Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach

Pfingstmontag, 16. Mai 2005
Predigt über 1. Mose 11, 1-9, verfasst von Thomas Bautz
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Gen 11,1–9 (*)
1 Und alle Erdbewohner hatten eine Sprache und einen Wortschatz. 2 Und es geschah, als sie im Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Sinear und ließen sich dort nieder.
3 Da sprachen sie einer zum anderen: Auf, lasst uns Ziegel machen und hart brennen. Und der Ziegel diente ihnen als Stein, und das Erdpech diente ihnen als Mörtel.(1) 4 Und sie sagten: Auf, bauen wir uns eine Stadt mit einem Turm und seine Spitze in den Himmel, und machen wir uns einen Namen, damit wir nicht zerstreut werden über die gesamte Erdoberfläche.
5 Da kam Jahwe herunter, um die Stadt und den Turm zu sehen, welche die Menschenkinder bauten. 6 Und Jahwe sprach: Schau an, ein einziges Volk und eine einzige Sprache für sie alle, und dieses haben sie angefangen zu tun. Nun wird ihnen nichts unmöglich sein, was sie zu tun gedenken. 7 Auf, steigen wir hinab und verwirren dort ihre Sprache, dass einer des anderen Sprache nicht versteht. 8 Und Jahwe zerstreute sie von dort über die gesamte Erdoberfläche, und sie hörten auf, die Stadt zu bauen.
9 Darum nannte man ihren Namen Babel, weil dort Jahwe die Sprache aller Erdbewohner verwirrte und Jahwe sie von dort über die gesamte Erdoberfläche zerstreute.

Wie kann ein großes Land regiert oder verwaltet werden? Wo sollte die Priorität liegen?

Konfutse meinte dazu: „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern.“ – „Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist; [...], so kommen die Werke nicht zustande; [...], so gedeiht die Moral und Kunst nicht; [...], so trifft die Justiz nicht; [...], so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man keine Willkürlichkeiten in den Worten. Das ist es, worauf alles ankommt.“(2)

Wenn die Sprache nicht stimmt; wenn einer am anderen vorbeiredet; wenn Menschen zwar das gleiche Wort verwenden, sich aber Verschiedenes dabei denken oder Unterschiedliches damit verbinden. Wenn gewichtige, bedeutsam anmutende Reden sich allzu oft als bloße Lippenbekenntnisse zeitigen. Wenn ein Wort sowohl zum Segen wie auch zum Fluch werden kann, indem es seines ursprünglichen Sinnes beraubt, völlig entleert oder seine Bedeutung sogar ins Gegenteil verkehrt wird. – Dann erkennen wir, dass die sprichwörtliche „babylonische Sprachverwirrung“ bereits innerhalb einer Sprache die Verständigung in der Gesellschaft – zwischen verschiedenen sozialen Schichten, zwischen unterschiedlichen Interessengruppen, zwischen den Generationen, zwischen den Kulturen, zwischen den Konfessionen, zwischen den Religionen wie auch zwischen den politischen und weltanschaulichen Systemen eines Landes – wesentlich erschwert.

Nach biblischem Maßstab kommt es weniger auf die Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs an, vielmehr sollen Wort und Rede eindeutig sein. Stattdessen treffen wir immer wieder auf ver-wirrende und enttäuschende Ambivalenzen. – In einem Jahr des weltpolitischen Umbruchs hat Václav Havel in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels – 1989 – einige solcher Vieldeutigkeiten provozierend, aber deutlich entlarvt, indem er rückblickend die Sprache berühmter Ideologen wie Lenin und Marx, aber auch die Sprache theoretischer Systeme – wie etwa der Psychoanalyse Freuds – kritisch hinterfragt.

Der ehemalige tschechische Bürgerrechtler und Schriftsteller wurde wegen seines mutigen Engagements für Frieden und Bürgerrechte in seinem Land mehrfach inhaftiert; er erhielt keinen Pass für die Ausreise nach Frankfurt a.M., um den Friedenspreis persönlich empfangen zu können.

Václav Havel mag als Beispiel für Menschen dienen, die sich der Macht einer ideologischen Einheitssprache entziehen, indem sie deren verräterischen Vieldeutigkeiten aufdecken, und die es aber bei der Kritik nicht bewenden lassen. Vielmehr stehen diese Kämpfer für Freiheit und Frieden auch für den konsequenten Willen zum eigenen Denken. Sie scheuen sich nicht, selber das Wort zu ergreifen und eigenverantwortlich zu handeln.

Eigenständiges Denken ist die Voraussetzung der gelebten Freiheit. Es ist – nicht nur in einer Diktatur – oftmals mit Entbehrungen, Einschränkungen und Anfeindungen, vor allem auch mit Einsamkeit verbunden. Diese Einsamkeit des Denkens bewirkt aber auch erst die notwendige kreative Distanz gegenüber den Mächtigen.

Wir leben – verfassungsrechtlich gesehen – in einer Demokratie. Die Bürger unseres Landes haben Grundrechte, darunter auch das Recht auf eine eigene Meinung, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, das Recht auf freie Religionsausübung und vieles andere mehr.

Aber werden diese Grundrechte hinreichend genutzt? Viele Menschen sind unzufrieden, sehen aber auch wenig oder gar keine Möglichkeiten, sich wirksam für eine entscheidende Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen Lage einzusetzen. Das betrifft mehrere Ebenen: in Parteien, in Vereinen, in Körperschaften, in Schulen, in der Kirche usw. – die verschiedenen Institutionen bestätigen und beklagen das rückläufige Engagement; man hat Nachwuchssorgen.

Als mögliche Ursachen werden meist Resignation, Rückzug ins Privatleben, Bequemlichkeit und mangelndes Interesse am Gemeinwohl diagnostiziert. Das alles wird sicher auch eine Rolle spielen, aber ist diese Diagnose nicht allzu vordergründig?

Erinnern wir uns an den chinesischen Weisheitslehrer, Konfutse, der sich alles von einer Verbesserung des Sprachgebrauchs erhofft, was Politik, Wirtschaft und Soziales, Bildung, Moral und Kunst, Recht und Handeln der Menschen betrifft.

Wie steht es um den Sprachgebrauch in unserer Gesellschaft? Dürfen wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen ihre eigene Sprache gefunden haben? Oder müssen wir nicht vielmehr argwöhnen, dass viele längst unmerklich im jeweiligen Strom verschiedener Einheitssprachen mitschwimmen. Da gibt es die Sprache der Massenmedien, das Geplapper der Unterhaltungsbranche, das Gesäusel des leichten Entertainments, das Gezeter vieler Talkshows; das oft monotone und durch aufgeregtes Gestikulieren meist hilflos wirkende, Glaubwürdigkeit einhämmernde Geschwätz mancher Politiker und so manch anderes leblos und dabei womöglich noch lieblos erscheinende Wort schlechter Rhetoriker und selbst ernannter Propheten.

Unser Altbundesprädisent Roman Herzog setzte in einer Ansprache im Hinblick auf die Zukunft unseres Landes seine Hoffnung auf die Jugend und lobte deren wachsende Einsatzbereitschaft für andere – im Kleinen. Das ist sicher richtig und dankenswert. Aber schauen wir uns einmal den Sprachgebrauch vieler Jugendlicher an: Alles ist „cool“, und kein Mensch weiß, was das jeweils bedeuten soll – wahrscheinlich ebenfalls „alles“ und dadurch gleichermaßen auch „nichts“. Wer meint, dies wäre doch nur eine vorübergehende Erscheinung, die sich mit dem Erwachsenenwerden von selbst erledigt, verkennt m.E. die Eigenmächtigkeit der Sprache.

Von Martin Heidegger stammt der Gedanke, die Sprache sei „das Haus des Seins“.(3)

Menschen fühlen sich dort wohl und geborgen, wo man ihre Sprache spricht. Die Vielfalt und Verschiedenheit der Sprachen ist für die einen durchaus interessant, weckt Neugier und regt an zu polyglotten Abenteuern; für die anderen ist die Sprachenvielfalt eher verwirrend und abschreckend. Wer häufiger mit Gästen oder Bürgern aus dem Ausland ins Gespräch kommt, kann erleben, wie freudig diese auf ihre Muttersprache reagieren – und seien es nur ein paar Worte aus dem Munde eines Deutschen. Umgekehrt sind wir auch froh, wenn wir unsere Sprache auf Reisen im Ausland hören, oder wenn dort jemand sogar der deutschen Sprache mächtig ist.

Übrigens, was bedeutet es überhaupt: „einer Sprache mächtig sein“ – „eine Sprache beherrschen“. Das ist doch gar nicht so einfach. Spätestens, wenn Ausländer uns auf unsere eigene Sprache hin befragen: nach Sinn und Zweck grammatischer Phänomene, aber auch nach Bedeutungsnuancen, werden wir dessen gewahr, ob wir unsere Sprache auch bewusst gebrauchen können. Dies setzt nämlich voraus, dass wir darüber nachdenken.

Viele ausländische Mitbürger sind auf unsere Mithilfe angewiesen, was das Erlernen der deutschen Sprache betrifft. Wer hier als Ausländer beruflich weiterkommen will, muss tiefer in die Sprache eindringen, als es z.B. ein Sprachlehrgang – etwa am Goetheinstitut, an einem Studienkolleg oder an der Volkshochschule – zu vermitteln vermag.

Ein Perser, der in Köln studierte, sagte mir einmal, er wolle „Deutsch denken lernen“; d.h. er wollte die Struktur und das Wesen unserer Sprache kennenlernen und soweit wie möglich ausloten. Haben wir eine Fremdsprache endlich intensiv erlernt, so dass wir z.B. Englisch fließend sprechen, schreiben, denken, beten und träumen, so sagen wir gern: Jetzt bin ich im Englischen zu Hause. Aber wie schnell werden wir dieser neuen Heimat wieder entfremdet, je weniger wir die Sprache pflegen, je seltener wir sie mündlich wie schriftlich gebrauchen!

Ähnlich verhält es sich mit der eigenen Sprache – im übertragenen Sinne: Auch sie muss erlernt werden, was meist mühevoll, aber auch lohnend ist. Denn mit der eigenen, individuellen Sprache erobern wir uns Teile der Welt zurück, die durch massenmedialen, klischeehaften Gebrauch ihrer Bedeutsamkeit beraubt wurden, indem ihr Sinn entstellt, ihre Bedeutung verwischt oder ihre ursprüngliche Prägnanz durch allzu häufigen Gebrauch völlig abgenutzt worden ist. – „Love is just a four letter word“, hört man im englischsprachigen Lied einer bekannten Sängerin. – „Gott ist Liebe“, sagen die Frommen und können sich dabei auf einen Brief des Johannes im Neuen Testament der Bibel berufen. Aber was „Liebe“ tatsächlich ist, wie sie jeweils erfahrbar wird, muss jeder Mensch für sich selbst und mit einem anderen – eben von ihm begehrten und geliebten – Menschen selbst erleben. Enttäuschungen sind dabei nicht ausgeschlossen, sondern gehören zum Reifungsprozess.

Das Erlernen und Entdecken oder auch die Neuerkundung der eigenen Sprachwelt nährt sich von der Lektüre, lebt aber auch vom Gespräch; denn es ist die Sprache des anderen, der Austausch mit anderen Menschen, besonders mit älteren, reiferen Persönlichkeiten, deren Lebenserfahrung und sprachliche Prägung unser Denken anregen oder auch zum Widerspruch reizen. Die innere Zwiesprache mit Literatur wie auch der lebendige Dialog mit Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und Bildung; die Kommunikation mit anderen Generationen – der Austausch zwischen „Jung“ und „Alt“; der Wille, dem anderen auch zuzuhören; die Bereitschaft, voneinander etwas zu lernen – all das gehört grundlegend zu einer Gesprächskultur, die unser Land so dringend nötig hat. Nur auf diesem Weg lässt sich der Sprachgebrauch – wie es Konfutse vorschwebte – verbessern.

Statt einer Rechtschreibreform, die von vielen Bürgern, von Sprachwissenschaftlern und einigen Verlagen von Anfang an als fragwürdig angesehen wurde, bedürfen wir einer neuen, ernsthaften Förderung des Sprachbewusstseins und der Befähigung zu klarer, eindeutiger Rede. Für öffentliche Ämter und Aufgaben, die beruflich ständig mit der Sprache umzugehen haben, sollte während der beruflichen Ausbildung und auch später im Sinne einer obligatorischen Weiterbildung wieder Rhetorik als Pflichtfach eingeführt werden.

Das Eintreten für eine Verbesserung des Sprachgebrauchs ist nicht nur eine bildungspolitische und schon gar nicht eine rein linguistische Aufgabe. Vielmehr verbindet sich damit der Appell zur Verantwortung für die Sprache und gegenüber der Sprache, und dies ist „eine wesenhaft sittliche Aufgabe“,(4) gehört also in den Bereich der Ethik.

Mit dem Wort, mit der Sprache verbinden sich keineswegs nur die grammatikalische Form, die etymologische Herkunft und die Bedeutung einzelner Wörter – mit der Sprache sind vielmehr auch die jeweils sprechende Person, die Situation und die Motivation verknüpft.

Deshalb kann dasselbe Wort „einmal demütig und ein anderes Mal hochmütig“(5) gebraucht werden. Václav Havel nennt – wie gesagt: durchaus provozierend, aber deutlich – Wörter wie Sozialismus, „Perestrojka“, Frieden und sogar „das Wort Christi“.(6)

Welche Wirkung hatte „das Wort Christi?“ „War es der Anfang der Geschichte der Erlösung und einer der machtvollsten kulturschaffenden Impulse in der Weltgeschichte – oder war es der geistige Urkeim der Kreuzzüge, Inquisitionen, der Ausrottung der amerikanischen Kulturen und schließlich der gesamten widersprüchlichen Expansion der weißen Rasse, die so viele Tragödien verursacht hat, einschließlich der, daß heute der größte Teil der menschlichen Welt in die traurige Kategorie einer angeblich erst Dritten Welt fällt?“(7)

Freilich: Es gibt bei uns inzwischen vielerorts diese Eine-Welt-Läden, und es geschieht viel Gutes und Hilfreiches durch kirchliche wie auch nichtkirchliche Organisationen, was für die Einzelnen oft mit Uneigennützigkeit, persönlichem Verzicht und mitunter mit körperlichen Strapazen wie auch seelischen Belastungen verbunden ist.

Gleichzeitig aber gibt es nach wie vor den Missbrauch von Macht, indem Menschen die Sprache für ihre eigenen Zwecke und egozentrischen Ziele missbrauchen, und sie schrecken keineswegs davor zurück, sich dabei religiöser Sprache zu bedienen.

Haben nicht schon Propheten des alten Israel vor Pseudo- oder Lügenpropheten gewarnt? Hat nicht bereits Jesus von Nazareth vor denen gewarnt, die nach ihm kommen werden und vor denen man sich in Acht nehmen solle, weil sie nach außen wie Schafe, aber von innen her wie reißende Wölfe sind? Hat der Nazarener in seiner berühmten Bergpredigt nicht deutlich gesagt, dass es nicht genügt, sich auf Seinen Namen zu berufen, selbst wenn man mit seinen Taten dem entspricht, wozu er damals diejenigen ermächtigte, die sich ihm anschlossen bzw. in seine Nachfolge traten?(8)

Im Namen Jahwes, im Namen Gottes, im Namen Christi und im Namen Allahs ist bis heute immer wieder viel Nützliches und Segensreiches getan worden – aber leider auch schier unermessliches Leid, Zerstörung und Vernichtung im Namen der Religion.

Gibt es ein Kriterium, wonach wir unterscheiden können, ob jemand sich zu Recht oder zu Unrecht auf den Namen Jesus des Christus oder auf den Namen Gottes beruft?

Nun, wenn die Grundhaltung eines Menschen, einer Gruppe oder Gemeinschaft diejenige des Gebets ist – in aufrichtiger Haltung vor dem Schöpfer, im Vertrauen wie ein Kind, nach dem Willen des himmlischen Vaters fragend; wenn uns der „Name des Herrn“ wirklich heilig ist und wir mit unserem Leben zu seiner Heiligung beitragen wollen, wie es die erste Bitte des Vaterunsers zum Ausdruck bringt. Wenn wir tatsächlich damit übereinstimmen, dass Sein Reich komme und Sein Wille geschehe – wie im Himmel so auf Erden [!], dürfen wir nach der Verheißung des Nazareners um alles bitten und darauf vertrauen, dass es geschehe.

Auch wenn sich nur eine kleine Gruppe über eine Sache einig wird, in dieser Hinsicht „eines Sinnes“ ist und sich – im soeben erläutertem Sinn – auf Seinen Namen hin versammelt, wird ihr Anliegen bei Gott Erhörung finden.(9)

Die mythische Erzählung von der Sprachverwirrung warnt davor, sich seinen eigenen Namen im Sinne selbstherrlicher Machtvorstellungen machen zu wollen. Nicht zufällig wird dieser letzte Teil der biblischen Urgeschichte mit einem der mesopotamischen Machtzentren in Verbindung gebracht, deren große Stadt Babel später zum Symbol widergöttlichen Hochmuts und Frevels wurde.(10)

Ein Teil der damaligen Menschheit will sich einen Namen machen, damit sowohl die Einheitssprache wie auch die eigene Identität gewahrt bleiben. Zu diesem Zweck wollen sie sich eine Stadt bauen und einen Turm errichten, der mit der Spitze „bis zum Himmel ragt“. Die technischen Möglichkeiten und die architektonische Kompetenz sind vorhanden. Der hebräische Text bringt das sprachästhetisch durch Wortspiele zum Ausdruck, was auch archä-ologisch längst durch entsprechende Funde belegt wurde: Man war damals im Alten Orient nicht mehr auf Naturstein angewiesen, sondern baute mit Ziegeln und Asphalt.

Eine Parallele zu den Tempel- und Turmbauten in Mesopotamien bietet die biblische Erzählung vom sog. „Turmbau zu Babel“ allerdings nicht; denn die Zikkurat-Tempel der alten Völker (Sumerer, Babylonier, Assyrer) hatten eine ganz positive, religiöse Bedeutung; sie dienten der Verehrung der Hauptgottheit. Davon zeugen noch die alten Bezeichnungen – z.B. „Haus der Grundlegung des Himmels und der Erde“, „Haus der sieben Fundamente des Berges des Universums“, „Haus des (göttlichen) Königs, Beraters in Gerechtigkeit“, „Haus des Bandes von Himmel und Erde“.

In Babylon wurde mit diesen Tempeln und den dazu errichteten Türmen die Hauptgottheit, Marduk, verehrt, der vor allem als Schöpfer und Erhalter von Himmel und Erde galt. Der durch den Turmbau jeweils zum Ausdruck gebrachte Drang zum Himmel ist „als Drang in die Nähe Gottes zu verstehen“.(11)

Ganz anders die biblische Erzählung, die den Bau der Stadt und des Turms mit dem Wahn einer Einheitssprache und einer utopischen Völkergemeinschaft unter einem Namen verbindet. Dieses Unterfangen muss Jahwe – der Logik der Urgeschichte folgend – unterbinden, denn die Völkervielfalt und damit implizit auch die Sprachenvielfalt ist längst beschlossene Sache und wird in Genesis 10 (also ein Kapitel vorher) bereits vorausgesetzt.

Freilich: Die „Heilsversprechungen der Einheitssprache“ sind verführerisch; es ist bequem, den Sprachgebrauch – auch die Sprache des Glaubens – der anderen einfach zu übernehmen, „sich im Man der Allgemeinheit zu verlieren und die Selbstverantwortung einfach zu vergessen“. Wer sich – auch sprachlich – anpasst, der hat Erfolg. Wer keine Widerworte hat, der wird geliebt. „Wer die Stimme nicht erhebt, der hat ein gutes Leben. Kurzum: Wer in der Einsprachigkeit lebt, der kann sich mit den Vielen einen Namen machen.“(12)

Wer zu Ungerechtigkeiten, Verlogenheiten und Widersprüchen schweigt und statt dessen den herrschenden Sprachgebrauch – z.B. die Rede von sog. „Sachzwängen“ – pflegt, der führt vermutlich ein ruhiges, relativ unbelastetes Leben. Aber dieser Mensch hat auch seine eigene Sprache und damit sich selbst und seinen Namen verloren.

Demgegenüber will uns das Pfingstfest daran erinnern, dass die menschliche Sprache ein Wunder ist und die glückende Verständigung untereinander letztlich auf das Wirken und den Zuspruch des Schöpfers angewiesen ist. Er nennt jeden beim Namen und verbindet mit der persönlichen Berufung zugleich einen individuell angemessenen Anspruch:

„Fürchte dich nicht, denn ich erlöse dich; ich rufe dich bei deinem Namen, mein bist

(*) Eigenständige Übersetzung des Verfassers. – Zur fruchtbaren Heranziehung von Auslegungen aus jüdischen Quellen (allgemein:) Tim Schramm: „Die Bibel ins Leben ziehen“. Bewährte „alte“ und faszinierende „neue“ Methoden lebendiger Bibelarbeit (2003): Midrasch [...], 115–123; (zur Perikope:) Roland Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen. Band 1 (1986), 65–74.

(1) Die Sprachästhetik des Hebräischen in Gestalt der Anreicherung mit Alliterationen an dieser Stelle wenigstens annähernd nachahmend, hat Martin Buber folgendermaßen übersetzt: „[...] Backen wir Backsteine und brennen wir sie zu Brande! So war ihnen der Backstein statt Bausteins und das Roherdpech [...] statt Roherdmörtels.“

(2) Zitiert nach Franz Calvelli-Adorno: Über die religiöse Sprache. Kritische Erfahrungen (1965): Vorwort, 9.

(3) Zitiert nach: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Teilband 31. Quellenband 1: Im Haus der Sprache (1983): Einführung (Werner Ross), 15–24: 19f (Heidegger im „Humanismus-Brief“).

(4) Václav Havel: Slovo o slovu – Ein Wort über das Wort, in: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1989. Ansprachen aus Anlaß der Verleihung (1989), 41–69: 69 [Tschechisch und Deutsch], auf Wunsch von Václav Havel verlesen von Maximilian Schell, der damals von Moskau [!] anreiste.

(5) Václav Havel (1989), 55–69: 68.

(6) Václav Havel (1989), 61–66.

(7) Václav Havel (1989), 61.

(8) Vgl. Mt 7, 21–23.

(9) Vgl. Mt 18, 19–20.

(10) Vgl. Jes 14, 12–21; Ez 28, 1–19; siehe auch die Apokalypse des Johannes: Offb 14, 8; 18, 2.10.21. u.ö.

(11) Hans Heinrich Schmid: Die Steine und das Wort. Fug und Unfug biblischer Archäologie (1975), 90–108: 104.

(12) Christof Landmesser [B]: „Offene Fragen: Der Abgrund der Sprache“, PSt 2004/ 2005 (2005), 25–28: 26f.

Thomas Bautz


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