Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 16. Mai 2005
Predigt über Johannes 3, 16-21, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
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Es ist ein merkwürdiger Raum, in dem wir hier versammelt sind. Gebaut vor gut 800 Jahren aus großen, grob behauenen Steinen, die man nach einem sinnigen und soliden System aufeinander gelegt hat. Aber das ist es ja eigentlich nicht, was uns beeindruckt; denn es gibt so viele merkwürdige und interessante Häuser. Nein, es ist eher all das, was hier in all diesen Jahren geschehen ist: Gottesdienste, Kindertaufen, Konfirmationen, Hochzeiten, Begräbnisse. Überwältigend, wenn man nur daran denkt! Generation auf Generation. In den ersten vielen, vielen Jahren unglaublich arm; dann beginnt die moderne Zeit mit Eisenbahn, Industriebetrieben, Eigenheimen, Autos usw.

Aber das alles ist nur ein kleiner Teil von, was merkwürdig ist an diesem Haus. Es ist erfüllt von Glauben; aber das kann man nirgends sehen. Es war auch nicht hier, ehe wir kamen; und wenn wir nach dem Gottesdienst wieder nach Hause gegangen sind, ist es wieder weg. Da könnte man glauben, es sei etwas gewesen, das wir mit uns hier hereinbrachten und wieder mit uns nahmen, als wir fortgingen; aber das ist keineswegs der Fall.

Wenn jemand etwas Glauben von zuhause mitgebracht hat, dann ist es ganz und gar nicht dieser, der jetzt den Raum erfüllt. Es mag sein, dass er daran erinnert, aber es ist nicht derselbe Glaube, – ganz und gar nicht. Die heiße Diskussion in den Medien der letzten Tage könnte einen leicht zu der Ansicht verleiten, dass der Pastor einen Glauben mitbringen würde, von dem er dann an die Kirchgänger austeilen könnte. Aber da muss ich bedauern, denn ich habe nichts, wovon ich austeilen könnte. Ob euer Pastor hier auf der Kanzel glaubt oder nicht glaubt und an was, geht die Gemeinde überhaupt nichts an, das ist eine Sache zwischen mir und Gott, und ich lasse mir in dieser Hinsicht gar nicht in die Karten kucken. Im Übrigen bin ich ja wie alle ihr anderen. Weder schlimmer noch besser. Weder weniger noch mehr gläubig. Aber ich bemühe mich natürlich sehr um die Dinge des Christentums und der Kirche, denn das ist meine Arbeit, und dafür bekomme ich mein Gehalt. Nicht dafür, dass ich glaube. Aber man muss ja am Sonntag predigen können.

Wo kommt dann der Glaube her und erfüllt den Raum hier während unseres Gottesdienstes? Das ist genau das, worum es an Pfingsten geht: Der Glaube ist in jeder Hinsicht von der Gemeinde abhängig. Den Glauben pflanzt Gott mit seinem Wort mitten in die Gemeinde, und zwar immer dann, wenn sie sich versammelt. Und er tut das mit Hilfe dessen, was Heiliger Geist heißt. Deshalb ist es doch töricht, einen Pastoren oder andere zu fragen, ob sie glauben. Als ob der Glaube etwas wäre, was man in einem kleinen religiösen Rucksack mit sich herumtragen könnte. Und wozu in aller Welt sollte man in die Kirche gehen, wenn man im Besitz eines Glaubens wäre. Um der Geselligkeit willen vielleicht, aber dies hier wäre dann doch ein teurer und großer Apparat, mit dem man um der Geselligkeit willen aufwartete.

Nein, der Glaube ist hier in der Kirche, wenn wir uns zu Gottesdienst, Hochzeit oder Begräbnis hier einfinden. Dann ist übrigens immer von Gottesdienst die Rede, wenn denn Pastor und Gemeinde sich ordentlich benehmen. Was soll das heißen? Dass wir immer hier hereinkommen sollen, um zu hören, was Gott zu uns sagen will. Und er spricht hier immer. Das ist so schön, so eindringlich, so leidenschaftlich, denn er will es gern so haben, dass wir hören und verstehen.

Verstehen ist vielleicht nicht das rechte Wort. Begreifen, einsehen, umschlungen werden wäre vielleicht besser. Der Glaube spricht zum Herzen, nicht zum Verstand. Das bedeutet nicht, dass der Glaube etwas besonders Mystisches wäre, sondern es bedeutet, dass er mit Liebe zu tun hat. Deshalb gibt es auch keine Freiplätze in einer Kirche, d.h. einen Ort, an dem man behaglich zurückgelehnt dasitzen, die Arme kreuzen und die Dinge beurteilen könnte. In dem Fall wäre man in Wirklichkeit gar nicht hier drinnen und könnte ebensogut draußen auf dem Friedhof sitzen, wo man dann tatsächlich auch hingehören würde. Denn dies hier ist der Ort der Auferstehung und des Lebens und nicht des Todes.

Die Kirche ist ein altes Haus, aber auch ein merkwürdiges Haus. Sobald man hineingekommen ist, wird man umschlungen von Worten, die den Glauben in sich tragen: Gebete, Lieder, Grüße, Texte, Predigten, Taufe und Abendmahl. Die Worte füllen nicht nur den Raum aus, sondern sie tragen die Menschen unmerklich mit sich hinein in diese wunderbare Welt von Frieden, Befreiung und Lebensmut.

Heute ist es die phantastische Proklamation aus dem Johannesevangelium, in die wir hineingezogen werden: Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Unglaubliche und machtvolle Worte. Eigentlich müsste man sie wohl rufen oder singen. Das ist ja nicht einfach so hingesagt. Das ist eine Fanfare. Die Fanfare erschallt aus Freude, sie bezeugt Neuigkeit, Begeisterung. Trost und Zuspruch. Und das hat sie zweitausend Jahre lang getan; und Menschen sind in Gesang ausgebrochen und haben Gott für dieses Wort gedankt, an das sie also geglaubt und von dem sie gelebt haben. Es ist genau dies, das in unserer Kirche gilt, in unserem Land, in unserer Religion! Ein Glaubensbekenntnis.

Mit einem solchen Bekenntnis ist es nicht leicht, den Glauben an Heinzelmännchen oder Geister vom Fernsehen zu bewahren. Das ist auch nicht der Sinn der Sache. Faktisch ist es der Sinn der Sache, dass man alles andere aufgeben und sich der frohen Botschaft total hingeben soll. Da gibt es keine Vorbehalte in den Worten des Evangelisten. Und die braucht es auch nicht bei dem Pastoren zu geben, der diese Worte weiterzugeben hat. Und wenn jemand den Pastoren mitten in der Lesung bremsen und ihn fragen würde, ob der denn nun auch daran glaube, dann gibt es darauf nur eine einzige Antwort, und die ist: Dann hör doch hin, Mann! So hat Gott die Welt geliebt! So hat er auch dich geliebt, damit du nicht verlorengehst, sondern das ewige Leben hast! Glaube kann nicht zu gefälliger Beachtung sein; er ist ein Entweder – Oder.

Darf man fragen, ganz höflich und interessiert: Muss es das Christentum sein, woran man glaubt? Ist das Christentum denn wirklich so phantastisch? Wie steht es mit den anderen Religionen? Nun haben wir vor kurzem den phantastischen Dalai Lama mit seiner starken Persönlichkeit und seiner unglaublichen Ausstrahlung bei uns zu Besuch gehabt – was sollen wir von seinem Buddhismus halten? Er vermittelt Ruhe und Toleranz, die der moderne Mensch und die moderne Welt nötig haben. – Es hilft leider nichts. Lass den Dalai Lama nur in Ruhe und behandle ihn gut und höflich, wenn er zu Besuch kommt, denn wie Johannes schreibt: Gott sandte seinen Sohn nicht, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde.

Aber für uns gilt, dass wir um das Christentum nicht herumkommen. Im Gegenteil. Wir sollen in es hineinkommen. Es ist keine Religion unter anderen. Es ist die Wahrheit selbst und das Einzige, das absolut Einzige, was in diesem Haus Gültigkeit hat.

Das klingt recht intolerant; und das soll es auch. Hier gibt es nichts zu verhandeln. Hier herrscht keine Demokratie, sondern der Wille Gottes, und dem hat man sich zu beugen, man kann nicht mit ihm diskutieren. Das sind die Bedingungen des Glaubens. Das ist ein Teil der Befreiung, die der Glaube mit sich bringt: Hier kommt es nicht auf dich an und alle deine Meinungen und Fähigkeiten und Taten. Hier spricht und handelt Gott, der dreieinige Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Die Situation des Menschen in der Welt und in seinem eigenen Leben ist dadurch gekennzeichnet, dass der Mensch in ein schiefes Verhältnis zu Gott und damit zu dem Leben, das uns zugedacht war, gekommen ist. Man kann das auf viele verschiedene Weisen erleben: Als Angst, Leere, Verzweiflung, Ruhelosigkeit. Das Leben verliert an Bedeutung und Gewicht; und man wird zu einem Fremden auf Erden und fühlt sich allein und ausgestoßen! Davon handeln alle Relgionen, denn so erlebt der Mensch sein Leben. Mit verschiedener Stärke und verschiedenem Ausdruck.

Hier ist es das Anliegen des Evangelisten und des Gottesdienstes, vor aller Welt zu erklären, dass dieser Konflikt mit Jesus Christus beendet ist. Die Entscheidung oder das Urteil in dem Konflikt wird damit vom Richterstuhl des Ewigen am letzten Tage auf den Glauben an Christus verlegt. Mit ihm ist ein Freispruch erwirkt und ein neues Leben begonnen; aber es ist natürlich Bedingung, dass man daran glaubt; sonst würde man fortgesetzt unter der alten Anklage und dem bevorstehenden Gericht leben. Das ist in Wirklichkeit ganz logisch: Und das ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse!

Es geht also um Glauben! Deshalb sind wir hierher gekommen, um das zu bekommen, und der Raum hier ist voll davon. Es ist in uns hineingesungen, in uns hineingebetet und in uns hineingelesen. Man soll nicht Herz und Nieren bei sich selbst untersuchen, sondern die Ohren öffnen und sich von der sprudelnden Botschaft des Evangelisten Johannes überwältigen lassen. Hier ist dein Glaube! Er ist gut genug! Gib dich ihm hin! Lebe in ihm und von ihm! Darauf bist du getauft! Erhebe dein Angesicht, und schäme dich nicht über dich selbst, wenn Gott so für dich gebürgt hat. Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Heute war es der Evangelist Johannes, der mit der Hilfe des Heiligen Geistes die Kirche in Brande mit Glauben erfüllt hat. Das wusste er nicht, als er das vor 1900 Jahren schrieb, aber der Heilige Geist hat eine große Arbeit für uns und mit uns geleistet. Frohe Pfingsten! Amen.

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 

 


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