Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Pfingstsonntag, 15. Mai 2005
Predigt über Johannes 16, 5-15, verfasst von Reinhard Weber
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Der pfingstliche Geist – die abwesende Anwesenheit Jesu

Seit den Zeiten der Alten Kirche wird im Verfolg des Kirchenjahres mit dem Sonntag Kantate das Thema des Geistes wach; seitdem geht es zentral um den Parakleten, den Tröster, wie Luther etwas vereinseitigend und unzureichend übersetzt hat. Und das treibt dann auf den Kulminationspunkt an Pfingsten zu, wo der Geist als solcher zur Sprache und zur Wirkung kommt. Dabei wird das Thema wach in der Trauer, in dem Gefühl, in dem Bewußtsein der Entbehrung Jesu. Das ist sein genuiner, sein ursprünglicher Ort. Das Entbehren Jesu im Kreise seiner Anhänger, sein Nicht-mehr-dabei-Sein, seine Abwesenheit, sein Weggang von der Erde, darum geht es zunächst, wenn vom Geiste geredet wird. In diesem Kontext und mit Blick auf diesen Augenblick fängt Jesus an, vom Geist zu reden. Und im Grunde sind ja die ganzen Abschiedsreden, die im Johev einen so wesentlichen Teil des ganzen Evangeliums ausmachen und in deren Zusammenhang unser Predigttext überliefert ist, geradezu um dieses Thema herumgeschrieben. Und eigentlich ist das auch bei Paulus so, daß dieser Jesus nicht greifbar ist, keine sinnliche Realität hat, daß wir ihn ach dem Fleische nicht mehr kennen, daß er uns so nicht mehr zuhanden ist (2. Kor 5,16).

Die Jünger damals wie alle Christen seither müssen ohne die lebendige, vitale, unmittelbare Gegenwart des Herrn auskommen. Er ist nicht mehr da! Das gilt spätestens seit Himmelfahrt. Mit Pfingsten aber beginnt ein neues Zeitalter, beginnt das christliche Zeitalter.

Das ist als solches weithin selbst in Kirche und bis heute hin nicht wirklich realisiert, daß wir nämlich nicht im Zeitalter Jesu leben und auch nicht im Zeitalter des Gottes Israels, sondern im Zeitalter des Geistes: das ist das Problem der Kirche – dieses Nichtrealisieren des dritten Zeitalters, daß also die Kirche nicht ernstmacht mit dem Geist, mit der praesentia divina, der Gottesgegenwart als Geist: sie lebt weithin in der Geistvergessenheit, und da ändert auch das ganze aktuelle Getue und Gemache mit der sog. Spiritualiät nichts dran. Im Gegenteil, manchmal kann man geradezu sagen, je mehr Spiritualität, desto weniger Geist!

Der Zugang zum Geist geschieht nach dem NT nämlich über die Entbehrung Jesu, und für die Evangelischen, die Protestanten ist das am schwersten, weil da auch das Pochen auf die Bibel als dem papierenen Papst, das dem Protestantismus seit Luther so nahegelegen hat und eigentümlich geworden ist, gar nichts nützt, so wenig wie den Papisten die Berufung auf den Papst.

Der Pfarrer steigt am Sonntag auf die Kanzel, legt die Bibel vor sich aufs Pult und dann ist der Geist da, fährt in ihn..., mitnichten. Mit dem Bibelbuch kann man einen auf den Kopf hauen, aber dadurch fährt noch lange nicht der Geist in ihn. So geht das eben gerade nicht, meistens jedenfalls nicht. Charismatisch-pfingstlicher Enthusiasmus oder täuferischer Spiritualismus oder fundamentalistischer Biblizismus, sie sind auch kein Ausweg aus dieser Verlegenheit, daß man den Geist eben nicht herbeizitieren kann, auch nicht durch die Berufung auf die Bibel als äußeres Wort oder auf das innere Licht, das lumen internum, nein, hier wird in einer Art Gewaltakt, der aus der Verlegenheit der Nichtanwesenheit, der Ungreifbarkeit Jesu resultiert, die eigentliche Schwierigkeit übersprungen: die Not des Übersetzungsvorgangs, durch den 2000 Jahre zu überbrücken sind, und die Bibel als solche ist eben nicht identisch mit dem Geist; sie kann so sehr wie die Berufung auf den Papst oder das Lehramt oder die Konzilien oder die Bekenntnisschriften in die Irre führen und zu einer schweren Gefährdung werden durch die Behauptung vordergründiger Geistpräsenz, durch die Identifikation mit diesen Vermittlungsgrößen. So aber kann der abwesende Jesus gerade nicht vergegenwärtigt werden. Der Geist läßt sich auch institutionell nicht absichern, nicht versinnlichen. Deshalb ist die Abdrängung des Geistes üblich geworden mit der Folge des Verlöschens des Geistes, er ist in der Kirche weithin begraben und tot oder eben aufgelöst in diese allfälligen billigen Scharmützel mit dem und Anbiederungen an den Zeitgeist, wie sie heute weithin gängig geworden sind und wo man dann meint, man geht ja mit dem Geist der Zeit, man ist ja auf der Höhe, man kann ja mitmachen, man wird wahrgenommen, man ist genehm und gegenwärtig, aktuell. Nun, der Paraklet ist das nicht, was da heute feilgeboten wird. Jesus ist seit Himmelfahrt nicht mehr da, da helfen auch keine Visionen oder Enthusiasmiertheiten oder Werbefeldzüge oder Beratungsfirmen oder diakonische Aktionen o.ä. So ist er weder wieder lebendig zu machen noch herbeizuzwingen.

Für Pfingsten, das Kommen des Geistes, ist also nach unserem Text die erste Voraussetzung: Jesus ist nicht mehr da, er muß weg, wenn denn der Geist soll kommen können! Das ist die Grundvoraussetzung. Jesus muß erst weg, erst dann kann mit dem Geist eine neue Epoche beginnen. Als Jesus dieses Kommen nach seinem Weggang ankündigt, nennt er drei Punkte, drei Aufgaben des Geistes, und um die geht es im Text, wenn vom Geist geredet wird: Überführung von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Das ist die Dreifaltigkeit des Geistes:

Erstens , Sünde heißt, daß die Welt nicht an Jesus glaubt, heißt Unglaube, Abfall von Jesus; Sünde ist also nicht moralisch-sittlich zu verstehen, das Moralisch-Sittliche ist lediglich eine bloße Folgeerscheinung; Sünde ist primär ein transmoralischer Sachverhalt, ist das Verlassen Jesu; Sünde ist Sonderung, ist Getrenntsein vom Leben als von seinem Ursprung, also von Gott, so wie er in Jesus da ist; Unglaube ist: ohne diesen Gott in der Welt zurechtkommen wollen, und das geht ja auch in der Regel ganz gut, meist besser als in seiner Nähe; aber es ist die Sünde, die Sonderung, das Alleinsein, das Wegsehen von ihm, ist das Mißachten Jesu. Das ist die erste Funktion des Geistes, des pfingstlichen: uns dessen zu überführen, unseren prometheischen Unglauben offenbar zu machen! Unsere Abgewandtheit von diesem Gott in Jesus.

Zweitens , Gerechtigkeit heißt, daß Jesus nicht mehr bei uns ist, daß er als dieser Mensch irgendwann nicht mehr da ist, das ist Gerechtigkeit: das muß so sein, das ist die Zeitlichkeit des Menschseins, das ist das Vergehen seiner sinnlichen Erscheinung als Weltwesen, als zeithafte Vermittlungsgestalt Gottes; dieser Vordergrund Jesu ist nicht das Entscheidende, er gibt nur falsche Sicherheit, er lenkt vom Glauben ab; da sieht man ja nichts außer dies und das, darum ist das Verschwinden Jesu als sinnlicher Gestalt gut und notwendig und gerecht – und gerecht heißt: nach dem Willen Gottes gefügt; ja, Jesus als dieser Nazarener, als diese konkrete, leibhafte Menschengestalt vor 2000 Jahren an genau dieser Stelle der Geschichte ist der Weg zum Vatergott, aber er ist nur der Weg, er ist diese Vermittlung, er ist der Mittler, der als solcher nicht schon die Sache selbst ist, sondern sie lediglich vermittelt, auf sie verweist, sie anzeigt, sie präsent macht; er ist nicht das Ziel, denn der Weg als leibliche Gestalt verschwindet, wenn man am Ziel ist, er verschwindet als dieser Punkt an dieser bestimmten Raum-Zeit-Stelle, um im Geiste aufzuerstehen, im Geiste allgemein präsent zu werden in seiner Gemeinde. Gerade durch das Verschwinden Jesu wird Jesus universell, denn der Geist ist ja gleichsam Jesus noch einmal, aber nun eben nicht mehr als sinnliche Erscheinung, sondern als übergreifende actualitas. Dessen überführt uns der Geist, daß das so sein muß, nach dem Fug Gottes.

Drittens , Gericht heißt, der Fürst dieser Welt ist gerichtet, er hat keine Macht mehr, das ist Ziel des Dreierkatalogs, die Entmächtigung des Weltfürsten. Mit dem ist es nichts mehr! Und das gilt gerade auch angesichts der Tatsache, daß um uns herum ja durchaus Mächte sind, und ganz schön gewaltige, unübersehbare zumal: Gewerkschaften und Arbeitgeber, Bush und Bin Laden, der militärisch-industrielle Komplex und das große Geld, die Wirtschaft und die Medien, der Papst und und und, und die Berufszwänge ... u.ä.; aber mehr noch, Fürst, das sind wir als solche, die ihr Leben in der Welt ohne Gott allein aus sich selbst führen wollen; Fürst ist Gottentfallenheit, Weltbewältigung rein aus menschlicher Dimension und Vollmacht, ohne Rücksicht; das ist die Gier nach Ruhm vor der Welt, die Aufspreizung, die Selbstbespiegelung in der Welt und durch die Welt, falsche Eitelkeit und Ehrsucht, Herrschaftswille und Intransigenz, das sind die leidenschaftlichen Triebwünsche, die von unten her aufsteigen und uns zu überfallen und zu übermächtigen suchen etc.; das sind all die Kräfte und Tendenzen, die uns von Gott weg und zum Fürsten dieser Welt hin führen. Dessen überführt uns der Geist, daß nämlich all diese Mächte gerichtet sind, daß es nichts mehr mit ihnen ist, daß wir ihnen nicht mehr tributpflichtig sind, daß wir frei von ihrem Anspruch sind, befreit aus unserer Abhängigkeit.

In dieser Dreiwirksamkeit also begegnet uns der Geist, so hat ihn Jesus charakterisiert, an diesen Kriterien kann man ihn erkennen. Das ist, das wäre das Leben des Geistes unter uns. Und nun sehen wir schnell: dem glauben wir alle nicht, das nehmen wir nicht ernst, danach leben wir auch nicht, denn wir erleben ja alle diese Mächte durchaus als machtvoll, sehr sogar, und im Gegensatz dazu den Geist als ganz schwach; sie als entmächtigt zu wissen und zu erleben, ist aber Zumutung des Geistes. Was machen wir aber für Kompromisse mit diesen Mächten, wie unterwerfen wir uns ihnen, immer noch, immer wieder. Wieviel Schwäche und Halbherzigkeit unter den Christen, wieviel Anpassungsbereitschaft und Kleinglauben!!! Das geht hin auch bis zu dem kleinen inneren Unglauben an die Möglichkeit von Gottesnähe und Liebe und Geistbegabung und –ermächtigung in den vielen kleinen Lieblosigkeiten im Alltag, und das geht hindurch durch unseren Machtwahn, durch unsere Angst, durch falschen Stolz, durch Unsicherheit, durch Sicherheitsstreben, durch Furchtsamkeit, durch den Verfall an die Leidenschaften und die Begierden, die wir in uns tragen und von denen wir uns beherrschen lassen. Und dann dieses verständliche, aber so unheilvolle Streben nach sinnlicher religiöser Vergewisserung, nach der Greifbarkeit Jesu, nach dem Abschieben unserer Verantwortung, nach dem Sich-Verkriechen hinter einer Autorität, und dies alles auf der Grundlage des tieferliegenden Unglaubens an Jesus und sein Dasein, sein Kommen, seine Präsenz, daß in ihm diese Entmächtigung der Weltmächte schon geschehen ist, daß er der Zeuge des Endes des Fürsten dieser Welt ist, am Kreuz bestätigt und durch Gott legitimiert, daß also die Mächte weder uns noch dem Herrn des Lebens noch etwas anhaben können. Wir aber vollziehen weiter den Gehorsam gegenüber dem Fürsten dieser Welt, trauen ihm alles zu, wollen mit ihm zurecht kommen, liefern uns ihm aus, wollen verhandeln und Kompromisse machen, irgendwie gut durchkommen; und dadurch machen wir ihn groß, halten ihn an der Macht, glauben nicht an Jesus, verewigen seinen Tod, geben dem Fürsten, der ihn tötete, noch recht. Dabei hat er doch längst sein Recht an uns verloren. Und eben diesen Glauben mutet uns der Geist zu, und dazu ermächtigt er uns auch, daß wir unsere im Geschick Jesu erworbene und dargetane Freiheit gegenüber diesem Fürsten wahrnehmen, weil er ja gerichtet ist.

Ja, das ist die Zumutung des Parakleten und seine Botschaft an uns, dieser Glaube, daß der Fürst der Welt nicht der Herr über unser Leben ist, obwohl wir doch gar keine Mittel bei uns und in uns zu haben scheinen, ihm zu entgehen. Der von Jesus seinen Jüngern verheißene Geist mutet ihnen dies Übersteigen über die Unmittelbarkeit der vorgeblichen Herrschaft der Weltmächte zu, und sie haben es in ihrem Widerstand gegen die römischen Kaiser bewährt. Das schaffen wir oft nicht, und darum ist in unserem Scheitern der Geist der Tröster, kommt er als Tröster und verkündigt uns die frohe Botschaft, die es hell werden läßt in unseren Herzen, durch das Feststellen der geistlichen Tatsache: Gott hat den Fürsten dieser Welt entmächtigt; und damit, durch diese Gewißheit macht er uns getrost. Im Geist können und dürfen wir von dieser Tatsache ausgehen, daß der Fürst uns als Glaubenden nichts mehr anhaben kann, daß durch Jesus diese fürstliche Welt überwunden ist (16,33), und daß wir in unserem Leben daraus die Konsequenz ziehen können.

Für die Jünger als Adressaten der Botschaft des irdischen Jesus war das noch nicht vollziehbar, sondern erst unter der Herrschaft des Geistes, wenn Jesus sie verlassen hat, wird das offenbar, kann er wiederkehren und von ihnen Besitz ergreifen, als ganz eigene geheime Herrschaft, nämlich über ihre und unsere Herzen, die nun diese sinnliche Gegenwart nicht mehr brauchen, die in der Geistleitung selbständig sind, verantwortlich als Christen, als Jesuaner in der Welt zu handeln. Und darum gilt: aus diesen überwundenen Herzen geht dann auch die Weltverwandlung hervor, die auch heute akut werden kann, indem wir neue Wahrheiten, neue Lebensarten und -bereiche, neue Aneignungsformen und neue Gestalten der Weltherrschaft des Geistes, des Geistes Jesu Christi, der uns in alle Wahrheit leiten kann, entdecken!

Dafür ist Pfingsten das Realsymbol! An diesem Fest feiert die Christenheit das sinnliche Verschwinden Jesu als Voraussetzung seiner geistigen Wiederkehr als universale Macht, welche die Weltmächte entmächtigt hat. An Pfingsten schenkt sich uns Jesus in der Gestalt des Geistes. Er, dieser Geist, ist die Vergegenwärtigung des Geschickes und der Wirkmächtigkeit Jesu, denn das Thema des Geistes ist Jesus, Anagnorisis, Erkennen, je ganz neu. Von Jesus reden aber heißt vom Vater reden, und dies geschieht durch den Geist: es geht dabei, wie unser Predigttext am Ende zu erkennen gibt, um die Herrlichkeit Gottes, welche dadurch statuiert wird, daß -vermittelt durch den Sohn und durch den Geist akut gemacht- in dieser actualitas der Fürst dieser Welt gerichtet ist: dem können wir im Geist Gestalt verleihen. Das verändert die Welt und macht sie gleichnisfähig.

Das ist die heutige Pfingstbotschaft unseres Johannestextes: Diese schreckliche Welt ist gerichtet und überwunden, überwunden durch die Erscheinung der Liebe Gottes in Jesus, die sich im Geist mitteilt. Das ist der Aufgang eines neuen Lebens. Das Pfingstfest ruft dazu auf, damit an einem ganz kleinen Stück ernst zu machen, sich nicht mehr treiben lassen von den Mächten der Welt - sondern auf dem Wege zu Jesus und von im her den Glauben an die Wahrheit dieser befreienden Botschaft einzuüben, kleine Schritte zu machen, im ganz engen Raum, nicht mehr Getriebene sein, sondern Treibende, das ist der Anfang des Geistes, durch den sich der Sieg Gottes über den Fürsten dieser Welt bezeugt, denn der wird nur im in der Liebe tätigen Glauben weltlich real, und durch den Glauben realisiert er sich in unserem Leben, in unserer kleinen Welt als deren geheim offenbare Macht.

Die Botschaft von Pfingsten, die der heutige Predigttext zu Gehör bringt, ist demnach keine andere, als uns zu dem Beginn der kleinen Schritte zu ermächtigen, die uns tributfrei von den fremden Mächten machen auf der Grundlage des großen und entscheidenden Schrittes, den Gott mit der Welt in Jesus, dem Christus getan hat; dadurch öffnet uns der Geist in die Kunft Gottes, und so ist die Gegenwart die Herausforderung unseres Glaubens, sie im Lichte von Gottes Zukunft zu sehen und zu gestalten an unserem Teil - darauf kommt es an. Durch Jesu Tod und sein Kommen als Geist ist uns das Tor aufgetan zum neuen Leben der Gegenwart aus der Zukunft Gottes heraus. Und so bezeugt schon diese Gegenwart Gottes Sieg in der Welt durch unseren Glauben als seine abwesende Anwesenheit.

PD Dr. Reinhard Weber
Rudolf-Bultmann-Str.4
35039 Marburg
weber@esg-marburg.de

 


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