange man diesen Durchblick noch nicht hat, kann man sich in prekären Situationen immerhin schon einmal für sich selbst und andere an den Volksmund halten und vertrauensvoll unterstellen: „Wer weiß, wozu es gut ist“.

Wenn wir diese drei Hinweise, die Jesus Christus den Jüngern auf ihre Bitte „Herr, lehre uns beten“ gegeben hat, aufnehmen und umsetzen, werden wir erkennen, dass das wichtigste am Beten dieses ist: Dass wir mit Gott im Gespräch bleiben – so wie er mit uns im Gespräch ist. Amen.


Pfarrer em. Dr. Christian-Erdmann Schott
Elsa-Braendstroemstr. 21
D-55124 Mainz (Gonsenheim)
E-Mail: ce.schott@surfeu.de


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