Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 5. Mai 2005
Predigt über Apostelgeschichte 1, 1-11, verfasst von Eberhard Harbsmeier (Dänemark)
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I

Es gibt viele Leute, auch unter Theologen, die finden den heutigen Himmelfahrtstag überflüssig. Aus vielen Gründen: Einmal: Ist diese Vorstellung nicht naiv? Ist es nicht überholt, so vom Himmel zu sprechen? Dürfen wir uns beklagen, wenn der russische Astronaut in seinem Sputnik einst erklärte, er habe da oben Gott nicht angetroffen? Ist das nicht die natürliche Antwort auf ein allzu naives reden von Gott und vom Himmel da oben?

Und theologisch kann man ja fragen, ob nicht die Geschichte von der Himmelfahrt nur ein schwacher Abglanz der Ostergeschichte ist. Und die Theologie, mit der wir aufgewachsen sind, hat uns ja immer gepredigt, daß man sich als Christ nicht zu viel mit dem Himmel beschäftigen solle, sondern mit dem Leben hier auf Erden.

Also aus dieser Sicht: Vom Himmel zu reden, von der Himmelfahrt, ist nicht nur naiv, sondern auch noch unmoralisch - es lenkt ab von den wichtigen Fragen hier auf Erden.

Was Wunder, daß viele Leute den Himmelfahrtstag als etwas unseriösen "Vatertag" mit viel Bier begehen.

II

Nun würde ich vorschlagen, daß man gerade mit solchen vorschnellen Vorwürfen und Vorurteilen vorsichtig sein sollte. Andere für naiv zu halten und für unmoralisch - das fällt meistens auf einen selbst zurück. Und man kann fragen, wer mehr naiv ist: Wer vom Himmel redet, oder der, der vom Himmel nichts wissen will und sich an diesem Tage betrinkt?

Ich möchte in diesem Zusammenhang an den großen deutschen Philosophen Immanuel Kant erinnern, den großen Philosophen der Aufklärung, wahrscheinlich der bedeutendste Denker, den Deutschland hervorgebracht hat. Ich nenne den Königsberger Kant auch, weil wir im letzten Jahr am 12. Februar seinen 200. Todestag begangen haben.

Kant war Philosoph der Aufklärung, leitete die Menschen an, sich ihrer Vernunft zu bedienen, Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, habe den Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Laßt Euch nichts vormachen, denkt selbst, habt den Mut, selbst zu denken, seid intellektuell redlich. Es ist verlogen, etwas gegen seine eigene Überzeugung zu akzeptieren, das war das Pathos von Kant. Und dabei konnte sich Kant durchaus auch auf Martin Luther berufen, der seine berühmte Rede in Worms vor dem Kaiser mit den Worten schloß, das es nicht ratsam ist gegen sein Gewissen zu handeln - Gott helfe mir. Amen!

Aber gerade dieser Kant, der Philosoph der Aufklärung, der Vernunft, dachte gar nicht daran, den Himmel abzuschaffen. Kants berühmter Wahlspruch war nämlich: Der gestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.

Kant war Philosoph der Vernunft, der größte Theoretiker der Vernunft - und dennoch - oder gerade deshalb ein tief religiöser Mensch: Der gestirnte Himmel über mir - und das moralische Gesetz in mir - das sind nicht Gegensätze, das sind zwei Dinge, die einander bedingen. Man kann das eine nicht ohne das andere haben - den Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir!

Kant hat den Himmel nicht abgeschafft und durch Moral oder praktische Philosophie ersetzt - er war vielmehr zutiefst davon überzeugt, daß beides notwendig ist: Eigenes Denken, praktische Vernunft, sich seines eigenes Verstandes bedienen - und der Glaube an einen Himmel über uns. Aufklärung, so habe ich das in der Schule auswendig gelernt, ist der Ausgang des Menschen aus seiner eigenen Unmündigkeit. Selber Denken. Das hat etwas mit Freiheit zu tun. Aber nicht Willkür - denn es gibt nicht nur das moralische Gesetz in mir, meine Entscheidungen, sondern auch den gestirnten Himmel über mir.

Warum? Ohne einen solchen Himmel werden die Vernunft und die Moral und das Gewissen zur Willkür. Ohne eine Ehrfurcht vor dem Gesetz, das über uns steht, wird die Vernunft unmenschlich, nur unseren Interessen unterworfen.

Die Wahrheit ist eine Frage unseres Gewissens, unserer eigenen Vernunft, aber nicht nur, sondern auch etwas, das über uns steht, uns entzogen ist.

III

Und nun Jesus! Warum war es den Autoren des Neuen Testaments so wichtig, vom Himmel zu reden, von der Himmelfahrt Jesu? In Jerusalem gibt es eine Kapelle, die Himmelfahrtskapelle, eine Kirche ohne Dach, man steht in dem Raum und hat freien Ausblick in den Himmel. Waren die Leute, die das erzählt haben, die Leute, die diese Kapelle gebaut haben, naiv? Vielleicht aus unserer Sicht, aber dann naiv in einem positiven Sinne. Denn es gibt Naivität, die der Wahrheit näher steht als unsere angebliche Vernunft - oder gar die Borniertheit von Juri Gagarin, der mit seinem Sputnik den lieben Gott nicht gefunden zu haben meinte.

Daß es einen Himmel gibt, bedeutet aus meiner Sicht zweierlei, so hat es wohl auch Kant verstanden:

Es gibt erstens Dinge, die feststehen, die wir nicht beliebig ändern können. Eine Wahrheit, die nicht zur Disposition steht. Die wir nicht ändern können. Für Astrologen und die alten Wahrsager war dies das Schicksal. Für Kant das moralische Gesetz. Es ist in uns, aber auch über uns, eben im Himmel. Wir sind nicht Herren über die Moral, sondern die Moral Herr über uns. Für die Christen ist es die Liebe. Sie ist nicht nur in uns, sondern auch über uns. Wir sind nicht die Herren über die Liebe, sondern die Liebe hat Macht über uns. Das ist im Grunde die Botschaft von Himmelfahrt. Zweitens ist deshalb der Himmel auch Ferne, Abwesenheit. Himmelfahrt ist auch Abschied, notwendiger Abschied - die Jünger bleiben allein. Was nicht nur in uns ist, sondern auch über uns, ist uns auch entzogen. Gott, die Liebe ist in uns, ist bei uns - aber eben auch weit weg - und das ist gut so! Denn nur so kann Liebe etwas bleiben, dessen wir uns nicht bemächtigen können. Nur so kann Gott Gott bleiben und Christus unser Herr sein.

Die alten Väter nannten das die Königsherrschaft Jesu Christi, in vielen Kirchen sehen wir das: Christus ist abgebildet nicht nur als Mensch, als der Gekreuzigte, sondern als Herr der Welt, der im Himmel thront, auf einem Regenbogen, das, was die Welt zusammenhält. Nicht nur die Jünger, nicht nur wir und unser Leben hat sich geändert durch Christus - die Welt ist eine andere geworden. Wir sind nicht unsere eigenen Herren, sondern gehören Christus, sind im Machtbereich Jesu und seiner Liebe.

Das ist der Himmel über uns, Christus im Himmel über uns. Wer das naiv findet, sollte wissen: Ohne einen Himmel ist das Leben des Menschen ärmer, dann reden wir nicht mehr mit Gott und zu Gott, sondern nur mit und zu uns selber. Dann sind wir eingeschlossen in unsere eigene Welt. Es gibt, sagt der große Däne Kierkegaard - die Deutschen sind mit Recht stolz auf ihren Kant, die Dänen mit Recht auf ihren Kierkegaard - nichts Trostloseres als einen Menschen, der mit sich selber redet. Man erlebt das ja manchmal auf der Straße - Menschen die mit sich selber reden, trostlos, einsam. Ein trauriger Anblick. Für mich ist jemand, der von einem Himmel über uns nichts wissen will, so ein trostloser Mensch, der im Grunde nur mit sich selbst beschäftigt ist. Lieber "naiv" in diesem Sinne als ein trostlos vernünftiger Mensch, der nur mit sich selbst und von sich selbst redet.

IV

Liebe Gemeinde, ich möchte meine Predigt schließen mit einer Religionsstunde meiner kleinen Tochter Theodora, man merkt sie geht in eine gute Schule in Lügumkloster bei Frau Blume. Vor dem Supermarkt in Lügumkloster fragt sie mich plötzlich, wieso haben wir eigentlich Großmutter in die Erde gelegt, wo sie doch zu Gott in den Himmel kommen soll? Ehe ich antworten kann, hat Theodora aber schon eine Erklärung, sie hat das mit ihrer großen Schwester Olivia besprochen: Das ist deshalb, weil sie nun bei Gott ist, und Gott ist in der Erde und im Himmel - weil er Gott ist und nicht ein Mensch. Besser kann man es nicht ausdrücken: Gott ist im Himmel und auf Erden, über uns und in uns. Daran glauben wir Christen. Christus ist im Himmel, aber auch bei uns. Das will der Evangelist mit seiner Geschichte sagen: "Dieser Jesus, welcher von Euch ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen". Amen.

Rektor Professor Eberhard Harbsmeier
Fasanvej 21
DK-6240 Løgumkloster
Tel.: ++ 45 - 74 74 55 99
E-mail: ebh@km.dk

(Predigt für die deutsche Gemeinde in Tondern, Dänemark)


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